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offen. Ebenso offen bleibt, was eine Konsultation „in angemessener Weise“ im Sinne des Art. 59 im Einzelnen bedeutet.
e. Zwischenergebnis
Eine Vielzahl von Instrumenten der Richtlinie bedeuten Einwirkungs-möglichkeiten
auf die nationale Berufsaufsicht. Diese haben das Potenzial grenzüberschreitende
Berufsausübung zu erleichtern. In gleicher Art und Weise bergen sie jedoch auch die
Gefahr, die Berufsaufsicht zu verkomplizieren. So setzt sich das „europäische“
Problem der „Regelungswut und –vielfalt“ mit der Richtlinie fort. Deutlich wird dies
angesichts der Vielzahl an neu zu schaffenden Einrichtungen: Es müssen für die
Anerkennung der Berufsqualifikationen zuständige Behörden und Koordinatoren
(Art. 56) sowie Kontaktstellen (Art. 57) benannt werden. Daneben sind Vertreter der
Mitgliedstaaten zur Bildung eines Komitologieausschusses sowie einer Expertengruppen zu benennen. Zusätzlich ist zu bedenken, dass auch gem. Art. 6 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG767 einheitliche Ansprechpartner bereit zu stellen
sind. Auf eine Abstimmung dieser Vielzahl von Institutionen sollte von den Mitgliedstaaten geachtet werden. Andernfalls wird nicht einer Verwaltungsvereinfachung sondern einer Verwaltungsverkomplizierung Vorschub geleistet.768
Das Zusammenspiel zwischen Kontaktstellen, Koordinatoren, zuständigen Behörden, Aufsichtsbehörden, Expertengruppen und sonstigen Beratern der Kommission wird von der Richtlinie nicht behandelt und ist weitgehend ungeklärt. Ungewiss
bleibt auch, wer die einzelnen Richtlinieninstrumente ausfüllen wird. So ist beispielsweise unklar, ob die Heilberufekammern zu den Vertretern der Berufsgruppen
im Sinne des Art. 59 zählen.
4. Vereinbarkeit mit dem Kompetenzgefüge der Gemeinschaft
Im Folgenden wird untersucht, ob die von der Richtlinie vorgesehene Amtshilfe und
Verwaltungszusammenarbeit, gerade im Zusammenhang mit der Berufsaufsicht, von
der Ermächtigungsgrundlage der Richtlinie abgedeckt wird. Die Richtlinie stützt
sich auf Art. 40, 47 Abs. 1 und 2 Sätze 1 und 3 sowie Art. 55 EG.769
Art. 47 Abs. 1 EG umfasst nur Maßnahmen zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen im Rahmen der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat. Regelungen
767 Vgl. Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006
über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl EU Nr. L 376 vom 27.12.2006, S. 36).
768 Vgl. auch Stellungnahme des BFB vom 31.1.2007, S. 4 (es drohe ein Konterkarrieren der
vorgegebenen Ziele der Verwaltungsvereinfachung), abrufbar unter: http://www.freieberufe.de/Stellungnahmen.6.0.html, Stand: 9.3.2007.
769 Vgl. Vorwort der Richtlinie.
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zur Amtshilfe und Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten lassen sich hingegen auf Art. 47 Abs. 2 EG stützen. Danach dürfen
„Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung
selbständiger Tätigkeiten“
koordiniert werden. Zu diesen Vorschriften zählen Gesetze, die besondere Anforderungen an einen Berufsstand stellen oder für diesen Zulassungsschranken errichten.
Erfasst wird also auch das die Berufsausübung betreffende Berufsordnungsrecht.770
Eine Koordinierung im Sinne des Art. 47 Abs. 2 EG ist als Angleichung oder
Harmonisierung zu verstehen.771 Alle innerstaatlichen Vorschriften können jedoch
nicht in diesem Sinne koordiniert werden. Eigenheiten des mitgliedstaatlichen
Rechts müssen vielmehr bestehen bleiben.772 Darüber hinaus muss stets der konkrete
Zweck verfolgen werden, den freien Dienstleistungsverkehr im Wege der Anerkennung von grenzüberschreitenden Tätigkeiten zu erleichtern.773 Auf Art. 47
Abs. 2 EG lassen sich deshalb nur Maßnahmen zur Beseitigung spürbarer Wettbewerbsverzerrungen stützen. Bloße Handelshemmnisse oder geringfügige Wettbewerbsverzerrungen sind hierfür nicht ausreichend.774
Die Amtshilfe und Verwaltungszusammenarbeit der für die Berufsanerkennung
zuständigen Behörden gemäß Art. 56 steht in engem Zusammenhang mit der Berufsausübung. Aufsichtsrelevante Sachverhalte sind gegenseitig mitzuteilen, sodass
auch das Zusammenwirken im Bereich der Berufsaufsicht betroffen ist. Die Regelungen zur Amtshilfe und Verwaltungszusammenarbeit haben damit das Potenzial,
Aufsichtslücken zu vermeiden und so spürbare Wettbewerbs-verzerrungen zu verhindern. Folglich lassen sie sich unter die Anforderungen des Art. 47 Abs. 2 subsumieren. Durch Art. 40 und 55 EG werden zudem auch die Fälle der Dienstleistungsund Arbeitnehmerfreizügigkeit erfasst.775 Die nach der Richtlinie vorgesehene Verwaltungszusammenarbeit ist mit dem gemeinschaftsrechtliche Kompetenzgefüge
vereinbar.
770 Vgl. Bröhmer, in Callies/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 47 EG, Rn. 10: „Rechts- und
Verwaltungsvorschriften bezüglich der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten“;
Tiedje/Troberg, in von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV-Kommentar, Band 1, Art. 47,
Rn. 46.
771 Vgl. Tiedje/Troberg, in von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV-Kommentar, Band 1, Art. 47,
Rn. 43.
772 Vgl. Scheuer, in Lenz/Borchardt, EUV/EGV-Kommentar, Art. 47 EG, Rn. 2.
773 Vgl. Bröhmer, in Callies/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 47 EG, Rn. 10; Tiedje/Troberg, in von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV-Kommentar, Band 1, Art. 47, Rn. 54 ff.
774 Vgl. EuGH, Urt. vom 5.10.2000, Rs. C-376/98, Tabakwerbungs-Richtlinie, Slg. 2000, S. I-
8419, Rn. 106 ff.
775 Die Anwendung des Art. 40 EG zur Einbeziehung der abhängig Beschäftigten ist seit 1974,
als der Rat erstmals die Einbeziehung dieser auf Art. 40 EG stützte, anerkannt; vgl. Wölker/Grill, in von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV-Kommentar, Band 1, Art. 40, Rn. 10.
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IV. Zwischenergebnis
Für die Schaffung einer einheitlichen europäischen Dienstleistungsaufsicht verfügt
der europäische Gesetzgeber nicht über die notwendigen Kompetenzen. Gleichwohl
kann durch die Richtlinie, insbesondere die Vorgaben zur Verwaltungszusammenarbeit, erheblich auf die Berufsaufsicht Einfluss genommen werden. Die Mitgliedstaaten werden hierdurch auch im Rahmen der Berufsaufsicht zur Zusammenarbeit verpflichtet. Diese Vorgabe lässt sich dabei auf die Art. 40, 47 Abs. 1 und 2 Satz 1 und
3 sowie Art. 55 EG stützen.
Die Pflicht zu Amtshilfe und Verwaltungszusammenarbeit kann die Voraussetzung für eine gemeinsame Koordination der Berufsaufsicht und damit für eine Angleichung der nationalen Aufsichtssysteme in Europa schaffen. Dies beruht auf der
Gewährleistung einheitlicher Rahmenbedingungen für die Verwaltungszusammenarbeit. Es entsteht hierdurch ein Level-Playing-Field der Verwaltungszusammenarbeit. Dieses betrifft in erste Linie die Praxis der Berufsanerkennung, hat aber auf
Grund der Amtshilfe- und Unterrichtungs-pflichten der Art. 8 und 56 auch Ausstrahlungswirkung auf die Berufsaufsicht. Gemäß dem Prinzip der negativen Rechtsangleichung besteht so eine Möglichkeit der Harmonisierung im Bereich der Berufsaufsicht. Dies lässt sich als neues europäisches Harmonisierungskonzept erkennen.
Es bleibt jedoch die Schwierigkeit einer Vereinheitlichung der Begriffsverständnisse. Die Amtshilfeleistung verlangt nach europäischer Vorgabe einen umfassenden
Informationsaustausch. Für eine gleichmäßige Anwendungspraxis wäre jedoch die
Erarbeitung einheitlicher Kooperationsstandards bzw. Leitlinien für die Verwaltungszusammenarbeit erforderlich. Ähnlich der europäischen Berufsordnung für
Ärzte776 hinsichtlich einheitlicher Verhaltenskodizes, sollten auch für die Aufsichtsarbeit europäische Maßstäbe entwickelt werden.
Gleichwohl wird die Effektivität der Dienstleistungsaufsicht immer von der Effektivität des jeweiligen nationalen Aufsichtssystems abhängen. So kann auch dem
effet utile – Gebot nur im Rahmen der nationalen Kompetenzen Folge geleistet werden.
Hinzuweisen ist schließlich auf Anwendungsunterschiede bzw. Aufsichtslücken,
die dadurch entstehen können, dass die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden im
Aufnahmemitgliedstaat gemäß Art. 5 Abs. 3 erst ab dem Vorliegen eines schwerwiegenden beruflichen Fehlers beginnt. Der jeweilige Mitgliedstaat entscheidet
darüber, wann ein solcher vorliegt. Auch dies erschwert die Möglichkeit von Vorgaben für eine „Europäische Berufsaufsicht“. Für Deutschland muss die Aufsicht über
776 Vgl. Grundsätze Ärztlicher Ethik (Europäische Berufsordnung) der internationalen Konferenz
der Ärztekammern von 1987 / 1995, abrufbar unter: http://infomed.mds-ev.de/sindbad.nsf/
778bf5d6b54bb45fc1256e9f004097fb/5a6bd59a934b519480256d96000087f6/$FILE/EU-
Berufsordnung.pdf, Stand: 9.3.2007; vlg. auch hinsichtlich der Psychotherapeuten den Code
of Ethics der European Federation of Psychologists’ Associations (EFPA), abrufbar unter:
http://www.efpa.be/, Stand: 9.3.2007.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit widmet sich der Einflussnahme der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG auf die Berufsaufsicht über Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland und Großbritannien. Im Rahmen dessen erfolgt eine Auseinandersetzung mit den europäischen Harmonisierungskonzepten und dem Rechtskonzept der Berufsanerkennungsrichtlinie. Die Autorin erörtert die Auswirkungen einzelner Richtlinienvorschriften nach ihrer Umsetzung, insbesondere auf die deutschen Heilberufekammern. Sie analysiert dabei insbesondere die von der Richtlinie vorgegebene Verwaltungszusammenarbeit im Bereich der Berufsaufsicht sowie amtshaftungsrechtliche Aspekte, die sich im Rahmen der Aufsichtsarbeit der Berufskammern stellen.