152 Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP)
Um zu repräsentativen Ergebnissen und Aussagen zu gelangen, ist eine Hochrechnung mit der entsprechenden individuellen Gewichtung der Mikrodaten im
SOEP erforderlich. Diese im SOEP bereits vorhandene Hochrechnung für die
Freien Berufe führt im Aggregat zu Ergebnissen, die beispielsweise von den Ergebnissen des Mikrozensus abweichen, da die Gewichtung nicht explizit auf die
Gruppe der Freien Berufe ausgerichtet ist (vgl. Merz und Lang 1997).
In der Gesamtschau bietet das SOEP die umfassendsten Informationen und
Auswertungsmöglichkeiten zu den Freien Berufen gegenüber alternativen Datenbasen und wurde daher für die Untersuchung ausgewählt (vgl. Kap. 2.4). Der
folgende Abschnitt vertieft die Problematik korrekter Zuordnungen beruflicher
Tätigkeiten über den Beobachtungshorizont in den Unterkategorien der Selbständigen und bietet einen geeigneten Lösungsansatz.
4.2 Berichtigung des SOEP-Datensatzes
Grundsätzlich ist die retrospektive Berichtigung eines Datensatzes mit einem
enormen Zeitaufwand verbunden und auch methodisch kaum zu vertreten, sofern nicht die Vorgehensweise und Methoden transparent und nachvollziehbar
dargestellt werden. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit eines qualitativ exzellenten Datensatzes für die Hypothesentests der Untersuchungsmodelle wird
zunächst die Relevanz einer retrospektiven Berichtigung anhand bisheriger empirischer Ergebnisse mit dem SOEP eingehend überprüft. Im Mittelpunkt stehen
dabei die Wechsel zwischen freiberuflichen und selbständigen Tätigkeiten über
den Untersuchungszeitraum.
Der Aufbau dieses Abschnitts spiegelt auch die Vorgehensweise des Autors
wieder, welche von einer Anzahl nicht absehbarer Problemstellungen begleitet
wurde. Zunächst werden die Problematik im SOEP-Datensatz und ihre Auswirkungen auf diese Studie vertieft. Dem schließt sich die Vorgehensweise zur
Überprüfung des SOEP-Datensatzes an. Aus den Ergebnissen der Überprüfung
werden Muster falschen Antwortverhaltens lokalisiert auf deren Grundlage letztlich Kriterien zur Berichtigung entwickelt werden. Zum Ende dieses Abschnitts
wird über die Ergebnisse und Auswirkungen auf den SOEP-Datensatz berichtet
sowie Hinweise auf die Ursachen der Fehleingaben und Vorschläge zur Verbesserung gemacht. Wie schon in der Einleitung berichtet, stellt der Abschnitt zur
Berichtigung des SOEP-Datensatzes einen zentralen Bestandteil und genuinen
Beitrag dieser Arbeit dar.
4.2.1 Problem der Wechsel innerhalb der Selbständigkeit
Kritik an der vom SOEP vorgenommenen Unterteilung und Erfassung der Selbständigen in den Unterkategorien Landwirte, Freiberufler, sonstige Selbständige
und mithelfende Familienangehörige, gibt es bereits seit Mitte der 90er Jahre.
Die Kritikpunkte im Einzelnen beziehen sich auf die Einteilung und Struktur der
Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) 153
Selbständigengruppe, die unterschiedliche Erfassung von Mitarbeitern bei den
Selbständigen und auf Interpretationsprobleme aus der Differenzierung der verschieden Selbständigengruppen (vgl. Pfeiffer 1994, 122 f.; Uhly 2002, 136 f.).
Dabei kritisiert insbesondere Uhly (2002) die Unterkategorie der Freien Berufe,
welche „relativ unbestimmt sei“ (Uhly 2002, 136).
Konkrete Hinweise auf Interpretationsprobleme und ein fehlerhaftes Antwortverhalten der Befragten in den einzelnen Unterkategorien der selbständigen Personen im SOEP ergaben erstmals Untersuchungen zur Existenzgründung von
Freiberuflern und Unternehmern (Merz und Paic 2003). Die zugrunde liegende
Mikroanalyse mit dem SOEP untersuchte neben der Gesamtzahl der Existenzgründungen auch explizit die im SOEP unterschiedenen Gruppen der freiberuflichen Gründer und Unternehmensgründer. Über den Zeitraum von 1991 bis
2001 wurde mittels der logistischen Regression mit konkurrierenden Determinanten die Wahrscheinlichkeit einer Existenzgründung quantifiziert. Ergebnis
war eine hoch signifikant negative Wahrscheinlichkeit einer Gründung als Unternehmer und Freiberufler aus den Gruppen der Arbeiter, Angestellten und Arbeitslosen (vgl. Merz und Paic 2003, 18 ff.). Dies impliziert eine hohe Anzahl
von Freiberuflichen- und Unternehmensgründungen aus der Selbstständigkeit.
Diese Vermutung wird gestützt durch weitere Auswertungen zur beruflichen
Tätigkeit der Freiberuflichen- und Unternehmensgründer im Jahr vor ihrer
Gründung. Dabei handelt es sich um die identische, von Merz und Paic (2003)
verwendete, SOEP-Datenbasis. Die Abbildung 12 stellt die berufliche Tätigkeit
vor der Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit im SOEP aus dem Jahr 2000
grafisch dar.
Abbildung 12: Berufliche Tätigkeit im Jahr vor der Gründung
Azubis/ Volont.
1%Arbeitslos
5%
nicht
Erwerbstätig
17%
Angestellte
19%
Unternehmer
58%
Quelle: Eigene Abbildung. Datenbasis SOEP 2000 und 2001 im Jahr vor der Gründung (Merz
und Paic 2003), aufgerundete Prozentzahlen, Datenbasis (n) ungewichtete Werte.
154 Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP)
Wie Abbildung 12 zeigt, hat über die Hälfte aller freiberuflichen Gründer im
Jahr unmittelbar vor der Gründung noch eine unternehmerische Tätigkeit ausge-
übt. Lediglich 19 Prozent der Gründer waren zuvor als Angestellte tätig. Nicht
Erwerbstätig oder Arbeitslos gemeldet waren 23 Prozent der Gründer. Der mit
58 Prozent außergewöhnlich hohe Anteil von Freiberuflern, die vor der Gründung eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt haben, erscheint vor dem Hintergrund der spezifischen Eigenschaften und Charakteristika eines Großteils der
Freien Berufe äußerst fragwürdig.
Ein ähnliches Bild in einer etwas abgeschwächten Form, zeigt sich bei den Tätigkeiten der Unternehmer im Jahr vor ihrer Gründung. Hier üben fast 29 Prozent der Unternehmer vor der Gründung eine freiberufliche Tätigkeit aus. Die
Tabelle 15 gibt den prozentualen Anteil der Tätigkeiten unmittelbar im Jahr vor
der Gründung für die Freiberufler und Unternehmer im Jahr 2000 wieder. Insgesamt stammt im Jahr 2000 die jeweils größte Gruppe, sowohl bei den Freibruflern als auch bei den Unternehmensgründern aus der Gruppe der Selbständigen.
Die hohe Anzahl der Wechsel innerhalb der Selbständigengruppe, insbesondere
bei den freiberuflichen Gründern, erscheint außergewöhnlich hoch. Vor dem
Hintergrund einer gewissenhaften Kodierung der Gründungsvariablen lässt sich
auf einen fehlerhaften Datensatz schließen.
Tabelle 15: Berufliche Tätigkeit im Jahr vor der Gründung im SOEP 2000
Berufliche Herkunft der Gründer Freiberufliche Unternehmens-
Gründer gründer
Unternehmer 58,3% -
Freiberufler
- 28,6%
Angestellter 18,8% 22,9%
nicht Erwerbstätig 16,7% 20,3%
Arbeitslos gemeldet 5,2% 6,3%
Azubi/ Volontaire 1% 0,5%
Arbeiter
- 13,5%
Landwirt
- 3,6%
Mithelfende Familienangehörige
- 4,2%
Quelle: Eigene Tabelle. SOEP 2000. *Bei den Freien Berufen gab es keine Gründungen aus
den Gruppen Arbeiter, mithelfende Familienangehörige und Landwirte. Die Zahlenwerte wurden in der Tabelle gerundet.
Diese Vermutung belegen weitere Berechnungen im Längsschnitt, speziell zu
den Freien Berufen. Über den Zeitraum von 1992-2000 wurde eine sehr hohe
Fluktuation in die freiberufliche Tätigkeit hinein und aus der freiberuflichen Tätigkeit heraus festgestellt. Ausgewertet wurde die jährliche Fluktuationshöhe in
Prozent bei den Zu- und Abgängen (n) in Relation zur jährlichen Gesamtzahl (n)
der freiberuflich Tätigen im SOEP. Im Durchschnitt lag die jährliche Fluktuati-
Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) 155
onshöhe in der Unterkategorie der Freien Berufe bei rund 40 Prozent aller Freiberufler in der jeweiligen Welle (Eigene Berechnungen, Datenbasis Merz und
Paic 2003, SOEP 1991-2001).
Die sehr hohe Gründungsrate aus einer vorhergehenden unternehmerischen
Tätigkeit, speziell bei den freiberuflichen Gründern, aber auch bei den Unternehmensgründern, die im Jahr vor der Gründung freiberuflich tätig waren, legen
neben einer möglichen Fehlkodierung, ein fehlerhaftes Antwortverhalten oder
auch Interpretationsprobleme der befragten Personen in den Unterkategorien der
Selbständigen im SOEP nahe. Die Ergebnisse lassen ein wechselndes Antwortverhalten der befragten Personen in der Selbständigen Kategorie, speziell zwischen den Unterkategorien der Freien Berufe und der Unternehmer vermuten.
Zur Klärung diesen Sachverhaltes, der für die Untersuchung eine elementare
Bedeutung hat, soll der im Rahmen dieser Arbeit neu generierte Datensatz auf
mögliche fehlerhafte Wechsel innerhalb der Selbständigengruppe überprüft und
bei nicht tatsächlich vorgenommenen beruflichen Wechseln, z.B. durch Fehleingaben oder Fehlkodierungen, korrigiert werden. Grundsätzlich ist es immer
schwierig und von einer gewissen Art der Willkür begleitet einen Datensatz
retrospektiv zu ändern. Auf der anderen Seite rechtfertigt der zu erwartete
Informationszugewinn eine Berichtigung der offensichtlichen Fehlangaben. Um
dem Argument der Willkür entgegenzutreten sollen folgend die Vorgehensweise
sowie die verwendeten Kriterien zur Umkodierung eingehend behandelt und
transparent dargestellt werden9.
4.2.2 Überprüfung der Wechsel
Die Überprüfung der beruflichen Wechsel innerhalb der Selbständigengruppe
erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird der zu überprüfende Personenkreis definitorisch abgesteckt. In einem zweiten Schritt werden die Wechsel auf ihre
Plausibilität im SOEP-Datensatz mittels Kontrollvariablen überprüft. Die Prozedur soll dazu dienen in weiteren Schritten aus den gewonnenen Erkenntnissen
und Mustern geeignete Regeln und Instrumente für eine Berichtigung des Datensatzes zu entwickeln.
Zunächst wird der zu überprüfende Personenkreis ausschließlich auf Personen
begrenzt, die innerhalb des Untersuchungszeitraumes von 1992 bis 2002 über
mindestens ein Jahr Angaben zu einer freiberuflichen Tätigkeit gemacht haben.
Gefiltert wurde dieser Personenkreis mittels der Unterkategorie „Freie Berufe“
aus der Variablen zur „Beruflichen Stellung Selbständiger“ über den gesamten
9
Leider dürfen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine personenbezogenen Einzeldatensätze des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) abgebildet werden. Um Einsicht auf die jeweiligen Personnummern oder die komplette Berichtigung der „Selbständigen-Variable“ im
SOEP zu erhalten, ist die Zustimmung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
(DIW) erforderlich. Nähere Informationen erhalten Sie hierzu am Forschungsinstitut Freie
Berufe (FFB) der Leuphana Universität Lüneburg.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit verfolgt die theoretische, methodische und empirisch fundierte Analyse des freiberuflichen Gründungsgeschehens. Um die Fragestellung “Welche Determinanten beeinflussen die Gründungsaktivität und den Gründungserfolg von Freiberuflern?“ wird das Spektrum über die Phasen vor der Gründung bis zur Etablierung der freiberuflichen Tätigkeit am Markt erfasst.
Auf Grundlage des SOEP-Panels und einer Onlineerhebung tragen die Ergebnisse zu einem Erkenntnisgewinn des freiberuflichen Gründungsgeschehens bei. Gewürdigt wird dabei insbesondere die Praxis mit vielen neuen Ergebnissen aus den empirisch neu gewonnenen Daten zum Gründungsgeschehen der Freien Berufe.
Dr. Peter Paic studierte BWL und Ökonomie in Hamburg. 2008 Promotion an der Leuphana Universität Lüneburg. Zurzeit ist er Referent im Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS NRW) in Düsseldorf.