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und auch in der US-amerikanischen Literatur werden gegen das greenmail erhebliche Bedenken vorgebracht86.
B) Motive zur Durchführung öffentlicher Rückerwerbsverfahren
I.) Allgemeines
Der Erwerb eigener Aktien kann einer Vielzahl verschiedener Zwecke dienen. Dies
belegen insbesondere die einschlägigen Erfahrungen aus den USA, wo der Aktienrückerwerb bereits seit vielen Jahren regelmäßig von den Unternehmensleitungen
als Strategieinstrument eingesetzt wird. Aber auch in Deutschland lassen sich nach
der Lockerung der Rückerwerbsvoraussetzungen durch das KonTraG von 1998
bereits erste Erfahrungen mit dem Umgang dieses Instrumentes aufzeichnen87.
Die möglichen Beweggründe zum Erwerb eigener Aktien sind vielschichtig. Sie
können sowohl finanzpolitischer Art sein, aber auch strukturpolitische Hintergründe
haben, indem sie auf eine besondere Gestaltung der Aktionärsstruktur abzielen. Der
Aktienrückkauf kann sich als Maßnahme der gewöhnlichen Leitungstätigkeiten des
Vorstandes darstellen (zu denken ist etwa an eine laufende Gestaltung der Kapitalstruktur88) oder aber auch durch eine besondere Situation motiviert sein (wie beispielsweise durch eine drohende Übernahme der Gesellschaft89). Entsprechend dem
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit konzentrieren sich die Ausführungen in diesem Abschnitt im Besonderen auf die Frage, zu welchen Zwecken sich
der Rückerwerb mittels eines öffentlichen Erwerbsverfahrens anbietet. Die Darstellungen richten sich dabei in ihrer Intensität vordergründig an der Praxisrelevanz der
Motive aus.
lich differenzierend etwa Johannsen-Roth, S. 190 ff.; Bosse, NZG 2000, 16, 18 f.; Bezzenberger, Rn. 143 f.
86 Als Argument wird auch hier die Ungleichbehandlung der Aktionäre genannt (vgl. etwa
Oesterle, 72 Cornell L Rev, 117,143 (1986)). Darüber hinaus rühren eine den Interessen der
Aktionäre ggf. zuwiderlaufende Verschanzung (entrenchment) des Managements in seiner
Position (vgl. etwa Dann/DeAngelo, 11 J Fin Econ, 275, 278, (1983)) sowie die Tatsache,
dass die Kosten des greenmail über fallende Börsenkurse indirekt auf die Aktionäre übertragen werden (vgl. Bielawski, 15 Del J Corp L, 95, 108 (1990)), Bedenken. Mit einem umfassenden Überblick Manry, 6 Stan J L Bus & Fin, 217, 217 ff. (2001).
87 Vgl. insbesondere Schremper, S. 53 ff.; Kellerhals/Rausch, AG 2000, 222, 224 f.; DAI, Der
Erwerb eigener Aktien in Deutschland, S. 5. Es liegt jedoch auf der Hand, dass angesichts der
geringen Zahl der empirischen Befunde insofern nicht auf eine mit den USA vergleichbare
breite Bemessungsgrundlage zurückgegriffen werden kann. Teilweise weichen die auf
Deutschland bezogenen Untersuchungsergebnisse sogar erheblich voneinander ab, vgl. dazu
die Belege zu den einzelnen im Folgenden dargestellten Rückerwerbsmotiven.
88 Vgl. hierzu noch S. 48 ff.
89 Vgl. hierzu noch S. 42 ff.
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In diesem Zusammenhang ist die Frage aufgeworfen, inwieweit sich die in den
USA vorherrschenden Rückerwerbsmotive auf die deutsche Kapitalmarktpraxis
übertragen lassen. Eine uneingeschränkte Übertragung erscheint einerseits zunächst
unter verschiedenen Gesichtspunkten bedenklich. Dies gilt zunächst im Hinblick auf
unterschiedliche Kapitalmarktstrukturen90. Während in den USA der Anteil der
Publikumsgesellschaften im Jahre 1963 bereits ca. 84,5 % betrug, ist diese Ausprägungsform in Deutschland auch heute noch bedeutend weniger verbreitet91. Viel
stärker stehen hier noch Gruppen von Großaktionären im Vordergrund, die auf die
Gesellschaften einen prägenden Einfluss ausüben92. Auch die unterschiedlichen
rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aktienrückerwerb spielen eine Rolle. Als
prägnantes Beispiel sei die auf Basis der aktuellen Rechtslage geltende 10 %-
Bestandsgrenze für eigene Aktien in § 71 II 1 AktG93 genannt, die in den USA kein
entsprechendes Pendant findet.
Und dennoch sprechen andererseits gute Gründe für eine enge Orientierung an
den US-amerikanischen Erkenntnissen betreffend die Motivlage zum Erwerb eigener Aktien. So kann die US-amerikanische Praxis, wie dargelegt, auf eine langjährige Erfahrung mit dem Einsatz dieses Instruments zurückgreifen. Die dortigen Befunde können als Erscheinung einer modernen Kapitalmarktwirtschaft verstanden
werden, deren Übertragung in den deutschen und europäischen Raum - vorbehaltlich
gewisser nationaler Eigenheiten kultureller und rechtlicher Art - aufgrund fortschreitender Annäherung an die US-amerikanischen Gegebenheiten von richtungsweisendem Nutzen sein kann94. Dies gilt zumal des fortschreitenden gesellschaftsrechtlichen Liberalisierungsprozesses auf EU-Ebene, in dessen Rahmen zuletzt insbesondere auch die bis dato in Art. 19 I lit. b) der sog. Kapitalrichtlinie95 statuierte 10 %-
Bestandsgrenze für eigene Aktien abgeschafft wurde96. Soweit die rechtlichen
Schranken des deutschen Rechts einer unbedingten Übertragung der in den USA
vorherrschenden Motive entgegenstehen, soll hierauf in diesem Teil der Arbeit (daher) allenfalls in gebotener Kürze verwiesen werden97. Soweit die vorliegende Darstellung der mit dem Erwerb eigener Aktien verbundenen Einsatzpotentiale damit
bezogen auf die deutschen Verhältnisse eine gleichsam idealtypische Ausrichtung
90 Kopp, S. 12.
91 Bezzenberger, Rn. 83.
92 Bezzenberger, Rn. 83.
93 Vgl. hierzu noch S. 90.
94 Vgl. Bezzenberger Rn. 85, 87.
95 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976.
96 Vgl. Richtlinie 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. September
2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals. Zu den Hintergründen und
Regelungsinhalten der Richtlinie 2006/68/EG sowie für eine rechtspolitische Betrachtung vgl.
auch noch die Untersuchungen in Teil 6 (S. 213 ff.).
97 Die aktuellen Beschränkungen, die das deutsche Recht öffentlichen Rückerwerbsverfahren
unterwirft, werden sodann separat in Teil 3 (S. 56 ff.) und Teil 4 (S. 97 ff.) dieser Arbeit dargestellt.
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erfährt, soll dies als Grundstein für Überlegungen de lege ferenda, dargestellt im
abschließenden Teil 5 dieser Arbeit, herangezogen werden.
II.) Signaling
1.) Allgemeine Grundlagen des signaling-Konzeptes
Das Idealkonzept des signaling ist ein einfaches: Das Management signalisiert dem
Markt durch die Ankündigung eines Rückerwerbs eigener Aktien indirekt, dass es
glaubt, die Aktien der Gesellschaft seien zu niedrig bewertet. Der Markt versteht das
Signal, und als Folge steigt der Kurs der Aktie.
Ausgangspunkt für das signaling-Konzept sind die zwischen Management und
Aktionären bestehenden Informationsasymmetrien. Der Umstand ungleicher Informationsverteilung in der Aktiengesellschaft hat seinen Ursprung in der Trennung
von Eigentum und Kontrolle98. Die kapitalgebenden und damit risikotragenden Aktionäre tendieren aus Gründen der Risikodiversifikation regelmäßig dazu, ihr Kapital
auf mehrere Unternehmen zu verteilen. Darüber hinaus sind sie regelmäßig weder
willens, noch verfügen sie über das nötige Fachwissen, um eine wirksame laufende
Kontrolle über das Unternehmen und das zur Verfügung gestellte Kapital auszu-
üben99. Aus diesen Gründen werden die Entscheidungsbefugnisse an das Management delegiert100, welchem die Leitung der Gesellschaft obliegt und das somit naturgemäß einen deutlich besseren Einblick in die laufenden Geschäfte und das Erfolgspotential der Gesellschaft hat. Somit verfügt das Management oftmals über
Informationen, die einerseits für den Wert des Unternehmens von Bedeutung, andererseits aber den Anlegern nicht bekannt sind101. Im Rahmen des signaling-Konzepts
spielen diese Informationen eine Rolle, soweit sie geeignet sind, den Unternehmenswert positiv zu beeinflussen. Zwar ist in den hier näher betrachteten Rechtsordnungen regelmäßig durch bestimmte gesetzliche Mechanismen dafür gesorgt,
dass ein wesentlicher Teil der Informationen, die für den Wert des Unternehmens
von Bedeutung sind, an den Kapitalmarkt übermittelt wird102. Dennoch kann die
Geschäftsleitung kraft ihrer Position über Informationen verfügen, die unter- bzw.
außerhalb des Wirkungsbereichs dieser gesetzlichen Informationsmechanismen
anzusiedeln sind103. Und möglicherweise können es gerade diese Informationen (soft
98 Vgl. Hampel, S. 31 ff.
99 Hefermehl/Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, vor § 76 Rn. 4.
100 Vgl. Hampel, S. 31.
101 Vgl. Schremper, S. 89; Buckley, 65 Ind L J, 493, 528 (1990); Barclay/Smith, 22 J Fin Econ,
61, 64 (1988).
102 Vgl. hierzu insbesondere noch die Ausführungen zu § 15 WpHG (S. 185 ff.).
103 Vgl. zu diesem Aspekt auch noch eingehender die Ausführungen auf S. 240 ff., dort im
Zusammenhang mit der missbräuchlichen Ausnutzung von Informationsasymmetrien durch
Insider.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Öffentliche Angebote zum Erwerb eigener Aktien erfreuen sich – dem US-amerikanischen Vorbild folgend – auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit. Basierend auf der fortschreitenden Modernisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland in dieser Hinsicht in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.
Mit einem vergleichenden Blick in die USA, und angelehnt an die Erscheinungsformen und Hintergründe öffentlicher Rückkaufverfahren in der Wirtschaftspraxis, analysiert und hinterfragt die vorliegende Arbeit den geltenden Rechtsrahmen sowie die einschlägige Verwaltungspraxis. Einen Schwerpunkt stellt die vom Autor geforderte Anwendung des WpÜG auf öffentliche Rückerwerbsangebote dar. Zudem spricht sich der Autor unter Verweis auf Missbrauchspotentiale im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien gegen eine Liberalisierung nach US-amerikanischem Vorbild, und dabei insbesondere gegen die An- bzw. Aufhebung der derzeit geltenden 10%-Bestandgrenze für eigene Aktien, aus.
Der Autor ist als Rechtsanwalt im Bereich M&A und Gesellschaftsrecht in einer international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei in Stockholm tätig.