44 Die Freien Berufe
Den Anspruch einer umfassenden und verbindlichen Zuordnungsregel können
und sollen diese Kriterien nicht erfüllen. Naturgemäß liegt ihnen insbesondere in
den Grauzonen eine subjektiv beeinflusste Festlegung inne (vgl. Deneke 1969,
15). In der Gesamtschau bieten die Kriterien vielmehr ein handhabbares und
praxisorientiertes Instrument zur Abgrenzung freiberuflicher und unternehmerischer Tätigkeiten. Eine abschließende Kategorisierung ist insofern utopisch da
sie dem Einzelfall oft nicht gerecht werden kann (vgl. Engel, Oberlander und
Kräuter 2000, 6). Die Kriterien bieten sich als sinnvolle Ergänzung zu den bisher vom Gesetzgeber und den Finanzämtern bestätigten freiberuflichen Tätigkeiten an (Katalog- und Analogberufe, vgl. Kapitel 2.1).
Die Abgrenzungskriterien sollen Anwendung finden, sofern innerhalb der Untersuchung weder durch die Enumeration der Katalogberufe nach dem EStG und
dem PartGG, noch durch die steuerliche Aufzählung der freiberuflichen Tätigkeiten geklärt werden kann, ob es sich um eine freiberufliche oder unternehmerische Tätigkeit handelt.
2.3 Gründungsformen
Die Freien Berufe unterscheiden sich von den Unternehmen in einer Reihe formaler und charakteristischer Besonderheiten. Eine einfache Übertragung der in
der Gründungsforschung verwendeten Terminologie der Gründungsformen ist
insofern nicht möglich und erfordert einen eigenen freiberuflichen Terminus
ihrer Gründungsformen.
In einem ersten Schritt werden die unternehmerischen Gründungsformen nach
Szyperski und Nathusius (1977) in ihrer Strukturexistenz und Selbständigkeit
dargestellt und auf ihre Anwendung im freiberuflichen Umfeld überprüft. Dem
schließen sich in einem zweiten Schritt die Tatbestände der freiberuflichen Besonderheiten und ihrer Gründungen an. Aus den spezifischen freiberuflichen
Tatbeständen heraus wird die Differenzierung von kammerpflichtigen und nicht
kammerpflichtigen Freien Berufen als zweites zentrales Strukturmerkmal freiberuflicher Gründungsformen vorgenommen. Abschließend wird ein neuer freiberuflicher Terminus der Gründungsformen vorgestellt, welcher die freiberuflichen Gründungen hinsichtlich ihrer Strukturexistenz und dem Kammerwesen
unterscheidet.
Die Unternehmensgründung zeichnet sich nach Szyperski und Nathusius (1977)
„durch ihre spezifische Ausprägung als ein gegenüber ihrer Umwelt qualitativ
abgegrenztes System ..., das bisher in gleicher Struktur nicht existiert“ aus (Szyperski und Nathusius 1977, 26). Dieser Gründungsumstand einer spezifischen
Ausprägung, qualitativen Abgrenzung zur Umwelt als auch der Strukturexistenz
gilt für die Unternehmensgründung im Allgemeinen als auch für die freiberufliche Gründung im Speziellen.
Die Freien Berufe 45
Die möglichen Gründungsformen werden unterteilt in selbständige und unselbständige Gründungen sowie in derivative und originäre Gründungen. Selbständige Gründung (1): Die selbständige Gründung zeichnet ein selbständiges Arbeitsverhältnis sowie die Absicht der Gründung zum Aufbau oder Sicherung der
selbständigen Existenz aus. Unselbständige Gründung (2): Kennzeichen einer
unselbständigen Gründung ist die Beschäftigung des Gründers in einer abhängigen Beschäftigung. Dieser führt die Gründung als Teil seines Aufgabengebietes
durch. Darüber hinaus wird hinsichtlich der Strukturexistenz zwischen originärer und derivativer Gründung unterschieden.
(a) Derivative Gründung: Als derivative Gründung gelten die Übernahme, Umgründung oder sonstige Maßnahmen, bei denen eine existierende Wirtschaftseinheit in eine neue Unternehmenseinheit transformiert wird.
(b) Originäre Gründung: Als originäre Gründung gilt der völlige Neuaufbau einer Unternehmung ohne Rückgriff auf eventuell vorhandene Unternehmensteile
(vgl. Szyperski und Nathusius 1977, 26). Die Merkmale der Gründungsformen
von Unternehmen in ihrer Strukturexistenz und Selbständigkeit sowie den Kombinationsmöglichkeiten gibt die Matrix in der Abbildung 6 wieder.
Abbildung 6: Gründungsformen von Unternehmen
Quelle: Eigene Abbildung. In Anlehnung an Szyperski und Nathusius (1977).
Auf das freiberufliche Gründungsgeschehen lassen sich die Merkmale der Strukturexistenz übertragen. So treten sowohl originäre als auch derivative Gründungen bei den Freien Berufen auf. Beispielsweise die originäre Gründung einer
Arztpraxis oder Kanzlei als auch die derivative Gründung, wie beispielsweise
bei der Übernahme einer Arztpraxis oder Kanzlei.
Anders sieht es bei der Übertragbarkeit der selbständigen und unselbständigen
Gründungen auf das freiberufliche Gründungsgeschehen aus. Aufgrund der freiselbständige
Gründungen (1)
unselbständige
Gründungen (2)
derivative
Gründungen (a)
Unternehmensgründung
Existenzgründung
durch Übernahme
originäre
Gründungen (b)
Fusion /
Umgründung
Betriebsgründung
46 Die Freien Berufe
beruflichen Charakteristika können ausschließlich die selbständigen Gründungen übertragen werden. Die unselbständige Gründung widerspricht dem Wesen
der Freien Berufe in ihrer persönlichen, eigenverantwortlichen und fachlich ungebundenen Leistung (vgl. Kap. 2.1) und kann nicht als Gründungsform für die
Freien Berufe übertragen werden. Die Form der unselbständigen Gründung findet daher in der weiteren Typologie keine Beachtung. Daraus ergeben sich aus
den ursprünglich vier Gründungsformen für die Unternehmen ausschließlich
zwei übertragbare Gründungsformen für die Freien Berufe. Als freiberuflicher
Gründer gilt eine Person, die:
1. Selbständig originär gründet, d.h. einen völligen Neuaufbau der freiberuflichen Existenz ohne Rückgriff auf bereits vorhandene materielle
Ressourcen.
2. Selbständig derivativ gründet, d.h. die Übernahme, Umgründung, Beteiligung oder sonstige Maßnahme an einer existierenden freiberuflichen Wirkungsstätte.
Neben der relativ klar umrissenen „selbständig originären Gründung“ steht im
Rahmen dieser Arbeit bei der „selbständig derivativen Gründung“ die Verselbständigung der Person gegenüber der objektbezogenen Schaffung neuer Strukturen einer Wirkungsstätte im Vordergrund. So umfassen die „freiberuflich derivativen Gründungen“ auch Beteiligungen nach dem Partnergesellschaftsgesetzes.
Im Vergleich zu den Unternehmen weisen die freiberuflichen Gründungen eine
Vielzahl von Besonderheiten auf. Diese ergeben sich aus der Anerkennung der
freiberuflichen Tätigkeit und erstrecken sich auf standesrechtliche, sozialversicherungsrechtliche oder ertrags- und umsatzsteuerliche Bereiche. Für die Freien
Berufe gibt es beispielsweise keine Pflicht zur doppelten Buchführung, und es
muss keine Anmeldung beim Gewerbeamt erfolgen. Von der Zahlung der Gewerbesteuer sind die Freien Berufe ausgenommen, sofern Sie vom Finanzamt
anerkannt sind und die Umsätze bestimmter Berufsgruppen (z.B. Ärzte oder
Physiotherapeuten) sind von der Umsatzsteuer befreit (vgl. BMWi 2002, Nr. 34
und 2001, Nr. 36).
Für Freiberufler existieren neben den genannten Erleichterungen aber auch besondere Anforderungen. Bestimmte Freie Berufe machen eine Anmeldung erforderlich, die vor Beginn der Tätigkeit eingeholt werden muss. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes zu betrachten. Die persönliche Zuverlässigkeit wird geprüft und es muss festgestellt werden, ob besondere qualifikatorische, finanzielle und bauliche Voraussetzungen vorliegen
(geregelte Freie Berufe). Daneben prüfen die Behörden auch die Einhaltung gesetzlicher Anforderungen wie beispielsweise den Arbeits- und Gesundheitsschutz für die Beschäftigten oder den Umweltschutz und gegebenenfalls den
Denkmalschutz. Freiberufliche Gründer müssen sich selbst beim Finanzamt anmelden, um dort eine Steuernummer zu erhalten (vgl. BMWi 2001, Nr. 36). Eine berufsrechtliche Bedeutung kommt den Freien Berufen hinsichtlich der Be-
Die Freien Berufe 47
rufszulassung und –pflichten sowie Pflichtmitgliedschaften in Berufskammern
und nicht zuletzt bei Kooperationsformen zu. Daneben existieren noch gemischte Tätigkeiten, in denen freiberufliche und gewerbliche Arbeiten zusammen ausgeführt werden, sowie die Form der freien Mitarbeit (vgl. Engel, Oberlander und
Kräuter 2000, 33 ff.).
Im Kontext des Gründungsgeschehens von besonderem Interesse sind die so genannten „kammerfähigen Freien Berufe“. Für die Ausübung dieser Berufsbilder
ist eine Pflichtmitgliedschaft in der jeweiligen Kammer Voraussetzung. Die
Kammern stehen als jeweilige Standesorganisation eines Freien Berufes in einer
besonderen gesetzlichen Pflicht und nehmen hoheitliche Aufgaben wahr, wie
beispielsweise die Zulassung oder die Überwachung der Berufsausübung. Solche Standesvertretungen existieren vor allem bei den traditionellen Freien Berufen mit einer hohen ethnischen Verantwortung, einem gesellschaftlichen Auftrag
oder besonderen gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise im freien
Berufsbild der Ärzte. Einen tieferen Einblick in die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte sowie der Funktion der Standesordnungen bei den einzelnen
verkammerten Freien Berufe gibt Taupitz (1990)3.
Zu den kammerfähigen Freien Berufen zählen die Berufsbilder:
‚ Ärzte,
‚ Zahnärzte,
‚ Tierärzte,
‚ Psychotherapeuten,
‚ Notare,
‚ Rechtsanwälte,
‚ Patentanwälte,
‚ Steuerberater,
‚ Wirtschaftsprüfer,
‚ Architekten,
‚ beratende Ingenieure.
Betrachtet man die standesrechtlichen Ordnungen aus einer ökonomischen Perspektive, so stellen speziell die Zulassungsbeschränkungen in einzelnen freien
Berufsbildern Marktzutrittsbarrieren für gründungswillige Personen dar. Der
Gründer muss, je nach Berufsgruppe, unterschiedliche Qualifikationen nachweisen, teils stringente rechtliche Vorschriften beachten oder die Zulassung seiner
freiberuflichen Tätigkeit beantragen. Dadurch ergeben sich Marktzutrittsbarrieren von einer unterschiedlichen Intensität je nach gewähltem Berufsbild. Einen
Überblick von möglichen marktregulierenden Instrumenten geben Felder, Fink,
Helmenstein und Paterson (1998). In Ihrer Studie über die Re-Regulierung der
Freien Berufe führen sie verschiedenste Instrumente auf, welche einen Markzu-
3
Neben den aufgelisteten kammerfähigen Freien Berufen führt Taupitz (1990, 444 ff.) auch
den Sonderfall der Seelotsen auf.
48 Die Freien Berufe
tritt mit unterschiedlicher Intensität beeinflussen können. Als Instrumente des
Marktzutritts gelten demnach u.a.: die Bedarfsprüfung, persönliche Voraussetzungen, fachliche Voraussetzungen oder die Anzeigepflicht (vgl. Felder, Fink,
Helmenstein und Paterson 1998, 2 ff.).
In der Bundesrepublik Deutschland verfügen neben dem Staat insbesondere die
Kammern der Freien Berufe über solche marktregulierende Instrumente. Allerdings sind die deutschen kammerpflichtigen Freien Berufe in ihrer Gesamtheit
aufgrund der ungleich angewendeten Regulierungsinstrumente und auch ihrer
differierenden Intensität auf den Marktzutritt nicht unmittelbar vergleichbar. Eine intensive Auseinandersetzung zur Regulierungsdichte, u.a. auch deutscher
ausgewählter kammerpflichtiger Freier Berufe, findet sich bei Paterson, Fink
und Ogus (2003). In ihrem von der EU-Kommission in Auftrag gegeben Bericht
„Regulation of Professional Service“ (2003) entwickeln und untersuchen sie u.a.
Regulierungsindizes zum Marktzugang. Allerdings stießen die Ergebnisse der
Studie auf Kritik, deren Gegenstand sich insbesondere auf die verwendete Datenbasis konzentriert (vgl. Kienle 2003, 16).
Abbildung 7: Freiberufliche Gründungsformen
Quelle: Eigene Abbildung.
Die Matrix in Abbildung 7 gibt das erweiterte Modell der freiberuflichen Gründungsformen in ihren Kombinationsmöglichkeiten wieder. Letztlich ist von einer generellen regulierenden Wirkung bei den kammerfähigen Freien Berufen
auszugehen, da sie unmittelbaren Einfluss auf den Marktzutritt freiberuflicher
Gründungen nehmen.
Da im Rahmen dieser Untersuchung die unterschiedlichen Marktzutrittsbedingungen nicht für jedes einzelne Berufsbild der Kammern abgebildet werden
kann, wird ein vereinfachendes Modell mit einer generellen Differenzierung von
Gründungen in „kammerpflichtigen“ und in „nicht kammerpflichtigen“ Freien
kammerpflicht.
Gründungen (1)
kammerfreie
Gründungen (2)
derivative
Gründungen (a)
kammerpflichtige
Gründung
kammerpflichtige
Übernahme
originäre
Gründungen (b)
kammerfreie
Übernahme
kammerfreie
Gründung
Die Freien Berufe 49
Berufen vorgenommen. Unterschieden wird im erweiterten Modell der freiberuflichen Gründungsformen zwischen den Merkmalen der Strukturexistenz und
der Kammerpflicht bei den Freien Berufen. Die Merkmale der Strukturexistenz
werden aus dem Modell von Szyperski und Nathusius (1977) übernommen und
um die freiberuflichen Spezifika der (1) „kammerpflichtigen“ freiberuflichen
Gründungen und den (2) „nicht kammerpflichtigen“ (kammerfreie) freiberuflichen Gründungen erweitert.
2.4 Informationeller Zugang
Grundlage für die empirische Untersuchung des freiberuflichen Gründungsgeschehens ist eine möglichst umfassende Datenbasis, welche relevante Informationen zum Gründungsgeschehen der Freien Berufe beinhaltet und ein realistisches Abbild der Wirklichkeit (Repräsentativität) wiedergeben kann.
Zum Zeitpunkt dieser Untersuchung stellt die informationelle Infrastruktur der
Bundesrepublik Deutschland keine primär auf das freiberufliche Gründungsgeschehen erhobene Daten zur Verfügung, welche den gewünschten (idealtypischen) Ansprüchen genügen. Alternativ bietet sich eine eigene Erhebung und/
oder der Rückgriff auf Datenquellen an, welche in einem sekundären Zusammenhang erhoben wurden, aber die Freien Berufe explizit berücksichtigen.
Aus der freiberuflichen Perspektive finden sich zu diesem Themenkomplex in
der Literatur nur wenige Arbeiten, dennoch kann Eingeschränkt auf die Arbeit
von Fritsch und Grotz (2002) über den Vergleich vierer Datenbasen für Selbständige Gründer zurückgegriffen werden. Zur informationellen Infrastruktur
generell findet sich eine Vielzahl von Arbeiten in der Literatur, stellvertretend
sei hier auf die Vorschläge der Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft und Statistik (KVI 2001) verwiesen.
Zur Auswahl einer für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand geeigneten
sekundären Datenbasis werden Kriterien für ein Anforderungsprofil erstellt und
eine Vorauswahl der verfügbaren und zu überprüfenden Datenquellen vorgenommen. Die ausgewählten Quellen werden kurz skizziert und mittels der Anforderungskriterien auf ihre Tauglichkeit überprüft. Ein Überblick der zentralen
Ergebnisse schließt diesen Abschnitt ab.
Einen Rahmen für die Auswahl der zur Überprüfung geeigneter Datenquellen
ergibt sich aus den beiden zentralen Fragestellungen der Untersuchung. Maßgebliche Kriterien stellen die Merkmale und Charakteristika Freier Berufe sowie
die Absicht einer empirischen Untersuchung ihres Gründungsgeschehens dar. In
diesem Kontext ist eine aktuelle, regelmäßige und bundesweite Erfassung der
Freien Berufe eine erste Mindestanforderung für die Auswahl zu überprüfender
Datenbasen. Damit fallen bereits drei bekannte Datenbasen, wie die Gewerbean-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit verfolgt die theoretische, methodische und empirisch fundierte Analyse des freiberuflichen Gründungsgeschehens. Um die Fragestellung “Welche Determinanten beeinflussen die Gründungsaktivität und den Gründungserfolg von Freiberuflern?“ wird das Spektrum über die Phasen vor der Gründung bis zur Etablierung der freiberuflichen Tätigkeit am Markt erfasst.
Auf Grundlage des SOEP-Panels und einer Onlineerhebung tragen die Ergebnisse zu einem Erkenntnisgewinn des freiberuflichen Gründungsgeschehens bei. Gewürdigt wird dabei insbesondere die Praxis mit vielen neuen Ergebnissen aus den empirisch neu gewonnenen Daten zum Gründungsgeschehen der Freien Berufe.
Dr. Peter Paic studierte BWL und Ökonomie in Hamburg. 2008 Promotion an der Leuphana Universität Lüneburg. Zurzeit ist er Referent im Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik (LDS NRW) in Düsseldorf.