241
Schlussbetrachtung
Die Sachaufklärung gehört zu den Aspekten der Zwangsvollstreckung, denen momentan große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dies begründet sich nicht nur in
ihrer datenschutzrechtlichen – und damit aktuellen – Brisanz. Es besteht auch der
Wunsch, die betriebswirtschafliche Sicherheit im Geschäftsverkehr zu erhöhen,
indem die Zwangsvollstreckung insgesamt effektiver und damit zuverlässiger gestaltet wird.
Aus rechtspraktischer Sicht ergibt sich aber, dass die Sachaufklärung dies in vielen Fällen gerade nicht leisten kann: Sie ist kein Allheilmittel, das der Zwangsvollstreckung insgesamt zu besseren Erfolgsquoten verhelfen kann.
Sollen alltägliche Schulden beigetrieben werden, scheitert die Befriedigung des
Vollstreckungsgläubigers in den allermeisten Fällen daran, dass tatsächlich kein
vollstreckbares Vermögen (mehr) vorhanden ist. Hier stößt das Instrument Sachaufklärung naturgemäß an seine Grenzen. Auch die ausgefeilteste rechtliche Regelungstechnik rund um die Erforschung des Schuldnervermögens wird in der Praxis nicht
bewirken, dass ein Titel in solchen Fällen zwangsweise durchgesetzt werden kann.
Der Gedanke, dass eine verschärfte Sachaufklärung, eine Art Daumenschraube für
säumige Schuldner, präventive Wirkungen zeigen könnte, trifft das Problem der
Überschuldung nicht in seinem Kern. Das zeigt sich auch daran, dass jeder der drei
europäischen Staaten, dessen Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung hier beleuchtet und verglichen wurde, mit Überschuldung – gerade bei Verbrauchern – zu
kämpfen hat. Daran ändert weder etwas, dass das englische Recht den Vollstreckungsschuldner bei der Sachaufklärung weit mehr in die Pflicht nimmt als das
französische Recht, noch dass einem Schuldner in Deutschland die Eintragung in
das Schuldnerverzeichnis droht. Auch die Abfrage behördlicher Daten in Frankreich
vermag die Überschuldungsproblematik nicht zu lindern. Es mag gegenüber zahlungsunwilligen Schuldnern, die über entsprechende Mittel verfügen beziehungsweise durch Umschichtung ihres Vermögen die notwendige Liquidität erzielen können, notwendig und richtig sein, auch über die Sachaufklärung Druck auszuüben
und sie so zur Zahlung zu bewegen. Darüber hinaus ist es aber nicht sinnvoll, die
Sachaufklärung in den Dienst gesellschaftlicher Veränderung zu stellen. Vor diesem
Hintergrund sollte deshalb aus rechtspolitischer Sicht hinterfragt werden, ob die in
Deutschland geplante Reform überhaupt zu einer Verbesserung der viel beklagten
Situation führen kann.
Eine andere Beurteilung ergibt sich allerdings für Zwangsvollstreckungsverfahren, die ein liquider Schuldner dadurch konterkarieren kann, dass er sein Vermögen
ins Ausland transferiert, um es der Vollstreckung zu entziehen – eine Vorgehensweise, die sich zunehmender Beliebtheit erfreut. In diesen Fällen hat der Gläubiger
normalerweise keine ausreichende rechtliche Handhabe, die Vollstreckung auch auf
das verschobene Vermögen zu erstrecken. Weder das internationale Zwangsvoll-
242
streckungsrecht der hier untersuchten nationalen Rechtsordnungen noch das europäische oder internationale Recht versetzen ihn in die Lage, die notwendigen Informationen über das Vermögen seines Schuldners zu erlangen. Hier offenbart sich die
eigentliche Reformbedürftigkeit. Da in näherer Zukunft keine Harmonisierung auf
europäischer Ebene bevorsteht, ist der nationale Gesetzgeber gefragt, diesem Missstand entgegenzutreten. Selbst wenn ein europäischer Rechtsetzungsprozess angestoßen würde, so wäre er auf das Konvergenzpotential der mitgliedstaatlichen
Zwangsvollstreckungsordnungen angewiesen und wird daher – das hat die Untersuchung gezeigt – nur eine Minimallösung hervorbringen können. Deshalb ist es in
jedem Fall angezeigt, die Sachaufklärung in der deutschen Zwangsvollstreckung
auch auf internationale Sachverhalte auszurichten.
In Deutschland wird vor allem angestrebt, dem Vollstreckungsgläubiger Zugang
zu den Kontostammdaten seines Schuldners zu ermöglichen. Ein solcher Schritt mag
bisweilen sinnvoll sein, ist jedoch für die Fälle mit Auslandsbezug zu unflexibel und
wenig hilfreich. Notwendig ist vielmehr, die Offenbarungspflicht des Vollstreckungsschuldner ausdrücklich und damit unter Androhung von Zwangsmitteln beziehungsweise strafrechtlichen Sanktionen auch auf Vermögensgegenstände zu
beziehen, die im Ausland belegen sind. Darüber hinaus kann es in einzelnen Fällen
sinnvoll sein, Dritte im verfassungsrechtlich umgrenzten Rahmen zum Vermögen
und zu entsprechenden Transanktionen des Schuldners befragen zu können.
Die deutsche Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung auf Auslandssachverhalte zu erweitern, ist auch wirtschaftlich sehr relevant. Das gilt vor allem für die
kreditgebende Wirtschaft, die nicht mehr nur aus Kreditinstituten besteht, sondern
längst die unterschiedlichsten Wirtschaftszweige umfasst. In vielen Fällen werden
die rechtlichen Möglichkeiten zur Sachaufklärung vor und in der Zwangsvollstreckung ein Faktor sein, der sich bei der Wahl des Standortes auswirkt. Zwar werden
Vollstreckungsmöglichkeiten nicht das Gewicht eines steuer- oder arbeitsrechtlichen
Rahmens erreichen, dennoch wird die Effektivität der Zwangsvollstreckung bei
unternehmerischen Grundsatzentscheidungen als ein wichtiger Aspekt mitzubedenken sein.844
844 So auch Grolimund in Kronke/Melis/Schnyder, S. 1848.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Ein vollstreckbarer Titel in der Tasche und doch kein Erfolg – oft scheitert die Vollstreckung daran, dass der Schuldner Vermögen ins Ausland verschoben oder sonst verschleiert hat. Aus rechtsvergleichender Sicht zeigt die Autorin, wie die Suche nach Vollstreckungsgütern, die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, gestaltet werden kann. Wie weit reichen staatliche Pflichten und wie weit die Eigenverantwortung der Gläubiger, sich präventiv abzusichern? Gerade über die Grenzen zu anderen europäischen Staaten hinweg ergeben sich Schwierigkeiten.
Das Werk zeigt auf, welche Wege im Zusammenspiel des internationalen, europäischen und nationalen Rechts in Deutschland, Frankreich und England beschritten werden können.