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9.4.3. Angemessenheit
Schließlich haben die Gemeinschaftsbestrebungen zur Sicherung des Pluralismus
auch dem Erfordernis der Angemessenheit gerecht zu werden. Obwohl in Art. 5
Abs. 3 EGV nicht explizit aufgeführt, besagt die ungeschriebene Kompetenzaus-
übungsschranke ähnlich wie das deutsche Pendant der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne,480 dass die im Einzelnen auferlegten Belastungen in angemessener
Relation zur Tragweite der angestrebten Ziele stehen müssen.481 Dies wird im
Schrifttum zwar teilweise in Frage gestellt. Mit der Begründung, die grenzübergreifende Vielfaltsicherung besitze keine hinreichende Wertigkeit, um mit Rücksicht
auf die Kulturhoheit der Einzelstaaten eine verbindliche gemeinschaftliche konkrete
Regelung für die Bekämpfung der Konzentration im Medienbereich zu rechtfertigen,482 kann man der europäischen Pluralismussicherung die Angemessenheit
jedenfalls nicht absprechen.
Das langfristig verfolgte Ziel der Absicherung des freien und demokratischen
Willensbildungsprozesses ist in der Informationsgesellschaft Grundvoraussetzung
der Gesellschaftsform Demokratie. Die gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung der
Medien rechtfertigt sogar besonders intensive Eingriffe in die Interessensphären der
Medienunternehmen zum Wohle der Allgemeinheit. Seine Legitimation findet die
gemeinschaftsweite Vielfaltsicherung nicht zuletzt in Art. 6 Abs. 1 EUV.483 Einer
europäischen Vielfaltregulierung mit dem Argument der Unangemessenheit entsprechender Maßnahmen zu begegnen, dürfte angesichts der großzügigen Haltung
des EuGH a priori zum Scheitern verurteilt sein. Insgesamt bestehen dem Grunde
nach keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit einer gemeinschaftsweiten
Vielfaltsicherung.484
480 Dazu Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 229 ff.
481 Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 5 EGV Rdnr. 40.
482 So Mailänder, Konzentrationskontrolle zur Sicherung der Meinungsvielfalt im privaten
Rundfunk, S. 343 f.
483 Siehe hierzu auch Beutler, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 6 EUV Rdnr. 20 ff.
484 Im Ergebnis ebenso Schüll, Schutz der Meinungsvielfalt im Rundfunkbereich durch das
europäische Recht, S. 166.
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References
Zusammenfassung
Meinungsvielfalt ist für die Demokratie in der Informationsgesellschaft unverzichtbar. Bedroht wird sie durch eine zunehmende Uniformität der Berichterstattung und Medienkonzentration. Zwar haben sich die meisten Mitgliedstaaten der EU zur Schaffung antikonzentrationsrechtlicher Bestimmungen entschieden, diese beschränken sich aber auf die Erfassung nationaler Meinungsmacht. Grenzüberschreitendes Engagement von Medienkonzernen wird regulatorisch kaum berücksichtigt.
Es stellt sich daher die Frage, ob und in welcher Weise die Europäische Gemeinschaft Pluralismussicherung betreiben soll. Dabei geht es zunächst darum, welchen Gefahren die Meinungsvielfalt in der Informationsgesellschaft ausgesetzt ist und welche Mediensektoren von einer Pluralismussicherung erfasst sein sollten. Weitere Schwerpunkte liegen auf der europarechtlichen Legitimation der Materie sowie auf der kontrovers diskutierten Frage, ob sich die Gemeinschaft auf ihre Koordinierungsbefugnis aus Art. 47 Abs. 2 und Art. 55 EGV berufen kann oder Kompetenzausübungsschranken entgegenstehen. Die Publikation richtet sich an Medien- und Europarechtler sowie Kommunikations- und Politikwissenschaftler.