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Ausgangspunkt ist der Verzicht auf eine kognitive Begründung normativer Argumente.283 Sie stellen nicht Behauptungen mit kognitivem Anspruch dar, sondern normative
Forderungen, die autonome Subjekte legitimerweise und ohne substantielle Begründung
geltend machen dürfen.
Die Konsequenz daraus ist, den zentralen Zusammenhang zwischen Moral, Recht
und praktischer Vernunft neu zu definieren. Praktische Vernunft kann keine normativen
Inhalte begründen, sondern dies ist allein aufgrund der Autonomie vernünftiger Subjekte möglich. Autonome Entscheidungen unterliegen allerdings formalen Rationalitätsanforderungen. Die Idee praktischer Vernunft ist daher nicht zu verabschieden, sondern
vernünftige Subjekte können charakterisiert werden als solche, die in der Lage sind,
autonome Urteile gemäß den Anforderungen rationaler Argumentation zu begründen.
Sie müssen sich einerseits ihrer Autonomie bewusst sein, andererseits die Fähigkeit zu
rationaler Argumentation besitzen. Vernunft ergibt sich demnach aus der Kombination
von Autonomie und Rationalität.284
Da allerdings die normativen Inhalte nicht durch Vernunft, sondern durch autonome Entscheidungen bestimmt werden, sollte als Leitidee normativer Argumentation die
der Autonomie angesehen werden, nicht die der praktischen Vernunft. Es geht um die
Bildung korrekter autonomer Urteile, nicht um Vernunfterkenntnis. Dies wirft zwei
Fragen auf:
(1) Ist der Übergang von der Idee praktischer Vernunft zu der individueller Autonomie
als Leitidee der Rechts- und Moralphilosophie gerechtfertigt?
(2) Welche Bedeutung hat praktische Vernunft im Rahmen einer solchen, auf Autonomie gegründeten Konzeption von Recht und Moral?
II. Das Scheitern kognitiver Ansätze der Normbegründung
Die Rechtfertigung für die Ablösung der Idee praktischer Vernunft liegt in der Erfolglosigkeit der Versuche, eine kognitive Begründung von Normen vorzulegen. Solche Versuche haben eine lange Tradition. Ansätze dazu sind die Berufung auf ein göttliches
Recht, die klassischen Naturrechtslehren, die Normen in der Natur des Menschen oder
der Gesellschaft finden wollen, Vernunftrechtslehren wie die Kants, die die Grundlage
der Normbegründung in a priorischen Voraussetzungen praktischer Erkenntnis sehen,
und schließlich diskurstheoretische Ansätze, die versuchen, Normen mit a priori-Voraussetzungen menschlicher Kommunikation zu begründen.285 Auch bei diskurstheo-
283 Wahrheitsansprüche im Recht werden auch von anderen Autoren kritisiert, z.B. Patterson 1996.
Allerdings zielt die hier vertretene Konzeption darauf, Rationalitätsforderungen im Rahmen einer
Konzeption autonomer Normbegründung anzuwenden. Autonome Argumentation kann zu Ergebnissen führen, die mit Anspruch auf Wahrheit festgestellt werden können. Lediglich als Ausgangspunkt einer normativen Argumentation müssen Wahrheitsansprüche vermieden werden.
284 Dies ist allerdings nicht als Dichotomie zu verstehen. Da Rationalitätsforderungen prinzipiellen
Charakter haben können und somit Abwägungen erfordern können, kann ihre Anwendung autonome Entscheidungen erfordern. Autonomie und Rationalität sind somit verschiedene, aber miteinander verbundene Aspekte praktischer Vernunft.
285 Apel 1973; Habermas 1983, 86ff.; Nino 1991; Alexy 1991.
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retischen Ansätzen mit kognitivem Anspruch geht es noch darum, einen Begründungsersatz für die unhaltbaren Objektivitätsansprüche religiöser Moralvorstellungen zu finden.286 Jedoch kann dieser Versuch, wie auch seine Vorläufer, nicht gelingen.
Der Grund dafür ist, dass diese Ansätze die Idee individueller Autonomie nicht
ernst nehmen. Sobald ein normatives Problem auftritt, ist die Entscheidung für autonome Subjekte offen. Selbst in der kommunikativen Praxis anerkannte Normen können
Autonomie nicht beschränken. Erst die Möglichkeiten kommunikativer Praxis begrenzen individuelle Autonomie, nicht das, was in solchen Praktiken vorausgesetzt wird.
Jeder Versuch, dies mit kognitivem Anspruch zu bestreiten, ist aus Sicht autonomer
Subjekte nicht akzeptabel. Eine im Ansatz kognitive Normbegründung erscheint daher
nicht möglich. Dies soll an der Diskurstheorie Alexys belegt werden.287
1. Alexys diskurstheoretische Konzeption der Normbegründung
Rechtserkenntnis setzt voraus, dass Aussagen über das geltenden Recht mit Anspruch
auf Richtigkeit getroffen werden können. Es ist fraglich und umstritten, inwieweit dies
möglich ist. Sind nur empirische oder analytische Fragen einer Beurteilung als wahr
oder falsch zugänglich? Können normative Aussagen über das geltende Recht, wenn
nicht wahr, so doch richtig sein? Der Richtigkeitsanspruch rechtlicher Aussagen ist
Alexys Ansatzpunkt der Normbegründung.
Alexy zufolge bildet die These vom notwendigen Anspruch des Rechts auf Richtigkeit
die Grundlage für die Rechtfertigung von Regeln des Diskurses,288 für die "Sonderfallthese", dass der juristische Diskurs ein besonderer Fall des allgemeinen praktischen Diskurses sei,289 sowie für eine substantielle Folgerungen aus der Diskurstheorie, wie die notwendige Verbindung von Recht und Moral290 und die Rechtfertigung der Menschenrechte.291
Die Grundlage für seine These vom notwendigen Richtigkeitsanspruch des Rechts ist
eine Analyse von Voraussetzungen des Diskurses. Alexy entwickelt ein transzendentalpragmatisches Argument zur Begründung der Notwendigkeit von Diskursregeln aus der
Analyse des Sprechakts der Behauptung sowie der Annahme, es bestehe eine transzendental-pragmatische Notwendigkeit, Behauptungen zu machen. Seine Grundthese für die
Rechtfertigung der Regeln des Diskurses lautet:
286 Dies wird deutlich bei Habermas' Konzeption nachmetaphysischen Denkens, Habermas 1996.
287 Ein neuerer kognitivistischer Ansatz, der Autonomie zum Kern der Normbegründung macht, ist der
"pragmatische Rationalismus" von Pavlakos 2007, 7, 143. Er beschränkt jedoch Autonomie auf Ermessen bei der Anwendung von Normen, erlaubt also nicht die Begründung von Normen im Sinne
von Selbstgesetzgebung. Soweit eine von verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten gewählt wird,
kann man dies zwar als durch die interpretierte Norm gerechtfertigt erklären. Der normative Anspruch für die Wahl gerade dieser Alternative bleibt jedoch ungeklärt.
288 Alexy 1995a, 127ff. Vgl. auch Habermas 1996, 62f.
289 Alexy 1978; id., 1999b, 374ff.
290 Alexy 1994, 63ff.; 1998, 205ff. Kritisch dazu Heidemann 2005, 127ff.; Bulygin 2000. Ferner Alexy
2000b.
291 Alexy 1995a, 132ff.
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(1) Wer etwas behauptet, erhebt einen Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit.292
Alexy zufolge stellt die Negierung dieses Wahrheitsanspruchs einen performativen Widerspruch dar, d.h. der betreffende Sprechakt setzt etwas voraus, das im Inhalt des Sprechakts
verneint wird. Seine zweite These lautet:
(2) Der Anspruch auf Wahrheit oder Richtigkeit impliziert einen Anspruch auf Begründbarkeit.293
Der Anspruch auf Begründbarkeit erfordere, dass Gründe für die betreffende Behauptung
angegeben werden könnten. Dies müssten nicht unbedingt gute Gründe sein, und sie
müssten auch nicht stets angeführt werden. Wenn allerdings ein Grund gefordert werde
und es keine Rechtfertigung gebe, eine Begründung zu verweigern, dann bestehe eine
Verpflichtung, Gründe anzugeben. Daraus folgt Alexys dritte These:
(3) Der Anspruch auf Begründbarkeit impliziert eine prima facie-Pflicht, das Behauptete
auf Verlangen zu begründen.
Darüber hinaus bedeute das Aufstellen von Behauptungen, in den Bereich der Argumentation einzutreten. Daraus folgten weitere Voraussetzungen mit normativem Gehalt. Wer
etwas begründe, müsse voraussetzen, dass bestimmte Anforderungen erfüllt seien.294 In
Alexys Theorie sind diese normativen Voraussetzungen in folgender These enthalten:
(4) Mit Begründungen werden, jedenfalls was das Begründen als solches anbelangt, die
Ansprüche auf Gleichberechtigung, Zwanglosigkeit und Universalität erhoben.295
Daraus werden die Rechte eines jeden auf Teilnahme am Diskurs und Freiheit und Gleichheit im Diskurs abgeleitet. Allerdings betont Alexy selbst, dass dieses Argument nicht ausreicht, Rechte oder Normen außerhalb des Diskurses zu rechtfertigen.296
Der nächste Schritt ist die Begründung der Notwendigkeit des Anspruchs auf Richtigkeit.
Alexy hält den Anspruch auf Richtigkeit nicht für eine bloße Frage der Definition, was eine
Behauptung sei, sondern hält es für notwendig, Behauptungen zu machen. Dies bildet die
erste Prämisse für ein transzendentales Argument.297 Seine These lautet:
292 Alexy 1995a, 135.
293 Alexy 1995a, 136.
294 In Habermas' Theorie sind diese Anforderungen das Recht auf chancengleiche Teilnahme am Diskurs,
die Aufrichtigkeit der Teilnehmer und das Fehlen von Zwang, Habermas 1996, 62. Diese Voraussetzungen sollen das Diskursprinzip D rechtfertigen, dass nur solche Normen Gültigkeit beanspruchen
können, die die Zustimmung aller Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden können, ebd., 49.
295 Alexy 1995a, 138.
296 Alexy 1995a, 147; Habermas 1996, 62f.
297 Alexy 1995a, 139.
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(5) Wer sein ganzes Leben lang keine Behauptung (im durch (1)-(3) definierten Sinn)
aufstellt und keine Begründung (im durch (4) definierten Sinn) gibt, nimmt nicht an
der allgemeinsten Lebensform des Menschen teil.
Alexy hält es für praktisch unmöglich, nicht in irgendeiner Weise einmal an einer Argumentation teilzunehmen. Alle Lebensformen enthielten universelle Elemente von Argumentation, wie sie durch die Diskursregeln beschrieben würden.298 Er räumt allerdings ein,
dass die Fähigkeit, Konflikte durch Argumentation zu lösen, nicht impliziert, dass von ihr
auch Gebrauch gemacht wird. Dies wäre nur der Fall, wenn alle Menschen ein überwiegendes Interesse an richtiger, gerechter Konfliktlösung hätten.299
An dieser Stelle führt Alexy eine Unterscheidung von idealer und realer Geltung ein.
Diskursregeln seien nur ideal oder hypothetisch gültig, nämlich dann, wenn sie von allen
akzeptiert werden müssten, für die eine regulative Idee der Richtigkeit ein positiver Wert
sei. Dies sei nur eine hypothetische, faktisch begrenzte Geltung.300 Daher ergänzt Alexy
sein Argument, um zu zeigen, dass alle Menschen ein Interesse an Richtigkeit haben, das
stark genug sei, andere Interessen zu überwiegen. Allerdings sei dies nicht tatsächlich bei
allen gegeben. Alexy unterscheidet daher subjektive und objektive Geltung. Erstere bedeute
Motivation, letztere beziehe sich auf das äußere Verhalten.301 Die objektive Anerkennung
der Diskursregeln sei notwendig, weil im Hinblick auf die Nutzenmaximierung auf lange
Sicht vorteilhaft. Dies sei so, weil man damit rechnen müsse, auf Menschen zu treffen, die
ein Interesse an Richtigkeit hätten, und es daher vorteilhaft sei, selbst ein solches Interesse
zumindest nach außen hin vorzugeben.302
2. Kritik
Probleme der These Alexys von der Notwendigkeit eines Richtigkeitsanspruch betreffen
die Fokussierung auf Behauptungen, die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks "Richtigkeit" und
die Notwendigkeit eines solchen Anspruchs.
2.1. Behauptungen im normativen Diskurs
Alexy sieht den Sprechakt der Behauptung als von überragender Bedeutung für einen rationalen Diskurs, neben solchen des Fragens oder Rechtfertigens. Diese Annahme ist allerdings problematisch in einer diskursiven oder, allgemeiner, prozeduralen Theorie der Begründung. Das Problem ist, dass Behauptungen beanspruchen, Tatsachen festzustellen,
also die Existenz solcher Tatsachen behaupten. So bedeutet eine normative Aussage:
"Man soll andere nicht verletzen",
298 Ebd., 140.
299 Ebd., 141.
300 Ebd., 142.
301 Ebd., 143.
302 Ebd., 143, 144.
216
dass eine Norm existiert, die das Verletzen anderer verbietet. Aussagen beanspruchen
somit, wahr oder richtig zu sein wegen der Existenz korrespondierender Tatsachen. Das
Problem einer solchen Annahme im Rahmen einer prozeduralen Theorie der Normbegründung ist, wie man solche Behauptungen von Tatsachen am Anfang einer Begründungsprozedur aufstellen kann. Wenn dies möglich wäre, bräuchte man die Begründungsprozedur
nicht mehr. Aussagen behaupten mithin etwas, das man am Beginn einer Argumentation
noch nicht wissen kann.303 Das erste Problem ist damit, dass die Interpretation von Argumenten als Behauptungen oder Aussagen eine prozedurale Rechtfertigung redundant
macht, ihr allenfalls sekundäre Bedeutung belässt.
2.2. Konzeptionen von Richtigkeit
Das zweite Problem ist, dass in Alexys Theorie verschiedene Verwendungsweisen des
Ausdrucks "Richtigkeit" zu finden sind: (1) Richtigkeit im Sinne der Wahrheit von Aussagen, oder von etwas Wahrheitsanalogem im Fall normativer Aussagen. (2) Richtigkeit
als diskursive Möglichkeit.304 (3) Richtigkeit als oberstes Kriterium für Bewertungen,
analog dem der Wahrheit für Aussagesätze und der Gerechtigkeit für die richtige Verteilung von Gütern.305 (4) Richtigkeit im Sinne moralischer Richtigkeit im Zusammenhang
der Diskussion von Interessen an Richtigkeit.306
All diese Konzeptionen können als Varianten eines allgemeinen Begriffs der Richtigkeit verstanden werden in dem Sinne, dass etwas bestimmten normativen Anforderungen entspricht. Wahre Aussagen sind so, wie sie sein sollten. Mögliche Diskursergebnisse stehen in Einklang mit den Diskursregeln. Richtige Güterverteilungen stimmen
mit Forderungen der Gerechtigkeit überein. Richtige Handlungen folgen Normen der
Moral. In dieser Interpretation ist Richtigkeit ein relationaler Begriff, der Konformität
mit normativen Anforderungen ausdrückt.
Man kann allerdings Zweifeln, ob die verschiedenen Konzeptionen von Richtigkeit
miteinander vereinbar sind. Die Interpretationen von Richtigkeit als Wahrheit und als
diskursive Möglichkeit scheinen unvereinbar, und beide passen nicht zu einer prozeduralen Theorie der Rechtfertigung.
Die Definition von Richtigkeit als diskursive Möglichkeit ist ein besonderes Merkmal der Alexyschen Diskurstheorie.307 Ein Urteil ist diskursiv möglich, wenn es das
Ergebnis eines idealen Diskurses sein kann.308 Diese Interpretation ist jedoch zum einen
wenig plausibel. Richtigkeit meint mehr als bloße Zulässigkeit. Man kann sagen, es war
richtig, das gefundene Geld zurückzugeben, aber nicht, es war richtig, Tee statt Kaffee
303 Alexy verteidigt die Notwendigkeit des Richtigkeitsanspruchs im Sinne einer regulativen Idee, die
Orientierung in der Argumentation biete, Alexy 2007b, 333ff. Eine regulative Idee rechtfertigt
jedoch nicht die Annahme, dass das, was Ziel der Argumentation ist, bereits anfangs erreicht ist.
304 Alexy 1978; 1995c, 121.
305 Vgl. Alexy 1999a, 24.
306 Alexy 1995a, 141f.
307 Alexy 1991, 357, 413; 1995c, 110.
308 Vgl. auch Habermas 1999, 285 (ideal gerechtfertigte Akzeptabilität).
217
zu trinken, es sei denn, es gibt gute Gründe, die für diese Wahl sprechen. Richtigkeit
meint, das Richtige zu tun, nicht nur, eine erlaubte Alternative zu wählen.
Darüber hinaus ist die Interpretation von Richtigkeit als diskursive Möglichkeit
unvereinbar mit der als (oder analog zu) Wahrheit. Der Anspruch auf Wahrheit schließt
andere Alternativen aus, der auf diskursive Möglichkeit hingegen nicht. Alexy versucht,
diesem Problem mit der Unterscheidung eines relativen, prozeduralen und eines absoluten, nicht prozeduralen Begriffs der Richtigkeit zu begegnen. Der relative erlaube
verschiedene Lösungen, der absolute nicht. Für individuelle Urteile gelte der absolute
Begriff der Richtigkeit.309 Ein Individuum könne nicht verschiedene unvereinbare Lösungen akzeptieren, sondern müsse seine Antwort als richtig vertreten.310 Jedoch bleibt
unklar, wie ein Individuum im Rahmen einer prozeduralen Rechtfertigung, die verschiedene Lösungen zulässt, begründet zu der Ansicht gelangen kann, seine Auffassung sei
die allein richtige. Wäre dies möglich, müsste es eine andere Begründungsgrundlage
geben, die eine prozedurale Rechtfertigung überflüssig machte. Die Unterscheidung des
relativen und des absoluten Richtigkeitsbegriffs führt zu der Konsequenz, dass Individuen letzteren verwenden müssen und damit nicht auf der Grundlage der Diskurstheorie
argumentieren können.
2.3. Die Elemente eines Anspruchs auf Richtigkeit
Eine weitere Mehrdeutigkeit betrifft das Erheben eines Anspruchs. Alexy unterscheidet
drei Elemente im Erheben eines Anspruchs: die Behauptung der Richtigkeit und Rechtfertigbarkeit, die Garantie der Rechtfertigbarkeit und die Erwartung der Akzeptanz des
Richtigkeitsanspruchs durch die Normadressaten.311 Problematisch sind die Garantie der
Rechtfertigbarkeit und die Erwartung der Akzeptanz. Solche Ansprüche können im
Rahmen autonomer Normbegründung nicht erhoben werden. Da das Ergebnis der Argumentation auch von den Positionen anderer autonomer Subjekte abhängt, kann niemand
eine Garantie dafür geben, dass seine Position das Ergebnis des Begründungsverfahrens
sein wird. Ebenso kann niemand erwarten, dass seine Position von anderen autonomen
Subjekten als definitiv gültig akzeptiert werden wird. Lediglich die Gültigkeit als normatives Argument muss begründbar sein und, wenn dies der Fall ist, von anderen akzeptiert werden.
2.4. Die Notwendigkeit eines Anspruchs auf Richtigkeit
Die Kritik der Alexyschen Konzeption eines Richtigkeitsanspruchs zeigt, dass man einen
solchen Anspruch vernünftigerweise nicht erheben kann. Unabhängig davon kann die Notwendigkeit eines solchen Anspruchs auch deshalb nicht angenommen werden, weil das
Modell autonomer Normbegründung eine Alternative bietet, die ohne solche kognitiven
309 Alexy 1991, 413f.
310 Ebd., 414.
311 Alexy 1998b, 206; 2000c.
218
Richtigkeitsansprüche auskommt. Normative Argumente stellen Forderungen dar, nicht
Behauptungen über die Geltung von Normen, die erst als Feststellungen der Ergebnisse
von Abwägungen möglich sind. Wenn ein Richtigkeitsanspruch für normative Aussagen
erhoben wird, dann ist die Argumentation schon vorbei. Selbst wenn Richtigkeitsansprüche im Alexyschen Sinne notwendig sein sollten, würden sie für die Argumentation nichts
mehr austragen.
III. Praktische Vernunft im Rahmen autonomer Normbegründung
Was bleibt vom Vernunftrecht im Rahmen einer Konzeption autonomer Normbegründung? Die Frage ist, welche normativen Aussagen sich im Rahmen einer autonomen
Normbegründung nicht nur autonom, sondern rational begründen lassen und somit als
Kern eines rational begründeten Rechts Grenzen für autonome Entscheidungen setzen.
1. Grundsätze des Vernunftrechts
Eine rationale Normbegründung beansprucht zu zeigen, dass jeder vernünftig Urteilende
die betreffende Norm als gültig anerkennen muss. Auch im Rahmen autonomer Normbegründung sind Anforderungen rationaler Argumentation zu beachten. Diese werden
allerdings auf autonom, nicht kognitiv begründete Forderungen angewandt. Daraus resultieren Begründungsstrukturen, die von jedem vernünftigerweise anerkannt werden
müssen und die sich jedenfalls teilweise in Form normativer Prinzipien formulieren lassen. Zu diesen strukturellen Anforderungen an autonome Normbegründung gehören:
(1) die Notwendigkeit einer Begründung für die Behauptung der Geltung von Normen.
(2) das Gebot, alle relevanten Argumente zu berücksichtigen.
(3) die Zustimmungsfähigkeit normativer Argumente.
(4) das Gebot korrekter Abwägung mit drei Unterprinzipien:
(5) dem Gebot faktischer Optimalität der Entscheidung.
(6) dem Gebot normative Optimalität der Entscheidung.
(7) dem Gebot kohärenter Abwägung.
(8) die Berücksichtigung der normativen Urteile anderer als notwendige Bedingung für
korrekte normative Urteile auf definitive Geltung und allgemeine Verbindlichkeit.
(9) das Gebot, eine allgemeine Norm festzusetzen, nicht nur eine partikulare Entscheidung zu treffen.
(10) die Notwendigkeit einer verbindlichen Regelung als Voraussetzung der Möglichkeit,
eine verbindliche Norm begründen zu können.
Diese Bedingungen lassen sich in Form normativer Prinzipien formulieren. Sie lassen
sich in verschiedenen Gruppen zusammenfassen. Als Leitideen lassen sich Rationalität,
Universalisierbarkeit, Korrektheit und Liberalität unterscheiden. Diesen sind verschiedene Rationalitätsforderungen zuzuordnen:
- dem Rationalitätsprinzip die Forderungen der Begründung von Normen und der
Verbindlichkeit von Normen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Auf der Grundlage der Konzeption der Abwägung normativer Argumente werden eine Theorie autonomer Normbegründung sowie eine Theorie des Rechts entwickelt, die dessen normativen Charakter und die Notwendigkeit der Rechtfertigung des Rechts aufgrund der Idee individueller Autonomie ernst nimmt. Kritisiert werden kognitive Konzeptionen moralischer Autonomie wie die Kants, propositionale Konzeptionen normativer Argumenten sowie insbesondere die Rechtstheorie Robert Alexys.
Es wird aufgezeigt, wie Prinzipien als Gründe für Abwägungsurteile konzipiert werden können, welche Richtigkeits- und Objektivitätsansprüche für Abwägungsurteile begründbar sind, ohne eine kognitive Bestimmbarkeit des Abwägungsergebnisses vorauszusetzen, und welche Autonomierechte anzuerkennen sind. Auf dieser Grundlage werden Rechtsbegriff und Rechtsgeltung, juristische Interpretation und Abwägung, die Theorie gerichtlicher Kontrollkompetenzen, das Verhältnis von Recht zu praktischer Vernunft und Moral sowie die Konzeption von Grund- und Menschenrechten analysiert.
Die Prinzipientheorie des Rechts bildet einen langjährigen Forschungsschwerpunkt des Autors. Die Arbeit fasst das Ergebnis dieser Forschungen zusammen.