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Der einzige aus dem Grünbuch ersichtliche Weg, das neue Instrument zur Sachaufklärung einzusetzen, bestünde darin, die vorläufige Pfändung auf Verdacht zu
beantragen. Angedacht ist nämlich eine Pflicht der Banken, den Gläubiger oder die
Vollstreckungsbehörden darüber in Kenntnis zu setzen, ob und in welcher Höhe die
fälligen Beträge durch die Sperrung einbehalten werden konnten. Darin läge gleichzeitig die Bestätigung, dass dort tatsächlich Vermögensmasse des (zukünftigen)
Vollstreckungsschuldners vorhanden ist. Da die vorläufige Pfändung eine Eilmaßnahme ist, wird es im Grünbuch als ausreichend angesehen, dass der Antragsteller
seinen Anspruch und die Kontoinhaberschaft des Schuldners glaubhaft macht. Im
internationalen Zusammenhang – immerhin kommen Banken im gesamten Gebiet
aller EU-Mitgliedstaaten in Betracht – ist die Hürde der Glaubhaftmachung allerdings nur mit einem gewissen Vorwissen zu bewerkstelligen. Außerdem muss das
Risiko abgewogen werden, das aus einer Sicherheitsleistung für die vorläufige Pfändung als einstweilige Maßnahme resultiert. Wie jede Verdachtspfändung ist auch die
vorläufige Pfändung im Sinne des Grünbuchs lediglich ein sekundäres Sachaufklärungsmittel und kann nur der Verifizierung beziehungsweise Realisierung eines
bereits vorhandenen Vorwissens dienen.
B. Bedeutung völkerrechtlicher Regelungen
Mangels gemeinschaftsrechtlicher Regelungen für die Sachaufklärung in der
Zwangsvollstreckung mit Auslandsbezug kommen zwischen den Mitgliedstaaten die
allgemeinen völkerrechtlichen Rechtssätze zur Anwendung.
Im Bereich der Zwangsvollstreckung gibt es allerdings nur sehr wenige Abkommen über Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen.718 Das Verfahren
der Vollstreckung wird dabei in den meisten Fällen gar nicht berührt. Die Sachaufklärung als Teilaspekt des Vollstreckungsverfahrens wurde von den Staaten nirgends gesondert bedacht.
Es liegt daher zunächst einmal der Gedanke nahe, das so genannte Haager Beweisübereinkommen von 1970719 zur Anwendung zu bringen. Es dient nach der
Definition des Anwendungsbereichs in seinem Art. 1 Abs. 1 der Beweisaufnahme
oder anderen gerichtlichen Handlungen. Schon an dieser Stelle können Zweifel
daran aufkeimen, ob die Sachaufklärung eine andere gerichtliche Handlung im Sinne des Übereinkommens sein kann. Der dritte Absatz deselben Artikels bestimmt
dann aber ausdrücklich, dass keine Maßnahmen der Sicherung und Vollstreckung
718 Neben den allgemeinen und besonderen (vor allem zum Unterhalts- und Sorgerecht, aber
auch Straßenverkehr und Kernenergie) multilateralen Übereinkommen der Haager Konferenz
gibt es auch einige, vor allem allgemeine bilaterale Übereinkommen im Bereich der Zwangsvollstreckung. Vgl. dazu Nagel/Gottwald, § 13 Rn. 2 ff.
719 Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen
vom 18.3.1970
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umfasst sind. Damit können Maßnahmen zur Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung nicht auf der Grundlage des Übereinkommens vorgenommen werden.
Da das Völkerrecht außerhalb der Staatsverträge auch keine allgemeine Pflicht
zur Rechtshilfe auferlegt,720 gibt es keine völkerrechtlichen Regelungen, die auf die
Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung Anwendung finden können.
C. Ergebnis – Maßgeblichkeit der mitgliedstaatlichen lex fori
Mangels supranationaler – völkerrechtlicher wie gemeinschaftsrechtlicher – Regelungen für die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung mit Auslandsbezug ist
die jeweilige nationale lex fori maßgeblich.
Das bedeutet, dass jeder Staat sein nationales Recht anwendet und danach bestimmt, in welcher Zuständigkeit und nach welchem Verfahrensrecht in Fällen mit
Auslandsberührung vorgegangen werden soll. Die entsprechenden Regelungen finden sich jeweils im so genannten Internationalen Prozessrecht beziehungsweise
Internationalen Zwangsvollstreckungsrecht der einzelnen Staaten.
Häufig sind die Fälle mit Auslandsbezug im zwangsvollstreckungsrechtlichen Bereich, zumindest in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt und werden durch entsprechende Anwendung nationaler
Zuständigkeitsregeln gelöst.
Kapitel 3 – Internationales Zwangsvollstreckungsrecht der einzelnen Staaten
A. Zwangsvollstreckungsverfahren im Vollstreckungsstaat unter seiner lex fori
Dass nach geltendem Recht jeder Vollstreckungsstaat das Verfahren auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug nach seiner lex fori durchführt, schließt nicht aus, dass
es Sonderregelungen oder -anwendungen für Fälle mit Auslandsberührung gibt.
Denkbar ist im Rahmen der Sachaufklärung, dass sich Maßnahmen zur Informationsgewinnung aus dem Inland nach dessen lex fori inhaltlich auch auf Vermögensgüter erstrecken, die im Ausland belegen sind (Teil I.). Außerdem mag es seltene
Fälle geben, in denen Aufklärungsmaßnahmen eines anderen Staates durch den
Gläubiger in Anspruch genommen werden können, obwohl ein Verfahren nur im
Vollstreckungsstaat anhängig ist (Teil II.) – zu denken ist hierbei vor allem an eine
englische world wide freezing order. Sie kann nicht nur der Sicherung der Vollstreckung dienen, indem die liquiden Mittel dem Zugriff des Schuldners entzogen werden. Es ist in bestimmten Konstellationen darüber hinaus möglich, sie zur Sachaufklärung mit einer disclosure order zu flankieren.
720 Vgl. Reinhold Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3635.
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References
Zusammenfassung
Ein vollstreckbarer Titel in der Tasche und doch kein Erfolg – oft scheitert die Vollstreckung daran, dass der Schuldner Vermögen ins Ausland verschoben oder sonst verschleiert hat. Aus rechtsvergleichender Sicht zeigt die Autorin, wie die Suche nach Vollstreckungsgütern, die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, gestaltet werden kann. Wie weit reichen staatliche Pflichten und wie weit die Eigenverantwortung der Gläubiger, sich präventiv abzusichern? Gerade über die Grenzen zu anderen europäischen Staaten hinweg ergeben sich Schwierigkeiten.
Das Werk zeigt auf, welche Wege im Zusammenspiel des internationalen, europäischen und nationalen Rechts in Deutschland, Frankreich und England beschritten werden können.