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Gesellschaft keine Rechte herleiten kann1052. Sie gelten zwar als ausgegebene, aber
nicht als ausstehende, sprich in den Händen von Anlegern befindliche Aktien (outstanding shares)1053. Vergleichsweise einfacher gestaltet sich die Sachlage in denjenigen Bundesstaaten, die sich vom Nennwertkapitalsystem abgewendet haben. Hier
fallen zurückerworbene Aktien in den Status ausgabefähiger, aber nicht ausgegebener Aktien zurück1054, so dass Ausgabe und Rückerwerb im Ergebnis praktisch korrespondierende Vorgänge darstellen1055.
II.) Grundsätzliche Erlaubnis zum Erwerb eigener Aktien
Die Frage, ob der Erwerb eigener Aktien von Grund auf erlaubt ist oder nicht, wurde
in den verschiedenen Rechtsordnungen der US-Bundesstaate zunächst nicht einheitlich beantwortet. In dieser Hinsicht standen sich die sog. majority rule und die minority rule gegenüber: Während nach der ersten der Rückerwerb grundsätzlich erlaubt
war, war dies nach der zweiten nicht der Fall1056. Heutzutage sind diese Uneinigkeiten jedoch eingeebnet; der Erwerb eigener Aktien ist nunmehr in allen Bundesstaaten grundsätzlich zulässig1057. Dennoch unterliegt er gesetzlichen Beschränkungen,
die im Folgenden unter den Gesichtspunkten des Gläubiger- und des Aktionärsschutzes dargestellt werden.
III.) Beschränkungen des Erwerbs eigener Aktien
1.) Gläubigerschutz
Das US-amerikanische Gesellschaftsrecht betrachtet den Erwerb eigener Aktien im
Grundsatz als einen Weg, liquide Mittel an die Aktionäre auszuschütten. Die verschiedenen Rechtsordnungen der Bundesstaaten lassen dies teils unmittelbar, teils
mittelbar erkennen. Sowohl das kalifornische Recht als auch der M.B.C.A. unterwerfen Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe dem einheitlichen Begriff der
distribution1058. Dies ist zwar für Delaware und New York nicht so der Fall; dennoch
1052 Vgl. §§ 515 (b), 510 (a) N.Y. Bus. Corp. L.
1053 Vgl. zum Ganzen Gärtner, S. 33 ff. (am Beispiel Delawares); Benckendorff, S. 145 f., jeweils
m.w.N. und einer kritischen Würdigung, da sich die treasury shares wirtschaftlich nicht von
Aktien unterscheiden, die zwar ausgabefähig, aber nicht ausgegeben sind.
1054 § 6.31 (a) M.B.C.A. Zu den Hintergründen der Regelung und der Abkehr von dem Konzept
der treasury shares vgl. M.B.C.A. Annotated, Volume 1, S. 6-184 f.
1055 Dieses System befürworten Escher-Weingart/Kübler, ZHR 162 (1998), 537, 548; Benckendorff, S. 150 f.
1056 Vgl. näher hierzu mit einer historischen Darstellung Benckendorff, S. 102 ff.
1057 § 6.31 (a) M.B.C.A.; § 160 (a) Del. Gen. Corp. L.; § 207 (d) Cal. Gen. Corp. L.; § 513 (a)
N.Y. Bus. Corp. L.
1058 Vgl. § 166 Del. Gen. Corp. L.; § 1.40 (6) M.B.C.A.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien erfreuen sich – dem US-amerikanischen Vorbild folgend – auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Basierend auf der fortschreitenden Modernisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland in dieser Hinsicht in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.
Mit einem vergleichenden Blick in die USA, und angelehnt an die Erscheinungsformen und Hintergründe öffentlicher Rückkaufverfahren in der Wirtschaftspraxis, analysiert und hinterfragt die vorliegende Arbeit den geltenden Rechtsrahmen sowie die einschlägige Verwaltungspraxis. Einen Schwerpunkt stellt die vom Autor geforderte Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote dar. Zudem spricht sich der Autor unter Verweis auf Missbrauchspotentiale im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien gegen eine Liberalisierung nach US-amerikanischem Vorbild, und dabei insbesondere gegen die An- bzw. Aufhebung der derzeit geltenden 10%-Bestandgrenze für eigene Aktien, aus.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich M&A und Gesellschaftsrecht in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei in Stockholm tätig.