233
zugunsten einer Anwendung des WpÜG erscheint aus diesen Gründen unbedingt
erforderlich.
Idealerweise sollte das Thema „WpÜG und Erwerb eigener Aktien“ allerdings
selbst durch eine solche gesetzgeberische Anwendungsklarstellung allein noch nicht
als abgeschlossen betrachtet werden. Die eingehende Auseinandersetzung mit der
Anwendbarkeit der einzelnen Verfahrensvorschriften der §§ 10-28 WpÜG hat gezeigt, dass sich bei der Übertragung der Regelungsgedanken dieser Vorschriften auf
den Aktienrückerwerb vielfach Besonderheiten gegenüber dem Normalfall des öffentlichen Fremdangebots ergeben. Hierfür kann sowohl die besondere verbandsrechtliche Pflichtenbindung der Gesellschaft gegenüber ihren Aktionären, als auch
die gegenüber dem Fremderwerb veränderte personelle Grundkonstellation (die
rückerwerbende Gesellschaft ist gleichzeitig Bieter und Zielgesellschaft) verantwortlich sein. Vor diesen Hintergründen sollte (auch) in Deutschland über die Schaffung
einer eigenständigen gesetzlichen Regelung für öffentliche Rückerwerbsangebote
nachgedacht werden, die die genannten Besonderheiten umfassend berücksichtigt
und klarstellt. Insofern kann die US-amerikanische Rule 13e-4 der SEC1226, die sich
ausschließlich auf self tender offers bezieht, als Vorbild dienen. Insbesondere unter
dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit erscheint eine solche selbständige gesetzliche Regelung nicht nur wünschenswert, sondern im Hinblick auf die außerordentliche Meinungsvielfalt in Bezug auf die Anwendbarkeit der einzelnen Verfahrensvorschriften der §§ 10-28 WpÜG auf den Aktienrückerwerb auch erforderlich.
IV.) Bewertung einer weitergehenden gesellschaftsrechtlichen Liberalisierung unter
dem Blickwinkel der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes, insbesondere: An-
/Aufhebung der 10 %-Bestandsgrenze?
1.) Zwischenfazit und Problemaufriss
Die Ausführungen im vorherigen Abschnitt haben gezeigt, dass einerseits zwar
zuletzt die kapitalmarktrechtliche Regelungsdichte in Bezug auf Aktienrückkäufe in
begrüßenswerter Weise zugenommen hat, dass andererseits aber im Rahmen der
geregelten Sachkomplexe auch noch gesetzlicher Nachbesserungsbedarf besteht.
Diese Unzulänglichkeiten kann der Gesetzgeber jedoch im Zuge künftiger Gesetzesvorhaben beseitigen.
Auf Basis dieser Bestandsaufnahme wird es nun im Folgenden um die Frage gehen, wie unter dem Blickwinkel der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes die mögliche Ausnutzung des durch die Richtlinie 2006/68/EG vom 6. September 2006
ermöglichten Abbaus gesellschaftsrechtlicher Schranken für den Aktienrückerwerb
1226 Vgl. hierzu bereits S. 209 ff.
234
zu bewerten ist. Der Fokus wird dabei auf die Frage einer mögliche An- bzw. Aufhebung der aktuell in § 71 II 1 AktG statuierten 10 %-Grenze für eigene Aktien
gelegt. Hierbei handelt es sich um die zentrale Neuerung, die die Richtlinie
2006/68/EG betreffend die Regelungsgrundlagen des Erwerbs eigener Aktien mit
sich bringt. Es wurde bereits aufgezeigt, dass aus Sicht des Gläubiger- und Aktionärsschutzes keine Bedenken gegen die Ausnutzung der Freiräume bestehen1227.
Dies muss jedoch nicht bedeuten, dass das Ergebnis aus kapitalmarktpolitischer
Sicht das gleiche ist. Denn wie dies auch von der deutschen Expertengruppe ausdrücklich und zutreffend betont wird, ist im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Deregulierungsvorhaben im Bereich des Erwerbs eigener Aktien stets auch der Kapitalmarktschutz zu beachten1228.
2.) Mögliche Vorteile der Liberalisierung für den Kapitalmarkt
Um zunächst zu bemessen, mit welchen Vorteilen ein Abbau der 10 %- Bestandsgrenze für den Kapitalmarkt verbunden sein könnte, bietet sich eine Ausrichtung an
den bestehenden Einsatzpotentialen eines Aktienrückerwerbs an. Insoweit kann an
die Ausführungen und Befunde in Teil 2 Abschnitt B dieser Arbeit angeknüpft werden.
Zu betrachten ist zunächst das signaling, das sowohl in den USA als auch in
Deutschland das wichtigste Motiv für den Erwerb eigener Aktien darstellt. Das signaling kann aus kapitalmarktpolitischer Sicht bedeutende Vorteile mit sich bringen.
Eine Unterbewertung des Unternehmens bedeutet eine Beeinträchtigung der Allokationseffizienz des Kapitalmarktes. Da die Ausgabe von Eigenkapitaltiteln im Falle
einer Unterbewertung einen zu geringen Preis realisieren würde, kann sich das Management gehindert sehen, lohnende Investitionsprojekte über den Kapitalmarkt zu
finanzieren, was unter Umständen zu einer Unterinvestition führen kann1229. Das
Aussenden eines Signals der Unterbewertung trägt dann im Idealfall dazu bei, dass
der Marktpreis schneller an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst wird, als dies
unter Umständen ohne das Signal der Fall wäre. Hierdurch werden Kosten auf Seiten der Investoren vermieden, und das Unternehmen kann seinerseits Kapitalkosten
einsparen1230. Der Abbau der sog. agency costs (also derjenigen Kosten, die zwecks
Überbrückung des Informationsgefälles zwischen Unternehmensleitung und Anlegern bzw. des hieraus entstehenden Interessenkonfliktes entstehen) wird dabei wie
folgt erreicht1231: Zunächst können durch die Signalisierung einer Unterbewertung
1227 Vgl. dazu bereits S. 218 ff.
1228 Stellungnahme der deutschen Expertengruppe zum Bericht der HLG, ZIP 2003, 863, 873.
Vgl. auch Erwägungsgrund (7) der Richtlinie 2006/68/EG.
1229 Schremper, S. 90.
1230 Buckley, 65 Ind L J, 493, 526 (1990); Song, 27 J Corp L, 425, 447 (2002).
1231 Vgl. die Systematisierung bei Hampel, S. 35 f.
235
sog. bonding costs reduziert werden, also diejenigen Kosten, die den Aufwand des
Managements verkörpern, seine Handlungen gegenüber den Aktionären als im
Interesse des Unternehmens optimal zu rechtfertigen1232. Hiermit einher geht eine
Verringerung der sog. monitoring costs, welche den Aktionären durch die Überwachung der Unternehmensleitung entstehen1233. Zudem kann den Investoren die ggf.
uneffiziente, da mit unnötigen Kosten verbundene Suche nach alternativen Anlagemöglichkeiten erspart werden1234. Durch die „Justierung“ des Börsenkurses wird
somit die Allokationseffizienz des Marktes gefördert.
Isoliert vor diesem Hintergrund betrachtet wäre eine Anhebung der 10 %-
Erwerbsgrenze in § 71 II 1 AktG als durchaus positiv zu bewerten. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Durchführung eines öffentlichen Rückerwerbsverfahrens,
das insofern die geeignetste Rückkaufmethode für die Signalisierung einer Unterbewertung darstellt. So wurde bereits dargelegt, dass die Stärke des Signals, das die
Gesellschaft an den Kapitalmarkt aussendet, mit der Größe des angestrebten Rückerwerbsvolumens wächst1235. Verfügt die Gesellschaft beispielsweise bereits über
einen erheblichen Bestand an eigenen Aktien, den sie in der Vergangenheit etwa
zum Aufbau einer Akquisitionswährung zurückerworben hat, so kann es ihr derzeit
aufgrund § 71 II 1 AktG verwehrt sein, ein öffentliches Rückerwerbsangebot abzugeben, das hinreichend umfänglich ist, um dem Markt die angenommene Unterbewertung glaubhaft kommunizieren zu können. Denn generell muss das wirtschaftliche Risiko, das die Gesellschaft (und damit auch die an ihr beteiligten Mitglieder der
Unternehmensführung) durch die Zahlung der Rückkaufprämie eingeht, von gewisser Erheblichkeit sein, damit die Marktteilnehmer das Signal als glaubwürdig erachten.
Ein ähnliches Bild ergibt sich unter Berücksichtigung des Motivs, durch den Erwerb eigener Aktien liquide Mittel an die Gesellschafter auszuschütten. Auch dies
kann mit Vorteilen für den Kapitalmarkt verbunden sein1236. Dass die Ankündigung
einer Dividendenzahlung regelmäßig mit einem abnormalen Kursanstieg verbunden
ist1237, zeigt, dass die Anleger eine Ausschüttung generell positiv bewerten. Als
Begründung hierfür wird unter anderem die free cash flow-Hypothese angeführt,
nach der ein Abbau der der Kontrolle des Managements unterliegenden liquiden
Mittel zu einer Minimierung der agency costs führt und so eine Marktwertmaximierung gefördert wird1238. Die Anleger stehen einer bevorstehenden Ausschüttung
zudem regelmäßig deshalb wohlwollend gegenüber, weil die Entscheidung, ob sie
1232 Vgl. dazu Hampel, S. 36.
1233 Vgl. dazu Hampel, S. 35 f.
1234 Song, 27 J Corp L, 425, 447 (2002).
1235 Vgl. bereits S. 34.
1236 So explizit auch Kübler, S. 48.
1237 Vgl. bereits S. 38.
1238 Jensen, 76 Am Econ Rev, 323, 323 ff. (1986); Easterbrook, 74 Am Econ Rev, 650, 657 f.
(1984).
236
die Erträge in das Unternehmen reinvestieren wollen, so ihnen selbst überlassen
bleibt und auf diese Weise schlechte Investitionen durch das Management vermieden werden können1239. Ein weiterer Grund für die positive Bewertung durch den
Markt kann darin gesehen werden, dass die Anleger eine Ausschüttung als ein positives Signal des Managements über die Finanzlage1240 des Unternehmens auffassen.
Da es mit höheren Kosten für ein Unternehmen (und damit auch für die an der Gesellschaft beteiligten Manager) verbunden ist, den eigenen Finanzbedarf über die
Inanspruchnahme des Kapitalmarktes zu decken als hierfür auf eigene Mittel zurückzugreifen, liegt der Rückschluss nahe, dass das Unternehmen finanzkräftig ist
bzw. mit künftigen Einnahmen rechnet und sich die Ausschüttung leisten kann1241.
Soweit dies der Fall ist, kann die Ausschüttung dem Abbau von Informationsasymmetrien dienen.
Steht der Unternehmensleitung nun neben der Dividendenzahlung mit dem Aktienrückkauf eine weitere Möglichkeit zur Hand, liquide Mittel an die Aktionäre zu
verteilen, kann dies aus den beschriebenen Gründen für den Kapitalmarkt nur von
Nutzen sein1242. Dies gilt umso mehr, als sich der Erwerb eigener Aktien, wie bereits
an anderer Stelle dargestellt, im Vergleich zu der Dividende als ein überaus flexibles
Ausschüttungsinstrument präsentiert. Durch einen börslichen Rückerwerb etwa
können Mittel laufend und „nach Bedarf“ verteilt werden. Voluminöse öffentliche
Rückerwerbsverfahren können dagegen neben der Jahresdividende insbesondere
dann von Bedeutung sein, wenn sich - etwa durch ein punktuelles Ereignis - eine
große Menge ausschüttungsfähiger Mittel angesammelt hat. Durch das Instrument
des Aktienrückerwerbs kann die Unternehmensleitung ihre Ausschüttungspolitik
somit flexibel an dem tatsächlichen Leistungsprofil der Gesellschaft ausrichten. Vor
diesen Hintergründen wäre eine An- oder sogar Aufhebung der 10 %-Schranke nach
§ 71 II 1 AktG auch unter dem Gesichtspunkt der Ausschüttung liquider Mittel
durch Aktienrückerwerb als durchaus positiv zu bewerten. Denn wiederum kann
diese Grenze dem flexiblen Einsatz des Rückerwerbs als Ausschüttungsinstrument
im Wege stehen, wenn die Gesellschaft bereits über einen hohen Bestand an eigenen
Aktien verfügt.
1239 Vgl. Vafeas, 12 J Acct, Auditing & Fin, 101, 104 (1997); Hampel, S. 38 f.
1240 Hiermit ist nicht (unbedingt) der Wert des Unternehmens gemeint.
1241 Vgl. Asquith/Mullins, 15 Fin Management, 27, 35; Buckley, 65 Ind L J, 493, 538 (1990);
Lawless/Ferris/Bacon, 23 J Corp L , 209, 214 (1998)., Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 443 mit
Fn. 100 (2000). Jedoch gibt es Stimmen, die die Glaubwürdigkeit eines dementsprechenden
Signals insoweit anzweifeln, als hiermit die zukünftige performance des Unternehmens betroffen ist, da Dividendenzahlungen lediglich ein Zeichen für die vergangene Geschäftstätigkeit sein können, vgl. etwa Benartzi/Michaely/Thaler, 52 J Fin, 1007, 1031 (1997).
1242 Tatsächlich wird speziell auch der „Ausschüttungseffekt“ des Aktienrückerwerbs für die mit
seiner Ankündigung verbundenen Kursanstiege verantwortlich gemacht, vgl. Nohel/Tarhan,
49 J Fin Econ, 187, 189 (1998).
237
Die Einbeziehung weiterer Rückerwerbsmotive (wie z.B. eine Kapitalstrukturierung, der Aufbau einer Akquisitionswährung oder die Bedienung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen) kann die Erkenntnis potentieller mit einer An- bzw. Aufhebung der 10 %-Grenze verbundenen kapitalmarktpolitischen Vorteile nur stützen.
Und hierdurch wird letztlich auch deutlich, warum der 10 %-Schranke für eigene
Aktien in der Praxis eine so einschneidende Wirkung zukommen kann: Wie kaum
ein anderes Instrument der Geschäftsführung ist der Erwerb eigener Aktien zu einer
solchen Vielzahl verschiedener Zwecke einsetzbar. § 71 I Nr. 8 AktG erlaubt prinzipiell, diesen Freiraum auszunutzen, da hiernach eine Zweckvorgabe im Rahmen des
Ermächtigungsbeschlusses nicht notwendig ist. Da es sich bei der hier in Frage stehenden 10 %-Schranke aber um eine Bestandsgrenze handelt, kann es dazu kommen, dass ein Rückerwerb in einer bestimmten Situation zwar unternehmerisch
indiziert erscheint, jedoch der angestrebte Zweck angesichts eines bereits beträchtlichen Bestands an eigenen Aktien entweder gar nicht oder aber jedenfalls nicht in
dem gewünschten Umfang erreicht werden kann. Dies gilt insbesondere für die
Durchführung voluminöser öffentlicher Rückkaufverfahren, die sich aus unternehmerischer Sicht jedoch oftmals gerade besonders anbieten1243.
Insgesamt lässt sich somit konstatieren und in Form eines Zwischenergebnisses
festhalten, dass eine An- oder Aufhebung der 10 %-Grenze in § 71 II 1 AktG bedeutsame Vorteile für die Unternehmensführung mit sich bringen könnte. Die gesteigerte Handlungsflexibilität des Managements ermöglicht einen effizienteren
Einsatz des Aktienrückerwerbs als finanz- und strukturpolitisches Instrument. Diese
gewichtigen unternehmerischen Potentiale sind auch aus Sicht der Aktionäre als
positiv zu bewerten, soweit diese von einer durch die größere Handlungsflexibilität
ermöglichten Erhöhung des Unternehmenswertes profitieren. Dies wiederum käme
auch der Attraktivität des deutschen Finanzplatzes zugute, wie sie der Gesetzgeber
bereits durch die Liberalisierung des Erwerbs eigener Aktien im Zuge des KonTraG
angestrebt hat1244.
3.) Offene Flanke: Verbleibende Gefahren für den Kapitalmarkt
a) Unzutreffendes Signal einer Unterbewertung
Auf der anderen Seite müssen im Rahmen dieser rechtspolitischen Untersuchung
jedoch auch die potentiellen Gefahren betrachtet werden, die mit einer Anhebung
der 10 %-Grenze verbunden sein können. Speziell im Zusammenhang mit dem signaling ist dabei zunächst festzustellen, dass den Vorteilen, die mit der Signalisierung
1243 Bspw. i.R.d. signaling, zur Ausschüttung eines großen Bestandes an überschüssiger Liquidität, zur punktuellen und prägnanten Kapitalstrukturierung (insbes. i.V.m. einer Fremdfinanzierung des Rückerwerbs), etc.
1244 Vgl. Begr RegE, BT-Drucks. 13/9712, S. 13.
238
einer Unterbewertung ohne Zeitverlust und großen Kostenaufwand verbunden sind,
als Kehrseite tatsächlich nicht unbedeutende Gefahren für den Kapitalmarkt gegen-
überstehen. Diese haben ihren Ursprung darin, dass sich der Aktienkurs eben nicht
aufgrund der freien und unabhängigen Kräfte des Kapitalmarktes herausbildet1245,
sondern durch ein punktuelles Signal der Unternehmensführung beeinflusst wird.
Die Risiken realisieren sich dann, wenn das Signal der Unterbewertung unzutreffend
ist1246.
Bereits im Zusammenhang mit § 20 a I 1 Nr. 2 1. Alt und Nr. 3 WpHG wurde
dargelegt, dass die gesetzlichen Kontrollmöglichkeiten in dieser Hinsicht eingeschränkt sind, will man nicht in Widerspruch mit der vom Gesetzgeber des KonTraG durch § 71 I Nr. 8 AktG intendierten Flexibilisierung des Aktienrückerwerbs
geraten1247. Dies ist praktisch immer der Fall, wenn der Vorstand sich nicht öffentlich auf eine Unterbewertung beruft und somit angesichts der vielen wirtschaftlich
anerkannten Gründe für einen Rückerwerb keine Angriffsfläche für den Vorwurf
einer Marktmanipulation besteht. Dass die Marktteilnehmer in diesen Fällen den
Rückerwerb trotzdem vielfach als Signal einer Unterbewertung ansehen, stellt unter
dem Gesichtspunkt einer effektiven Kapitalmarktkontrolle das eigentliche „Dilemma“ dar. Die Gefahr eines unzutreffenden Signals der Unterbewertung ist vor diesem Hintergrund in weiten Teilen als dem Erwerb eigener Aktien immanent zu betrachten.
Sie ist auch keinesfalls eine geringe. Zurückzuführen ist dies darauf, dass die
Kosten eines falschen Signals regelmäßig nicht hoch genug sind, um die Initiatoren
hiervon abzuhalten. Dies gilt zunächst ganz offensichtlich dann, wenn es trotz der
regelmäßig kursfördernden Ankündigung gar nicht oder zumindest nicht in erheblichem Umfang zum Rückerwerb kommt. Im Falle eines öffentlichen Rückerwerbsangebots besteht diese Gefahr zwar weniger1248; kündigt die Gesellschaft jedoch ein
börsliches Rückkaufprogramm an, so ist die Ankündigung rechtlich nicht bindend,
d.h. es besteht keine Rechtspflicht zur Durchführung. Tatsächlich deuten empirische
Untersuchungen darauf hin, dass oft nur ein geringer Teil des angekündigten Aktienvolumens, und in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen sogar überhaupt
1245 Vgl. Begr RegE, BT-Drucks. 13/9712, S. 13.
1246 Oder auch dann, wenn die Kosten eines fundierten signaling höher sind als sein Nutzen, etwa
weil die die Unterbewertung begründenden Informationen nur sehr kurze Zeit später ohnehin
an den Markt herangetragen worden wären, vgl. dazu Buckley, 65 Ind L J, 493, 530 (1990),
der eine solche „Kurzsichtigkeit“ des Managements allerdings als unwahrscheinlich erachtet.
1247 Vgl. bereits S. 199 f.
1248 Mit Veröffentlichung der Angebotsunterlage (nicht schon mit Veröffentlichung der Entscheidung i.S.d. § 10 WpÜG, vgl. die zutreffende Darstellung von Hirte, in: Kölner Kommentar
zum WpÜG, § 10 Rn. 19 f.) gibt die Gesellschaft ohnehin ein bindendes Rückerwerbsangebot
ab. Ein im Vorfeld angekündigtes, aber nicht durchgeführtes öffentliches Angebot kann sich
rufschädigend auswirken und dürfte daher vom Vorstand regelmäßig vermieden werden.
239
keine Aktien zurückerworben werden1249. Selbst wenn es aber bei einer unzutreffend
signalisierten Unterbewertung zum (börslichen oder auch öffentlichen) Rückkauf
kommt, erleiden die persönlich an der Gesellschaft beteiligten Mitglieder der Unternehmensführung keine Verluste, wenn es ihnen gelingt, ihre Aktien zu verkaufen.
Im Falle eines öffentlichen Rückerwerbsangebots muss dies nicht einmal notwendigerweise durch die Annahme des Angebots der Gesellschaft geschehen, sondern
kann vergleichsweise lautlos durch börsliche Verkäufe erreicht werden1250. Untersuchungen in den USA zufolge passiert dies sogar in einer erheblichen Anzahl aller
Fälle1251.
Die Hintergründe eines solchen falschen Signals können dabei verschiedene sein.
In Betracht kommt sowohl ein unbewusst, als auch ein bewusst unzutreffend gesetztes Signal. Ein unbewusst falsches Signal impliziert, dass der Vorstand den Wert des
Unternehmens überschätzt. Dies kann insbesondere einen psychologischen Hintergrund haben. So mag es sein, dass als Folge (zeit-) intensiver Leitungstätigkeit ein
hohes Ausmaß an persönlicher Identifikation mit dem Unternehmen besteht. Dies
wiederum kann dazu führen, dass der Vorstand dazu tendiert, länger an ein vermeintlich hohes Potential zu glauben als dies vielleicht aus einer objektiven Perspektive angemessen wäre1252 – mit anderen Worten: Der Vorstand ist „berufsmäßiger Zweckoptimist“1253. Kapitalmarktpolitisch ist dies insofern bedenklich, als die
Korrektur der unfundierten und durch das signaling hervorgerufenen Kurssteigerung
wiederum in die Hände des Marktes gelegt wird; hierdurch entstehen Verzerrungen,
die einer effizienten Kapitalallokation zuwiderlaufen.
Weitaus größere Gefahren für den Kapitalmarkt rühren allerdings demgegenüber
von einer bewussten oder zumindest bewusst in Kauf genommenen Fehlsignalisierung her. Ein Vorstand kann sich etwa hierzu veranlasst sehen, weil der durch die
eintretende Kurssteigerung den Ruf des Unternehmens sowie damit auch seinen
eigenen als verantwortlichem Leitungsorgan verbessern will1254. Dies kann aus Sicht
der Unternehmensführung insbesondere bei eventuellen Kursrückgängen wünschenswert sein (selbst wenn diese auch berechtigt sein mögen). In diesem Zusammenhang spielt auch der shareholder value-Gedanke1255 und, damit verbunden, die
Zufriedenheit der Aktionäre eine Rolle. In Zeiten, in denen nunmehr auch in
1249 Vgl. bereits Fn. 128 und 129 sowie begleitenden Text.
1250 Dies dürfte insbesondere dann relevant werden, wenn die Mitglieder der Unternehmensleitung öffentlich angekündigt haben, ihre eigenen Aktien nicht anzudienen.
1251 Vgl. hierzu ausführlich Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 448 ff. (2000) m.w.N.
1252 Vgl. Jensen, 48 J Fin, 83, 847 (1993); Song, 27 J Corp L, 425, 449 f. (2002).
1253 Lutter, AG-Sonderheft 1997, 52, 56.
1254 Lawless/Ferris/Bacon, 23 J Corp L , 209, 213 (1998).
1255 Näher zum shareholder value als Aspekt im Rahmen einer Deregulierung des Kapitalgesellschaftsrechts Escher-Weingart, S. 194 ff.
240
Deutschland verstärkt eben dieser shareholder value1256 sowie der Markt für Unternehmenskontrolle1257 thematisiert und diskutiert werden, mögen Vorstände umso
mehr zu kurzfristigen Kursoptimierungen motiviert sein. Hiermit verbunden ist
jedoch die Gefahr, dass ein signaling - mit alleinigem Blick auf die hiermit zu erreichende Kurssteigerung - in unternehmerisch unfundierter Weise eingesetzt wird und
zu Lasten der Langzeitperformance des Unternehmens geht.
Alles in Allem lassen die hierdurch für den Kapitalmarkt entstehenden Risiken
die Instrumentalisierung eines Rückerwerbs zu Zwecken des signaling als bedenklich erscheinen. Neuere Stimmen in den USA bezweifeln die Überzeugungskraft des
signaling-Konzeptes im Zusammenhang mir dem Erwerb eigener Aktien sogar generell, da - wie bereits angedeutet - Insider in vielen Fällen ihre eigenen Aktien
während des Rückkaufs verkaufen und darüber hinaus auch die Langzeitperformance von Unternehmen, die eigene Aktien zurückkaufen, tatsächlich vielfach nicht
hält, was das positive Signal verspricht1258. Hierin spiegelt sich wiederum auch das
eigentliche Problem des signaling wider: Anders als der Kapitalmarkt, der durch das
Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage eine Preisbildung gewährleistet, die
stets durch widerstreitende Kräfte und Interessen kontrolliert wird, unterliegen die
Vorstellungen bzw. Signale der Unternehmensleitung keiner dementsprechenden
Kontrolle1259. Erschwerend kommt der bereits dargelegte Umstand hinzu, dass die
Gefahr falscher Signale dem Erwerb eigener Aktien weitgehend immanent ist und
nur in überaus geringem Umfang durch das Kapitalmarktrecht überwachbar ist.
b) Missbräuchliche Erlangung von Insiderprofiten
aa) Ausnutzung des Werttransfereffektes
(1) Informationsasymmetrien als Grundlage des Missbrauchs
Ausgangspunkt für die missbräuchliche Ausnutzung von Wertverschiebungen, die
durch einen Aktienrückerwerb entstehen, sind bestehende Informationsasymmetrien
zwischen Insidern und Anlegern. Hierbei geht es weniger um die Information über
den geplanten Rückkauf selbst, sondern um anderweitige Insiderinformationen, die
in Bezug auf die Wertigkeit des Unternehmens von Bedeutung sein können1260. In
1256 Speziell im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien etwa Kraft/Altvater, NZG 1998,
448, 448; Claussen, AG 1996, 481, 490; Martens, AG 1996, 337, 338; Huber, FS Kropff,
101, 108.
1257 Vgl. hierzu etwa Bezzenberger, Rn. 85; mit einer systematischen Darstellung Röh, in: Haarmann/Riehmer/Schüppen, § 33 Rn. 15 ff.
1258 Fried, 67 U. Chi. L. Rev., 421, 445 ff., 451 f. (2000); Song, 27 J Corp L., 425, 448 ff. (2002).
1259 Hirsch, S. 121.
1260 Vgl. hierzu bereits insbesondere S. 193 f. (im Zusammenhang mit § 14 WpHG).
241
diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass zwar insbesondere die wertpapierhandelsrechtliche Ad hoc-Publizität (§§ 15, 13 WpHG) in einem bedeutenden Umfang
dafür Sorge trägt, dass die Anleger mit anlageerheblichen Informationen versorgt
werden und so eine Markttransparenz gefördert wird. Jedoch kann auch auf Basis
der durch das AnSVG verschärften1261 Rechtslage nicht gewährleistet werden, dass
der Markt in jedem Zeitpunkt über den gleichen Informationsstand verfügt wie insbesondere das Management der Gesellschaft.
Nach § 13 WpHG muss die in Frage stehende Information immerhin „konkret“
sein, was bedeutet, dass sie genügend bestimmt sein muss, um eine hinreichende
Bemessungsgrundlage für den zukünftigen Marktpreis des Insiderpapiers bilden zu
können1262. Es liegt in der Natur der Sache, dass bestimmte Informationen/ Sachverhalte/ Vorhaben auch einmal ein Stadium unterhalb dieser publizitätserheblichen
Bestimmtheits- bzw. Überprüfbarkeitsschwelle durchlaufen müssen, selbst wenn
manche Anleger (ob nun fundiert oder nicht) hieraus bereits auch Konsequenzen in
Bezug auf ihre Anlageentscheidung ziehen würden1263. Und selbst wenn diese Publizitätsschwelle überschritten ist, ist eine umfassende Information des Marktteilnehmer nicht schrankenlos gewährleistet, denn § 15 III WpHG sieht für Fälle berechtigten gesellschaftlichen Interesses eine bedeutende Befreiungsmöglichkeit von der Ad
hoc-Publizität vor1264.
Darüber hinaus gibt es neben diesen Informationen unterhalb der gesetzlichen
Kontrollschwelle auch solche, die aufgrund ihrer individuellen Ausprägung gänzlich
außerhalb der gesetzlichen Kontrollmechanismen anzusiedeln sind. Hierzu gehören
beispielsweise bestimmte wirtschaftliche Sachverhalte, die so komplex sind, dass sie
sich kaum auf einzelne und dem Markt angemessen übermittelbare Einzelinformationen herunterbrechen lassen. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass Insider und insbesondere die Unternehmensführung im Zeitpunkt der Ankündigung
und/oder Durchführung des Aktienrückerwerbs regelmäßig über bestimmte werter-
1261 Vgl. dazu bereits S. 186 f.
1262 Merkner/Sustmann, NZG 2005, 729, 731; BaFin, Emittentenleitfaden vom 15. Juli 2005, S.
19 - zutreffender Weise wird in diesem Zusammenhang auf Art. 1 I der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG verwiesen, der von einer „präzisen“ und „spezifizierten“ Information
spricht.
1263 Z.B. kann sich bereits abzeichnen, dass die Gesellschaft zukünftig einen neuen bedeutenden
Kunden o.ä. gewinnen wird, vgl. hierzu auch die eingehenderen Ausführungen zu den Grundlagen des signaling (S. 31 f). Generell kann im Übrigen eine verfrühte Publizitätspflicht im
Einzelfall nicht nur nachteilig für das betroffene Unternehmen sein, sondern auch zu erheblichen Marktunsicherheiten führen.
1264 Die Regierungsbegründung nennt als Beispiel laufende Verhandlungen bei Unternehmens-
übernahmen, deren Veröffentlichung den Ablauf negativ beeinflussen könne, BT-Drucks.
15/3174, S. 35. Angesichts der Dauer solcher Verhandlungen wäre die Erheblichkeit bestehender Informationsasymmetrien in diesem Beispielfall überaus offensichtlich.
242
hebliche unternehmensbezogene Informationen verfügen, die dem Markt nicht bekannt sind1265.
Wenn nun Insider, wie dies oft und vermehrt der Fall ist, selbst über Anteile an
der Gesellschaft verfügen, besteht die Gefahr, dass sie Insiderinformationen auszunutzen versuchen, um hierdurch persönlichen Profit zu erreichen. In Verbindung mit
einem Aktienrückerwerb besteht dieses Risiko in besonderem Maße. Gemeint ist
dies nicht im Hinblick auf den klassischen Insiderhandel, bei dem Insider aufgrund
ihres Wissensvorsprungs Insiderpapiere über die Börse an- oder verkaufen, denn
dies ist keine Besonderheit im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien. Von
Interesse ist vielmehr die Frage, wie Insider mit relevanten Insiderinformationen
einen Rückerwerb an sich1266 als Instrument zur Erreichung persönlichen Profits
ausnutzen können1267. Um die hiermit verbundenen Gefahren zu verdeutlichen, soll
im Folgenden näher auf die im Einzelnen bestehenden Instrumentalisierungsmöglichkeiten des Aktienrückerwerbs zu Erreichung von Insiderprofiten eingegangen
werden. Es lässt sich insofern zwischen dem gezielten Einsatz von öffentlichen
Rückerwerbsverfahren und demjenigen börslicher Rückkäufe unterscheiden.
(2) Gezielter Einsatz öffentlicher Rückerwerbsverfahren
Grundlage für die eigennützige Ausnutzung von Insiderwissen durch ein öffentliches Rückerwerbsverfahren ist, wie bereits angedeutet, der Umstand, dass der Erwerb eigener Aktien zu Wertverschiebungen zwischen den veräußernden und verbleibenden Aktionären führt, soweit er nicht zu einem wertäquivalenten Rückkaufpreis erfolgt1268. Hierdurch ergeben sich Missbrauchspotentiale in verschiedener
Hinsicht.
Ein über dem tatsächlichen Aktienwert liegender Rückkaufpreis ruft wirtschaftlich einen Werttransfer zugunsten der veräußernden und zulasten der verbleibenden
Aktionäre hervor. Verfügen Insider über nicht öffentlich bekannte Informationen,
1265 Ziemons, NZG 2004, 537, 540; Singhof/Weber, AG 2005, 549, 552; Bezzenberger, Rn. 155.
1266 Wenn dies auch ggf. verbunden mit weiteren Nebentransaktionen, vgl. dazu die folgende
Darstellung.
1267 Dabei setzt die Möglichkeit für einen Insider, einen Aktienrückerwerb gezielt zu Zwecken
persönlicher Bereicherung einzusetzen, wohlgemerkt eine dahingehende Steuerungsmöglichkeit voraus. Eine solche Steuerungsmöglichkeit kann dabei zum einen auf Seiten der Unternehmensleitung bestehen, und es ist zum anderen auch an Großaktionäre zu denken, die einen
prägenden Einfluss auf den Vorstand ausüben. Solche gesellschaftliche Strukturen lassen sich
gerade in Deutschland auch weitaus öfter finden als beispielsweise in den USA, wo es relativ
viele Publikumsgesellschaften gibt (vgl. dazu Bezzenberger, Rn. 83). Haben tonangebende
Großaktionäre die Möglichkeit, auf den Rückerwerb und dessen Konditionen missbräuchlich
Einfluss zu nehmen, sind die Gefahren für den Kapitalmarkt sogar noch umso größer, da
Missbrauch mit umfangreichen Aktienvolumina betrieben werden kann.
1268 Vgl. bereits S. 70.
243
denen zufolge der Wert des Unternehmens bedeutend höher ist als dies durch den
Börsenpreis reflektiert wird, so können sie diesen Mechanismus ausnutzen, indem
sie ein öffentliches Rückerwerbsverfahren zu einem Festpreis initiieren, der zwar
über dem Börsenpreis, jedoch unter dem tatsächlichen Wert der Aktie liegt1269. Soweit Aktionäre der Gesellschaft daraufhin Aktien andienen, verkaufen sie „zu billig“
und erfahren damit einen Verlust, der wiederum den verbleibenden Aktionären pro
rata als Gewinn zugute kommt. Zu diesen werden dann auch die Insider gehören, die
in Kenntnis der Unterbewertung ihre Aktien selbstverständlich nicht angedient haben1270. Genauso kann der Rückerwerb in Form einer dutch auction zu Zwecken des
Missbrauchs eingesetzt werden; hier ist das Ausmaß des zu erreichenden Werttransfers zugunsten der verbleibenden Aktionäre sogar noch größer, da die Gesellschaft
die Aktien nur von den Aktionären mit den niedrigsten reservation values zurückerwirbt und somit nicht Gefahr läuft, als Prämie mehr anzubieten als nötig.
In entsprechend entgegen gesetzter Weise findet ein Werttransfer zugunsten der
veräußernden und zulasten der verbleibenden Aktionäre statt, wenn der Rückerwerbspreis über dem tatsächlichen Wert der Aktien liegt. Insider, die kraft ihrer
Position über Informationen verfügen, denen zufolge der Markt den Wert der Aktie
als zu hoch einschätzt, können diesen Effekt ausnutzen, indem sie einen prämierten,
also über dem Börsenpreis liegenden Rückerwerb anregen und ihre Aktien der Gesellschaft andienen1271. Pro verkaufter Aktie können die Insider so einen Gewinn
erzielen, der der Differenz zwischen tatsächlichem Wert und Rückerwerbspreis
entspricht. Allerdings erleiden sie dabei auch einen Verlust, soweit sie mit Aktien,
die sie nicht an die Gesellschaft verkaufen (können), weiterhin pro rata an dem
durch den teuren Rückerwerb überproportional geminderten Gesellschaftsvermögen
beteiligt sind. Dieser Verlust muss kleiner sein als der durch den Verkauf erzielte
Gewinn, damit die Insider insgesamt von dem Verfahren profitieren; das ist aber
bereits dann der Fall, wenn sie im Verhältnis mehr Aktien andienen können, als das
ihrer Beteiligungsquote entspricht1272. Zusätzlich besteht immerhin auch noch die
1269 Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 455 f. (2000); Song, 27 J Corp L, 425, 469 Fn. 224 (2002).
1270 Zur Verdeutlichung dient folgendes Beispiel: Die Aktien einer Gesellschaft werden an der
Börse zu 10 GE gehandelt. Insider haben Informationen, denenzufolge der tatsächliche Wert
bei 14 GE liegt. Wird nunmehr ein Rückkaufangebot für 100 von 1.000 Aktien zu einem
Preis von 12 GE initiiert und durchgeführt, so erhält jeder veräußernde Aktionär gemessen an
dem tatsächlichen Wert der Aktie 2 GE zu wenig. Das Gesellschaftsvermögen wird durch den
Rückkaufpreis insofern nur unterproportional gemindert. Es entsteht hierdurch ein Vermögensgewinn von 100 x 2 = 200 GE, der den verbleibenden Aktionären pro rata zufällt. Ein
Großaktionär mit einem Anteil von 250 der nunmehr noch 900 ausstehenden Aktien hat somit
durch den „günstigen“ Rückerwerb der Gesellschaft wertmäßig 200 x (250 / 900) = 55,56 GE
gewonnen.
1271 Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 457 f. (2000); Song, 27 J Corp L, 425, 469 Fn. 224 (2002). Die
Andienung kann sich allerdings möglicherweise rufschädigend auswirken, vgl. McNally, 28
Fin Management, 55, 58 (1999).
1272 Ein Beispiel: Der Börsenpreis einer Aktie ist 10 GE, wobei entsprechend der Insiderinformationen der tatsächliche Wert 7 GE beträgt. Werden daraufhin im Wege eines öffentlichen
244
Möglichkeit der börslichen Veräußerung, wenn auch hier keine zusätzliche Prämie
mitgenommen werden kann1273.
(3) Gezielter Einsatz börslicher Rückerwerbsverfahren
Aber nicht nur öffentliche, sondern auch börsliche Rückerwerbsverfahren können
prinzipiell dazu geeignet sein, Insiderwissen auszunutzen1274. Grundlage ist auch in
diesem Fall wieder der Werttransfer, den ein wertinäquivalenter Rückerwerb zwischen verbleibenden und veräußernden Aktionären hervorruft. In erster Linie dürfte
sich die Initiierung eines börslichen Rückkauf zur Erreichung von Insiderprofiten
dann anbieten, wenn Insiderinformationen zufolge der Markt die Aktie zu niedrig
bewertet1275. In diesem Fall führt der börsliche Aktienrückerwerb dazu, dass die
Aktionäre ihre Aktien zu einem gemessen an deren tatsächlichem Wert zu niedrigen
Preis verkaufen, so dass die verbleibenden Aktionäre (einschließlich der Insider) mit
ihrer Beteiligung am Gesellschaftsvermögen einen Wertzuwachs realisieren. Gegen-
über der Durchführung eines öffentlichen Rückerwerbsverfahrens hat dies für die
Insider zwar den Vorteil, dass der Rückerwerb (da er zum Börsenpreis erfolgt) nicht
prämiert wird. Gleichwohl kann über die Börse kein erhebliches Aktienvolumen auf
einmal zurückgekauft werden, und es besteht die Gefahr, dass die Insiderinformationen dann auch den anderen Marktteilnehmern bekannt werden und der Kurs mithin
ansteigt. Auch im entsprechend entgegen gesetzten Fall - Insider wissen, dass der
Wert der Aktie niedriger ist als dies der Börsenkurs widerspiegelt - eignet sich ein
öffentliches Rückerwerbsverfahren (i.V.m. Andienung der Insideraktien) weitaus
besser zu Missbrauchszwecken als ein börslicher Rückkauf, da die Insider hier regelmäßig mehr Aktien anzudienen in der Lage sind und zusätzlich noch in den Genuss der regelmäßig angebotenen Rückkaufprämie kommen können.
(4) Bewertung
Die soeben dargestellten Möglichkeiten, einen Aktienrückerwerb unter Ausnutzung
des Werttransfereffektes zur Erreichung von Insiderprofiten zu instrumentalisieren,
sind nicht etwa als realitätsfremde Horrorszenarien abzutun, sondern stellen eine
Rückerwerbsverfahrens 100 von 1.000 Aktien zu 12 GE - also zu 5 GE über Wert - zurückerworben, so ergibt sich für den Insider, der 50 seiner 250 Aktien andienen kann (25 entsprächen seiner Beteiligungsquote), unter dem Strich ein Gewinn von 139 GE, denn sein Gewinn
durch den Verkauf beträgt 50 x 5 = 250 GE, sein Verlust dagegen nur 100 x 5 x (200 / 900) =
111 GE.
1273 Vgl. hierzu Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 461 f. (2000).
1274 Barclay/Smith, 22 J Fin Econ, 61, 71(1988); Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 466 f. (2000); Song,
27 J Corp L, 425, 469 (2002).
1275 Vgl. hierzu Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 467 f. (2000).
245
ernstzunehmende Gefahr für den Kapitalmarkt dar. Wenn Insider Informationen
über eine unzutreffende Bewertung des Unternehmens durch den Markt haben und
es ihnen auf eine persönliche Bereicherung ankommt, kann sich die Initiierung eines
Rückerwerbs durchaus anbieten. Dies gilt wie dargestellt sowohl im Falle einer
börslichen Über-, wie auch bei einer Unterbewertung der Aktie.
Im Vergleich zu einem klassischen börslichen Insiderhandel (dort in Form des
Verkaufs) können die Insider im Falle einer Überbewertung der Aktie durch Initiierung eines öffentlichen Rückkaufangebots und darauf folgender Andienung ihrer
Aktien regelmäßig nicht nur ein größeres Volumen abstoßen, sondern auch noch die
angebotene Rückkaufprämie mitnehmen. Allerdings ist Folgendes zu beachten:
Sobald die Insider zur missbräuchlichen Ausnutzung des Werttransfereffektes darauf
angewiesen sind, mit ihren eigenen Aktien zu handeln (d.h. sie in diesem Fall zu
verkaufen), setzen sie sich verstärkt des Verdachts des Insiderhandels aus. Insofern
dürften die Offenlegungspflicht für directors´ dealings nach § 15 a WpHG sowie §
14 I Nr. 1 WpHG, der den Handel mit Insiderpapieren unter Verwendung von Insiderinformationen verbietet, de facto immerhin eine nicht unerhebliche Abfederung
der Gefahr eines Missbrauchs des mit einem Aktienrückerwerb verbundenen Werttransfereffektes bedeuten. Jedoch ist diese Gefahr damit bei Weitem nicht als abbedungen zu betrachten. So wurde bereits eingangs auf solche Insiderinformationen
verwiesen, die nicht nur unterhalb, sondern - etwa infolge zugrunde liegender komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge, welche eine Kommunikation an den Markt
unmöglich machen - insbesondere auch außerhalb der gesetzlichen Kontrollschwelle
liegen.
Damit ist allerdings zu der aus Sicht des Kapitalmarktes weitaus gefährlicheren,
da schwieriger aufzudeckenden und nachzuweisenden Missbrauchsvariante übergeleitet, in der Insider durch einen Aktienrückkauf eine ihnen bekannte börsliche Unterbewertung des Unternehmens ausnutzen. Hier besteht aus ihrer Sicht der Vorteil,
dass Wertverschiebungen erreicht werden, ohne dass sie selbst noch in den Handel
mit den Insiderpapieren eintreten müssen und sich damit persönlich dem verstärkten
Verdacht des Insiderhandels aussetzen. Dieser Vorteil besteht insbesondere auch
gegenüber dem klassischen Insiderhandel, denn hierbei müssten die unterbewerteten
Aktien erst noch an der Börse erworben werden1276. Der Verdacht eines Missbrauchs
kommt bei der alleinigen Durchführung eines Aktienrückerwerbs nicht so leicht auf
und kann, falls dann doch, jedenfalls verhältnismäßig leicht widerlegt werden, indem der Rückerwerb auf einen der vielen unternehmerisch anerkannten Beweggrün-
1276 Zwar hätte wiederum ein solcher börsliche Ankauf - zumindest gegenüber der Durchführung
eines öffentlichen Rückerwerbsverfahrens - den wirtschaftlichen Vorteil, dass nicht „unnötig“
eine Prämie an die veräußernden Aktionäre gezahlt wird. Jedoch würde ein umfangreicher
Erwerb der unterbewerteten Aktien über die Börse auch dazu führen, dass infolge der Nachfrage der Börsenkurs steigt; außerdem müssten die Insider erst einmal die erforderlichen Mittel hierzu aufbringen, vgl. Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 466 f. (2000).
246
de gestützt wird. Gerade dieser Umstand, namentlich dass der Erwerb eigener Aktien sich somit als ein so überaus tauglicher Deckmantel für Insidermissbrauchsstrategien dargestellt, macht ihn in kapitalmarktpolitischer Hinsicht so gefährlich.
bb) Maximierung unternehmenswertbezogener Vergütungen
Eine weitere Gefahr für den Kapitalmarkt besteht darin, dass Insider, deren Vergütung an den Wert des Unternehmens gekoppelt ist, im Falle einer dahingehenden
Steuerungsmöglichkeit versuchen könnten, einen Aktienrückerwerb durchzuführen,
um durch die auf diese Weise regelmäßig herbeizuführende Kurssteigerung ihre
Vergütung zu maximieren1277. Dieses Risiko besteht zumal des nunmehr auch in
Deutschland und Europa fortschreitenden Trends, vermehrt unternehmenswertbezogene Elemente in die Vergütungssysteme mit einzubeziehen1278.
Besondere Bedeutung kommt in diesem Rahmen den bereits an anderer Stelle
dargestellten stock option plans zu1279, bei denen der Optionsinhaber das Recht erwirbt, Aktien der Gesellschaft zukünftig zu einem bereits vorbestimmten Basispreis
zu erwerben. Da die Ausübung regelmäßig voraussetzt, dass ein bestimmter Zielkurs
erreicht wird, kann der kursfördernde Erwerb eigener Aktien ein hervorragendes
Mittel sein, um diesen Zielkurs zu erreichen oder ihm zumindest entscheidend näher
zu kommen. Wird der Rückerwerb aber lediglich zu diesem Zweck eingesetzt und
ist dabei nicht unternehmerisch indiziert - und wiederum kann das Kapitalmarktrecht
diesbezüglich keine effektive Kontrolle bieten -, so können unerwünschte Preisverzerrungen entstehen, deren unter Umständen zeitaufwendige Korrektur in die Hände
des Kapitalmarktes gelegt wird. Insofern besteht eine Parallele zur der soeben dargestellten Gefahr eines bewusst unzutreffend kommunizierten Signals einer Unterbewertung. Insider können die Kraft des Faktischen - d.h. die mit dem Erwerb eigener Aktien regelmäßig verbundene Kurssteigerung - nutzen, um eigene Interessen zu
fördern und hiermit das ordnungsgemäße Funktionieren des Kapitalmarktes beeinträchtigen.
c) Verschanzung der Unternehmensleitung (entrenchment)
Zuletzt soll noch auf einen weiteren Gefahrenaspekt im Zusammenhang mit dem
Erwerb eigener Aktien hingewiesen werden, der ebenfalls in erheblichem Maße
1277 Zu dieser Gefahr vgl. auch Lutter, AG-Sonderheft 8/1997, 52, 56 (Hochtreiben des Kurses
„mit dem Geldbeutel der Gesellschaft“); Huber, FS Kropff, 101, 122; Stellungnahme der
deutschen Expertengruppe zum Bericht der HLG, ZIP 2003, 863, 873; Hueck/Windbichler, §
26 Rn. 5.
1278 Vgl. bereits S. 53 f.
1279 Vgl. wiederum S. 53 f.
247
außerhalb der Kontrollwirkung des geltenden Kapitalmarktrechts liegt. So wurde
bereits an anderer Stelle dargelegt, dass der Erwerb eigener Aktien ein geeignetes
Mittel sein kann, um eine feindliche Übernahme abzuwehren1280. Es ist somit denkbar, dass der Vorstand einen Aktienrückkauf vorrangig deshalb durchführt, weil er
sich „verschanzen“, sprich seine Position in der Gesellschaft und damit seine Machtstellung bewahren will. In der US-amerikanischen Literatur wird dies unter dem
Stichwort entrenchment problematisiert1281.
Nun geht mit einem solchen durch eine Verschanzung motivierten Aktienrückkauf zwar nicht notwendiger Weise eine Beeinträchtigung der Interessen des Kapitalmarktes einher1282. Dies gilt zunächst etwa für unmittelbar mit einem Übernahmeangebot konkurrierende öffentliche Rückerwerbsangebote, die den Wertpapierinhabern eine attraktive Entscheidungsalternative bieten1283. Aber auch in anderen Konstellationen können gerade auch diejenigen Mechanismen, die die Abwehreignung
eines Rückerwerbs begründen, für die Aktionäre von Vorteil sein. Zu denken ist
etwa an die Ausschüttung von Überschussliquidität in Form des Rückerwerbspreises, die nicht nur vereitelt, dass eben diese liquiden Mittel einen potentiellen Übernahmeinteressenten noch anlocken können, sondern per se regelmäßig auch von den
Aktionären als positiv eingestuft wird1284. Andererseits müssen jedoch solche Vorteile für die Aktionäre nicht entstehen, denn nicht in jeder Situation ist ein Aktienrückkauf wirtschaftlich angezeigt. Das Problem ist in diesem Zusammenhang insbesondere darin zu sehen, dass für den Vorstand grundlegend ein Interessenkonflikt auftreten kann, weil sein Verhalten im Hinblick auf eine mögliche Übernahme der
Gesellschaft gleichzeitig Auswirkungen auf die Interessen der Aktionäre (in Form
einer größtmöglichen Rendite) und der stakeholder (etwa in Form vorteilhafter Arbeitsbedingungen), aber eben auch auf seine eigenen haben kann. Es leuchtet ein,
dass diese Interessen dabei durchaus entgegengesetzt sein können. So kann etwa für
die Aktionäre der Tausch ihrer Anteile in solche des potentiell ertragreicheren Bieters eine Renditemaximierung bedeuten, wogegen der Vorstand im Falle einer er-
1280 Verschiedene wirtschaftliche Mechanismen, wie bspw. die Verteuerung der Übernahme oder
eine geeignete Beeinflussung der Stimmrechtsverhältnisse, können hierfür verantwortlich
sein, vgl. bereits eingehend S. 42 ff.
1281 Vgl. etwa Vafeas, 12 J Acct, Auditing & Fin, 101, 107 f. (1997); Stulz, 20 Jin Econ, 25, 44 f.
(1988); Howe/He/Kao, 92 J Fin, 1963, 1965, 1973 (1992); Buckley, 65 Ind L J, 493, 522 ff.
(1990); Harvard Law Review Association, 98 Harv L Rev, 1045, 1048 (1985).
1282 Für eine eingehende Auseinandersetzung mit der Frage, ob defensive Aktienrückkäufe
rechtspolitisch wünschenswert sind oder nicht vgl. statt vieler den „Schlagabtausch“ von
Bradley/Rosenzweig, 99 Harv L Rev, 1377, 1377 ff. (1986); Gordon/Kornhauser, 96 Yale L
J, 295, 295 ff. (1986); und wiederum Bradley/Rosenzweig, 96 Yale L J, 322, 322 ff. (1986).
1283 Vgl. hierzu bereits die Ausführungen zu § 33 I 2 2. Alt WpÜG, S. 180 f. (Förderung des
Übernahmewettkampfes durch sog. white night-Verteidigung).
1284 Auch die in der Regel mit einem Rückerwerb verbundene Kurssteigerung führt bspw. nicht
nur zur Verteuerung einer potentiellen Übernahme, sondern kann auch von den Aktionären
unter dem Gesichtspunkt des shareholder value zu begrüßen sein.
248
folgreichen Übernahme mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes rechnen muss1285.
Setzt der Vorstand in einem solchen Fall einen unternehmerisch nicht indizierten
Aktienrückkauf ein, nur um seine eigene Position zu festigen, so läuft dies den
Interessen des Kapitalmarktes unter dem Gesichtspunkt einer Einschränkung der
Allokationseffizienz zuwider.
Bei einem Aktienrückkauf in der konkreten Übernahmesituation liegt der Verdacht eines allein durch die drohende Übernahme motivierten Einsatzes dabei besonders nahe1286. Diesbezüglich wird der Rahmen des erlaubten Vorstandshandelns
zwar durch die differenzierten Vorschriften in §§ 33, 33 a WpÜG geregelt1287. Die
§§ 33, 33 a WpÜG machen dabei deutlich, dass der Gesetzgeber zwar einerseits das
Interesse der von einer Übernahme betroffenen Gesellschaft an der Fortführung ihrer
Geschäftstätigkeit schützt, sei hiermit auch eine tatsächliche Übernahmebehinderung
verbunden (§ 33 I Satz 2 1. Alt. WpÜG), er andererseits jedoch das Interesse der
Wertpapierinhaber an einer eigenständigen Entscheidung über die Übernahme ihrer
Gesellschaft in den Vordergrund stellt (vgl. §§ 33 I 1, 33 I 2 2. Alt., 33 II WpÜG).
Konkret im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien besteht dabei aber das
Problem, dass die Unternehmensführung angesichts des vielseitigen und anerkannten Einsatzbereiches dieses Instruments leicht unternehmerische Rechtfertigungen
zur Verschleierung einer beabsichtigten Verschanzung konstruieren und sich insofern insbesondere auf § 33 I 2 1. Alt. bzw. § 33 a II 2 Nr. 2 WpÜG berufen kann1288.
Es ist nicht ersichtlich, wie das Kapitalmarktrecht effektiven Schutz vor einem solchen Missbrauch gewährleisten könnte. Im Zusammenhang mit einer präventiven
1285 Vgl. etwa Wiese/Demisch, DB 2001, 849, 849; Harvard Law Review Association, 98 Harv L
Rev, 1045, 1048 (1985).
1286 In der Literatur wird zwar teilweise darauf hingewiesen, dass der Rückerwerb in der Übernahmesituation geeignet sei, auf Seiten der Aktionäre bestehende Informationsdefizite gegen-
über dem Bieter abzubauen, so dass der Vorstand die Aktionäre durch den Rückerwerb praktisch vor einem verlustbringenden Verkauf schützen könne (so etwa Oechsler, in: Münchener
Kommentar zum AktG, § 71 Rn. 249 m.w.N.). Jedoch muss sich der Vorstand dann fragen
lassen, warum sich unternehmerische Potentiale, die ein höheres Leistungsvermögen der Gesellschaft begründen und noch keinen Niederschlag in der aktuellen Marktbewertung gefunden haben, zufälligerweise gerade in der Übernahmesituation zeigen bzw. warum sie, soweit
schon zuvor bekannt, nicht schon früher an den Markt kommuniziert oder sogar ausgenutzt
worden sind (so zutreffend Stulz, 20 J Fin Econ, 25, 44 (1988)).
1287 Vgl. hierzu bereits ausführlich S. 171 ff. Die entrenchment-Problematik stellt sich damit nicht
als ein selbständiges Problem des Erwerbs eigener Aktien dar, sondern ist Gegenstand der
übergreifenden und in den vergangenen Jahren viel diskutierten Frage nach den allgemeinen
Verhaltenspflichten des Vorstandes in der Übernahmesituation, vgl. hierzu aus dem umfangreichen Schrifttum etwa Merkt, ZHR 165 (2001), 224, 224 ff.; Maier-Reimer, ZHR 165
(2001), 258, 258 ff.; Wackerbarth, WM 2001, 1741, 1741 ff.; Schneider, AG 2002, 125, 125
ff.; Wiese/Demisch, DB 2001, 849, 849 ff.; mit einer systematischen Darstellung hierzu Röh,
in: Haarmann/Riehmer/Schüppen, § 33 WpÜG Rn. 1 ff.; speziell im Zusammenhang mit dem
Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz etwa Knott, NZG 2006, 849, 849 ff.; Diekmann,
NJW 2007, 17, 17 ff.; Meyer, WM 2006, 1135, 1139 ff.
1288 Vgl. hierzu bereits S. 178 ff. bzw. S. 180 f.
249
Übernahmeabwehr durch Aktienrückerwerb besteht die Gefahr eines Missbrauchs
dabei noch umso mehr. Will der Vorstand zur Festigung seiner Position die Gesellschaft bereits im Vorfeld einer konkreten Übernahme „übernahmeresistenter“ machen (etwa durch einen teilweise fremdfinanzierten Aktienrückkauf, der einerseits
zum Abbau liquider Mittel führt und andererseits das Verschuldungspotential der
Gesellschaft verringert1289), so ist nicht einmal der Schutzbereich der §§ 33, 33 a
WpÜG eröffnet.
Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass auch die Verschanzung der Unternehmensleitung im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien als eine offene
Gefahr für den Kapitalmarkt zu betrachten ist, welche durch das Kapitalmarktrecht
nicht umfassend eingeebnet werden kann.
4.) Lösung: Flankenschutz durch Mengenbeschränkung
Als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Mengenbeschränkung in eigenen Aktien lässt sich somit festhalten, dass ein Abbau der aktuell
bestehenden 10 %-Bestandsgrenze zwar einerseits eine flexiblere und (daher) vermehrt an der Wertsteigerung der Aktien ausgerichtete Geschäftspolitik ermöglichen
würde, jedoch andererseits mit dem Erwerb eigener Aktien grundsätzlich auch erhebliche Missbrauchspotentiale verbunden sind, die das Kapitalmarktrecht nicht
wirkungsvoll einebnen kann. Und diese Risiken werden tendenziell umso größer, je
mehr Aktien der Vorstand für die Gesellschaft zurückerwerben kann.
Damit ist zunächst festzustellen, dass eine mengenmäßige Beschränkung für eigene Aktien grundsätzlich ein effektives Mittel, um den genannten Gefahren zu
begegnen und sie zumindest zu begrenzen. In diesem Zusammenhang ist der Stellungnahme der deutschen Expertengruppe zum Bericht der HLG zuzustimmen,
sofern es dort heißt, die 10 %-Bestandsgrenze bilde „einen nicht zu unterschätzenden Schutzwall gegen Kurs- und Marktpreismanipulationen“1290. Darüber hinaus ist
eine Volumengrenze für eigene Aktien nicht nur lediglich ein effektives Schutzmittel, sie stellt auch das einzig ersichtliche Mittel zur Begrenzung der einschlägigen
Risiken für den Kapitalmarkt dar. Und insbesondere angesichts der Erheblichkeit
der mit einem Aktienrückerwerb verbundenen Missbrauchspotentiale erscheint eine
solche Mengenbeschränkung an sich auch absolut erforderlich. Was dabei auf den
ersten Blick ungewöhnlich erscheinen mag - eine aktienrechtliche Schrankenbestimmung zum Schutze von Kapitalmarktbelangen - stellt sich unter Betrachtung der
in Teil 5 D I 1 gefundenen Ergebnisse als ein anschauliches Beispiel dafür dar, dass
1289 Zu den Einsatzmöglichkeiten eines Aktienrückerwerbs als präventives Abwehrinstrument
vgl. bereits S. 42 ff.
1290 Vgl. ZIP 2003, 863, 873, dort im Zusammenhang mit dem Umstand, dass Verwaltungsmitglieder im Falle von Aktienoptionsprogrammen von hohen Börsenkursen profitieren.
250
Verbands- und Kapitalmarktrecht zwar grundlegend verschiedene Regelungsperspektiven annehmen, praktisch jedoch Verzahnungen bestehen. Wurde bislang zumeist diskutiert, ob das deutsche Aktienrecht angesichts seiner Zwänge hinreichend
kapitalmarkttauglich ist1291 oder aber festgestellt, dass das Kapitalmarktrecht den
Individualschutz im Verband flankiert1292, so ist nunmehr angesichts der mit einem
Aktienrückerwerb verbundenen offenen Gefahren für den Kapitalmarkt und im
Zusammenhang mit der Bewertung einer möglichen gesellschaftsrechtlichen Deregulierung ein neuer Aspekt aufgeworfen, der sich unter dem Thema „Flankenschutz
durch Aktienrecht“ diskutieren lässt1293.
Mit der Erkenntnis, dass der Schutz durch eine Mengenbeschränkung erforderlich
ist, ist nun allerdings noch nichts darüber ausgesagt, auf welche Höhe der zulässige
Bestand an eigenen Aktien angemessen zu begrenzen ist. Wie ist es also um die
aktuell geltende Grenze von 10 % bestellt? Die vorstehenden Ausführungen haben
jedenfalls verdeutlicht, worum es bei der Fixierung einer „angemessenen“ Bestandsgrenze eigentlich gehen muss, nämlich um einen Interessenausgleich, der einerseits
die Interessen der Anlegerschaft an einer leistungsgerechten Preisbildung und Verteilung des Kapitals auf dem Markt sowie andererseits die Vorteile einer flexiblen
Gestaltung der Unternehmensführung angemessen berücksichtigt.
Zwar kann nun einerseits nicht bestritten werden, dass der geltenden 10 %-
Grenze ein gewisses Maß an Willkür anhaftet1294. Das allein spricht aber noch nicht
gegen ihre Beibehaltung. Denn erstens ist sie bereits seit Längerem Gesetz und damit etablierte Richtschnur für die Praxis, so dass es im Rahmen einer Modernisierung ohnehin eher gelten würde, Gründe für ihre Abänderung als für ihre Berechtigung zu finden. Und zweitens erscheint die 10 %-Grenze bei genauerer Betrachtung
tatsächlich auch gar nicht so willkürlich, wie es zunächst den Anschein hat.
Eine gewisse Orientierungshilfe für eine angemessene Grenze kann als Ausgangspunkt der Blick auf die Rückkaufpraxis in den USA bieten. Denn in den USA
besteht traditionell keine starre Mengenbeschränkung, so dass die dortigen empirischen Befunde (gewisse1295) Rückschlüsse auf die rein wirtschaftliche Indikation der
1291 Vgl. etwa die Beiträge von Möllers, AG 1999, 433 ff.; Schiessl, AG 1999, 442 ff.
1292 Vgl. etwa Grunewald, S. 230 m.w.N.
1293 Vor diesen Hintergründen ist auch nicht erkennbar, was an der Funktion der 10 %-Grenze als
„Schadensdeckelung für alle Fälle“ bzw. als „zweite Rettungsweste“ so unangemessen sein
soll (so aber Oechsler, ZHR 170 (2006), 72, 79, der sich damit unter Berufung auf eine „Irrationalität im Kern“ gegen eine Beibehaltung der 10 %-Grenze ausspricht, aber selbst „unbekannte Gefahren des Aktienrückerwerbs“ nicht auszuschließen vermag).
1294 So etwa auch die Kritik der HLG, vgl. Bericht der HLG, S. 91 f. („…und nicht auf einen
völlig willkürlichen Prozentsatz des gezeichneten Kapitals zu beschränken, wie zum Beispiel
auf den Wert von 10 %...“).
1295 Denn schließlich ist auch in den USA der Rückerwerb nicht schrankenlos erlaubt, vgl. im
Einzelnen bereits eingehend Teil 5 (S. 203 ff.).
251
angestrebten Rückkaufvolumina zulassen. Für eine absolute Bestandsgrenze, die
einen angemessenen Ausgleich zwischen den kapitalmarktpolitischen Vor- und
Nachteilen des Rückerwerbs trifft, stellen diese empirischen Daten somit immerhin
eine gewisse Bezugsgröße dar. Hiernach liegt im Schnitt der angekündigte, allerdings nur selten erreichte Umfang von börslichen Rückerwerben bei ca. 7 %, und
das im Wege von fixed price oder dutch auction self tender offers erzielte Volumen
bei gut 15 -20 bzw. 15 %1296. Somit ist davon auszugehen, dass die aktuelle 10 %-
Bestandsgrenze zumindest im Zusammenhang mit börslichen Rückkaufprogrammen
kein besonderes Konfliktpotential im Hinblick auf die tatsächlichen ökonomischen
Bedürfnisse aufweist.
Im Zusammenhang mit öffentlichen Rückerwerbsverfahren scheint dies zwar auf
den ersten Blick anders zu sein1297. Jedoch belegen insbesondere die Ausführungen
zu den in der Praxis wichtigen Rückkaufmotiven, dass öffentliche Rückerwerbsverfahren auch bei einem Rückerwerbsvolumen von bis zu 10 % lohnenswert sein können und auch in diesem Rahmen unter Umständen einen bedeutenden wirtschaftlichen Effekt erzielen. So haben in den letzten Jahren auch in Deutschland einige
Gesellschaften öffentliche Angebote zu einem Rückerwerb unterhalb der 10 %-
Grenze abgegeben1298. Zudem ist zu bedenken, dass der börsliche Erwerb eigener
Aktien auch in den USA den absoluten Regefall für Aktienrückkäufe darstellt. Wenn
aber in diesen Rahmen über einen Rückerwerbszeitraum von mehreren Monaten
bzw. Jahren regelmäßig nur ein Volumen von ca. 5-7 % zurückgekauft wird1299, so
lässt dies gewisse Rückschlüsse darauf zu, dass in der Praxis auf lange Sicht regelmäßig auch kein höherer Bedarf an eigenen Aktien besteht. Dies wiederum legt im
Umkehrschluss den Verdacht nah, dass es bei vielen der umfangreichen öffentlichen
Rückerwerbsverfahren in den USA eben vordergründig auch darum geht, die eigenen Aktien mit einem Schlag und mit großer „publicity“ zurückzuerwerben. Sicherlich kann dies im Einzelfall aus kapitalmarktpolitischer Sicht zu begrüßen sein,
wenn man etwa an ein begründetes signaling oder die Ausschüttung eines kurzfristig
akkumulierten umfänglichen Liquiditätsbestandes denkt. Die vorstehenden Untersuchungen haben aber auch gezeigt, dass es gerade auch diese punktuellen und umfangreichen Aktienrückkäufe sind, die im Hinblick auf unfundierte Signale und
Insidermissbräuche mit erheblichen Gefahren für den Kapitalmarkt verbunden sind.
So wird in der US-amerikanischen Literatur teilweise sogar gemutmaßt, dass die
Erlangung von Insiderprofiten ein Hauptmotiv für die Durchführung öffentlicher
Rückerwerbsverfahren darstelle1300.
1296 Vgl. dazu im Einzelnen Fn. 68, 17 und 40 sowie den jeweils begleitenden Text.
1297 Dies gilt zumal eines möglicherweise bereits im Zeitpunkt des öffentlichen Angebots vorhandenen Bestandes an eigenen Aktien.
1298 Vgl. hierzu z.B. bereits die Nachweise in Fn. 499.
1299 Vgl. dazu Fn. 68 und dazugehörigen Text.
1300 Fried, 67 U Chi L Rev, 421, 453 f. (2000).
252
Zu berücksichtigen ist im Rahmen der hier vorzunehmenden Abwägung schließlich auch noch ein weiterer wichtiger Aspekt: Ein erheblicher Teil der mit einem
Aktienrückkauf verbundenen Ziele, in deren Ansehung ein Abbau der bestehenden
10 %-Schranke zuvor als kapitalmarktpolitisch förderungswürdig bezeichnet wurde1301, ist nicht allein durch einen Erwerb eigener Aktien zu erreichen. Als Beispiel
kann auf den zentralen Beweggrund des signaling verwiesen werden. So gibt es
neben einem Rückerwerb durchaus auch andere Wege, um dem Markt eine mögliche Unterbewertung zu signalisieren, wie beispielsweise umfangreiche (Neu-) Investitionen1302. Möglicherweise sind solche alternativen signaling-Instrumente auch mit
für den Kapitalmarkt vergleichsweise niedrigeren Risiken verbunden als der Erwerb
eigener Aktien; dies zu untersuchen, ist allerdings nicht Aufgabe der vorliegenden
Arbeit. Und was etwa die Instrumentalisierung des Aktienrückerwerbs als Ausschüttungsinstrument betrifft, ist zu beachten, dass nach der Grundkonzeption des Aktienrechts immerhin die Dividende das klassisch vorgesehene Instrument zur Gewinnausschüttung darstellt. Der Erwerb eigener Aktien bis zur Grenze von 10 % des
Grundkapitals bietet dazu bereits eine flexible Alternative. Soweit sich darüber hinaus (wenn überhaupt) noch Einschränkungen für eine an den Bedürfnissen von
Gesellschaft, Aktionären und Kapitalmarkt ausgerichteten Ausschüttungspolitik
ergeben, ist deren Abbau in geeigneter Weise nicht durch die Liberalisierung des
Aktienrückerwerbs - zumal wie gezeigt verbunden mit erheblichen Risiken - sondern durch eine Modernisierung der Dividendenregeln anzustreben, z.B. im Hinblick
auf die Interimsdividende1303.
Vor den geschilderten Hintergründen erscheint die 10 %-Bestandsgrenze für eigene Aktien damit keinesfalls als „völlig willkürlich“, sondern vielmehr insofern
angemessen, als sie einerseits - gemessen an den regelmäßigen Bedürfnissen - einen
flexiblen Umgang mit dem Instrument des Rückerwerbs erlaubt, andererseits aber
darüber hinausgehende Rückerwerbstätigkeiten im Interesse des Kapitalmarktes
einschränkt. Mit anderen Worten: Anerkannte Rückerwerbsziele sind in der Regel
auch i.R.d. 10 %-Bestandsgrenze angemessen verfolgbar bzw. müssen, wenn sie es
dann einmal doch nicht sind, zurückgestellt oder anderweitig zu erreichen versucht
werden, da die Risiken für den Kapitalmarkt in diesem Fall höher wiegen. Zwar
verbleibt im Hinblick auf die Präzisierung der Grenze ein letztes Maß an Willkür.
Dies muss aber akzeptiert werden, denn eine Grenzziehung ist wie dargelegt einerseits geboten, lässt sich aber andererseits nun einmal nicht an festen Zahlen ausrichten.
1301 Vgl. S. 234 ff.
1302 Vgl. Buckley, 65 Ind L J, 493, 529 (1990).
1303 Vgl. hierzu den Beitrag von Siebel/Gebauer, AG 1999, Seite 385 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien erfreuen sich – dem US-amerikanischen Vorbild folgend – auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Basierend auf der fortschreitenden Modernisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland in dieser Hinsicht in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.
Mit einem vergleichenden Blick in die USA, und angelehnt an die Erscheinungsformen und Hintergründe öffentlicher Rückkaufverfahren in der Wirtschaftspraxis, analysiert und hinterfragt die vorliegende Arbeit den geltenden Rechtsrahmen sowie die einschlägige Verwaltungspraxis. Einen Schwerpunkt stellt die vom Autor geforderte Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote dar. Zudem spricht sich der Autor unter Verweis auf Missbrauchspotentiale im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien gegen eine Liberalisierung nach US-amerikanischem Vorbild, und dabei insbesondere gegen die An- bzw. Aufhebung der derzeit geltenden 10%-Bestandgrenze für eigene Aktien, aus.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich M&A und Gesellschaftsrecht in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei in Stockholm tätig.