164
im Sinne des Betrugstatbestands besteht in aller Regel nur dann, wenn kein
Leistungsverweigerungsrecht den in seiner Bonität beeinträchtigten Gegenanspruch
wirtschaftlich sichert.588 Unter diesen Umständen wird es allerdings auch nur selten
zu einer Vollstreckungssituation kommen. Es besteht hingegen ein sehr großes öffentliches Interesse an Rechtsdurchsetzung und Rechtsbewährung und damit an
einem effektiven und funktionierenden Zwangsvollstreckungsverfahren als Institution, die ihren festen Platz in der Geschäfts- und Konsumwelt hat.
Es ist weiterhin auch nicht Aufgabe des Zwangsvollstreckungsrechts, der allgemeinen Verbraucherüberschuldung entgegenzuwirken. Verbraucher bei der Vergabe
von Krediten und bei Ratenzahlungsgeschäften zu schützen, ist Aufgabe des materiellen Rechts. Durch die Einführung von Aufklärungspflichten und durch Formerfordernisse wird bereits im geltenden Recht einer zu hohen Verschuldung entgegengewirkt.
Ein dritter und wesentlicher Kritikpunkt gegen die ökonomische Analyse des
Rechts ist ihr Verhältnis zu den Normen des Grundgesetzes. Aus rechtsökonomischer Sicht gehört die Herstellung von Allokationseffizienz zu den wesentlichen
Forderungen an eine Rechtsordnung. Damit läuft die Analyse dem individualistischen Ansatz der verfassungsrechtlichen Grundrechtsgewährleistung zuwider. Nach
diesem Maßstab muss nämlich angestrebt werden, mit einer gesetzlichen Regelung
einen bestmöglichen Ausgleich verschiedener Individualrechte zu finden, und nicht
zuvorderst den größtmöglichen volkswirtschaftlichen Nutzen zu erreichen.
Am Ende steht jedoch keine völlige Unverträglichkeit beider Ansätze. Die Vertreter der ökonomischen Analyse gestehen zu, „dass es notwendig sein kann, Effizienzverluste zur Erreichung höherwertiger Ziele in Kauf zu nehmen.“589 Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit stellt ihrerseits auch nur ein Rahmen dar, der mit
inhaltlichen Argumenten gefüllt werden muss.
Im Ergebnis ist es daher sinnvoll, die Erwägungen der ökonomischen Analyse des
Rechts innerhalb des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums zur Anwendung
zu bringen. Ausgangsmaßstab bleibt allerdings das Verfassungsrecht.
D. Verfassungsrechtliche Koordinaten der Sachaufklärung
Nach Art. 1 Abs.3 GG ist der Gesetzgeber an die Grundrechte gebunden. Wie sich
diese Bindung im Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts konkretisiert, ist jedoch
umstritten. Bestimmend für die zwangsweise Durchsetzung eines Anspruchs ist das
Vollstreckungsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner auf horizontaler Ebene,
der Staat fungiert dabei als Vertreter des Gewaltmonopols und verfolgt über das
Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege hinaus keine eigenen Belange.590
Im Folgenden wird untersucht werden, wodurch und wieweit das gesetzgeberische
588 Vgl. Schönke/Schröder/Cramer/Perron, § 263 Rn. 132.
589 Vgl. Schäfer/Ott, S. 6.
590 Vgl. Schilken in Osnabrücker Rechtswiss. Abhandlungen 1991, S. 309.
165
Ermessen in diesem Gefüge durch verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden sein
kann.
I. Grundrechtlicher Vollstreckungsanspruch des Gläubigers
Das gesetzgeberische Ermessen kann nicht nur durch ein eventuelles Übermaßverbot zu Gunsten des Schuldners eingeschränkt werden. Dem stehen die staatlichen
Pflichten gegenüber dem Gläubiger diametral gegenüber. Eine solche Begrenzung
durch Schutzpflichten wird häufig – dem Bundesverfassungsgericht folgend – durch
die nicht unumstrittene Bezeichnung als Untermaßverbot charakterisiert.591 Auf
welche Pflichten lässt sich dies stützen? Wie die rechtsvergleichende Untersuchung
gezeigt hat, ist ein Zwangsvollstreckungsverfahren erst dann insgesamt effektiv,
wenn es um wirkungsvolle Möglichkeiten zur Sachaufklärung ergänzt wird. Daraus
erwächst die Frage, ob dem Gläubiger beziehungsweise bereits dem potentiellen
Gläubiger ein Anspruch zusteht, ein wirkungsvolles Regelwerk zur Sachaufklärung
in der Zwangsvollstreckung vorzufinden.
Durch Art. 14 Abs.1 S. 1 GG werden seine Forderungsrechte grundrechtlich geschützt. Die Gewährleistung als Bestandsgarantie gegen Dritte wirkt sich auch auf
das zugehörige Verfahren aus. Auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips wird
Art. 19 Abs.4 GG im Rahmen des Zivilrechtsstreits in Verbindung mit Art. 14 GG
um einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ergänzt. Die Zwangsvollstreckung
schließt sich an den Rechtsschutzgedanken des Erkenntnisverfahrens unmittelbar an.
Die Justizgewährungspflicht des Staates ist mit dem Erlass eines Urteils noch nicht
erschöpft.592 Ohne die Möglichkeit, diese Entscheidung auch zwangsweise durchsetzen zu können, wäre der gebotene Rechtsschutz stark verkürzt und damit ineffektiv.
Hinzu kommt, dass in dem Maße, in dem im Interesse des Rechtsfriedens die
Selbsthilfe beschränkt wird, der Einzelne zur Durchsetzung seiner Rechte auf obrigkeitliche Hilfe angewiesen ist. Die Zwangsvollstreckung unterliegt dem staatlichen
Zwangsmonopol, spiegelbildlich dazu hat der Gläubiger einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass ihm der Staat bei der Verwirklichung seiner Ansprüche
beisteht. Der Anspruch des Gläubigers, Kenntnis über die Vermögensverhältnisse
des Schuldners zu erlangen, um einen effektiven Vollstreckungszugriff zu ermöglichen, ist Bestandteil des Justizgewährungsanspruchs in seiner Ausprägung als allgemeiner Vollstreckungsanspruch.593 Der Anspruch auf effektive Verfahrensgestaltung kann dem Gläubiger in verschiedenen Ausprägungen nicht nur gegenüber der
Exekutive und der Judikative zustehen, sondern gerade auch gegenüber der Legislative.594
591 BVerfGE 88, 203, 254 ff.
592 Vgl. Brüggemann, S. 459.
593 Vgl. Gaul in ZZP 1995, S. 22; MüKo/Eickmann, § 807 Rn. 1.
594 Zur Verfahrensgarantie und Art. 14 GG: Maunz/Dürig/Papier, Art. 14 Rn. 43-46.
166
Die Position des Gläubigers im Rahmen der Sachaufklärung wird auch dadurch
gestützt, dass ihm für das gesamte Zwangsvollstreckungsverfahren die Position als
Herr des Verfahrens beigemessen wird. Ihm wird grundsätzlich freie Disposition
über Vollstreckungsart und Vollstreckungsgegenstand eingeräumt. Dieses so genannte Prinzip des freien Vollstreckungszugriffs ist in Deutschland wesentlicher
Ausgangspunkt für das gesamte Zwangsvollstreckungsverfahren.595 Die Entscheidung des Gläubigers über vollstreckungsrechtliche Maßnahmen setzt aber die
Kenntnis der dafür erheblichen Tatsachen voraus. Andernfalls wäre die Dispositionsmaxime zu weiten Teilen bloße Makulatur.
II. Grundrechtspositionen des Schuldners
Dass die Grundrechte auch dem Zwangsvollstreckungsrecht Schranken setzen, wird
von niemandem mehr in Zweifel gezogen. Zwischen dem Vollstreckungsschuldner
und dem Staat entsteht durch den staatlichen Zwangszugriff ein verfassungsrechtliches Eingriffsverhältnis. Bei diesem Verhältnis muss jedoch die Besonderheit berücksichtigt werden, dass der Staat nicht in eigener Sache als unmittelbar Beteiligter
handelt, sondern vielmehr als neutraler Dritter zur Durchsetzung des Gläubigerrechts tätig wird. Die eigentlich öffentlich-rechtliche Zwangsvollstreckung weist
insofern eine Sachnähe zum Privatrecht auf.
Durch die Sachaufklärung berührt wird vor allem das durch Art. 2 Abs.1,
1 Abs.1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schuldners in seiner
Ausprägung als informationelle Selbstbestimmung, 596 das auch die persönlichen
wirtschaftlichen Verhältnisse des einzelnen umfasst.597 Hinzu kommt gegebenenfalls
bei einer Wohnungsdurchsuchung auch die Unverletzlichkeit der Wohnung,
Art. 13GG, und bei der Anordnung und Durchführung einer Beugehaft sogar seine
Fortbewegungsfreiheit, Art. 2 Abs.2 S. 2 GG. Die zwangsvollstreckungsprozessuale
Aufklärungspflicht durch die Anfertigung eines Vermögensverzeichnisses und andere Erforschungsmaßnahmen besitzen sowohl nach dem engen klassischen als auch
nach dem weiteren so genannten modernen Eingriffsverständnis, nach dem der
Zugriff nicht final sein muss,598 die Qualität von staatlichen Eingriffen.
III. Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu Gunsten des Schuldners?
Vor diesem Hintergrund stellt sich die für die gesetzliche Gestaltung wichtige Frage,
ob das Zwangsvollstreckungsrecht auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
genügen muss. Angesichts der Besonderheiten im Stadium der Vollstreckung kann
595 Siehe oben S. 37.
596 Vgl. dazu Limberger in DGVZ 1985, S. 180 ff.
597 BVerfGE 77, 121, 125.
598 Vgl. Sachs, vor Art.1 Rn. 83.
167
diese Frage nicht ohne weiteres beantwortet werden und bedarf kritischer Auseinandersetzung.
Besonders in den Achtzigerjahren konzentrierten sich die Diskussionen zum Verhältnis von Vollstreckungs- und Verfassungsrecht auf den Topos der Verhältnismä-
ßigkeit. Anlass war vor allem eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von
1978.599 Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Vollstreckungsgläubiger wegen einer Forderung über damals 910,51 DM die Zwangsversteigerung in ein
Grundstück betrieben, ohne zuvor eine Mobiliar- oder Forderungspfändung versucht
zu haben. Gleichzeitig gab es materiellrechtliche Zweifel an der der Forderung. In
einem Sondervotum plädierte der Richter am Bundesverfassungsgericht Böhmer
unter Rückgriff auf materiellrechtliche Aspekte für die konsequente Anwendung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung und forderte die Einführung einer Exekutionsrangfolge.600 Seine Forderung traf allerdings in ihrer Kompromisslosigkeit nicht auf Zustimmung.
Mittlerweile scheint sich eine Tendenz hin zur weitgehenden Konstitutionalisierung der Zwangsvollstreckung gefestigt zu haben. Das mag aber auch daher rühren,
dass Autoren in vielen Fällen von der Ausübung staatlicher Hoheitsbefugnis in der
Zwangsvollstreckung direkt auf eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter schließen, ohne dabei dem besonderen Kräfteverhältnis der
Zwangsvollstreckung Beachtung zu schenken.
Die grundrechtlichen Aspekte, die hinter dem materiellrechtlichen Anspruch stehen, bleiben jedoch nach allgemeiner Meinung im Zwangsvollstreckungsrecht außen
vor. Die Ansicht Böhmers konnte sich insoweit nicht durchsetzen. Überwiegend
anerkannt wird ausschließlich die Relevanz originär zwangsvollstreckungsrechtlicher Kollisionslagen.
1. Gesetzgeber als nach Art. 1 Abs.3 GG Grundrechtsverpflichteter und damit
Adressat des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes?
Die Zwangsvollstreckung ist die Fortsetzung des privatrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner. Der Staat greift nur auf der Grundlage seines
Gewaltmonopols ein, um die im Erkenntnisverfahren (meist rechtskräftig) festgestellte Forderung mit hoheitlichen Zwangsmitteln zu vollstrecken. Mangels Selbsthilferecht ist dem Gläubiger die zwangsweise Durchsetzung seiner Forderung nicht
möglich. Einige Autoren sehen in der Zwangsvollstreckung ein staatsdistanziertes,
ausschließlich horizontales Zusammenwirken von Gläubiger und Schuldner.601 Es
599 BVerfGE 49, 220.
600 BVerfGE 49, 220, 228 ff.
601 Diese Auffassung vertritt allen voran Henckel, der allerdings zwischen Normen, die wie der
Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung der Begrenzung staatlicher Zwangsmittel dienen, und den Normen, die ausschließlich auf die Abgenzung von Privatrechten zwischen
168
stehen sich aber nicht zwei Rechtssubjekte im Privatrechtsverkehr frei verantwortlich gegenüber, es wird zu Gunsten der Gläubigerpartei aufgrund staatlicher Hoheits- und Zwangsgewalt in Rechte der anderen Partei eingegriffen. Damit gehört
das Zwangsvollstreckungsrecht dem öffentlichen Recht an. Das wird im Grundsatz
auch von denen nicht bestritten, die die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes letztlich verneinen. Der Fokus darf allerdings auch nicht nur auf ein
Eingriffsverhältnis zwischen dem Staat und dem Vollstreckungsschuldner gerichtet
werden. Um den Einfluss des Verfassungsrechts genau zu bestimmen, bedarf es
eines differenzierteren MaßstAbs. Denn jede Einschränkung in diesem Bereich wirkt
sich direkt auf das Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger aus und führt letztlich unmittelbar zu einer Einschränkung für den Vollstreckungszugriff des Gläubigers.602 Der Grundsatz, dass eine unmittelbare Wirkung der Grundrechte zwischen
Privaten nicht existiert, kann andererseits aber nicht dazu führen, den Gesetzgeber
von seiner Grundrechtsbindung freizusprechen. Der Staat leitet seine Zwangsgewalt
in der Vollstreckung nicht aus der privatrechtlichen Rechtsstellung des Gläubigers
ab, sondern aus seiner hoheitsrechtlichen Position. Diese kann er nicht losgelöst von
den zwingend verknüpften verfassungsrechtlichen Bindungen ausüben. Zwar besteht
kein klassisches Eingriffsverhältnis zwischen Bürger und Staat, wohl aber eine atypische Konstellation grundrechtlicher Drittwirkung zwischen Vollstreckungsgläubiger und -schuldner.
Auch im Vollstreckungsrecht ergibt sich daher der gesetzgeberische Ermessensspielraum im Zusammenspiel aus Unter- und Übermaßverbot. Da der Vollstreckungsanspruch des Gläubigers aber im Vordergrund steht, kommt dem so genannten Untermaßverbot sehr großes Gewicht zu. Das Übermaßverbot wird in der Regel
kein sehr hohes Maß erreichen.
An die Geeignetheit einer Maßnahme werden allgemein geringe Anforderungen
gestellt, die Beurteilung hat ex ante zu erfolgen. Das gewählte Mittel ist bereits dann
geeignet, wenn es zur Erreichung des konkreten Zwecks grundsätzlich tauglich ist.
Auch eine Teileignung wird als ausreichend angesehen.603
Dass eine Maßnahme an der Erforderlichkeit scheitert, bedarf einer milderen, jedoch gleich wirksamen Alternative. Eine Regelung bleibt damit erforderlich, selbst
wenn mit erheblich milderem Mittel dieselben Zwecke geringfügig weniger wirksam erreicht werden können oder wenn mit der Alternative nur fast alle Zwecke
gleich gut erreicht würden.604 Es folgt daraus also – entgegen der Auffassung Böhmers605 – gerade keine festgesetzte Vollstreckungsreihenfolge, die freie Wahl der
Vollstreckungsmittel ist nicht von vornherein ausgeschlossen.
Vollstreckungsgläubiger und -schuldner abzielen, unterscheidet, vgl. Henckel, S. 350 ff.;
desweiteren Jauernig, § 1 X; Gaul in JZ 1974, S. 284 f.
602 So auch Henckel, S. 356.
603 Vgl. Sachs, Art. 20 Rn. 150.
604 Vgl. Michael in Jus 2001, S. 148.
605 Siehe oben S. 167.
169
Ein solcher gradus executionis hätte allgemein und damit auch für die Sachaufklärung zur Folge, dass von einem System der Gläubigerherrschaft, also von einem
parteiwegig betriebenen Verfahren, zu einer amtswegigen Leitung übergegangen
werden müsste, in dem ein staatliches Organ den Gang der Zwangsvollstreckung
bestimmt. Der freie Vollstreckungszugriff des Gläubigers ist aber gerade Ausfluss
seiner verfassungsrechtlichen Position und sollte deshalb in seinem Grundsatz nicht
angetastet werden. Die Sachaufklärung ist in das Vollstreckungsverfahren eingebettet und wird deshalb ebenso wie alle direkten Vollstreckungsmaßnahmen durch die
Ordnungsprinzipien des Zwangsvollstreckungsrechts geleitet, obwohl die Erforschung des Schuldnervermögens in der Vollstreckung nur eine indirekte Aufgabe
erfüllt.
Bei der Prüfung der Angemessenheit wird regelmäßig berücksichtigt werden
müssen, dass der Anspruch des Gläubigers in einem Vollstreckungstitel rechtskräftig
festgestellt wurde. Aus dem Vollstreckungsanspruch des Schuldners lässt sich unmittelbar der Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung ableiten, nach
dem sich Einschränkungen für die Vollstreckung nur aus dem zwangsvollstreckungsrechtlichen Prozessverhältnis ergeben können.606 Die grundrechtlichen Konflikte, die hinter dem materiellrechtlichen Interessen stehen, fließen nicht in die
Zwangsvollstreckung ein. Die Stellung des Schuldners wird dadurch gemindert, dass
das Vollstreckungsverhältnis lediglich die Fortsetzung des materiellen Verhältnisses
ist. Dahinter steht auch die Erwägung, dass alle geschäftsfähigen Teilnehmer am
Rechtsverkehr als eigenverantwortlich angesehen werden. Sie sind frei, selbst abzuwägen und sich für eine Verpflichtung zu entscheiden. Mit dieser Freiheit geht aber
auch – als Kehrseite der Privatautonomie – die konsequente Durchsetzung von Ansprüchen einher. Die Offenbarungspflicht gehört zu einem Pflichtenkreis, den der
Schuldner durch eigenen Willensentschluss übernommen hat.607 Die Angemessenheit einer Maßnahme wird also nur in Ausnahmefällen verneint werden müssen.
Gerade wegen dieses grundsätzlichen Überwiegens der Gläubigerrechte hat der
Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, auch zur Normierung des freien
Vollstreckungszugriffs durch den Gläubiger.
Ein Eingriff in Rechtspositionen des Schuldners ist zudem regelmäßig dann nicht
schwerwiegend, wenn für ihn die Möglichkeit besteht, den Eingriff abzuwenden.
Nach dem Urteil des Erkenntnisverfahrens ist der Schuldner vielmehr sogar dazu
verpflichtet, eingriffsträchtige Vollstreckungs- oder Sachaufklärungsmaßnahmen
abzuwenden, indem er die Forderung des Gläubigers begleicht.
Auch wenn letztlich stets die genannten verfassungsrechtlichen Erwägungen im
Hintergrund stehen, lassen sich Interessenkonflikte häufig auch bereits auf der Ebene des einfachen Rechts als funktional konkretisiertem Verfassungsrecht lösen. Auf
diese Weise kann auch ein Verfahren, über dessen Gang der Gläubiger disponiert,
bis zu einem gewissen Grad nach verfassungsrechtlichen Maßgaben gesteuert werden.
606 Siehe dazu oben S. 38.
607 BVerfGE 56, 37, 46.
170
Solche Erwägungen liegen beispielsweise der gesetzlichen Regelung des
§ 903 ZPO zu Grunde. Innerhalb von drei Jahren nach der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wird vermutet, dass das Informationsbedürfnis des Gläubigers,
der auf das bereits erstellte Vermögensverzeichnis zurückgreifen kann, nicht überwiegt – es sei denn er kann das Gegenteil an Hand zweier Ausnahmen glaubhaft
machen.
2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Auslegung und Anwendung des Zwangsvollstreckungsrechts?
Das Zwangsvollstreckungsrecht ist formalisiertes Verfahrensrecht. Die Titulierung
des materiellrechtlichen Anspruchs bürgt für Rechtssicherheit, die es ermöglicht, im
Vollstreckungsverfahren gezielt die Forderung zu realisieren. Die Vollstreckungsorgane sind also nicht gehalten, bei der Rechtsanwendung an Hand des konkreten
Gläubiger-Schuldner-Verhältnisses unmittelbar die Verhältnismäßigkeit einzelner
Vollstreckungshandlungen zu überprüfen. Mit Blick auf die Funktion des Vollstreckungsverfahrens verbietet es sich – hier noch mehr als bei der Gesetzgebung – das
Verhältnis zwischen Forderungshöhe, Eingriff und Schaden beim Schuldner als
Maßstab im Einzelfall heranziehen zu wollen.
Zwar ist der Staat zur grundrechtskonformen und damit verhältnismäßigen Ausgestaltung der Sachaufklärung verpflichtet, die Vollstreckungsorgane müssen aber
keine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall vornehmen – eine Besonderheit, die Fischer als Funktionendifferenzierung im Sinne von Art. 1 Abs.3 GG
bezeichnet.608
Viele Fälle, in denen sich erst bei der Rechtsanwendung ein evidentes Missverhältnis aus dem Vollstreckungsverhältnis selbst ergibt, werden ohnehin durch einfachrechtliche Institute erfasst. So kann beispielsweise der Antrag auf Durchführung
eines Offenbarungsverfahrens unzulässig sein, wenn der Gläubiger bereits sichere
Kenntnis darüber erlangt hat, dass der Schuldner vermögenslos ist, beziehungsweise
der Gläubiger von den vorhandenen potentiellen Vollstreckungsobjekte bereits sichere Kenntnis erlangt hat und dennoch ein Offenbarungsverfahren mit der Inhaftierung des Schuldners durchsetzen möchte.609 Für den Ausnahmefall, dass der Gläubi-
608 Fischer in Rpfleger 2004, S. 604.
609 Das Bundesverfassungsgericht weist in BVerGE 48, 396, 401 zwar en passant darauf hin,
dass eine Entscheidung nach § 901 ZPO wie jede an einen Antrag gebundene gerichtliche
Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt, zum Maßstab seiner Prüfung macht es
jedoch nicht die Zulässigkeit eines solchen Antrags bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis,
sondern den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Letztlich bleibt unklar, warum auf verfassungsrechtliche Prinzipien rekurriert wird, während das einschlägige einfachrechtliche Institut
der Unzulässigkeit auf Grund fehlenden Rechtschutzbedürfnisses zwar genannt, jedoch nicht
zur Anwendung gebracht wird. Dem Ermessensspielraum, den die Verfassung dem Gesetzgeber einräumt, wird auf diese Weise zu weitgehend beschnitten. Kritisch gegenüber dieser
Vorgehensweise vor allem Stürner in ZZP 1986, S. 319 f., er verweist auf § 244 Abs.3 StPO,
171
ger sichere Kenntnis von den Vermögenswerten des Schuldners hat, trägt der
Schuldner jedoch die Darlegungs- und Beweislast.610 Zwar setzt § 807 ZPO ein
Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers voraus, dieses liegt aber im Regelfall vor und
muss vom Gläubiger nicht dargetan werden.611
3. Ergebnis
Im Ergebnis ist also weder richtig, von einer Wirkungslosigkeit des Verhältnismä-
ßigkeitsgrundsatzes in der Zwangsvollstreckung auszugehen noch davon, dass er
seine Wirkung wie in der klassischen Eingriffsverwaltung entfaltet. Vielmehr sollte
seine grundsätzliche Geltung zwar anerkannt werden, die Umsetzung muss jedoch
den Besonderheiten der Zwangsvollstreckung Rechnung tragen. Das heißt, dass bei
Abwägung der Interessen regelmäßig der Vollstreckungsanspruch des Gläubigers
überwiegen wird, es sei denn, es liegt im Ausnahmefall ein ganz evidentes Missverhältnis vor. Eine Einzelfallprüfung, die im Rückgriff auf materiellrechtliche Aspekte
die Rechte beider Beteiligter umfassend abwägt, findet bei der Anwendung des
Zwangsvollstreckungsrechts grundsätzlich nicht statt.
der von einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis für einen Beweisantrag erst bei völliger Ungeeignetheit des beantragten Beweismittels ausgeht – im Vergleich zu Erforderlichkeit und
Angemessenheit ein weniger strenger Maßstab.
In einem vor dem LG Itzehoe, Rpfleger 1985, 153, verhandelten Fall stellte das Gericht fest,
dass der Gläubigerin, Mutter des (nach damaligem Recht) entmündigten Schuldners, mit Sicherheit bekannt war, dass ihr Sohn auf Grund seiner geistigen Behinderung keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnte und vermögenslos war. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Offenbarungsverfahren wurde demnach verneint.
Vgl. dazu auch allgemein dazu Weyland, S. 92; MüKo/Eickmann, § 807 Rn. 21 f.
610 Der praktisch weit überwiegende Regelfall dürfte jedoch sein, dass der Gläubiger keinen
Einblick in die Gesamtvermögenssituation des Schuldners hat, sondern nur von einzelnen
Vermögensgegenständen Kenntnis erlangt beziehungsweise bereits vor Beginn des Zwangsvollstreckungsverfahrens besaß. In einem solchen Fall wird es dem Gläubiger zwar erschwert
sein, die Voraussetzungen des geltenden § 807 ZPO zu erfüllen. Bieten die bereits vor Sachaufklärung bekannten Vermögensteile genug Vollstreckungsmasse, um den Gläubiger mit Sicherheit zu befriedigen, so dürfte diesem die Glaubhaftmachung nach § 807 Abs.1 Nr.2 ZPO
nicht gelingen. Das Rechtsschutzinteresse des Gläubigers entfällt jedoch nicht von vornherein, sondern nur bei sicherer und umfassender Kenntnis des schuldnerischen Vermögens. Nur
in wenigen Ausnahmefällen wird dem Schuldner der entsprechende Nachweis gelingen. In aller Regel werden dies Fälle sein, in denen der Schuldner auf seine Vermögenslosigkeit verweist. Ansonsten müsste er nämlich sein gesamtes Vermögen offen legen, um nachzuweisen,
dass der Vollstreckungsgläubiger bereits über alle vorhandenen Vermögensgüter in Kenntnis
ist.
611 Vgl. BVerfGE 48, 396, 401; BVerfGE 61, 126, 134 f.; BGH NJW 2004, S. 2905, 2905 f.
172
IV. Weiterführende Folgerungen
Auf der Basis dieser verfassungsrechtlichen Koordinaten lassen sich weitergehende
Schlüsse für die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung ziehen.
1. Verlagerung der Sachaufklärung in den privaten Bereich?
Bei der Zwangsvollstreckung handelt es sich um eine Staatsaufgabe. Der verfassungsrechtliche Anspruch des Gläubigers auf Justizgewährung umfasst auch Maßnahmen zur Erforschung des schuldnerischen Vermögens.612 Auch wenn die Sachaufklärung selbst keine Vollstreckungsmaßnahme darstellt, ist sie doch tragend für
die Vollstreckung. Für den einzelnen Vollstreckungsgläubiger stellt eine fehlende
oder nur rudimentäre Sachaufklärung eine große Hürde dar. Um zu seinem Recht zu
kommen, wäre er in den meisten Fällen darauf angewiesen, mögliche Vollstreckungsobjekte selbst zu ermitteln oder durch Dritte ausfindig machen zu lassen. Vor
allem natürliche Personen werden davor zurückschrecken, in der für sie häufig undurchsichtigen Welt der staatlichen Register und privaten Informationsdienstleister
die für sie richtige Vorgehensweise herausfiltern zu müssen.
Als staatliche Aufgabe kann die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung
nicht – wenn auch nur formell und teilweise – privatisiert werden, ohne verfassungsrechtliche Vorgaben wie die des Art. 33 Abs.4 GG613 zu berühren. Hoheitsrechtliche
Befugnisse sind danach in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen. Ohnehin sind Privatisierungstendenzen im Bereich des staatlichen Gewaltmonopols zunächst einmal dem Verdacht der Widersinnigkeit ausgesetzt.
Weder muss noch sollte dies dazu führen, dass die Sachaufklärungsmaßnahmen
das Vollstreckungsverfahren zu einem behäbigen und bürokratischen Unterfangen
werden lassen. Die Konkretisierung der Verfassung gibt einen Interessenausgleich in
der Zwangsvollstreckung vor, der dem Gläubiger die Freiheit einräumt, nicht nur
Beginn und Ende, sondern im Wesentlichen auch den Gang des Zwangsvollstreckungsverfahrens zu bestimmen. Die ökonomische Analyse der Sachaufklärung in
der Zwangsvollstreckung bestätigt dies auch aus ihrem pragmatischen Blickwinkel.
Die Initiative und die Verantwortung des Gläubigers für sein Vollstreckungsverfahren bieten wertvolle Steuerungselemente.614
Dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das dem Schuldner zur Seite
steht, wird man in diesem Rahmen besser gerecht werden, wenn die Sachaufklärung
schwerpunktmäßig durch staatliche Instanzen durchgeführt wird. Grundrechtsrelevante Aufgaben mit solch hoher Eingriffsintensität wie Vermögensnachforschungen
im Geschäfts- und Persönlichkeitsbereich sollten nur von qualifizierten und in einem
Abhängigkeitsverhältnis zum Staat stehenden Bediensteten wahrgenommen werden.
612 Siehe oben S. 165.
613 Vgl. Di Fabio in JZ 99, S. 592.
614 Siehe oben S. 160.
173
Zwar sollte der Schuldner auch im Bereich der Privatwirtschaft durch das Bundesund die Landesdatenschutzgesetze vor übermäßigen Eingriffen in seine private Datensphäre geschützt sein. Die Erhebung und der weitere Fluss der Daten sind jedoch
Waren von großem und stets wachsendem Marktwert.
Von Datenschutzbehörden wird beklagt, dass Auskunfteien, vor allem die Schufa,615 Informationen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen vernetzen und zu einem Gesamtbild verarbeiten, das in einer zunehmenden Zahl von Situationen zu
Rate gezogen wird und sich auf das Leben der Betroffenen höchst negativ auswirken
kann. Dabei geht es nicht mehr nur um den berechtigten Wunsch der kreditgebenden
Wirtschaft, das aus ihrer Vorleistung resultierende Risiko präventiv eindämmen zu
wollen. Beispielsweise kann bereits eine unbezahlte Rechnung eines Mobilfunkanbieters dazu führen, dass der säumige Kunde auch viel später noch Schwierigkeiten
hat, Wohnraum anzumieten – im Vergleich zum Abschluss eines so genannten Handy-Vertrags oder einer Bestellung im Versandhandel ein elementares Bedürfnis.
Immer mehr Vermieter verlangen von ihren Mietinteressenten die Vorlage einer
Schufa-Selbstauskunft beziehungsweise holen entsprechende Auskünfte über den
Interessenten direkt bei Auskunfteien ein. Vertragspartner der Schufa sind nicht
mehr nur Institutionen der kreditgebenden Wirtschaft.616 In den letzten Jahren wurden darüber hinaus weitere Geschäftsbereiche im so genannten B-Verfahren617 erschlossen, beispielsweise die Wohnungs- und Versicherungswirtschaft sowie der
615 Zum Umgang mit Daten durch die Schufa Kloepfer/Kutzschbach in MMR 1998, S. 651:
„Übermittelt und gespeichert werden neben den Identifikationsdaten (Personenstammdaten,
Hinweise zur Person, Kontonummer) standardisierte Kreditmerkmale über die Aufnahme von
Geschäftsbeziehungen, zum Bestehen der Geschäftsbeziehungen und zur nicht vertragsgemä-
ßen Abwicklung von Geschäftsbeziehungen (Negativmerkmale), Angaben zu Kundenreaktionen, zur Beendigung von Geschäftsbeziehungen und Verfahrensdaten. Bei den Negativmerkmalen wird zwischen objektiven oder ‚harten’ Negativmerkmalen einerseits und einseitigen oder ‚weichen’ Negativmerkmalen andererseits unterschieden. Erstere sind Daten über
Sachverhalte, welche durch staatliche Mitwirkung beziehungsweise unter Beachtung gesetzlicher Verfahrensvorschriften entstanden sind und denen daher ein relativ genau bestimmter
Bedeutungsinhalt zukommt, wie beispielsweise Konkurseröffnung, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung […], fruchtlose Pfändung, Lohnpfändung, Scheckrückgabe mangels Deckung oder Zwangsvollstreckung. Weiche Negativmerkmale sind solche, bei denen zumindest ein gewisser Spielraum des angeschlossenen mitteilenden Instituts besteht, also immer
auch die subjektive Beurteilung auf Seiten des Kreditgebers eine Rolle spielt. Hier sind die
Einziehung von Kreditkarten, die Kontokündigung, Kreditkündigung zu nennen, ferner die
Einleitung eines Mahnverfahrens, die Mitteilung über vermuteten Scheckkartenmissbrauch
etc.“
616 Die kreditgebende Wirtschaft umfasst vor allem Kreditinstitute (Banken und Sparkassen),
Einzelhandels- und Versandhandelsunternehmen sowie Telekommunikationsunternehmen.
617 Zur Erklärung führen Kloepfer/Kutzschbach in MMR 1998, S. 651, aus: „Angeschlossen
werden die Firmen durch Anschlussverträge. Hierbei sind zwei Arten zu unterscheiden: Firmen, welche am A-Verfahren teilnehmen (Kreditinstitute gem. § 1 KWG und andere große
Kreditgeber) müssen alle kreditrelevanten Daten melden, erhalten dafür auch vollständige
Schufa-Auskünfte. Teilnehmer am B-Verfahren erhalten nur Auskunft über Negativmerkmale
(Angaben über nicht vertragsgemäßes Verhalten des Kreditnehmers) und müssen auch nur
solche melden.“
174
Inkassobereich. Dabei kann in weiten Teilen bezweifelt werden, ob ein berechtigtes
Interesse an den Schufa-Daten besteht – in der Versicherungswirtschaft besteht beispielsweise kein Kreditrisiko, ein Zusammenhang zwischen dem Schadensrisiko
einer Versicherung und dem Bonitätsrisiko eines Interessenten besteht nicht.618
Eine Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, die in staatlicher Hand durchgeführt wird, kann diese Entwicklungen nicht aufhalten. Die gehandelten Daten
dienen überwiegend der präventiven Bonitätsprüfung und nicht der vollstreckungsbegleitenden Suche nach Vermögensgegenständen.619 Es ist auch nicht die primäre
Aufgabe dieses Instituts, gesellschaftspolitische Vorgänge außerhalb des Zwangsvollstreckungsverfahrens zu steuern. Dennoch sollten diese Hintergründe mitberücksichtigt werden, wenn es darum geht, die Intensität eines Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung des Schuldners zu bestimmen. Wären alle Gläubiger bei der
Durchführung eines Zwangsvollstreckungsverfahrens auf die Daten privater Anbieter angewiesen, so wüchse die gehandelte Datenmenge schnell über die verhaltensbezogenen Negativmerkmale hinaus. Auch die Daten über das Vermögen einzelner
würden zunehmend einbezogen, die Nachfrage nach Vermögensdaten wüchse rasant
an. Die sozialen Folgen einer solchen Entwicklung sind unschwer zu erkennen – die
Vermögensdaten wären nicht ausschließlich für Vollstreckungsgläubiger von Interesse.
Private Auskunfteien sind nicht befugt, wie Hoheitsträger Zwang auf einzelne
auszuüben, sie können die Daten nur im Rahmen der ihnen durch das Datenschutzrecht eingeräumten Spielräume erheben. Ihre Datenbanken werden demnach nur aus
allgemein zugänglichen Quellen gespeist. Eine Befragung des Schuldners ist nur auf
freiwilliger Basis möglich, genauso die Befragung Dritter. Ansonsten ist die Datenerhebung unzulässig im Sinne von § 29 BDSG.620 Je umfassender jedoch der Geschäftsbereich vor allem der Schufa ist und wird, muss der Begriff der Freiwilligkeit
mangels Alternative für den Betroffenen relativiert werden. Letztlich haben private
Auskunfteien im Vergleich zu Hoheitsträgern aber weitaus geringere Möglichkeiten,
Daten zu erheben. Dies wird regelmäßig durch das Sammeln, die Speicherung in
Datenbanken und den Austausch der Informationen kompensiert. Und weil das Netz
der Datenlieferanten und –nutzern ausgeweitet wird, erfahren die vollstreckungsrelevanten Daten einen stets wachsenden Verbreitungsgrad.
Wird die Sachaufklärung durch Vollstreckungsorgane durchgeführt, so wird der
Schuldner nicht nur mit hoheitlicher Zwangsbefugnis konfrontiert, sondern gleichzeitig auch durch zahlreiche Vorschriften geschützt. Das Zwangsvollstreckungsverfahren wird durch den subjektiv-öffentlichen Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren geleitet. Während der Sachaufklärung bestehen für den Schuldner
618 So der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar in
seinem 20. Tätigkeitsbericht für 2003 und 2004, S. 129.
Elektronisch abrufbar unter http://www.bfdi.bund.de/cln_007/nn_531940/DE/Oeffentlich
keitsarbeit/Taetigkeitsberichte/TaetigkeitsberichteDesBFD.html [17.5.08].
619 Siehe oben S. 129.
620 Vgl. zum Datenschutz bei der Tätigkeit von Auskunfteien: Roßnagel/Duhr, 7.5 Rn. 1 ff.
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nach geltendem Recht Möglichkeiten, Rechtsbehelfe einzulegen, oder bereits das
Offenbarungsverfahren vorläufig abzuwenden, indem er dem Gerichtsvollzieher
Zahlungsbereitschaft – gar nicht notwendigerweise die erforderliche Liquidität –
signalisiert. Zudem können die Vollstreckungsorgane zu jedem Zeitpunkt, gerade
auch im Interesse des Gläubigers, gütliche Lösungen fördern. Besonders hervorzuheben ist auch die Pflicht zur materiellen Prozessleitung nach § 139 ZPO. Die Vorschrift des allgemeinen Teils der ZPO findet auch im Zwangsvollstreckungsrecht
Anwendung. Wenn der Schuldner ihm drohende Eingriffe nicht als solche realisiert
und ihm so deutlich erkennbar die Sicht auf geeignete Rechtsbehelfe versperrt ist,
sind die Vollstreckungsorgane nach § 139 ZPO verpflichtet, ihn darauf hinzuweisen.621
Im Endeffekt tendiert eine Sachaufklärung durch private Dienstleister dazu, bei
der Erhebung der Daten zwar schuldnerfreundlich zu sein – zumindest wenn die
gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden –, gegen Speicherung und Weitergabe
seiner Daten hat der Schuldner jedoch häufig mangels Kenntnis keine Handhabe.
Die Verfassung gibt aber den umgekehrten Ausgleich der Interessen von Gläubiger und Schuldner vor. Dem Gläubiger steht aufgrund seines allgemeinen Vollstreckungsanspruchs gegenüber dem Staat zu, dass die zur Durchsetzung seines materiellen Anspruchs mindestens notwendigen Vermögensdaten beim Schuldner auch
unter Einsatz von Zwangsmitteln erhoben werden. Andererseits soll nicht in das
Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen werden,
wo es die Zwecke der Vollstreckung nicht unmittelbar erfordern. Die Speicherung
und Weitergabe seiner Vermögensdaten zu Zwecken außerhalb der Vollstreckung
wäre – durch Vollstreckungsorgane vorgenommen – nicht angemessen und damit
auch nicht verhältnismäßig.
2. Gestaltungsmöglichkeiten des Schuldners
Auf einer anderen Ebene ergibt sich aus den verfassungsrechtlichen Erwägungen ein
weiterer bedenkenswerter Aspekt:
Der Gang des Zwangsvollstreckungsverfahrens, die Entscheidung für oder gegen
bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen liegen zwar in der Hand des Gläubigers, der
Schuldner kann das Verfahren samt der Sachaufklärung jedoch weitaus mehr beeinflussen als man auf den ersten Blick vermuten mag. Daraus ergibt sich die Fragestellung, inwieweit diese Gestaltungsmöglichkeiten die verfassungsrechtlichen Erwägungen, insbesondere die Verhältnismäßigkeit einzelner Sachaufklärungsmaßnahmen, beeinflussen.
Der Schuldner disponiert in zweierlei Hinsicht über die Entwicklung des
Zwangsvollstreckungsverfahrens:622
621 Vgl. Baur/Stürner/Bruns, Rn. 6.12 und 6.52.
622 Vgl. auch Baur/Stürner/Bruns, Rn. 6.8.
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Erfüllt er seine Pflicht gegenüber dem Gläubiger, indem er dessen Forderung begleicht, kann er das Vollstreckungsverfahren mit sofortiger Wirkung beenden.623
Das setzt natürlich voraus, dass er zu leisten in der Lage ist – und sei es, indem er
durch Umstrukturierung seines Vermögens die notwendige Liquidität erzielen kann.
Darüber hinaus sieht die ZPO für den Schuldner noch eine weitere Möglichkeit
vor, gestaltenden Einfluss auf das Verfahren auszuüben. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er durch einen Antrag den zeitlichen Aufschub der Zwangsvollstreckung erwirken.624 Im Verfahren der Sachaufklärung stellt die ZPO ein spezielles
Instrumentarium zur Verfügung. Nach § 900 Abs.3 ZPO kann der Schuldner beantragen, dass der Termin zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung vertagt
wird. Dafür muss er jedoch glaubhaft machen, dass er die Forderung binnen einer
Frist von sechs Monaten tilgen werde (Satz 1) beziehungsweise nachweisen, dass er
die Forderung bereits zu drei Vierteln getilgt hat (Satz 2).625 Auf diese Weise wird
ihm ermöglicht, den Eingriff in Form des Offenbarungsverfahrens abzuwenden,
ohne die Forderung sofort und vollständig begleichen zu müssen. Dem Schuldner
stehen also im Zwangsvollstreckungsverfahren – gerade auch bei der Sachaufklärung – Möglichkeiten zur Verfügung, Eingriffe in seine Rechtsposition abzuwenden.
Als weitere Option ist zu erwägen, ob der Schuldner eine Sachaufklärung auch
durch freiwillige Preisgabe seiner Vermögensdaten verhindern kann. Der Gläubiger
verliert sein Recht auf Durchführung des Offenbarungsverfahrens jedoch nicht bereits dadurch, dass der Schuldner auf bestimmte Vermögensgegenstände verweist.626
Das Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers besteht darüber hinaus. Ihm steht ein
freier Zugriff auf das Vermögen des Schuldners zu. Das beinhaltet auch einen Anspruch auf die vollstreckungsnotwendigen Informationen.627
623 Die Beendigung ist in diesem Fall die unmittelbare Folge der materiellrechtlichen Erfüllung,
§ 775 Nr. 4 und 5 ZPO.
624 Der Schuldner kann beispielsweise allgemeinen Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO oder
den Aufschub der Verwertung gepfändeter Mobilia nach § 813a ZPO beantragen.
625 Nach § 900 Abs.3 S.1 ZPO ist die Zustimmung des Gläubigers jedoch Voraussetzung für
einen sechsmonatigen Aufschub der Sachaufklärung durch Offenbarungsversicherung. Lediglich nach Satz 2, im Falle bereits erfolgter teilweiser Tilgung der Forderung, vertagt der Gerichtsvollzieher den Termin zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung von Amts wegen
um nochmals zwei Monate, ohne dass die Zustimmung des Gläubigers notwendig ist. Insofern kann nicht uneingeschränkt von der (partiellen) Parteiherrschaft des Schuldners über den
zeitlichen Ablauf der Sachaufklärung ausgegangen werden.
626 De lege lata sind nur zwei Fälle denkbar, in denen eine freiwillige Auskunft des Schuldners
(mittelbar) zur sicheren Abwendung der Sachaufklärung durch Offenbarungsversicherung
führt. Eine schuldnerische Selbstauskunft könnte die Sachaufklärung nach § 807 ZPO dann
abwenden, wenn sie eine Pfändung nach sich zöge, die zur vollständigen Befriedigung des
Gläubigers führt (§ 807 Abs.1 Nr. 1 ZPO), oder wenn sie es dem Gläubiger unmöglich macht,
eine negative Vollstreckungsprognose glaubhaft zu machen (§ 807 I Nr. 2 ZPO). Aus praktischer Sicht ist ein solches Szenario, in dem ein Schuldner freiwillig über Vollstreckungsobjekte informiert, ohne diese selbst zur Begleichung der Gläubigerforderung einzusetzen, ohnehin äußerst unwahrscheinlich – der Schuldner würde sich damit selbst zusätzliche Vollstreckungskosten aufbürden und dem Risiko einer ineffektiveren Verwertung aussetzen.
627 Siehe oben S. 165.
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Dasselbe gilt, wenn ein vermeintlich vermögensloser Schuldner auf freiwilliger
Basis angibt, dass keine Vollstreckungsobjekte zur Verfügung stehen. Auf eine
solche Aussage kann und muss sich ein Gläubiger ex ante nicht verlassen. In einer
Situation der Zwangsvollstreckung besteht bei einigen Schuldnern die Tendenz, sich
Maßnahmen der zwangsweisen Forderungsbeitreibung zu entziehen, indem sie vorhandenes Vermögen verschleiern.628 In beiden Fällen – bei behaupteter Vermögenslosigkeit wie bei der Angabe von Vermögensgegenständen – besteht in der Regel ein
Bedürfnis danach, dass der Schuldner seine Aussagen eidesstattlich versichert. Nur
unter Strafbewehrung besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Selbstauskunft des Schuldners umfassend ist. Das Rechtsschutzbedürfnis des Vollstreckungsgläubigers nach Sachaufklärung wird erst dann entfallen, wenn er sichere und
umfassende Kenntnis vom Vermögen des Schuldners besitzt.629 Die erforderliche
Sicherheit kann sich aber nur aus objektiven Quellen ergeben. Der Schuldner kann
in einer Situation der Zwangsvollstreckung nicht ex ante als sichere Quelle angesehen werden, an Hand derer dem Gläubiger die Sachaufklärung versagt wird.
Zudem beinhaltet das Verfahren der Offenbarungsversicherung nach einhelliger
Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ein Mitwirkungsrecht des Gläubigers.
Ihm steht das Recht zu, dem Schuldner im Rahmen der gesetzlichen Auskunftspflicht Fragen zu dessen Vermögenssituation zu stellen.630 Das Offenbarungsverfahren dient außerdem nicht nur dazu, die aktuelle Vermögenssituation des Schuldners
aufzuklären, sondern auch die Verschiebung von Vermögen in der Vergangenheit
aufzudecken, das nach den Regeln des Anfechtungsgesetzes in die Vollstreckungsmasse zurückgeführt werden kann. Die freiwillige Selbstauskunft des Schuldners
wird diesen Anforderungen in aller Regel nicht gerecht. Das Rechtsschutzbedürfnis
des Gläubigers für ein Offenbarungsverfahren besteht deshalb auch bei einer Selbstauskunft durch den Schuldner weiter.631 Die freiwillige Vermögensoffenbarung
alleine ist demnach kein geeignetes Mittel, um die Sachaufklärung in Form des
Offenbarungsverfahrens abzuwenden.632
628 So in der Stellungnahme der Vorsitzendenkonferenz des DGVB vom 2./3.7.04 in Berlin zum
Konzept Bayerns und Baden-Württembergs zur Reform der Sachaufklärung in der Geldvollstreckung im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zwangsvollstreckungsrechts". Quelle: http://www.dgvb.de [17.5.08].
629 Siehe oben S. 170.
630 Allgemein zum Fragerecht des Gläubigers stellvertretend für viele instanzgerichtliche Entscheidungen BGHZ 7, 287, 292. Die Fragen des Gläubigers stellen jedoch nur Aufklärungshilfe im Sinne von § 139 ZPO dar und besitzen keine Bindungswirkung im Hinblick auf
§ 156 StGB, so MüKo/Eickmann, § 900 Rn. 17.
631 So auch MüKo/Eickmann, § 807 Rn. 20, 23. Er fügt noch hinzu, dass der Zweck des
§ 915 ZPO umgangen würde, ließe man eine Selbstauskunft des Schuldners außerhalb des
Verfahrens nach §§ 899 ff. ZPO genügen.
632 Hinzu kommt, dass – vorausgesetzt, eine freiwillige Selbstauskunft führt unmittelbar zur
Abwendung von Sachaufklärungsmaßnahmen – diese Abwendungsmöglichkeit im Rahmen
des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht zum Tragen kommen könnte.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs.1, 1 Abs.1 GG, das einen
Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, schützt „die Befugnis des einzelnen,
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Die Frage, inwieweit eine Abwendungsmöglichkeit durch den Grundrechtsträger
die Eingriffsqualität der Sachaufklärung schwinden lässt, beschränkt sich also auf
die Möglichkeiten, entsprechende Maßnahmen (vorerst) abzuwenden, indem ein
zeitlicher Aufschub des gesamten Zwangsvollstreckungsverfahrens oder der Sachaufklärung erwirkt wird.
Die Beeinträchtigung grundrechtlicher Freiheit beinhaltet typischerweise eine für
den Grundrechtsträger unausweichliche Bedrängnis. Hat er die Möglichkeit, den
Eingriff abzuwenden, oder ist er auf Grund eines vollstreckbaren Titels sogar zu
diesem Schritt verpflichtet, dann steht er nicht als hilfloses Objekt einer unausweichlichen staatlichen Zwangsmaßnahme gegenüber. Daraus leitet Stürner ab, dass der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in diesen Fällen keine Anwendung finde.633
Da der Staat aber nicht nur als verlängerter Arm des Gläubigers, sondern zunächst
einmal kraft der ihm obliegenden hoheitlichen Aufgabe tätig wird, muss er Eingriffe
in grundrechtlich geschützte Freiheitssphären grundsätzlich verantworten.634 In der
verfassungsrechtlichen Literatur wird die Problematik der Abwendungsmöglichkeit
deshalb ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Eingriffsintensität thematisiert,
der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird in diesem Rahmen angewandt. Für die
Eingriffsintensität werden dabei nicht nur Konstellationen bedacht, in denen der
Betroffene den Eingriff abwenden könnte, sondern vielmehr auch Fälle, in denen
erst das (häufig gesetzeswidrige) Verhalten des Betroffenen den grundrechtsbeeinträchtigenden Zustand mitherbeigeführt hat.635 Zumindest Letztgenanntes trifft auf
einen Schuldner, gegen den eine zwangsweise Sachaufklärung durchgeführt wird,
stets zu.
Etwas anderes sollte nur gelten, wenn eine Sachaufklärungsmaßnahme nicht die
ausreichende Intensität erlangt, um als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff verstanden zu werden. Legt man aber den heute herrschenden so genannten modernen Eingrundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“ (BVerfGE 65, 1, 41). Dem könnte in jedem Fall entgegengehalten werden, dass der Grundrechtsträger einen solchen Eingriff dadurch abwenden
kann, dass er die erfragten Daten freiwillig offenbart. Gerade in dieser Entscheidung soll er
jedoch frei sein. Wird ihm mit der zwangsweisen Erhebung der Daten gedroht, kann von
Freiwilligkeit nicht die Rede sein. Die Erwägung, dass eine Abwendungsmöglichkeit durch
freiwillige Selbstauskunft die Qualität des Eingriffs verändere oder gar die Geltungskraft von
Grundrechtsschranken schmälere, ginge in diesem Fall am Schutzzweck des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vorbei.
633 Wenn sich beispielsweise die Frage nach einer festgelegten Vollstreckungsreihenfolge (gradus executionis) stellt, dann impliziere dies bereits, so Stürner, dass dem Schuldner selbst eine (schonendere) Möglichkeit zur Verfügung steht, selbst Vermögen zu verwerten oder auch
einen Kredit aufzunehmen, um die Forderung zu begleichen – vgl. Stürner in ZZP 1986,
S. 305. Bei dem Konflikt zwischen effektiver Verwertung und dem Schutz des Schuldners
vor Verwertungsschäden plädiert Stürner dafür, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gar nicht
heranzuziehen, wenn der Schuldner der Vollstreckung ausweichen kann, indem er durch Liquidation den Betrag der Forderung realisiert – vgl. Stürner in ZZP 1986, S. 331.
634 Vgl. oben S. 166.
635 So beispielsweise Eckhoff, S. 255.
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griffsbegriff636 zu Grunde, ist dies nur schwer vorstellbar. Mit diesem sehr weiten
verfassungsrechtlichen Eingriffsverständnis, das auch faktische wie mittelbare Einschränkungen der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit umfasst, ist die Bandbreite
der Fälle erweitert worden, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen müssen
– mit der Folge einer weitgehenden Konstitutionalisierung des Zwangsvollstreckungsrechts. Die Abwendungsmöglichkeiten des Schuldners als Begleitumstände
der Vollstreckung haben also im Ergebnis nur Einfluss auf die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.637 Verfügt der Schuldner tatsächlich über die
Möglichkeit, dem Anspruch des Gläubigers nachzukommen, so lässt sich die Angemessenheit eines Zwangsmittels nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen verneinen.
Zudem ist die Sachaufklärung – zumindest de lege lata – gerade dadurch gekennzeichnet, dass das Vermögen des Schuldners nicht bekannt ist: Nach geltendem
Recht wird die Sachaufklärung im Wesentlichen auf das Offenbarungsverfahren
gestützt. Die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung ist ein punktueller Vorgang, neue Erkenntnisse über das Schuldnervermögen stehen am Ende und können
nicht mehr in den Gesamtvorgang der Sachaufklärung einbezogen werden. Dies
wäre nur in einem mehrstufig angelegten, zeitlich gestreckten Verfahren der Fall, in
dem erlangte Hinweise weiterverfolgt werden können.638 Damit wird im Regelfall
nicht abschätzbar sein, ob der Schuldner die Zwangsvollstreckung und insbesondere
die Sachaufklärungsmaßnahmen durch Leistung oder durch die Glaubhaftmachung
zukünftiger Leistung abwenden könnte, weil weder der Gläubiger noch die Vollstreckungsorgane das Vermögen des Schuldners während der Sachaufklärung kennen.
Die Gestaltungsmöglichkeiten des Schuldners können nur dann in die Bewertung
der Sachaufklärungsmaßnahmen einfließen, wenn sie bekannt sind. Hat der Gläubiger aber bereits sichere und umfassende Kenntnis davon, dass beim Schuldner Vollstreckungsobjekte in ausreichendem Umfang vorhanden sind, fehlt ihm für die Zulässigkeit seines Antrags auf Durchführung eines Offenbarungsverfahrens das
Rechtsschutzbedürfnis.639 Auf der Grundlage des geltenden Rechts spielen die Gestaltungsmöglichkeiten des Schuldners deshalb keine Rolle dafür, ob einzelne Sachaufklärungsmaßnahmen als verhältnismäßig einzustufen sind oder nicht. Der gedankliche Ansatz wird aber dann wieder aufzunehmen sein, wenn Reformvorschläge
636 Vgl. Sachs, vor Art.1 Rn. 83.
637 Diesen Ansatz verfolgt auch das Bundesverfassungsgericht in einem Fall, in dem die Rechtmäßigkeit einer Erzwingungshaft nach § 901 ZPO zur Prüfung steht, BVerfGE 61, 126, 135:
„Die Anordnung [die Anordnung der Haft nach § 901 ZPO, Anm. d. Verf.] entspricht auch
dem Grundsatz der Erforderlichkeit. Ein milderes Mittel, das den Erfolg sicherstellen könnte,
ist nicht erkennbar. Zudem kann der Schuldner die Freiheitsentziehung durch Abgabe der eidesstattlichen Versicherung jederzeit abwenden (§ 902 ZPO). Die Anordnung der Haft erscheint schließlich im engeren Sinne verhältnismäßig […]: Für den Schuldner ist zwar die
Sanktion der Haft als solche einschneidend, wenn auch gemildert durch die Möglichkeit jederzeitiger Abwendung.“
638 Wie beispielsweise im Rahmen des Sachaufklärungsmodells, das das White Paper des englischen Department for Constitutional Affairs von 2003 vorschlägt, siehe oben S. 134.
639 Siehe oben S. 170.
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diskutiert werden, die eine Möglichkeit vorsehen, erlangten Hinweisen und Erkenntnissen mit erweiterten Methoden nachzugehen.
3. Das allgemeinen Datenschutzrecht als Konkretisierung verfassungsrechtlicher
Abwägung?
Die innere Problematik der Sachaufklärung, die auf der dargestellten verfassungsrechtlichen Kollisionslage fußt, gehört nicht nur dem Zwangsvollstreckungsrecht an,
sondern ist auch eine – zumindest in weiten Teilen – klassische Konstellation des
Informationsrechts. Es handelt sich letztlich um eine Frage des Datenschutzes im
weiteren Sinne – Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten.
Das Bundesdatenschutzgesetz als zentrales Gesetz könnte deshalb Ausgangspunkt
sein, die Konfliktsituation um die schuldnerischen Vermögensdaten einer Lösung
zuzuführen.
Das Bundesdatenschutzgesetz wird von zwei Grundgedanken durchzogen. Sie besagen, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten
nur dann zulässig sind, wenn sie entweder ausdrücklich gesetzlich erlaubt beziehungsweise angeordnet sind oder der Betroffene eingewilligt hat. Es handelt sich um
ein so genanntes Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.640 Direkte inhaltliche Anhaltspunkte lassen sich daraus nicht entnehmen.
Das Bundesdatenschutzgesetz als allgemeiner Teil des Datenschutzrechts kann
deshalb nur als Ausgangspunkt einer bereichsspezifischen Konkretisierung verstanden werden. Letztlich handelt es sich damit für die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben nur um einen Zwischenschritt. Die eigentliche inhaltliche
Entscheidung fällt erst mit der gesetzlichen Ausgestaltung der zwangsvollstreckungsspezifischen Regelungen.641
Die gesetzliche Regelungstechnik macht aber den Willen des Gesetzgebers deutlich, den Betroffenen vor einem ausufernden Umgang mit Daten zu schützen. Das
entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die durch das Bundesverfassungsgericht im so genannten Volkszählungsurteil konkretisiert wurden.642
640 Vgl. Gola/Schomerus, § 1 Rn. 6 f.
641 Diese Aussage trifft uneingeschränkt auf den Datenschutz zwischen dem Betroffenen und
öffentlichen Stellen zu. Für das datenschutzrechtliche Verhältnis zwischen dem Betroffenen
und Privaten gibt es im Bereich der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung keine Spezialregelung. Das ist wenig verwunderlich, besteht doch zwischen einer Auskunftei oder Detektei und dem Objekt ihrer Nachforschungen keine direkte rechtliche Beziehung.
642 BVerfGE 65, 1, 41 (Volkszählung); BVerfGE 80, 367, 373; vgl. dazu Gola/Schomerus,
§ 1 Rn. 11–13; siehe auch oben FN 632.
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E. Fazit – Grundlinien für eine Umgestaltung der Sachaufklärung
Nachdem die Grundlagen für eine Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung erarbeitet sind, werden sich die folgenden Teile der konkreten Umgestaltung der bisherigen Regelungen zuwenden. Im Ausgangspunkt wird zunächst der
Gesetzesentwurf einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe diskutiert, der die Sachaufklärung in der deutschen Zwangsvollstreckung reformieren soll. Dieser Entwurf lässt
jedoch vor allem internationale Aspekte vermissen, deren Berücksichtigung zu einem eigenen – weitergehenden – Ansatz führen wird.
I. Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 1.1.06
Aus den Treffen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Modernisierung des Zwangsvollstreckungsrechts ging ein Gesetzesentwurf zur Reform der Sachaufklärung in
der Zwangsvollstreckung hervor.643 Die vorgeschlagenen Regelungen behalten im
Wesentlichen die Konzeption des geltenden Rechts bei. Zentral für die Suche nach
Vollstreckungsobjekten ist der Schuldner selbst. Ausgangspunkt soll weiterhin das
durch ihn erstellte Vermögensverzeichnis sein, dessen Richtigkeit er an Eides statt
zu versichern hat. Als neues Element der Sachaufklärung wird im Entwurf eine so
genannte Drittauskunft eingeführt, mit der auch auf behördliche Datenbanken zugegriffen werden kann. Auch der zeitliche Ablauf des Zwangsvollstreckungsverfahrens soll sich verändern. Die Sachaufklärung rückt an den Beginn. Ohne einen ersten
Vollstreckungsversuch hat der Gläubiger damit die Möglichkeit, sich einen Einblick
in das Schuldnervermögen zu verschaffen, und so den weiteren Vollstreckungsablauf gezielter planen zu können oder sich gegebenenfalls bereits in einem frühen
Stadium gegen ein weiteres (kostenträchtiges) Vorgehen entscheiden zu können.
Darüber hinaus soll auch das Schuldnerverzeichnis Veränderungen unterzogen werden. Indem die Verwaltung der Vermögensverzeichnisse elektronisiert und innerhalb der Bundesländer zentralisiert wird, könne das Verfahren insgesamt modernisiert und effizienter gestaltet werden.644
643 Siehe oben S. 152. Der Entwurf ist auf den Seiten des Bayerischen Justizministeriums on
line abrufbar unter http://www.justiz.bayern.de/ministerium/gesetzgebung/gesetzentwurf/
[17.5.08].
644 Aus der Begründung des Gesetzesentwurfs: „Das Ergebnis der Vermögensauskunft des
Schuldners, das inhaltlich dem bisherigen Vermögensverzeichnis nach § 807 ZPO a. F. entspricht, wird vom Gerichtsvollzieher als elektronisches Dokument aufgenommen und in die
Justizdatenbank eines zentralen Vollstreckungsgerichts eingestellt (§ 802f Abs.5 ZPO). Auf
deren Inhalt haben alle Gerichtsvollzieher Zugriff, die damit deren Inhalt weiteren Titelgläubigern zu Vollstreckungszwecken zugänglich machen können (§ 802k Abs.2 Satz 1 ZPO).
Daneben sind bestimmte staatliche Stellen, die schon heute auf die Vermögensverzeichnisse
zugreifen können, im Rahmen ihrer Aufgaben einsichtsbefugt (§ 802k Abs.2 S.2 ZPO). Das
einzelne Vermögensverzeichnis wird für 12 Monate abrufbar sein (§ 802k Abs.1 ZPO); bei
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Ein vollstreckbarer Titel in der Tasche und doch kein Erfolg – oft scheitert die Vollstreckung daran, dass der Schuldner Vermögen ins Ausland verschoben oder sonst verschleiert hat. Aus rechtsvergleichender Sicht zeigt die Autorin, wie die Suche nach Vollstreckungsgütern, die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, gestaltet werden kann. Wie weit reichen staatliche Pflichten und wie weit die Eigenverantwortung der Gläubiger, sich präventiv abzusichern? Gerade über die Grenzen zu anderen europäischen Staaten hinweg ergeben sich Schwierigkeiten.
Das Werk zeigt auf, welche Wege im Zusammenspiel des internationalen, europäischen und nationalen Rechts in Deutschland, Frankreich und England beschritten werden können.