112 Theorien der Gründungsforschung
der hohen Gründungsrate der Freiberufler aus der Selbständigkeit. Dieser Aspekt soll im Kapitel zur SOEP Datenbasis aufgenommen und vertieft werden.
3.4.2 Zwischenfazit zu den empirischen Untersuchungen
Betrachtet man die Auswahl der vorgestellten empirisch gestützten Studien aus
der letzten Dekade, so überzeugen insbesondere die jüngeren Studien zum
Gründungsgeschehen mit einer theoretischen und empirischen Fundierung, sowie methodisch gehaltvollen statistischen Auswertungsverfahren. Wenn auch in
der Gesamtschau, neben den hier vorgestellten Untersuchungen, doch noch die
empirisch akzentuierten Arbeiten gegenüber den theoretisch fundierten Arbeiten
überwiegen, so ist doch in den jüngsten Studien ein deutlicher Trend zu einer
theoriegeleiteten Auseinandersetzung in der Gründungsforschung erkennbar.
In den vorgestellten Studien werden unterschiedlich anspruchsvolle statistische
Analyseverfahren der modernen Mikroökonomie eingesetzt. Das Repertoire
reicht von einfachen und multivariaten Regressionen über Logit- und Probit-
Modelle bis hin zu panelökonometrischen Ansätzen (vgl. Tab. 12).
Dennoch stellen im Gesamtbild der Forschungsdisziplin schlichte Grundauszählungen und bivariate Analysen, welche Zusammenhänge zwischen zwei Variablen isoliert von den sonstigen Variablen betrachten, keine Seltenheit dar (vgl.
Brüderl, Preisendörfer und Ziegler 1996). Darüber hinaus sind viele Untersuchungen auch von methodischen Mängeln wie heterogene Populationen oder
kleinen nicht repräsentativen Stichproben geprägt (vgl. Schulte 2002).
Insgesamt ist in der deutschsprachigen Gründungsforschung ein verstärkter
Trend zur theoriegeleiteten Auseinandersetzung festzustellen. Als problematisch
erweist sich dabei eine oftmals fehlende „konzeptionell“ geführte theoriegeleitete Auseinandersetzung. Dies führt auch bei einem großen Teil der vorgestellten
Studien zu Problemen, da sich die Ergebnisse der Studien nur schwer miteinander vergleichen lassen oder sogar zu untereinander widersprechenden Aussagen
führen. Die Tabelle 12 gibt einen Überblick zur Auswahl empirischer Untersuchungen im Zeitraum zwischen 1994 und 2003. Die Studien werden nach ihrem
Datensatz und der Stichprobe, den endogenen Variablen, den exogenen Variablen und der ökonometrischen Methode verglichen. Eine Übersicht vorhergehender empirischer Studien zur Existenzgründung findet sich bei Pfeiffer (1994),
eine Übersicht aktueller Studien bei Schulte (2002).
Aus den Ergebnissen der vorliegenden Studien lassen sich zahlreiche wiederkehrende Regeln zur Gründungsaktivität und zum Gründungserfolg erkennen.
Einige dieser empirisch belegten Regelhaftigkeiten lassen sich plausibel auf das
freiberufliche Gründungsgeschehen übertragen. Darüber hinaus kann insbesondere auf die Erkenntnisse der beiden freiberuflichen Studien zum Gründungsgeschehen zurückgegriffen werden. Folgend werden die für das freiberufliche
Gründungsgeschehen übertragbaren Erkenntnisse aus den vorgestellten Studien
zusammengefasst.
Theorien der Gründungsforschung 113
Tabelle 12: Übersicht und Vergleich empirischer Studien zum Gründungsgeschehen von 1994 bis 2003
Autor Zeitraum/
Zeitpunkt
Datensatz, Stichprobe
Endogene Variable
der ökometrischen
Methode
Exogene Variablen
der ökometrischen
Methode
Ökometrische Ansätze
Fritsch
(1994)
1986-
1989
Beschäftigungsstatistik Bundesanstalt für Arbeit
Westdeutschland
Relative Bedeutung
für die Gründungsrate
Anzahl der Beschäftigten zum Gründungszeitpunkt,
Humankapital der
Gründer
Korrelation,
Regression
Pfeiffer(1996)
1984-
1989
SOEP, Westdeutschland
(deutsch, 25 bis
60 Jahre und
männlich)
Gründungsaktivität,
Wahrscheinlichkeit
einer selbst. Tätigkeit,
Vergleiche zw. Selbständigen und abh.
Beschäftigten
Alter, Arbeitszufriedenheit, Berufserfahrung, Schulausbildung, Berufsausbildung
Likelihood-
Ansatz
Brüderl,
Preisendörfer,
Ziegler
(1996)
1985-
1986
(1990
befragt)
Münchner Gründerstudie,
Gewerbeanmeldungen der IHK
München/ Oberbayern
Überlebenswahrscheinlichkeit, Beschäftigtenentwicklung, Wiederholungsabsicht
Alter, Schulausbildung, Branchenerfahrung, Anzahl der
Beschäftigten
Korrelation,
Probit-
Modell
Heil
(1997)
1992-
1995
Eigene Befragung,
Daten der DtA-
Panelerhebungen
Entwicklung der
Gründungen, Gründungserfolg differenziert nach Geschlecht,
Branche und Region
Umsatz, Beschäftigung Umsatzproduktivität, Investitionen
Deskription,
Korrelation,
Regression
Wanzenböck
(1998)
1990-
1995
Telefonische Befragung 363 österreichischer Unternehmen
(gegr.1990)
Wachstumsentwicklung, Überlebenswahrscheinlichkeit,
Beschäftigte
Geschlecht, Alter,
Branchenerfahrung,
Standort, Kammerbezirk, Gründungsart
Cox-
Regression,
multivariate
Regression
Heil
(1999)
1992-
1996
Eigene Befragung,
Daten der DtA-
Panelerhebungen
wachstumsstärke der
Unternehmen
Gewinn, Geschlecht, Partner,
Familie, Nutzung
von Informationstechniken
Deskription.
Korrelation,
Regression
Uhly
(2000)
1984-
1997
SOEP 1.Ein- und Austrittschancen in die Selbständigkeit
2.Stabilität der Selbständigkeit
1. Alter, vorh. Arbeitslosigkeit, berufliche Stellung des
Vaters
2. Alter, vorherige
Tätigkeit, Berufsabschluss
Logistische
Regression
Simon
(2002)
1990-
1997
SOEP Wahrscheinlichkeit der
Existenzgründung
Alter, Arbeitszeit,
Geschlecht, Familienstand, Humankapital, Zufriedenheit
Korrelation,
Regression
Merz,
Paic
(2003)
1991-
2001
SOEP, 1500
Selbständige davon 459 Freiberufler
Wahrscheinlichkeit
und Bestimmungsfaktoren einer Existenzgründung von
Freiberuflern und
Selbständigen
Merkmale der Person, mikro-soziales
Umfeld, Humankapital.
Deskription,
multivariate
Regression
Quelle: Eigene Tabelle.
114 Theorien der Gründungsforschung
Im Kontext der freiberuflichen Gründungsaktivität ist aus den demografischen
Erkenntnissen von einem mittleren Alter der Gründerperson auszugehen. Dies
begründet sich insbesondere durch eine längere schulische Ausbildung und grö-
ßere Berufserfahrung der freiberuflichen Gründer aus den vorliegenden Studien
(vgl. Merz und Paic 2003; Simon 2002; Pfeiffer 1994; Brüderl, Preisendörfer
und Ziegler 1996). Dieser Effekt zeigt sich sowohl in den Studien zu den selbständigen als auch bei den freiberuflichen Gründern.
Gründungsaktivitäten werden überwiegend von männlichen Gründern vollzogen. Dies gilt sowohl für die Unternehmensgründungen als auch für die freiberuflichen Gründungen (vgl. Merz und Paic 2003; Simon 2002; Uhly 2000).
Deutlich unterpräsentiert zeigen sich in den Studien die Anteile ausländischer
Gründer. Mit einer Ausnahme von Merz und Paic (2003) konnten keine Effekte
auf die Gründungsaktivität festgestellt werden (vgl. Simon 2002; Uhly 2000;
Heil 1999; Wanzenböck 1998). Ohne signifikanten Einfluss auf die Gründungsaktivität zeigte sich in den bisherigen Studien (mit Ausnahme von Simon 2002)
die Arbeitszufriedenheit. Vielmehr konnte bei den Erwerbstätigen als auch bei
den Gründern eine relativ hohe Arbeitszufriedenheit festgestellt werden (vgl.
Merz und Paic 2003; Pfeiffer 1994).
Ein positiver Effekt für die Wahrscheinlichkeit einer Gründungsaktivität zeigte
sich in einigen Studien bei einem ledigen Familienstatus (vgl. Merz und Paic
2003; Simon 2002). Weitere Einflüsse des Familienstandes auf die Gründungsaktivität wurden in den vorliegenden Studien nicht festgestellt. Dies gilt auch für
die Anzahl der Kinder und Personen im Haushalt.
Empirisch gefestigt wurden die theoretischen Annahmen aus der Humankapitaltheorie (vgl. Kap. 3.3). Ein Großteil der empirischen Studien bestätigt die
Annahmen der Selektionseffekte aus dem allgemeinen Humankapital bis hin
zum Modell des branchenspezifischen Humankapitals (vgl. Merz und Paic 2003;
Simon 2002; Uhly 2000; Brüderl, Preisendörfer und Ziegler 1996; Pfeiffer 1994;
Fritsch 1994).
Bei der regionalen Differenzierung zwischen West- und Ostdeutschland wurden
signifikante Ergebnisse auf die Wahrscheinlichkeit einer Gründungsaktivität in
den Studien von Merz und Paic (2003) sowie Heil (1997) festgestellt. Demnach
beeinflusst die wirtschaftliche Prosperität Westdeutschlands die Gründungsaktivitäten positiv, während für Ostdeutschland ein negativer Einfluss festgestellt
wurde.
Neben den wiederkehrenden Einflussgrößen zur Gründungsaktivität weisen die
Studien auch auf eine Reihe von Regelhaftigkeiten zum Gründungserfolg im
freiberuflichen Umfeld hin. Demnach wird der Gründungserfolg insbesondere
durch Gründerinnen negativ beeinflusst, dies äußerte sich in einer geringeren
Überlebenschance der Gründerinnen (vgl. Wanzenböck 1998) oder einem geringeren Wirtschaftswachstum der Unternehmen im Vergleich zu den Männern
(vgl. Heil 1999).
Theorien der Gründungsforschung 115
Bestätigt werden aus den Ergebnissen der vorliegenden Studien die Annahmen
aus der Humankapitaltheorie für den Gründungserfolg. So werden Gründern mit
einer höheren Humankapitalausstattung bessere Chancen auf einen Gründungserfolg unterstellt. Als positive Einflussgröße auf das Überleben einer Gründung
zeigt sich u.a. eine langjährige Branchenerfahrung (vgl. Brüderl, Preisendörfer
und Ziegler 1996). Wanzenböck (1998) kommt gar zu dem Schluss, dass die
Überlebenswahrscheinlichkeit in der Frühentwicklung des Unternehmens ausschließlich durch das personenbezogene Humankapital bestimmt wird.
Bestätigt werden die Annahmen zum Gründungserfolg aus der Organisations-
ökologie. In der Studie von Heil (1999) weisen derivative Gründungen einen
höheren, aber weniger stark wachsenden, Ertrag als originäre Gründungen auf.
Der Zenit der Unternehmensaufgaben ist nach drei Jahren erreicht (vgl. Wanzenböck 1998).
Wie zur Gründungsaktivität gibt es auch für die Wahrscheinlichkeit des Gründungserfolges regional signifikante Einflussgrößen. So weisen die ostdeutschen
Gründer gegenüber den westdeutschen Gründern einen negativen Effekt auf die
Erfolgschancen einer Gründung auf (Heil 1997).
Insgesamt finden die Freien Berufe als ein Teil der Selbständigengruppe bisher
nur eine geringe Beachtung in den wissenschaftlichen Untersuchungen der
Gründungsforschung. Empirische Studien zu diesem Themenbereich sind bisher
die Ausnahme. Als eine Teilgruppe der Selbständigen werden die Freien Berufe
in dem überwiegenden Teil der Untersuchungen nicht weiter differenziert. Meist
werden die Selbständigen als homogene Gruppe verstanden (mit Ausnahme von
Uhly (2002), welche die Selbständigen in Sub-Gruppen nach der Qualifikation
der Tätigkeit und Selbständige als Arbeitgeber unterteilt). Explizit theoretisch
und empirisch fundierte Untersuchungen zum Gründungsgeschehen der Freien
Berufe gibt es bis auf die Arbeiten von Simon (2002) und Merz und Paic (2003)
nicht. D.h. für eine dementsprechende Analyse müssen auch Kriterien für den
Gründungserfolg und der Gründungsaktivität auf die Situation der Freien Berufe
übertragen und entwickelt werden.
Dennoch zeigten sich aus den vorgestellten Untersuchungen erste Regelhaftigkeiten und Ergebnisse, welche sich auch auf das freiberufliche Gründungsgeschehen übertragen lassen. Insbesondere die Ergebnisse zu den personenbezogenen Regelhaftigkeiten helfen die theoriegeleiteten Annahmen zum freiberuflichen Gründungsgeschehen zu ergänzen. Darüber hinaus zeichnet sich aus den
Arbeiten von Simon (2002) sowie Merz und Paic (2003) ein erstes Bild freiberuflicher Charakteristika ab.
3.5 Erfolgsindikatoren
Die Messung des Erfolges von freiberuflichen Gründungsaktivitäten und des
Gründungserfolges wird in diesem Kapitel zu den Erfolgsindikatoren spezifi-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit verfolgt die theoretische, methodische und empirisch fundierte Analyse des freiberuflichen Gründungsgeschehens. Um die Fragestellung “Welche Determinanten beeinflussen die Gründungsaktivität und den Gründungserfolg von Freiberuflern?“ wird das Spektrum über die Phasen vor der Gründung bis zur Etablierung der freiberuflichen Tätigkeit am Markt erfasst.
Auf Grundlage des SOEP-Panels und einer Onlineerhebung tragen die Ergebnisse zu einem Erkenntnisgewinn des freiberuflichen Gründungsgeschehens bei. Gewürdigt wird dabei insbesondere die Praxis mit vielen neuen Ergebnissen aus den empirisch neu gewonnenen Daten zum Gründungsgeschehen der Freien Berufe.
Dr. Peter Paic studierte BWL und Ökonomie in Hamburg. 2008 Promotion an der Leuphana Universität Lüneburg. Zurzeit ist er Referent im Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS NRW) in Düsseldorf.