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Teil 2 – Die Sachaufklärung mit Auslandsbezug
Zusätzliche tatsächliche und rechtliche Herausforderungen ergeben sich, wenn die
Sachaufklärung Bezüge zum Ausland aufweist. Denkbar ist das auf zweierlei Art:
Wenn das Vollstreckungsverfahren selbst zunächst keine internationalen Bezüge
aufweist und auf Deutschland begrenzt ist, kann dennoch der Verdacht bestehen,
dass sich Vollstreckungsobjekte des Schuldners, die für die Befriedigung des Gläubigers von Nöten sind, im Ausland befinden. In einem solchen Fall entsteht der
Auslandsbezug erst mit der Sachaufklärung. Diese Konstellation ist der praktische
Regelfall.
Darüber hinaus kann es vorkommen, dass die Vollstreckung in ihren Voraussetzungen oder bei ihrer Durchführung von vornherein nicht auf Deutschland begrenzt
ist. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein ausländischer Titel vollstreckt
werden soll; oder wenn sich bei einer Forderungspfändung der Vollstreckungsschuldner oder der Drittschuldner im Ausland befinden. Besteht von vornherein ein
Auslandsbezug, muss sich dieser nicht zwingend auf die Sachaufklärung auswirken.
Hier können sich vermögensrechtliche Implikationen internationaler Art ergeben,
müssen aber nicht.
Der Übersichtlichkeit halber ist die folgende Darstellung der Sachaufklärung mit
Auslandsbezug deshalb zunächst nach Rechtsquellen gegliedert, erst in zweiter Linie
sollen verschiedene Fallkonstellationen behandelt werden.
Kapitel 1 – Einführung: Territorialitätsprinzip und Zwangsvollstreckung
Die Ausführung einer Zwangsmaßnahme durch staatliche Organe bedeutet stets
auch, dass hoheitliche Gewalt ausgeübt wird. Bei Auslandsberührung sind solche
Maßnahmen deshalb geeignet, die Souveränität eines anderen Staates zu verletzen.670 Da es – gerade vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Öffnung – nicht im
Sinne der nationalen Rechtsordnungen ist, jegliche Auslandsberührung vermeiden
zu müssen und deshalb in vielen Fällen das gesteckte Verfahrensziel zu verfehlen,
ist es erforderlich, die gegenseitigen Souveränitätsgrenzen abzustecken und Maßnahmen mit Auslandsberührung auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Dies ist
Aufgabe einer internationalen Zuständigkeitsordnung.
Die Verteilung der internationalen Zuständigkeit zur Zwangsvollstreckung wäre
an sich Aufgabe des Völkerrechts. Das Völkerrecht enthält aber keine entsprechenden Rechtssätze – weder ausdrücklich noch indirekt. Der jeweiligen staatlichen
670 Vgl. auch Ewald Geimer, Internationale Beweisaufnahme, S. 11 ff.
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Gesetzgebung werden jedoch bei der Bestimmung ihrer internationalen Zuständigkeit im Prozessrecht äußerste Grenzen gesetzt.671 Aus dem völkergewohnheitsrechtlichen Souveränitätsgrundsatz resultiert die Territorialität der staatlichen Zwangsgewalt, die so genannte jurisdiction to enforce.672 Die zwangsweise Durchsetzung
titulierter Ansprüche ist daher auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt. Die einzelnen Staaten sind dabei frei, auf ihrem Staatsgebiet die Gerichtsbarkeit über alle
Personen und Sachverhalte auszuüben.673 Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit herrscht jedoch nach verbreiteter Ansicht der völkerrechtliche Grundsatz,
dass ein Staat dann nicht tätig werden darf, wenn jeglicher Anknüpfungsmoment
zum Fall fehlt.674 Für das Zwangsvollstreckungsverfahren liegt dieser Anknüpfungspunkt – dem Grundsatz der Territorialität folgend – in der Belegenheit des Vollstreckungsgegenstands. Vollstreckungsmaßnahmen in Gegenstände, die im Hoheitsgebiet eines anderen Staates belegen sind, fallen demnach ausschließlich in die Zuständigkeit des anderen Staates.675 In diesen Fällen bliebe nur der Weg der
Rechtshilfe. Der andere Staat müsste darum ersucht werden, den entsprechenden
Akt selbst vorzunehmen. Die Rechtshilfe ist Teil der so genannten courtoisie internationale oder auch comity. Der ersuchte Staat ist nach diesem völkerrechtlichen
Grundsatz jedoch nicht verpflichtet, einem Rechtshilfeersuchen außerhalb europäischer Regelungen und Staatsverträgen nachzukommen.676 Nach überwiegender
Ansicht kann Rechtshilfe nur in Ausnahmefällen verlangt werden.677
Auch wenn die Suche nach Vollstreckungsgegenständen eine Maßnahme der
Zwangsvollstreckung ist, die bisweilen mit der vollstreckungstypischen Zwangsaus-
übung verbunden ist, gleicht sie in ihrer grenzüberschreitenden Gestalt der Beweisaufnahme im Erkenntnisverfahren. Die Belegenheit eines Vollstreckungsgegenstands ist bei primären Maßnahmen der Sachaufklärung im Gegensatz zu den
Zugriffsakten der Zwangsvollstreckung gerade Gegenstand des Verfahrens. Häufig
liegt bis auf mehr oder weniger konkretisierte Anhaltspunkte noch im Dunkeln, ob
und wo Vollstreckungsgegenstände vorhanden sind.
So kann – ähnlich wie bei der Beweisaufnahme im Erkenntnisverfahren678 – die
Auslandsberührung auch bei Maßnahmen der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung in ganz unterschiedlicher Intensität auftreten. Werden die Vermögensdaten durch die Organe des anderen (ersuchten) Staates auf dessen Hoheitsgebiet erhoben, so birgt das vergleichsweise wenig souveränitätsverletzendes Potential. Ein
Staat droht weit mehr, seine Hoheitsrechte zu überdehnen, wenn er eine extraterrito-
671 Vgl. Mössle, S. 23.
672 Vgl. Mössle, S. 25 ff.; Reinhold Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 3200.
673 Vgl. Pfeiffer, S. 25.
674 So Pfeiffer, S. 26.
675 Vgl. Reinhold Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 405.
676 Vgl. Nagel/Gottwald, § 6 Rn. 15.
677 Vgl. Stürner in JZ 1987, S. 989.
678 Zu den parallelen Fragestellungen bei der Beweisaufnahme im Erkenntnisverfahren Stürner
in JZ 1987, S. 989.
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riale Datenerhebung durchführt. So könnte eine zu vernehmende Person, beispielsweise ein Dritter mit Bezug zum Vermögen des Schuldners, in den Staat des anhängigen Verfahrens geladen werden oder Urkunden wie zum Beispiel Kontoauszüge
oder ein Bankbuch aus dem Ausland herbeigeschafft werden – eventuell sogar unter
Androhung von Zwang. Als dritte Möglichkeit ist vorstellbar, dass Organe des
Zwangsvollstreckungsverfahrens auf das Gebiet eines anderen Staates reisen und
dort selbst die Daten über das Vermögen des Schuldners erheben. Die Gefahr, in
einen fremden Souveränitätsbereich einzudringen, ist in dieser Variante manifest.
Welcher dieser Wege vorrangig beschritten werden muss, war auf dem Gebiet der
Beweisaufnahme in den Achtzigerjahren sehr umstritten. Den Anlass zur Diskussion
bot die US-amerikanische Gerichtspraxis, die häufig die zeitaufwändige Inanspruchnahme internationaler Rechtshilfe auf der Grundlage des so genannten Haager
Beweisabkommens679 durch extraterritoriale Beweisbeschaffung zu umgehen suchte.680 Innerhalb des europäischen Rechtsraums stellt sich diese Frage – zumindest
auf dem Gebiet der Beweisaufnahme – nicht. Die so genannte Europäische Beweisverordnung regelt, wie bei Beweisaufnahmen mit Auslandsberührung vorzugehen
ist.681 Ob diese oder andere Verordnungen jedoch auf die zwangsvollstreckungsrechtliche Sachaufklärung Anwendung finden können oder ob sich die Maßnahmen
in einem nicht regulierten Raum bewegen, wird näher zu untersuchen sein.
Aber nicht nur das Ob, sondern auch das Wie internationaler Rechtshilfe ist bisweilen schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Schwierigkeiten resultieren aus einem häufig unterschiedlichen Verständnis der Rechtsordnungen von einem
Verfahren in Zivilsachen. Die Art und Intensität der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung hängt davon ab, wie stark die jeweilige Rechtsordnung Parteiherrschaft und -obliegenheit im Vergleich zur Amtspflicht der Vollstreckungsorgane
gewichtet. Während beispielsweise die Befragung des Schuldners nach englischem
Recht durch den Gläubiger trotz Anwesenheit eines Richters nicht als hoheitliches
Handeln verstanden wird, liegt die Sachaufklärung im französischen Recht, die in
ihrem Umfang gesetzlich genau festgelegt ist, ohne Beteiligung der Vollstreckungsparteien in der Hand der Staatsanwaltschaft.682
Zudem wird vor allem die Frage, ob im Rahmen der Sachaufklärung auf die Person des Schuldners zugegriffen werden darf, bereits in den drei hier untersuchten
Rechtsordnungen sehr unterschiedlich bewertet. Während französische Juristen
personalexekutorische Maßnahmen als unvereinbar mit den Grundlagen ihrer
Rechtsordnung einstufen, stützt sich die Sachaufklärung nach englischem Recht in
weiten Teilen auf eben diese Elemente.683 Dass entsprechende Maßnahmen mit der
679 Siehe näher zu diesem Abkommen ab S. 202.
680 Vgl. Stürner in JZ 1987, S. 988 ff.
681 Siehe näher zu dieser Verordnung ab S. 196.
682 Vgl. dazu oben S. 146.
683 Vgl. dazu oben S. 141.
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Hoheitsgewalt des jeweils anderen Staates vorgenommen werden, ist deshalb zunächst einmal schwer vorstellbar – Rechtshilfe wird grundsätzlich nach der lex fori
des ersuchten Gerichts vorgenommen.684
Die folgende nähere Untersuchung der Sachaufklärung mit Auslandsbezug soll
sich in Fortsetzung des ersten Teils der Untersuchung auf den europäischen Rechtsraum beschränken – ausgehend vom deutschen, französischen und englischen Recht.
Auf dem Gebeit der Europäischen Union sind die völkerrechtlichen Grundsätze
der zwischenstaatlichen Interaktionen in weiten Bereichen nicht mehr maßgeblich
und kommen nur in Zweifelsfällen als Auslegungsmaßstab und bei Regelungslücken
als Entscheidungsgrundlage zur Anwendung. Nachdem die Mitgliedstaaten die entsprechenden Hoheitsrechte übertragen hatten, entwickelte sich eine von ihrer völkerrechtlichen Grundlage verselbständigte europäische Rechtsordnung. Mittlerweile
weist sie auch im Bereich der Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen eine
beträchtliche, wenn auch nicht umfassende Regelungsdichte auf.
Kapitel 2 – Der europäische Rechtsraum für Vollstreckungsverfahren mit
Auslandsbezug
A. Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen in der Europäischen
Union
Im europäischen Rechtsraum wurden originär europarechtliche Regelwerke geschaffen, die eine Zusammenarbeit zwischen den justiziellen Institutionen der einzelnen
Mitgliedstaaten in Zivil- und Handelssachen ermöglichen und erleichtern sollen.
Auch wenn die Zwangsvollstreckung nicht im Fokus der Rechtsetzung nach
Art. 65 EG steht, so scheint sie allmählich doch ins nähere Blickfeld der Kommission zu rücken.685 Die Natur der Sachaufklärung liegt aber nicht nur in ihrer Eigenschaft als Teil des Zwangsvollstreckungsverfahrens begründet. Ziel der Sachaufklä-
684 Vgl. Nagel/Gottwald, § 6 Rn. 21.
685 Neben der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom
22.12.2000 ist hier in neuerer Zeit vor allem die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 21. April
2004 zu nennen. Die in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden danach im Gegensatz zum Verfahren nach der erstgenannten Verordnung ohne Exequaturverfahren anerkannt und vollstreckt. Das jüngste Vorhaben zur Effektivierung der Vollstreckung
von Urteilen in der Europäischen Union ist im Grünbuch zur vorläufigen Kontenpfändung
vom 24.10.2006 niedergelegt (KOM(2006) 618 endgültig). Darin wird angedacht, den
Schuldner durch eine vorläufige Pfändung schon während des Erkenntnisverfahrens daran zu
hindern, Vollstreckungsmasse von seinem Konto aus zu verschieben und damit zu verschleiern. Seiner Konzeption nach handelt es sich um ein Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes.
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References
Zusammenfassung
Ein vollstreckbarer Titel in der Tasche und doch kein Erfolg – oft scheitert die Vollstreckung daran, dass der Schuldner Vermögen ins Ausland verschoben oder sonst verschleiert hat. Aus rechtsvergleichender Sicht zeigt die Autorin, wie die Suche nach Vollstreckungsgütern, die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, gestaltet werden kann. Wie weit reichen staatliche Pflichten und wie weit die Eigenverantwortung der Gläubiger, sich präventiv abzusichern? Gerade über die Grenzen zu anderen europäischen Staaten hinweg ergeben sich Schwierigkeiten.
Das Werk zeigt auf, welche Wege im Zusammenspiel des internationalen, europäischen und nationalen Rechts in Deutschland, Frankreich und England beschritten werden können.