217
über ein hohes Kurs- und Marktpreis-Manipulationspotential verfüge, gegenüber
dem die Volumengrenze einen nicht zu unterschätzenden Schutzwall bilden könne.
Außerdem müsse sich die (in diesem Zeitpunkt ebenfalls noch nicht erlassene)
Marktmissbrauchsrichtlinie durch eine enge Ausgestaltung des safe harbour den
Manipulationsgefahren annehmen, welche sich in jüngerer Zeit insbesondere in
Fällen belegen ließen, in denen Vorstandsmitglieder durch Aktienoptionsprogramme
persönlich von hohen Kursen profitieren würden. Eine Beibehaltung der 10 %-
Grenze zum Erwerb eigener Aktien empfehle sich in wertender Abstimmung mit
einer solchen kapitalmarktrechtlichen Wertung. Statt einer Aufgabe der Volumengrenze seien vielmehr einheitliche Verfahrensvorschriften zum Erwerb und zur
Wiederveräußerung zu erwägen1147.
IV.) Aktionsplan der EU zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts
Im Mai 2003 verabschiedete die Kommission schließlich ihren Aktionsplan zur
Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance1148. Das zugrunde liegende Konzept basiert auf zwei zentralen politischen Zielen,
namentlich der Stärkung der Aktionärsrechte und Verbesserung des Schutzes Dritter
sowie der Förderung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen1149.
In Bezug auf den Erwerb eigener Aktien enthielt der Aktionsplan jedoch keine weiteren wesentlichen neuen Gedanken. Durch die Umsetzung der diesbezüglichen
Vorschläge der SLIM-Arbeitsgruppe sowie der ergänzenden Vorschlägen der HLG
(„SLIM-Plus“) könne wesentlich zur Förderung von Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beigetragen werden, ohne dass dabei der Aktionärs- und
Gläubigerschutz verringert werde1150. Bemerkenswerter Weise wurde jedoch in
einigen Stellungnahmen zum Aktionsplan der Kommission Vorsicht gegenüber
einer Liberalisierung des Erwerbs eigener Aktien angemahnt, da eine solche auch
mit bedeutenden Nachteilen verbunden sei1151.
1147 Stellungnahme der deutschen Expertengruppe zum Bericht der HLG, ZIP 2003, 863, 873.
1148 DOK KOM (2003), 284 endgültig.
1149 DOK KOM (2003), 284 endgültig, S. 9 f.
1150 DOK KOM (2003), 284 endgültig, S. 20 f. Mittelfristig solle zudem eine Studie über die
Realisierbarkeit des von der HLG vorgeschlagenen alternativen Kapitalsystems angeregt
werden.
1151 Zusammenfassung der Antworten auf die Mitteilung der Kommission an den Rat und das
Europäische Parlament, S. 19 (veröffentlicht von der Generaldirektion Binnenmarkt im November 2003 und erhältlich im Internet unter http://europa.eu.int/comm/internal_market/company/modern/ index_de.html).
218
V.) Die Umsetzung: Richtlinie 2006/68/EG vom 6. September 2006
Durch die Richtlinie 2006/68/EG vom 6. September 2006, durch die die Zweite
Richtlinie 77/91/EWG vom 13. Dezember 1976 in Bezug auf die Gründung von
Aktiengesellschaften und Erhaltung und Änderung ihres Kapitals geändert worden
ist, sind die geplanten Modernisierungen schließlich umgesetzt worden.
Artikel 19 I der Zweiten Richtlinie gestattet nunmehr auch einen Erwerb eigener
Aktien über die Bestandsgrenze von 10 % hinaus, obwohl es den Mitgliedstaaten
auch nach wie vor erlaubt ist, eine Begrenzung auf 10 % oder mehr festzulegen. Der
Rückerwerb ist auf den Betrag des zur Verteilung zur Verfügung stehenden Nettoaktivvermögens beschränkt (Art. 19 I lit. b)). Darüber hinaus soll die Rückerwerbsermächtigung durch die Hauptversammlung nun eine Geltungsdauer von bis zu fünf
Jahren haben dürfen (Art. 19 I lit. a)). Nach Erwägungsgrund (4) der Richtlinie
2006/68/EG soll durch diese Änderungen erreicht werden, dass Aktiengesellschaften
flexibler auf kursbeeinflussende Marktentwicklungen reagieren und ihren Verwaltungsaufwand senken können. Gleichzeitig wird jedoch auch in Erwägungsgrund (7)
die hiermit verbundene Gefahr des Marktmissbrauchs betont: Bei der Umsetzung
der Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten insbesondere der Marktmissbrauchsrichtlinie (2003/6/EG) sowie der EG-VO 2273/2003 Rechnung tragen.
C) Rechtspolitische Bewertung: Erwerb eigener Aktien und Gläubiger-/ Aktionärsinteressen
I.) Gläubigerinteressen
Der Schutz der Gläubiger ist sei jeher ein zentrales Anliegen der bundesdeutschen
Regelung des Erwerbs eigener Aktien. Dies hat in erster Linie historische Gründe
und geht auf die verheerenden Auswirkungen exzessiver Aktienrückkäufe in der
Weltwirtschaftkrise von 1929/1931 zurück1152. Wenn auch das daraufhin eingeführte
grundsätzliche Rückerwerbsverbot seitdem sukzessive durch Ausnahmetatbestände
gelockert worden ist, so waren diese Erfahrungen dennoch prägend und sind fortwährend Grundstein für die Zentralisierung des Gläubigerschutzes. Im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien steht dabei der Grundsatz der Kapitalerhaltung
im Blickpunkt des Gläubigerschutzes.
1152 Vgl. dazu bereits S. 62 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien erfreuen sich – dem US-amerikanischen Vorbild folgend – auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Basierend auf der fortschreitenden Modernisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland in dieser Hinsicht in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.
Mit einem vergleichenden Blick in die USA, und angelehnt an die Erscheinungsformen und Hintergründe öffentlicher Rückkaufverfahren in der Wirtschaftspraxis, analysiert und hinterfragt die vorliegende Arbeit den geltenden Rechtsrahmen sowie die einschlägige Verwaltungspraxis. Einen Schwerpunkt stellt die vom Autor geforderte Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote dar. Zudem spricht sich der Autor unter Verweis auf Missbrauchspotentiale im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien gegen eine Liberalisierung nach US-amerikanischem Vorbild, und dabei insbesondere gegen die An- bzw. Aufhebung der derzeit geltenden 10%-Bestandgrenze für eigene Aktien, aus.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich M&A und Gesellschaftsrecht in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei in Stockholm tätig.