203
umfasst sind. Damit können Maßnahmen zur Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung nicht auf der Grundlage des Übereinkommens vorgenommen werden.
Da das Völkerrecht außerhalb der Staatsverträge auch keine allgemeine Pflicht
zur Rechtshilfe auferlegt,720 gibt es keine völkerrechtlichen Regelungen, die auf die
Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung Anwendung finden können.
C. Ergebnis – Maßgeblichkeit der mitgliedstaatlichen lex fori
Mangels supranationaler – völkerrechtlicher wie gemeinschaftsrechtlicher – Regelungen für die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung mit Auslandsbezug ist
die jeweilige nationale lex fori maßgeblich.
Das bedeutet, dass jeder Staat sein nationales Recht anwendet und danach bestimmt, in welcher Zuständigkeit und nach welchem Verfahrensrecht in Fällen mit
Auslandsberührung vorgegangen werden soll. Die entsprechenden Regelungen finden sich jeweils im so genannten Internationalen Prozessrecht beziehungsweise
Internationalen Zwangsvollstreckungsrecht der einzelnen Staaten.
Häufig sind die Fälle mit Auslandsbezug im zwangsvollstreckungsrechtlichen Bereich, zumindest in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt und werden durch entsprechende Anwendung nationaler
Zuständigkeitsregeln gelöst.
Kapitel 3 – Internationales Zwangsvollstreckungsrecht der einzelnen Staaten
A. Zwangsvollstreckungsverfahren im Vollstreckungsstaat unter seiner lex fori
Dass nach geltendem Recht jeder Vollstreckungsstaat das Verfahren auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug nach seiner lex fori durchführt, schließt nicht aus, dass
es Sonderregelungen oder -anwendungen für Fälle mit Auslandsberührung gibt.
Denkbar ist im Rahmen der Sachaufklärung, dass sich Maßnahmen zur Informationsgewinnung aus dem Inland nach dessen lex fori inhaltlich auch auf Vermögensgüter erstrecken, die im Ausland belegen sind (Teil I.). Außerdem mag es seltene
Fälle geben, in denen Aufklärungsmaßnahmen eines anderen Staates durch den
Gläubiger in Anspruch genommen werden können, obwohl ein Verfahren nur im
Vollstreckungsstaat anhängig ist (Teil II.) – zu denken ist hierbei vor allem an eine
englische world wide freezing order. Sie kann nicht nur der Sicherung der Vollstreckung dienen, indem die liquiden Mittel dem Zugriff des Schuldners entzogen werden. Es ist in bestimmten Konstellationen darüber hinaus möglich, sie zur Sachaufklärung mit einer disclosure order zu flankieren.
720 Vgl. Reinhold Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3635.
204
I. Aufklärung von Auslandssachverhalten im Inland
1. Deutschland
In Deutschland ergeben sich zwei mögliche Anknüpfungspunkte, ein Zwangsvollstreckungsverfahren als Ausgangspunkt für die Suche nach Vermögensgegenständen
des Vollstreckungsschuldners im Ausland zu nutzen. Das Instrument mit dem potentiell weitesten Anwendungsbereich besteht darin, die Offenbarungspflicht des Vollstreckungsschuldners auf sein ausländisches Vermögen zu erstrecken (Teil (a)). Auf
diese Weise könnte ein Vollstreckungsgläubiger abschätzen, welche Erfolgsaussichten für ein Zwangsvollstreckungsverfahren im Ausland bestehen. Eine andere Konstellation der Sachaufklärung mit Auslandsbezug liegt darin, einen extraterritorialen
Vollstreckungsschuldner zum Offenbarungsverfahren in Deutschland heranzuziehen
(Teil (b)).
a) Offenbarungspflicht bei (auch) im Ausland belegenem Vermögen
Ob sich die Offenbarungspflicht des Vollstreckungsschuldners nach § 807 ZPO auch
auf ausländisches Vermögen bezieht, wird unter deutschen Rechtswissenschaftlern
diskutiert und auch bejaht.721 Dem ist zuzustimmen.
Das Territorialitätsprinzip verbietet es, hoheitliche Gewalt auf ein fremdes Gebiet, auf dessen Personen oder Güter zu erstrecken. Wird ein inländischer Vollstreckungsschuldner im Inland unter Zwangsandrohung verpflichtet, sein im Ausland
belegenes Vermögen zu offenbaren, so handelt es sich dabei zwar um eine intendierte Auslandswirkung auf informationeller Ebene, nicht aber um die Ausübung hoheitlicher Gewalt in den Souveränitätsbereich des potentiellen Belegenheitsstaates hinein. Im Bereich der grenzüberschreitenden Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung ist inzwischen sogar anerkannt, dass ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO
angeordnet werden kann, um eine Handlung zu erzwingen, die im Ausland vorzunehmen ist.722 Im Vergleich dazu birgt es weit weniger souveränitätsverletzendes
Potential, den Inhalt einer abzugebenden Erklärung auf ausländische Vermögensgüter zu beziehen.
Letztlich sind daher nicht die Begrenzungen durch das Territorialitätsprinzip,
sondern Erwägungen auf nationaler Ebene entscheidend für die Auslegung des
§ 807 ZPO. Hinter der Regelung des § 807 ZPO steht die Absicht, den Vollstreckungsgläubiger möglichst umfassend in die Lage zu versetzen, die Vollstreckung
721 Vgl. LG Stade Rpfleger 84, 324, das ohne weitere Diskussion davon ausgeht, dass die Forderung gegen einen Drittschuldner in Saudi Arabien angegeben werden muss; Nagel/Gottwald,
§ 17 Rn. 53; Zöller/Stöber, § 807 Rn. 19; Stein/Jonas/Münzberg, § 807 Rn. 23; Heß in RPfleger 1996, S. 91; Peter Gottwald in IPRax 1991, S. 291.
722 Vgl. Reinhold Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3228 f.
205
gegen seinen Schuldner betreiben zu können.723 Gerade auch vor dem Hintergrund,
dass die Freizügigkeit von Vollstreckungstiteln im europäischen Raum durch die
Regelungen der EuGVVO praktisch ermöglicht wurde, obliegt den Mitgliedstaaten
die Pflicht, die europaweite Justizgewährung zu fördern. Bereits bei der Sachaufklärung ist deshalb im Rahmen einer europarechtskonformen Auslegung darauf hinzuwirken, dass ein Vollstreckungsgläubiger in die Lage versetzt wird, die Möglichkeiten zur Vollstreckung im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und
Handelssachen wahrnehmen zu können.
b) Extraterritorialer Vollstreckungsschuldner mit ausländischem Wohnsitz als
Offenbarungsverpflichteter
In einem Vollstreckungsverfahren kann sich der Auslandsbezug auch daraus ergeben, dass sich der Vollstreckungsschuldner nicht in Deutschland aufhält. Da sich die
internationale Zuständigkeit für die Durchführung eines Zwangsvollstreckungsverfahrens grundsätzlich nach der Belegenheit des Vollstreckungsgegenstands bestimmt, ist eine solche Konstellation von großer praktischer Relevanz. So kann beispielsweise die Vollstreckung in eine Immobilie auf deutschem Gebiet gegen einen
ausländischen Vollstreckungsschuldner betrieben werden. Ist die Immobilie nicht
geeignet, den Vollstreckungsgläubiger zu befriedigen, kann das Bedürfnis entstehen,
weitere Vollstreckungsobjekte ausfindig zu machen.
Es stellt sich die Frage, ob der deutsche Gerichtsvollzieher international zuständig
ist, dem extraterritorialen Vollstreckungsschuldner eine Offenbarungsversicherung
abzuverlangen. Wegen der Haftandrohung unterliegt das Offenbarungsverfahren
unmittelbarem Beugezwang. Es handelt sich um eine Maßnahme, die geeignet ist,
die Souveränität des Staates zu verletzen, in dem sich der Vollstreckungsschuldner
aufhält. Daher gilt das Gebot, die internationale Zuständigkeit auf einen entsprechenden Anknüpfungspunkt zu stützen.
Die internationale Zuständigkeit deutscher Vollstreckungsorgane für die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung bestimmt sich in entsprechender Anwendung
des § 899 Abs.1 ZPO. Ist der Vollstreckungsschuldner eine natürliche Person, so
kann er nur zur Offenbarung seines Vermögens samt eidesstattlicher Versicherung
herangezogen werden, wenn sein Wohnsitz oder Aufenthaltsort auf deutschem Gebiet liegt. Dabei ergibt sich aus der ratio des Offenbarungsverfahrens, dass bereits
ein kurzfristiger Aufenthalt genügt, der die Zustellung einer Ladung ermöglicht.724
Die Ladung eines dauerhaft extraterritorialen Vollstreckungsschuldners zu einem
Offenbarungstermin ist hingegen nicht möglich.
Anders kann es sich darstellen, wenn der Vollstreckungsschuldner eine juristische
Person oder eine sonstige parteifähige Gesellschaft ist. Grundsätzlich ist entschei-
723 Siehe oben S. 94.
724 Vgl. Heß in RPfleger 1996, S. 89.
206
dend, dass sie ihren Sitz im Inland hat, § 17 Abs.1 ZPO analog. Das Landgericht
Zwickau hat außerdem in analoger Anwendung des § 21 ZPO eine internationale
Zuständigkeit angenommen, wenn eine Gesellschaft eine Niederlassung in Deutschland unterhält. Im ersten Judikat zu dieser Thematik argumentierte das Gericht 1996,
dass der Gesetzgeber für natürliche Personen in § 899 ZPO zur Begründung einer
Zuständigkeit ausdrücklich den bloßen Aufenthaltsort zugelassen habe – dem entspreche bei Gesellschaften der Ort einer Niederlassung.725 Diese analoge Anwendung zöge nach sich, dass eine ausländische Gesellschaft ihr gesamtes Vermögen im
In- und Ausland726 offen legen müsste – unabhängig davon, ob im konkreten Fall ein
besonderer Bezug zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung besteht, wie § 21 ZPO es
für das Erkenntnisverfahren fordert. Vor allem aus diesem Grund wird die Anwendung des § 21 ZPO im Rahmen von § 899 ZPO von einigen Autoren abgelehnt.727
Sie stelle eine unzulässige Erweiterung des § 21 ZPO dar, in entsprechender Anwendung sei vielmehr ein besonderer vollstreckungsrechtlicher Bezug zu fordern.
Den sieht Heß als gegeben an, wenn Vermögensgegenstände des Vollstreckungsschuldners im Inland vermutet werden. Seinen Schluss leitet er aus einer allgemeinen Zuständigkeitsregel im Zwangsvollstreckungsrecht ab, wonach grundsätzlich
der Ort maßgeblich sei, an dem die jeweilige Vollstreckungshandlung vorgenommen
wird.728 Im Ergebnis führt dies allerdings zu einer wesentlich weiteren internationalen Zuständigkeit als es nach der Lösung des Landgerichts Zwickau der Fall wäre.
Der Vollstreckungsgläubiger kann stets Vermutungen äußern. Darüber, inwiefern er
eine solche Vermutung auch glaubhaft machen muss, äußert sich Heß nicht. Hierzu
hat das Oberlandesgericht Köln in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004, der insgesamt zweiten Stellungnahme seitens der Rechtsprechung, gefordert, dass zumindest
„greifbare Anhaltspunkte“ für die Richtigkeit einer solchen Vermutung vorliegen
müssen.729
Die internationale Zuständigkeit für das Offenbarungsverfahren an den Ort eines
zukünftigen Vollstreckungszugriffs zu binden, geht jedoch grundsätzlich fehl. Auch
wenn das Offenbarungsverfahren regelmäßig Teil der Zwangsvollstreckung wegen
Geldforderungen ist, handelt es sich doch seinem Wesen nach um einen Sonderfall
der Vollstreckung einer unvertretbaren Handlung. Zugegriffen wird auf die Person
des Vollstreckungsschuldners, nicht auf seine Vermögensgegenstände. Entscheidend
ist deshalb für diesen Verfahrensabschnitt nicht, ob sich Vollstreckungsgegenstände
im Inland befinden, sondern dass ein ausreichender Bezug zwischen der Person des
Vollstreckungsschuldners und der deutschen Hoheitsgewalt besteht. Dieser Unterschied zeigt sich in § 899 ZPO bereits auf nationaler Ebene. Während für das Offenbarungsverfahren auf den Wohnsitz oder Aufenthalt des Vollstreckungsschuldners
725 LG Zwickau in IPRax 1996, S. 193 f. Dem folgen Reinhold Geimer, Internationales
Zivilprozessrecht, Rn. 3284, sowie Nagel/Gottwald, § 17 Rn. 54.
726 Zur Offenbarungspflicht bezüglich im Ausland belegener Vermögensgüter siehe oben S. 204.
727 So Heß in RPfleger 1996, S. 90 f.; Riecke in DGVZ 2003, S. 34 f.; Rauscher in IPRax 1996,
S. 180.
728 Heß in RPfleger 1996, S. 90.
729 OLG Köln in InVo 2004, S. 424, 425.
207
abgestellt wird, lässt sich für die realexekutorischen Maßnahmen des Vollstreckungsverfahrens der von Heß ins Feld geführte Grundsatz erkennen, dass die Vollstreckungsorgane am Ort der Vollstreckungsmaßnahmen beziehungsweise der Belegenheit der Vollstreckungsobjekte zuständig sind.730 Die in § 899 ZPO niedergelegte
Zuständigkeit ist gemäß § 802 ZPO ausschließlicher Art, auch in ihrer internationalen Anwendung. Es widerspräche daher nicht nur der ratio des § 899 ZPO, sondern
auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, auf eine Belegenheitsvermutung
des Vollstreckungsgläubigers abzustellen. Hingegen ist die analoge Anwendung der
§§ 17, 21 ZPO folgerichtig. Der Normzweck, dass sich an einem Ort zu verantworten hat, wer dort seine Geschäfte betreibt, gilt im Zwangsvollstreckungs- wie im
Erkenntnisverfahren gleichermaßen. Während der besondere Bezug nach § 21 ZPO
im Erkenntnisverfahren mit seinem begrenzten Streitgegenstand eine sinnvolle Einschränkung darstellt, ist das Zwangsvollstreckungsverfahren stets durch einen
Zugriff auf das gesamte vollstreckbare Vermögen gekennzeichnet. Zudem rechtfertigt es das durch die Verfahrensabschnitte veränderte Kräfteverhältnis731, den
Grundgedanken des § 21 ZPO frei von – bisweilen etwas konstruiert wirkenden –
Einschränkungen auf die Zwangsvollstreckung mit Auslandsbezug anzuwenden.
Wie sich die deutsche Rechtspraxis verhalten wird, wenn es darum geht, eine Gesellschaft mit ausländischem Sitz zum Offenbarungsverfahren heranzuziehen, ist
schwer vorherzusagen. Häufig werden die beiden Ansätze jedoch zum selben Ergebnis, der internationalen Zuständigkeit des deutschen Gerichtsvollziehers, führen.
Eine Gesellschaft wird nämlich oft dann vollstreckungsrelevante Vermögensgegenstände außerhalb ihres Sitzstaates haben, wenn sie dort eine Niederlassung unterhält.
2. Frankreich
Auch nach französischem Recht ist es denkbar, dass die Sachaufklärungsmaßnahmen auf einen eventuellen Auslandsbezug der Vollstreckung eingerichtet sind. Vor
allem stellt sich die Frage, ob sich die informationelle Hauptstütze des Vollstreckungsverfahrens, die Datenerhebung durch die Staatsanwaltschaft,732 auch auf
Vermögen beziehen kann, das in einem anderen Staat belegen ist.
Erhebung ausländischer Vermögensdaten durch die Staatsanwaltschaft?
Zwangsmaßnahmen können sich nach französischem Verständnis ausschließlich auf
Gegenstände erstrecken, die in Frankreich belegen sind. In anderen Fällen dürfe das
französische Recht bereits keine Anwendung finden, so die Cour de Cassation in
730 Vgl. für das Vollstreckungsgericht § 764 Abs.2 ZPO, für den Gerichtsvollzieher §§ 753 ZPO,
154 GVG, 20 Nr. 1 GVGA, 20 ff. GVO.
731 Vgl. oben S. 35.
732 Vgl. oben S. 110 ff.
208
ihrer Grundsatzentscheidung Sté Cyprien Fabre.733 Dies gelte nicht nur für die unmittelbare Zwangsanwendung, sondern ebenso für alle weiterreichenden Wirkungen
einer Maßnahme.734
Zwar stellt die Erhebung von Vermögensdaten durch die Staatsanwaltschaft keine
Zwangsmaßnahme im Sinne einer Personal- oder Realexekution dar. Dennoch ist sie
unabdingbarer Baustein des Zwangsvollstreckungsverfahrens, das insgesamt durch
hoheitlichen Zugriff charakterisiert ist. Auch die inhaltliche Erstreckung der Datenerhebung auf Vermögensgüter im Ausland verursacht deshalb eine extraterritoriale
Wirkung, die nach den Grundsätzen der Cour de Cassation die Souveränität anderer
Staaten zu weitgehend in Frage stellen würde.
Dies gilt umso mehr, als eine Einbeziehung ausländischer Güter zur Folge hätte,
dass die Staatsanwaltschaft als französische Behörde auf Daten ausländischer Behörden auf deren Staatsgebiet zugreifen müsste und damit auf hoheitliche Bereiche
des anderen Staates einwirken würde. Die Erhebung der Informationen durch die
Staatsanwaltschaft erstreckt sich deshalb nicht auf im Ausland belegenes Vermögen.
Recherchiert wird lediglich die Adresse des Schuldners im Inland, die Identität und
Adresse seines französischen Arbeitgebers und derjenigen französischen Geldinstitute, bei denen er Konten unterhält. Die Quellen der Datenerhebung sind ausschließlich nationaler Natur. So werden die Kontostammdaten bei der Banque de France,
der französischen Zentralbank, erfragt und der Arbeitgeber wird über nationale
Steuer- und Sozialbehörden ermittelt.735 Die recherche des informations ist ein Verfahren, das in strengen gesetzlich vorgegebenen Bahnen verläuft. Die Staatsanwaltschaft ist gerade nicht ermächtigt, gleich einem Detektiv im freien Ermessen Vermögensgegenstände des Schuldners ausfindig zu machen. Spuren außerhalb des
gesetzlichen Verfahrens werden bewusst nicht verfolgt, weder im Inland noch im
Ausland.
3. England
Um die Vermögenssituation eines Schuldners für ein bevorstehendes Zwangsvollstreckungsverfahren aufzuklären, sieht das englische Recht die so genannte oral
examination des Schuldners vor. Da die Offenbarungspflichten des Schuldners
durch die Civil Procedure Rules inhaltlich nicht genau festgelegt werden, ist der
Spielraum eröffnet, auch die internationalen Bezüge eines Falls berücksichtigen zu
können.
733 Cass. civ. (12 mai 1931), JDI 1932, S. 387, 390.
734 Vgl. Perrot/Théry, Rn. 33.
735 Siehe oben S. 112.
209
a) Umfang der oral examination
Der Schuldner ist im Rahmen seiner Vernehmung nach Part 71 CPR grundsätzlich
verpflichtet, auch auf Vermögensgegenstände hinzuweisen, die im Ausland belegen
sind.736 Im Fall Interpool Ltd. v. Galani entschied der Court of Appeal bereits 1988,
dass ein Schuldner auch vollstreckbares Vermögen außerhalb der englischen Gerichtsbarkeit offen legen muss. Entscheidend sei dabei nicht, ob englische Vollstreckungsorgane auch international zuständig wären, in den jeweiligen im Ausland
belegenen Gegenstand zu vollstrecken. Maßgeblich sei vielmehr, dass dem Gläubiger überhaupt die Möglichkeit offen steht, auf diese Vermögensgegenstände zuzugreifen – und sei es im Rahmen einer gesonderten Vollstreckung seines Titels im
Ausland:
“The provisions for the reciprocal enforcement of judgments between states are continuously
expanding […] it is entirely consistent with this pattern of legislation that the judgment creditor should have available to him a procedure […] which he can utilise to find out wether, in
default of any English assets, there are foreign assets available to satisfy his judgment.”737
b) Oral examination ausländischer Schuldner
Mögliche Berührungspunkte zum Ausland werden aber thematisch nicht nur bei der
inhaltlichen Reichweite der Offenbarungspflicht einbezogen, sondern finden auch
im Zusammenhang mit der Person des Offenbarungspflichtigen Berücksichtigung.
So thematisierte der Court of Appeal 1997 in Union Bank of Finland Ltd. v. Lelakis
die Ladung eines griechischen Staatsbürgers zur oral examination vor ein englisches
Gericht.738 Obwohl der Schuldner seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in
Griechenland hatte, wurde für Recht befunden, dass er im Anschluss an ein Hauptsacheverfahren vor einem englischen Gericht mittels Auslandszustellung zur oral
examination nach England geladen worden war.
II. Inanspruchnahme von Sachaufklärungsinstrumenten eines anderen Staates
Über die behandelte Frage hinaus, ob der Vollstreckungsstaat auch vermögensrelevante Auslandssachverhalte aufklären kann, wird es in einigen Fällen relevant sein,
ob Sachaufklärungsinstrumente eines Staates auch Anwendung finden können, wenn
dort kein Zwangsvollstreckungsverfahren anhängig ist. Bei einer grenzüberschreitenden Auseinandersetzung kann es nämlich bisweilen sinnvoll sein, auch Instrumente des ausländischen Verfahrensrechts einzubeziehen. Aus der Sicht des jeweili-
736 Vgl. White Book 2008, volume 2, 71.2.5.
737 Interpool Ltd. v. Galani [1988] Q.B. 738, 742 (CA Civ).
738 Union Bank of Finland Ltd. v. Lelakis [1997] 1 W.L.R. 590 (CA Civ).
210
gen nationalen Rechts geht es dabei also nicht um die Beschaffung von Vollstreckungsdaten aus dem Ausland für eigene Verfahren, sondern darum, die Daten für
ein im Ausland anhängiges Verfahren zu erheben beziehungsweise deren Erhebung
zu ermöglichen.
1. Offenbarungsverfahren und Schuldnerverzeichnis in Deutschland
a) Durchführung eines Offenbarungsverfahrens
Für einen Gläubiger, der ein Vollstreckungsverfahren im Ausland betreibt, könnte
von Nutzen sein, seinen Schuldner in einem deutschen Offenbarungsverfahren zu
seinem Vermögen befragen zu lassen. Ein solches Begehren kann vor allem dann
entstehen, wenn das Recht des Vollstreckungsstaates die Sachaufklärung in der
Zwangsvollstreckung restriktiver ausgestaltet hat. Beispielsweise könnte der Vollstreckungsgläubiger eines französischen Verfahrens Interesse daran haben, Informationen zu erhalten, die über die Adresse des Schuldners, seines eventuellen Arbeitgebers und die Kontostammdaten hinausgehen.739
Das deutsche Offenbarungsverfahren ist allerdings eine Sachaufklärungsmaßnahme, die in das Zwangsvollstreckungsverfahren eingebettet ist. Der Gesetzgeber
hat die Sachaufklärung bewusst an bestimmte Voraussetzungen gebunden, um die
Verhältnismäßigkeit des Eingriffs für den Vollstreckungsschuldner zu wahren. Die
Offenbarungspflicht trifft ihn erst nach einem erfolglosen Vollstreckungsversuch
oder nachdem eine negative Vollstreckungsprognose gestellt wurde.740 Beide Voraussetzungen können nur aus einem anhängigen Vollstreckungsverfahren heraus
erfüllt werden. Ein isoliertes Offenbarungsverfahren ist nicht denkbar. Auch auf der
Grundlage allgemeiner europa- wie völkerrechtlicher Regelungen kann ein isoliertes
Sachaufklärungsverfahren für das Zwangsvollstreckungsverfahren in einem anderen
Staat nicht durchgeführt werden.741
b) Einsicht in Vermögensverzeichnisse
Daneben wäre es auch denkbar, dass ein bereits nach § 807 ZPO erstelltes Vermögensverzeichnis des Schuldners in Deutschland aus dem Ausland eingesehen werden
kann.
Die praktische Relevanz einer solchen Vorgehensweise ist mit der Frage verknüpft, ob ein Vollstreckungsschuldner bei der vorangegangenen Erstellung des
Vermögensverzeichnisses verpflichtet war, auch im Ausland belegenes Vermögen
739 Zum Umfang der Datenerhebung in Frankreich siehe oben S. 112.
740 Siehe oben S. 93.
741 Siehe oben S. 203.
211
anzugeben. Nur so wäre es möglich, Informationen über Vollstreckungsgegenstände
zu erhalten, die im Vollstreckungsstaat belegen sind und für das laufende Verfahren
genutzt werden könnten. Andernfalls erlangt der Informationssuchende lediglich
Auskunft über Vermögensgegenstände in Deutschland. Auf dieser Grundlage könnte
er aber immerhin abschätzen, ob es Erfolg verspricht, ein zusätzliches Vollstreckungsverfahren in Deutschland zu betreiben.
Nach der deutschen Rechtspraxis können Vermögensverzeichnisse gemäß
§ 299 Abs.1 ZPO gegen Nachweis eines Vollstreckungstitels gegen denselben
Schuldner eingesehen werden. Ansonsten wird die Einsichtnahme nur nach
§ 299 Abs.2 ZPO gewährt – hierfür muss der Gläubiger ein rechtliches Interesse
glaubhaft machen.742 Meist wird ein Gesuch aus dem Ausland gestellt werden, um
die Erfolgsaussichten für ein eventuelles Zwangsvollstreckungsverfahren in
Deutschland zu klären. Dies alleine, ohne einen vollstreckbaren Titel, vermag allerdings noch kein rechtliches Interesse im Sinne von § 299 Abs.2 ZPO zu begründen.743 Macht der Vollstreckungsgläubiger hingegen geltend, dass er für das bereits
im Ausland anhängige Verfahren Informationen über Vollstreckungsgegenstände
benötigt, ist dies anders zu beurteilen. Dann besteht zwischen den Parteien des
Zwangsvollstreckungsverfahrens bereits ein rechtliches Verhältnis, aus dem sich das
Interesse unmittelbar ableiten lässt. Allerdings kann sich dieses Interesse nur auf
Vollstreckungsgegenstände beziehen, die im Vollstreckungsstaat belegen sind und
damit der dortigen Zuständigkeit im laufenden Verfahren unterliegen. Dafür wäre
wiederum entscheidend, dass die Offenbarungspflicht eines Vollstreckungsschuldners nicht nur seine inländischen Vermögensgegenstände umfasst. Im Ergebnis ist
ein solches Vorgehen mit sehr vielen Unwägbarkeiten der Rechtspraxis belastet. Es
ist auch nicht wahrscheinlich, dass ein Vollstreckungsschuldner eines deutschen
Verfahrens bereits zuvor Vermögensgegenstände in dem entsprechenden ausländischen Staat offenbart hat. Letztlich wird sich der Aufwand für ein solches Verfahren
mit unsicherem Ausgang kaum lohnen.
Das Gesuch um Einsichtnahme unabhängig von einem im Ausland anhängigen
Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 299 Abs.1 ZPO auf einen vollstreckbaren
Titel zu stützten, scheint dagegen von größerer praktischer Realisierbarkeit. Betreibt
der Gläubiger bereits ein Zwangsvollstreckungsverfahren, kann er im Regelfall
ohnehin auf einen entsprechenden Vollstreckungstitel zurückgreifen.
Fraglich ist allerdings, wie ausländische Titel in diesem Zusammenhang behandelt werden. Ist es erforderlich, dass sie anerkannt oder sogar für vollstreckbar erklärt werden, um den Anforderungen des § 299 Abs.1 ZPO zu genügen? Stellungnahmen aus Rechtsprechung und Literatur gibt es dazu – soweit ersichtlich – nicht.
Hinter der Einsichtsgewährung steht Art. 103 Abs.1 GG.744 Die Beteiligten eines
gerichtlichen Verfahrens sollen ihr Recht auf rechtliches Gehör auf einer entsprechenden Informationsgrundlage wahrnehmen können. Wenn von einem Gläubiger
742 Siehe oben S. 85.
743 Siehe oben S. 85.
744 Vgl. MüKo/Prütting, § 299 Rn. 1 f.
212
die Vorlage eines vollstreckbaren Titels verlangt wird, geht es also darum, seine
Eingebundenheit in ein bestehendes justizielles Rechtsverhältnis nachzuweisen und
ihn auf diese Weise von einem außenstehenden Dritten abzugrenzen. Dafür ist die
Entscheidungswirkung der Vollstreckbarkeit im formellen Sinne nicht erforderlich.
Hinzu kommt, dass sich auch ausländische Gläubiger unmittelbar auf das Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs.1 GG berufen können. Untermauert wird dieser Aspekt
dadurch, dass ausländische Vollstreckungstitel innerhalb des Geltungsbereichs der
EuGVVO inländischen Titeln gleichgestellt sein sollen. Eine Vollstreckbarerklärung
sollte deshalb nicht als Voraussetzung für eine Einsichtnahme in ein Vermögensverzeichnis nach § 299 Abs.1 ZPO angesehen werden.
Sollte also der (seltene) Fall eintreten, dass ein Vollstreckungstitel aus dem europäischen Ausland gegen einen Schuldner vorliegt, der bereits im Rahmen eines
Vollstreckungsverfahrens in Deutschland ein Vermögensverzeichnis erstellt hat, so
wäre ihm das Recht auf Einsichtnahme zu gewähren.
2. Datenerhebung durch die französische Staatsanwaltschaft?
Aus der Perspektive eines Anwalts kann sich die Frage stellen, ob das französische
Sachaufklärungsverfahren auch auf der Grundlage eines Zwangsvollstreckungsverfahrens durchgeführt werden kann, das in Deutschland oder einem anderen Staat
anhängig ist.
Aus deutscher Sicht sind vor allem die Kontostammdaten von großem Interesse,
die durch die französische Staatsanwaltschaft ermittelt werden.745 In Deutschland
hat ein Gläubiger auf Grundlage des geltenden Rechts (noch) keine Möglichkeit,
diese Vermögensdaten des Schuldners erheben zu lassen.746 Kann also ein deutscher
Gerichtsvollzieher gleich einem huissier eine recherche des informations durch
einen französischen procureur de la République veranlassen?
Die innerstaatliche Diskussion um das französische Internationale Zwangsvollstreckungsrecht geht nicht über die Fragen hinaus, die sich anlässlich der Behandlung ausländischer Titel im französischen Verfahren stellen.747 Es wird lediglich
darauf hingewiesen, dass ausländische Gläubiger gegenüber inländischen Gläubi-
745 Siehe oben S. 112.
746 Vgl. aber zur geplanten so genannten Drittauskunft oben S. 181.
747 Vgl. stellvertretend für die Literatur im Bereich „Droit international privé“ Vignal, Droit
international privé, S. 339 ff. Viele andere Abhandlungen im Bereich des Internationalen Privatrechts behandeln das französiche Internationale Prozessrecht gar nicht, Fragen des Internationalen Zwangsvollstreckungsrechts werden dort nie behandelt, vgl. beispielsweise Battifol/Lagarde, Droit international privé; Audit, Droit international privé; Mayer/Heuzé, Droit
international privé. Ausführungen zum Internationalen Zwangsvollstreckunsrecht finden sich
allein bei Perrot/Théry, Rn. 34 ff. Auch im Nachschlagewerk Juris-Classeur de Procédures
Civiles d’Exécution (Tome 10) finden sich keine Ausführungen zum französischen Internationalen Zivilprozessrecht. Daraus lässt sich schließen, dass sich in diesem Bereich auch in der
Praxis wenige Anwendungsfälle ergeben.
213
gern im Rahmen des Verfahrens nicht diskriminiert würden – also ebenso Zugang zu
allen Schritten auf der Suche nach vollstreckbarem Vermögen haben. Auf der
Grundlage des Souveränitätsgedankens sei es jedoch zunächst erforderlich, einen
ausländischen Titel anerkennen zu lassen, bevor dann im anschließenden Vollstreckungsverfahren (in Frankreich) alle Verfahrensinstrumente zum Einsatz kommen
könnten.748 Für eine Sachaufklärung durch die französische Staatsanwaltschaft wird
also ein in Frankreich anhängiges Zwangsvollstreckungsverfahren vorausgesetzt –
ganz unabhängig von möglichen Anknüpfungspunkten zum französischen Recht,
beispielsweise der Belegenheit potentieller Vollstreckungsobjekte in Frankreich, die
unabhängig davon vorliegen können, ob ein französisches Zwangsvollstreckungsverfahren anhängig ist.
Der praktische Nutzen einer solchen Auskunft wäre jedoch ohnehin dadurch gemindert, dass sich die Recherchen der Staatsanwaltschaft nur auf in Frankreich belegene Vollstreckungsgegenstände beziehen.749 Es wäre deshalb nicht denkbar, auf der
Grundlage eines deutschen Zwangsvollstreckungsverfahrens Informationen über in
Deutschland belegene Konten zu erhalten. Gegebenenfalls kann aber der Verdacht
bestehen, dass Vermögen des Schuldners bei einer französischen Bank lagert. Dann
wären die Kontostammdaten von großer Hilfe, um die Erfolgsaussichten eines
Zwangsvollstreckungsverfahrens in Frankreich bereits im Voraus abschätzen zu
können. Ansonsten ist ein Gläubiger dazu gezwungen, auf der Grundlage eines
eventuell nur vagen Verdachts seinen Titel in Frankreich anerkennen zu lassen und
dort ein Zwangsvollstreckungsverfahren zu betreiben.
3. Worldwide freezing order des englischen Rechts
Von besonderer prozesstaktischer Bedeutung ist ein Instrument des englischen Verfahrensrechts, die so genannte worldwide freezing order. Typischerweise ergeht eine
solche extraterritorial wirkende Anordnung in Fällen, in denen der Beklagte die
Möglichkeit hat, sein Vermögen durch schnelle Finanztransaktionen in Staaten zu
verschieben, die der Vollstreckung unzugänglich sind.750 Eine worldwide freezing
order kann wie im nationalen Rahmen751 mit einer ancillary disclosure order flankiert werden, um die Suche nach Vollstreckungsobjekten auf internationaler Ebene
zu ermöglichen.
Mit der Entscheidung Babanaft International Co. S.A. v. Bassatne752 wurde 1990
anerkannt, dass sich die freezing order auch auf im Ausland belegenes Vermögen
erstrecken kann. Begründet wird dies von den englischen Gerichten damit, dass die
freezing order keine dingliche Wirkung (in rem) entfaltet. Die Verbotsverfügung,
748 Zu den Fragen der Exequatur ausführlich Vignal, S. 339 ff.; Perrot/Théry, Rn. 36.
749 Siehe oben S. 207.
750 Vgl. Heinze, S. 924.
751 Vgl. oben S. 77ff.
752 Babanaft Co. S.A. v. Bassatne [1990] Ch. 13 (CA).
214
die prohibitory injunction, erlegt eine persönliche Verhaltenspflicht auf (in personam).753 Dem Schuldner und meist auch Dritten wird untersagt, über Gegenstände
der Vollstreckungsmasse zu verfügen. Aufgrund dieser bloßen in personam-
Wirkung sei auch kein Eingriff in die Gerichtshoheit eines anderen Staates zu befürchten.754 Wenn der Adressat der in personam jurisdiction des Gerichts unterworfen ist, so kann nach englischer Rechtsauffassung auch seine Vermögensdisposition
im Ausland durch eine injunction gelenkt werden.755 So wird in der nachfolgenden
Entscheidung Crédit Suisse Fides Trust S.A. v. Cuoghi ausgeführt:
“The order operates in personam. It is not grounded upon any pretension to the exercise of judicial or administrative rights abroad, but on the circumstance of the person to whom the order
is addressed being within the reach of the court.”756
Die worldwide freezing order wird aber nur dann zum unabhängigen Instrument
der grenzüberschreitenden Sachaufklärung, wenn sie sich nicht nur inhaltlich auf
ausländisches Vermögen bezieht, sondern auch zur Unterstützung eines ausländischen Hauptsache- beziehungsweise Vollstreckungsverfahrens genutzt werden kann.
Grundsätzlich lässt das englische Recht hier die Bereitschaft zur großzügigen Anwendung erkennen:757
Da die freezing order als prozessuales Instrument betrachtet und damit nicht dem
materiellen Recht zugerechnet wird, wird sie im Rahmen der englischen lex fori
angewandt.758 Das heißt, dass auch in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug
keine Kollisionsnorm konsultiert werden muss, um das anwendbare (materielle)
Recht zu bestimmen. Aus einer internationalen Zuständigkeit englischer Gerichte
resultiert unmittelbar die Anwendbarkeit der Regelungen über die freezing order.
Der einstweilige Rechtsschutz nach englischem Recht ist grundsätzlich auch nicht
zwingend an ein dort anhängiges Verfahren geknüpft. Eine freezing order kann seit
Erlass des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 auch ausschließlich zur Unterstützung eines ausländischen Verfahrens ergehen. Während die Rechtsprechung
einer solchen Ausdehnung zuvor noch ablehnend gegenüberstand,759 verlieh der
Gesetzgeber den englischen Gerichten mit dem Civil Jurisdiction and Judgment
Act 1982 eine weitreichende internationale Zuständigkeit.760 Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes können danach auch zur Unterstützung von Hauptsachever-
753 Vgl. dazu auch den gesamteuropäischen Vergleich der Wirkweise von Verfügungsverbot und
Pfandrecht im einstweiligen Rechsschutz bei Stürner in FS Geiß, S. 203.
754 Babanaft Co. S.A. v. Bassatne [1990] Ch. 13, 41 – 42 (CA); vgl. dazu auch Müller, S. 46.
755 Gegen eine solche Argumentation kann jedoch kritisch ins Feld geführt werden, dass die in
personam-Wirkung faktisch einer dinglichen Wirkung sehr stark angenähert ist, weil Dritte
unter Androhung eines contempt of court-Verfahrens in die Wirkung der Verbotsverfügung
unmittelbar einbezogen werden, vgl. oben S. 68.
756 Crédit Suisse Fides Trust S.A. v. Cuoghi [1998] Q.B. 818, 826 – 827 (CA).
757 Hoyle, S.141.
758 Vgl. Hoyle, S.141.
759 The Siskina v. Distos Compania Naviera S.A. [1977] 3 All E.R. 821 (HL).
760 Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982, chapter 27, s. 25 (1).
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fahren in Vertragsstaaten des Brüsseler Übereinkommens761, heute der EuGVVO,
und des Luganer Übereinkommens762 ergehen. Folglich erstreckt sich die Zuständigkeit aus englischer Sicht auf den gesamten europäischen Rechtsraum. Sie wird
unmittelbar durch Zustellung ins Ausland nach den Civil Procedure Rules realisiert.763 Nach dem Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 ist ein Gericht jedoch
nicht verpflichtet, eine injunction zu erlassen, wenn es ihm unangemessen (inexpedient) erscheint, weil – abgesehen von der im Civil Jurisdiction and Judgments Act
1982 begründeten Zuständigkeit – kein ausreichender Anknüpfungspunkt für die
internationale Zuständigkeit vorliegt.764
Weil hinter der Verbotsverfügung einer freezing order sowohl für den Adressaten
als auch für Dritte die Androhung eines contempt of court-Verfahrens steht, müssen
die Anknüpfungspunkte für eine internationale Zuständigkeit englischer Gerichte im
Hinblick auf die Territorialität hoheitlicher Zwangsmaßnahmen genau bestimmt
werden, um nicht auf die Souveränität des Wirkungsstaates überzugreifen. So stellt
der Court of Appeal in Crédit Suisse Fides Trust S.A. v. Cuoghi fest:
“It is becoming widely accepted that comity between the courts of different countries requires
mutual respect for the territorial integrity of each other’s jurisdiction, but that this should not
inhibit a court in one jurisdiction from rendering whatever assistance it properly can to a court
in another in respect of assets located or persons resident within the territory of the former.”765
Anknüpfungspunkte sind also die Belegenheit potentieller Vollstreckungsobjekte
sowie die Präsenz des Schuldners in England. Selbst wenn der Wohnsitz des
Schuldners in England liegt, dürfe der Erlass einer wordwide freezing order aber
keinesfalls störend in die ausländische Verfahrensgestaltung eingreifen, so der Court
of Appeal weiter. Wurde im Staat des Hauptsacheverfahrens bereits um eine vergleichbare Maßnahme ersucht und eine solche abgelehnt, so stelle der Erlass einer
worldwide freezing order einen zu weitgehenden Eingriff in die Verfahrenshoheit
des anderen Staates dar. Scheitert eine solche Maßnahme dort allerdings daran, dass
mangels Wohnsitzes des Schuldners keine internationale Zuständigkeit begründet
ist, so sei die international wirkende injunction ein wichtiger Beitrag zur internationalen Justizgewährung. Dies gelte umso mehr dann, wenn im Staat des Hauptsacheverfahrens gar keine Maßnahme mit entsprechender Wirkung vorgesehen sei.766
Im Fall Republic of Haiti v. Duvalier genügte dem Gericht für den Erlass einer
worldwide freezing order samt zugehöriger disclosure order sogar, dass der Vermö-
761 Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968.
762 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988.
763 In CPR 6.20 (4) ist für die Fälle des einstweiligen Rechtsschutzes nach s. 25 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 die Möglichkeit vorgesehen, den verfahrenseinleitenden
Schriftsatz mit Zustimmung des Gerichts ins Ausland zuzustellen.
764 Vgl. zur Auslegung des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982, chapter 27, s. 25 (2) auch
Crédit Suisse Fides Trust S.A. v. Cuoghi [1998] Q.B. 818, 825 – 826 (CA).
765 Crédit Suisse Fides Trust S.A. v. Cuoghi [1998] Q.B. 818, 828 (CA).
766 Crédit Suisse Fides Trust S.A. v. Cuoghi [1998] Q.B. 818, 829 (CA).
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gensverwalter des Schuldners in England weilte. Er verfügte über die entscheidenden Informationen zur Vermögenssituation des Schuldners. Begründet wurde die
eigene internationale Zuständigkeit damit, dass der Schuldner erkennbar die Absicht
hatte, vollstreckbares Vermögen dem Zugriff der Gerichte zu entziehen.767
Mit der worldwide freezing order als Grundverfügung wird regelmäßig auch von
der entsprechenden internationalen Zuständigkeit für eine grenzüberschreitende
ancillary disclosure order ausgegangen. Ein Schuldner oder Dritte können auf diese
Weise verpflichtet werden, Informationen über das Vermögen des Schuldners in und
außerhalb Englands preiszugeben, auch wenn sie sich selbst nicht in England aufhalten. Auf Zweifel eines Offenbarungspflichtigen an der internationalen Zuständigkeit
englischer Gerichte im Falle eines Hauptsacheverfahrens in der Schweiz entgegnete
das Gericht:
“The short answer to this is that the terms of the order will not allow it to be directly enforced
in Switzerland without an order of the Swiss courts.”768
Wenn zur Vollstreckung der Offenbarungsverfügung ein Hoheitsakt des anderen
Staates erforderlich ist, gibt es also aus englischer Sicht keine Zweifel an der eigenen internationalen Zuständigkeit. Die Offenbarungsverfügung zu erlassen, greift
nach ihrer Sicht nicht in die Hoheitsphäre des anderen Staates ein.
Größere Bedenken bestehen in datenschutzrechtlicher Hinsicht. Voraussetzung
für den Erlass einer grenzüberschreitenden ancillary disclosure order ist es deshalb,
dass sich der Antragsteller verpflichtet, die Zustimmung des erlassenden englischen
Gerichts einzuholen, bevor er ein Verfahren im Ausland einleitet und die erlangten
Informationen auf andere Weise als zur Realisierung der freezing order verwertet.769
Zur Begründung wird in der Entscheidung Babanaft International Co. S.A. v. Bassatne näher ausgeführt:
“The disclosure of information is an irreversible step. The only means available to the English
court to control the use made abroad of information disclosed concerning foreign assets is such
control as the English court may have in the circumstances over the plaintiff to whom it has
compelled the defendant to make disclosure. Thus before making a disclosure order in respect
of foreign assets, the court normally will need to be satisfied that, by reason of the plaintiff's
continuing connection with this country or otherwise, the court has over the plaintiff a degree
of control sufficient to ensure compliance with any orders it may make regarding the use of the
information.”770
Im Ergebnis bietet die englische Rechtspraxis also auch aus Sicht eines Gläubigers, der außerhalb Englands gegen seinen Schuldner vorgeht, vielfältige Möglichkeiten, von seinem Schuldner die vollstreckungsnotwendigen Informationen zu
erlangen.
767 Republic of Haiti v. Duvalier [1990] 1 Q.B. 202, 217 (CA)
768 Crédit Suisse Fides Trust S.A. v. Cuoghi [1998] Q.B. 818, 828 (CA).
769 CPR PD 25 Annex, “Freezing Injunction”, “Undertakings Given to the Court by the Applicant”, Schedule B (9), (10).
770 Babanaft Co. S.A. v. Bassatne [1990] Ch. 13, 47 (CA).
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III. Rolle des Europäischen Haftbefehls
Eine weitere interessante Frage ist, wie sich der Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl771 auswirkt, wenn in einem Mitgliedstaat ein Haftbefehl ergangen
ist, der mit der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung in Zusammenhang steht
– sei es in Deutschland zur Erzwingung der Vermögensoffenbarung nach § 901 ZPO
und bei Verdunklungsgefahr als persönlicher Arrest nach §§ 918, 933 ZPO oder in
England, wo die Inhaftierung des Schuldners im Rahmen eines contempt of court-
Verfahrens angeordnet werden kann.772 In manchen Fällen wird ein Schuldner versuchen, sich der Vollziehung des Haftbefehls zu entziehen, indem er sich ins Ausland absetzt. Sind andere Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses
über den Europäischen Haftbefehl verpflichtet, ihn festzunehmen und den deutschen
beziehungsweise englischen Behörden zu übergeben? Die Frage entscheidet sich
danach, welche Arten von Haftbefehlen in den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses fallen. Aus Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses773 wird deutlich, dass nur
Freiheitsstrafen und Maßregeln der Sicherung erfasst werden, nicht aber die Beugeoder Sicherungshaft im Dienste der Zwangsvollstreckung. Damit spielt der Europäische Haftbefehl keine Rolle für die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung.
B. Grenzüberschreitende Zwangsvollstreckungsverfahren
Neben den Zwangsvollstreckungsverfahren mit Auslandsbezug, die einheitlich in
einem Vollstreckungsstaat betrieben werden, gibt es auch Konstellationen der
grenzüberschreitenden Zwangsvollstreckung, bei denen die Verfahrensschritte zur
Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers über verschiedene Staaten verteilt sind.
Eine solche Situation ergibt sich in aller Regel nur, wenn in eine Forderung vollstreckt werden soll.
771 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die
Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI).
772 Siehe oben S. 80, 88 (England), S. 75, 95 (Deutschland).
773 Artikel 2 – Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls
(1) Ein Europäischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht
sind, oder im Falle einer Verurteilung zu einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der
Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt.
(2) […].
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Ein vollstreckbarer Titel in der Tasche und doch kein Erfolg – oft scheitert die Vollstreckung daran, dass der Schuldner Vermögen ins Ausland verschoben oder sonst verschleiert hat. Aus rechtsvergleichender Sicht zeigt die Autorin, wie die Suche nach Vollstreckungsgütern, die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, gestaltet werden kann. Wie weit reichen staatliche Pflichten und wie weit die Eigenverantwortung der Gläubiger, sich präventiv abzusichern? Gerade über die Grenzen zu anderen europäischen Staaten hinweg ergeben sich Schwierigkeiten.
Das Werk zeigt auf, welche Wege im Zusammenspiel des internationalen, europäischen und nationalen Rechts in Deutschland, Frankreich und England beschritten werden können.