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verfahren hat. Nach § 71 c I AktG sind unter Verstoß gegen § 71 I oder II AktG
erworbene Aktien innerhalb eines Jahres wieder zu veräußern456. Im Rahmen der
Veräußerungspflicht sind die bereits angesprochenen Bereicherungsansprüche der
Aktionäre nach §§ 812 ff. BGB zu beachten457. § 71 c III AktG ordnet die Einziehung an, wenn eigene Aktien nicht in der in § 71 c I, II AktG vorgegebenen Zeit
veräußert worden sind.
E) Umgehungstatbestände, §§ 71 a, 71 d, 71 e AktG
I.) Umgehungsgeschäfte, § 71 a AktG
§ 71 a I 1 AktG erklärt die Nichtigkeit schuldrechtlicher Geschäfte, durch die die
Gesellschaft den Erwerb ihrer Aktien durch Dritte finanziell unterstützt458. § 71 a I
AktG hat praktisch zwei Funktionen:
Erstens vermeidet die Vorschrift - wie auch die gesetzliche Überschrift nahe legt
- eine Umgehung der in § 71 AktG enthaltenen Vorgaben. Eine Umgehungsgefahr
besteht vor dem Hintergrund, dass der Vorstand im Wege finanzieller Unterstützung
versuchen mag, Aktien der Gesellschaft bei einem ihm wohlgesonnenen Dritten zu
„parken“459.
Zweitens verhindert § 71 a I AktG, dass das Gesellschaftsvermögen bei fremdfinanzierten Übernahmen zur finanziellen Unterstützung eines Zwischenkredits genutzt wird, der dem Erwerb der erforderlichen Kontrollmehrheit dient. Diese
Schutzwirkung setzt allerdings voraus, dass § 71 a I AktG mit „zum Zwecke des
Erwerbs von Aktien“ auch eine zeitlich nach dem Aktienerwerb erfolgende finanzielle Unterstützung erfasst. Hierfür spricht aber der durch den zugrunde liegenden
Art. 23 I der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG (a.F.) intendierte umfassende Schutz
des Gesellschaftsvermögens im Falle von leveraged buy outs460. Insofern bleibt
456 § 71 c II AktG ist dagegen im Ergebnis für den hier primär interessierenden § 71 I Nr. 8 AktG
nicht relevant, vgl. dazu etwa Oechsler, in: Münchener Kommentar zum AktG, § 71 c Rn. 9.
457 Hüffer, § 71 c Rn. 7; Oechsler, in: Münchener Kommentar zum AktG, § 71 c Rn. 16.
458 Gewährte Leistungen sind nach §§ 812 ff. BGB zurückzugewähren (Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 71 a Rn. 8). Der strengere § 62 AktG Anwendung, wenn der Erwerber
im fraglichen Zeitpunkt bereits Aktionär war ( Schröder, S. 259 f.; Johannsen-Roth, S. 231;
Hüffer, § 71a Rn. 4; noch weitergehend Oechsler, in: Münchener Kommentar zum AktG, §
71 a Rn. 32).
459 Drygala, AG 2001, 291, 296.
460 So im Ergebnis auch Lutter/Wahlers, AG 1999, 1, 9; Fleischer, AG 1996, 494, 500 f.; Schröder, S. 194 ff.; Hüffer, § 71 a Rn. 3; Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 71 a Rn. 6;
a.A. Otto, DB 1989, 1389, 1395. Zusätzlich wird als Argument auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Richtlinie verwiesen (eingehend Schröder, a.a.O.; zu den historischen
Hintergründen auch Oechsler, ZHR 170 (2006), 72, 83; etwas zurückhaltender, Fleischer,
a.a.O.).
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allerdings abzuwarten, in welchem Umfang der deutsche Gesetzgeber von den Liberalisierungsmöglichkeiten Gebrauch macht, die nunmehr auf Basis der Richtlinie
2006/68/EG vom 21. September 2006 bestehen461.
§ 71 a II AktG behandelt Umgehungsgeschäfte462 in Form von Aktienerwerben,
die auf Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder in Mehrheitsbesitz
stehenden Unternehmens geschehen. Soweit eine solche mittelbare Stellvertretung fiktiv - gegen § 71 I oder II AktG verstößt, ist das auf den Erwerb gerichtete Grundgeschäft nichtig463.
II.) Erwerb eigener Aktien durch Dritte, § 71 d AktG
1.) Erwerb durch mittelbare Stellvertreter
§ 71 d 1 AktG gestattet den Erwerb von Aktien auf Rechnung der Gesellschaft nur
dann, wenn die Voraussetzungen von § 71 I Nr. 1-5, 7, 8, II AktG vorliegen. Die
Konzeption der Vorschrift wird allseits zu Recht als misslungen bezeichnet, da auf
Rechtsfolgenseite unauflösbare Widersprüche mit § 71 a II AktG bestehen. Im Ergebnis ist § 71 d 1 AktG im Grundsatz nicht anzuwenden, wenn ein Tatbestand
bereits unter § 71 a II AktG subsumierbar ist464. Nur andernfalls sind gem. § 71 d 3
AktG die vom mittelbaren Stellvertreter gehaltenen Aktien der Gesellschaft zuzurechnen465. Auch die Verweisungsvorschrift des § 71 d 4 AktG (auf §§ 71 III, IV, 71
a, 71 b, 71 c AktG)466 sowie die Verschaffungs- und Erstattungspflicht gemäß § 71 d
5, 6 AktG greifen dann ein467.
461 Richtlinie 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. September 2006
zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals. Zu der Möglichkeit der Liberalisierung auf Basis der Richtlinie eingehend Oechsler, ZHR 170 (2006), 72, 81 ff. Die im
Rahmen des europäischen Liberalisierungsprozesses eingesetzte deutsche Expertengruppe
steht einer Lockerung des Verbots der finanziellen Unterstützung wohlgemerkt kritisch gegenüber, vgl. Stellungnahme der deutschen Expertengruppe zum Bericht der HLG, ZIP 2003,
863, 873.
462 Erfasst sind Auftrag, Geschäftsbesorgung, Kommission sowie (in analoger Anwendung)
Geschäftsführung ohne Auftrag, Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 71 a Rn. 25;
Hüffer, § 71 a Rn. 7 f.
463 Zu den Folgen im Einzelnen vgl. etwa Hüffer, § 71 a Rn. 9; Oechsler, in: Münchener Kommentar zum AktG, § 71 a Rn. 53 ff.; Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 71 a Rn. 23.
464 Vgl. dazu im Detail (auch zu einzelnen Ausnahmen) Lutter, in: Kölner Kommentar zum
AktG, § 71 d Rn. 63; Hüffer, § 71 d Rn. 8 ff.; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, §
71 d Rn. 69 ff.; Oechsler, in: Münchener Kommentar zum AktG, § 71 d Rn. 3 ff.
465 Hüffer, § 71 d Rn. 11.
466 Zu Einzelheiten vgl. etwa Oechsler, in: Münchener Kommentar zum AktG, § 71 d Rn. 9 ff.
m.w.N.
467 Hüffer, § 71 d Rn. 12.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien erfreuen sich – dem US-amerikanischen Vorbild folgend – auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Basierend auf der fortschreitenden Modernisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland in dieser Hinsicht in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.
Mit einem vergleichenden Blick in die USA, und angelehnt an die Erscheinungsformen und Hintergründe öffentlicher Rückkaufverfahren in der Wirtschaftspraxis, analysiert und hinterfragt die vorliegende Arbeit den geltenden Rechtsrahmen sowie die einschlägige Verwaltungspraxis. Einen Schwerpunkt stellt die vom Autor geforderte Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote dar. Zudem spricht sich der Autor unter Verweis auf Missbrauchspotentiale im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien gegen eine Liberalisierung nach US-amerikanischem Vorbild, und dabei insbesondere gegen die An- bzw. Aufhebung der derzeit geltenden 10%-Bestandgrenze für eigene Aktien, aus.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich M&A und Gesellschaftsrecht in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei in Stockholm tätig.