Theorien der Gründungsforschung 79
eignen sich die psychologischen Ansätze zur Aufnahme der spezifisch geprägten
Besonderheiten, wie z.B. der Selbstbestimmtheit, Freier Berufe. Grundsätzlich
ist es nicht ausgeschlossen mit einem Modell der psychologischen Ansätze zu
widerspruchsfreien Aussagen gegenüber anderen Theoriemodellen zu gelangen.
Allerdings erwiesen sich in den bisherigen Studien die Wirkungszusammenhänge und letztlich auch der Erklärungsgehalt der psychologischen Modelle als
nicht evident.
Wie der Übersicht in Tabelle 5 zu entnehmen ist, eignen sich die psychologischen Ansätze in vielen Bereichen als theoretisches Konstrukt zur Untersuchung
des freiberuflichen Gründungsgeschehens. Vor dem Hintergrund eines bis heute
in der Literatur fehlenden Nachweises über einen Wirkungszusammenhang erscheinen die psychologischen Modelle als alleiniger Erklärungsansatz im Rahmen dieser Untersuchung weniger geeignet. Dagegen ist ein genereller Einfluss
psychologischer Merkmale auf das Gründungsgeschehen unbestritten. Perspektivisch ist daher eine Erweiterung und Weiterentwicklung dieses Theorieansatzes für die Gründungsforschung wie im Folgenden mit den Push- und Pull-
Faktoren oder der Netzwerkperspektive notwendig.
3.3.2 Push- und Pull- Faktoren
Abgeleitet aus den „psychologischen Ansätzen“ stammt das Modell der „Pushund Pull- Faktoren“ ebenfalls aus der personenbezogenen Theorielinie. Die
Begriffe „Push“ und „Pull“, übersetzt „stoßen“ und „ziehen“, differenzieren
Gründer in ihrer unterschiedlichen Motivation zur Gründung. Erste Arbeiten zu
den Push- und Pull-Faktoren im Zusammenhang mit unternehmerischen Motiven finden sich bei Shapeo und Sokol (1982, 72 ff.).
Push- Faktoren kennzeichnen in erster Linie die sogenannte „Flucht in die Selbständigkeit“. Sie sind Ausdruck einer ungewollten Existenzgründung. Der
Gründer bezieht seine Motivation dabei aus dem drohenden Arbeitsplatzverlust
oder einer anderen wirtschaftlichen Überlebensstrategie. Den Existenzgründungen aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus werden allerdings häufig geringe
Überlebenschancen eingeräumt. Als Gründe hierfür werden aus empirischen
Studien der fehlende unternehmerische Geist und die kurzfristigen Beweggründe
der Einkommenssicherung, welche einem langfristigen Betriebserfolg im Wege
stehen, genannt (vgl. Plaschka 1986, 196).
Auf eine unternehmerisch aktive Persönlichkeit deuten die Pull-Faktoren hin.
Hier sieht der Existenzgründer eine attraktive Möglichkeit zur Selbstverwirklichung in der Selbständigkeit. Die zugehörigen Gründungsmotive beinhalten beispielsweise den Drang zur beruflichen Unabhängigkeit oder den Wunsch, eine
unternehmerische Familientradition aufrechtzuerhalten. Darunter fallen aber
auch rationale Gründe wie ein höheres Einkommen oder der Hinweis auf eine
günstige Gelegenheit (vgl. Notteboom 1994, 331).
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Die Hypothese, dass Pull-Unternehmer beim Aufbau und Management ihres Unternehmens erfolgreicher sind als Push-Unternehmer bestätigt u.a. die empirische Untersuchung von Amit und Muller (1996, 90). Befragt wurden 3.803 Personen, die sich um Beihilfen für ihr Gründungsvorhaben beworben hatten, sowie
Absolventen verschiedener Jahrgänge der Handelsfakultät der Universität
British Columbia. Die Untersuchung ergab, dass Pull-Unternehmer sowohl im
geschäftlichen als auch im persönlichen Bereich erfolgreicher waren (vgl. Amit
und Muller 1996, 90).
Pfeiffer und Reize (1999) vergleichen in ihrer Untersuchung die Überlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen welche aus der Arbeitslosigkeit heraus
gegründet wurden. Als Datengrundlage dienen ihnen das ZEW-Gründungspanel
sowie Daten des IAB-Panel der Bundesanstalt für Arbeit. Untersucht wurde der
Zeitraum zwischen 1989 bis 1994. Dabei konnte kein Unterschied zwischen den
aus der Arbeitslosigkeit gegründeten und den anderen Unternehmen in ihrer
Überlebenswahrscheinlichkeit und in ihrem Beschäftigungswachstum festgestellt werden (Pfeiffer und Reize 1999, 53). Die Push- und Pull-Faktoren entsprechen den Anforderungen über die Gründungsmotivation der Person als Forschungsobjekt für den Gründungserfolg und der Gründungsaktivität. Beide Ansätze nehmen dabei eine individuelle Forschungsperspektive ein.
Tabelle 6: Kriterienübersicht des Push und Pull Modells
Push- und Pull- Faktoren Auswahlkriterien Auswahlkriterien
Ansatz Gründungsaktivität Gründungserfolg
Forschungsobjekt Ja Ja
Forschungsperspektive Ja Ja
kleine Wirtschaftseinheiten Ja Ja
Besonderheiten Freie Berufe Ja Ja
empirische Überprüfbarkeit bedingt bedingt
Widerspruchsfreiheit bedingt bedingt
Evidenz des Ansatzes bedingt bedingt
Quelle: Eigene Tabelle.
Die Übertragung der Modellannahmen aus den Push- und Pull- Faktoren sind
sowohl für das Kriterium kleiner Wirtschaftseinheiten als auch für die freiberuflichen Besonderheiten problemlos möglich. Allerdings dürfte sich die Modellierung und empirische Überprüfung als äußerst schwierig erweisen. Beispielsweise liegen für die Pullthese einer Gründungsaktivität aus einem drohenden Arbeitsplatzverlust keine verfügbaren Informationen in den Datenbasen vor. Eine
eigene Erhebung dieser Information ist mit einem enormen Aufwand verbunden
und erscheint nicht sinnvoll, da generell die Abgrenzung zwischen Push- und
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Pull-Faktoren für die Erfolgsaussichten der Gründer eher fragwürdig ist. So
konnten die Ergebnisse aus neueren empirischen Untersuchungen die grundsätzlichen Annahmen im Theoriemodell nicht bestätigen. Die Tabelle 6 gibt eine
Übersicht zu den Anforderungskriterien des Modellansatzes der Push- und Pull-
Faktoren.
Selbst bei einer widerspruchsfreien Modellierung zu anderen Ansätzen und der
Möglichkeit zur Berücksichtigung freiberuflicher Besonderheiten ist der Ansatz
der Push- und Pull- Faktoren zu oberflächlich, um das freiberufliche Gründungsgeschehen annähernd abzubilden. Der Ansatz stellt zwar eine Erweiterung
und Konkretisierung der psychologischen Ansätze dar, kann aber als alleinstehender Erklärungsansatz weder von seinem theoretischen Gehalt noch in seiner
Evidenz überzeugen.
3.3.3 Humankapitaltheorie
Eine der zentralen personenbezogenen Theorien ist die Humankapitaltheorie.
Unter Humankapital wird in der Literatur der Bestand an ökonomisch verwertbarem Wissen verstanden. Im zentralen Blickpunkt liegen Können und Fähigkeiten eines Individuums. Die Humankapitaltheorie führt diesen Bestand auf die
Berufserfahrung, die Bildung, das betriebsspezifische Wissen oder die individuellen Fähigkeiten zurück. In diesem Sinne besteht Humankapital aus dem Einkommen, das ein Individuum in Zukunft noch erwerben kann. Die Anfänge der
Humankapitaltheorie reichen zurück auf Adam Smith, der eine Analogie von
Fähigkeiten und Qualifikation zu Sachkapital herstellte. Eine moderne formalisierte Fassung der Humankapitaltheorie wurde von Mincer, Becker u.a.
entwickelt (Mincer 1958; Becker 1962).
Der bisherige Anwendungsschwerpunkt der Humankapitaltheorie liegt in der
Arbeitsmarktforschung. Hier finden zwei verschiedene Ausprägungen Anwendung. Zum einen, ausgehend von der Theorie des rationalen Handelns, wird das
optimale Investitionsverhalten von Humankapital im Lebenszyklus von Personen hergeleitet. Die erwartete Ertragsrate der Investitionen dient dabei als zentraler Steuerungsmechanismus. Zum anderen findet die Humankapitaltheorie in
empirischen Studien Anwendung, um das Einkommen individueller Akteure
oder die beobachtete Einkommensverteilung zu erklären. Als grundlegende
Hypothese gilt, dass die Ausstattung einer Person mit den Ressourcen an
Humankapital einen entscheidenden Einfluss auf das Einkommenspotential und
auch auf das tatsächliche Einkommen ausübt (vgl. Polachek und Siebert 1999;
Dworschak 1986).
Erstmals empfahl Theodore Schulz in seinen zwei Arbeiten (1975 und 1980)
eine Anwendung der Humankapitaltheorie für den Bereich der Gründungsforschung. Eine formalisierte Übertragung der Theorie auf die beruflich Selbständigen findet sich in der sogenannten Münchener Gründerstudie von Brüderl,
Preisendörfer und Ziegler (1996). Einen Überblick zum Modellansatz der
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit verfolgt die theoretische, methodische und empirisch fundierte Analyse des freiberuflichen Gründungsgeschehens. Um die Fragestellung “Welche Determinanten beeinflussen die Gründungsaktivität und den Gründungserfolg von Freiberuflern?“ wird das Spektrum über die Phasen vor der Gründung bis zur Etablierung der freiberuflichen Tätigkeit am Markt erfasst.
Auf Grundlage des SOEP-Panels und einer Onlineerhebung tragen die Ergebnisse zu einem Erkenntnisgewinn des freiberuflichen Gründungsgeschehens bei. Gewürdigt wird dabei insbesondere die Praxis mit vielen neuen Ergebnissen aus den empirisch neu gewonnenen Daten zum Gründungsgeschehen der Freien Berufe.
Dr. Peter Paic studierte BWL und Ökonomie in Hamburg. 2008 Promotion an der Leuphana Universität Lüneburg. Zurzeit ist er Referent im Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS NRW) in Düsseldorf.