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Teil 3: Öffentliche Rückerwerbsverfahren und Aktienrecht
A) Grundlagen
I.) Regelungszweck der §§ 71 ff. AktG
Die § 71 ff. AktG regeln Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Erwerbs eigener
Aktien sowie einschlägiger Umgehungssachverhalte. Zweck des Normenkomplexes
ist zunächst der Kapitalschutz260. Besteht die Gegenleistung für die eigenen Aktien
in Geld, so greift die Gesellschaft hierfür auf das Gesellschaftsvermögen zurück.
Dem zeigen die §§ 71 ff. AktG Grenzen auf. Darüber hinaus dienen die §§ 71 ff.
AktG der Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltung und Aktionären261. So statuiert das Gesetz insbesondere Regeln über die Rechte aus eigenen Aktien262 und
schafft namentlich im Hauptanwendungsfall des § 71 I Nr. 8 AktG ein differenziertes Kompetenzsystem im Hinblick auf die Befugnis zum Erwerb eigener Aktien263.
II.) Erwerbstatbestand / Rechte aus eigenen Aktien (§§ 71 I, 71 b AktG)
Der in § 71 I AktG bezeichnete „Erwerb“ eigener Aktien erfasst sowohl dingliche,
wie auch schuldrechtliche Rechtsgeschäfte, die auf den dinglichen Erwerb durch die
Gesellschaft gerichtet sind264. § 71 I AktG bezieht sich dabei grundsätzlich nur auf
den derivativen Erwerb eigener Aktien265, der originäre Erwerb ist der Gesellschaft
bereits nach § 56 AktG verboten.
260 Vgl. etwa Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 71 Rn. 10 f.; Hueck/Windbichler, § 21
Rn. 3.
261 Hüffer, § 71 Rn. 1.
262 Denn diese Rechte könnten ja - mit der Gefahr einer Verselbständigung - nur durch die Verwaltung ausgeübt werden.
263 Vgl. hierzu dann noch S. 64 f.
264 Ganz h.M., vgl. Lutter, in: Kölner Kommentar zum AktG, § 71 Rn. 18; Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 71 Rn. 16; Oechsler, in: Münchener Kommentar
zum AktG, § 71 Rn. 68 ff.; Hüffer, § 71 Rn. 4; a.A. - nur dingliche Geschäfte - offenbar nur
Mick, DB 1999, 1201, 1202 f. Die Erstreckung (auch) auf schuldrechtliche Geschäfte ist zwar
angesichts des Gesetzeswortlauts keinesfalls selbstverständlich, ergibt sich aber im Umkehrschluss aus § 71 IV 2 AktG (Hefermehl/Bungeroth, a.a.O; Oechsler, a.a.O.; a.A. Mick, a.a.O.)
sowie aus teleologischen Erwägungen: Der Schutzzweck der §§ 57 I, 71 ff. AktG gebietet eine frühzeitige Kontrolle, die sich zur Vermeidung von Tatsachenschaffung auch bereits auf
die Verpflichtung zum Aktienrückerwerb erstrecken muss (so insbesondere auch zutreffend
Oechsler, a.a.O.).
265 Hefermehl/Bungeroth, in: Geßler/Hefermehl, § 71 Rn. 2.
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References
Zusammenfassung
Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien erfreuen sich – dem US-amerikanischen Vorbild folgend – auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Basierend auf der fortschreitenden Modernisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland in dieser Hinsicht in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.
Mit einem vergleichenden Blick in die USA, und angelehnt an die Erscheinungsformen und Hintergründe öffentlicher Rückkaufverfahren in der Wirtschaftspraxis, analysiert und hinterfragt die vorliegende Arbeit den geltenden Rechtsrahmen sowie die einschlägige Verwaltungspraxis. Einen Schwerpunkt stellt die vom Autor geforderte Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote dar. Zudem spricht sich der Autor unter Verweis auf Missbrauchspotentiale im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien gegen eine Liberalisierung nach US-amerikanischem Vorbild, und dabei insbesondere gegen die An- bzw. Aufhebung der derzeit geltenden 10%-Bestandgrenze für eigene Aktien, aus.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich M&A und Gesellschaftsrecht in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei in Stockholm tätig.