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Einzig das 1. Modell lässt sich unproblematisch mit den gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben vereinbaren. Aber auch hier bestehen Effektivitätsbedenken, da nach
diesem Modell ein Mitgliedstaat ungeprüft auf Aufsichtsmaßnahmen eines anderen
Mitgliedstaats vertrauen muss.
II. Für die Berufsausübung relevante Richtlinienregelungen
Gemäß Art. 4 Abs. 1 richtet sich die Berufsausübung nach den Vorschriften des
Bestimmungslands (=Bestimmungslandprinzip). Zusätzlich schreibt Art. 5 Abs. 3
vor, dass die Berufsausübung von dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Berufsrecht
und Berufsaufsichtsrecht bestimmt wird. Insofern heißt es dort:
„Begibt sich der Dienstleister in einen anderen Mitgliedstaat, so unterliegt er im Aufnahmemitgliedstaat den berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln.“
Zu den anwendbaren Normen gehört so auch das Berufsrecht der freien Berufe,694
mithin auch die mitgliedstaatlichen Berufsordnungen für Ärzte- und Psychotherapeuten. Im Folgenden werden die für die Berufsausübung relevanten Richtlinienregelungen aufgezeigt und erläutert.
1. Berufsausübung – Dienstleistungsfreiheit
Bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen der Berufsausübung gelten die Art. 53-
55. Daneben finden sich in den Art. 5 – 9 noch einige speziell für Dienstleistungserbringer geltende Regelungen.
a. Sprachtests
Damit Berufsqualifikationen anerkannt werden, müssen gemäß Art. 53 die jeweiligen Qualifikationsinhaber über – für die Berufsausübung erforderliche – nationale
Sprachkenntnisse verfügen. Diese Bestimmung wurde im Rahmen des Entscheidungsverfahrens in Titel IV verlagert, der sich sowohl auf die Niederlassungsfreiheit
als auch auf die Erbringung von Dienstleistungen erstreckt.695 Aus dieser Systematik
lässt sich der Schluss ziehen, dass jeder Mitgliedstaat auch die vorübergehende Aus-
übung einer Dienstleistung von dem Ergebnis eines Sprachtests abhängig machen
kann. Letztlich würde dies jedoch eine deutliche Einschränkung der Dienstleistungs-
694 Vgl. Kluth/Rieger, GewArch 2006, S.4.
695 Vgl. Begründung des Rates hinsichtlich des gemeinsamen Standpunkts des Rates vom
21.12.2004 (13781/2/04 REV 2 ADD 1), interinstitutionelles Dossier 2002/0061 (COD), Ziffer 62; abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/qualifications/future_de.htm, Stand:
21.9.2008.
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freiheit bedeuten. So müsste jeder Berufsangehörige vor Ausübung seiner Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat zunächst die jeweilige Sprache erlernen.
Diese Anforderung würde zu einer Verschärfung der gegenwärtigen Bedingungen
der grenzüberschreitenden Berufsausübung führen und dem Richtlinienzweck zuwider laufen. In der Zusammenfassung der Gemeinschaft über die Berufsanerkennungsrichtlinie wird zu Art. 53 deshalb ausgeführt, dass
„diese Bestimmung nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit anzuwenden ist, d.h. die entsprechenden Berufsangehörigen dürfen vor Aufnahme ihrer Tätigkeit nicht systematischen
Sprachtests unterworfen werden.“696
Daneben wird dort darauf hingewiesen,
„dass eine eventuelle Bewertung der Sprachkenntnisse gesondert vom Verfahren zur Anerkennung der Berufsqualifikation erfolgt, und zwar nach der Anerkennung, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufnahme der Berufstätigkeit.“
Es wird also deutlich gemacht, dass Sprachtests keinesfalls dazu benutzt werden
dürfen, die Anerkennung einer Qualifikation abzulehnen, sondern unabhängig von
der Anerkennung lediglich der Qualitätssicherung des jeweiligen Berufsstands und
dem Verbraucherschutz dienen können. Welche Anforderungen an solche Sprachtests gestellt werden, bleibt im Übrigen abzuwarten. Erleuchtung mag hier die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu §§ 10, 11 StAG bringen.697 Dort wurde ausgeführt, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache i.S. des § 11 StAG
erfordere neben mündlichen grundsätzlich auch gewisse schriftliche Kenntnisse der
deutschen Sprache. Ein eigenständiges schriftliches Ausdrücken soll dabei allerdings nicht erforderlich sein. Vielmehr müsse die Fähigkeit aufgezeigt werden,
deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von
Dritten mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen
und so die schriftliche Äußerung als die eigene „tragen“ zu können.698
b. Führen von akademischen Titeln
Daneben bestimmt Art. 54, dass die Berufsträger die in ihrem Herkunftsland erworbenen akademischen Titel auch im Aufnahmemitgliedstaat im Rahmen der Berufsausübung führen dürfen. Der Aufnahmemitgliedstaat kann gemäß Art. 54 Satz 2
die Angabe von klarstellenden Zusätzen vorschreiben, wie Name und Ort der Lehranstalt oder des Prüfungsausschusses, die bzw. der diesen akademischen Titel verliehen hat. Bei Verwechslungsgefahr kann auch die Form der Titelführung gemäß
Art. 54 Satz 3 vorgegeben werden.
696 Vgl. Dokumente des Entscheidungsverfahrens der Richtlinie: Reform/Zusammenfassung,
S. 9, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/qualifications/future_de.htm, Stand:
21.9.2008.
697 Vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2005, Az. 5 C 8.05, DÖV 2006, S. 879.
698 Vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2005, Az. 5 C 8.05, DÖV 2006, S. 879.
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c. Pro-Forma-Mitgliedschaft
Insbesondere infolge der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Corsten699
wird der Berufsangehörige gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a) von Zulassungs-, Eintragungsoder Mitgliedschaftserfordernissen bei einer Berufsorganisation im Aufnahmemitgliedsstaat entbunden. Der EuGH hatte im Zusammenhang mit der Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle festgestellt, das Verfahren der obligatorischen Eintragung in die Handwerksrolle, gerade bei gelegentlichen oder einmaligen Dienstleistungen im Aufnahmeland, sei unter Umständen zeit- und kostenaufwendiger als
der zu erwartende Gewinn. Dies bedeute eine Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs, die nicht mit Art. 49 EG zu vereinbaren wäre.700 Gleiches gilt demnach auch
für eine kostenpflichtige Mitgliedschaft bei den Ärzte- und Psychotherapeutenkammern in Deutschland. Die Berufsausübung wird so für EU-Dienstleister erleichtert.
Allerdings hat der Aufnahmemitgliedstaat gemäß Art. 6 lit. a) die Möglichkeit, eine
Pro-Forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation vorzuschreiben, soweit eine
solche keine Verzögerung oder Erschwerung der Dienstleistungserbringung nach
sich zieht. Eine Pro-Forma-Mitgliedschaft kann dabei dazu beitragen, eine wirksame Berufsaufsicht zu ermöglichen, da sie Melde- und Informationspflichten vorsieht.
d. Berufshaftpflichtversicherung
Auch wenn vorübergehend tätige Berufsträger von Pflichtmitgliedschaften befreit
sind, kann gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Aufnahmemitgliedstaat vor der Erbringung einer Dienstleistung eine schriftliche Anzeige bei der zuständigen Behörde
verlangen. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 können auch Angaben zu Versicherungsschutz oder ggf. Berufshaftpflicht anzeigepflichtig sein. Eine solche Anzeige ist
gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 formlos jährlich zu erneuern, wenn Dienstleistungen wiederholt im Aufnahmemitgliedstaat angeboten werden.
Die Überprüfung des Versicherungsschutzes bzw. des Schutzes in Bezug auf die
Berufshaftpflicht gemäß Art. 7 Abs. 4 Unterabsatz 1 muss dabei verhältnismäßig
sein. So muss sie im angemessenen Verhältnis zu dem Ziel stehen, schwere Schäden
für die Gesundheit oder die Sicherheit des Dienstleistungsempfängers infolge mangelnder Qualifikation zu vermeiden.
Vor dem Hintergrund der Ermöglichung einer effektiven Berufsaufsicht können
die zuständigen Behörden in diesem Zusammenhang gemäß Art. 8 Abs. 1 auch Informationen vom Niederlassungsmitgliedstaat fordern.701
699 EuGH, Urt. vom 3.10.2000, Rs. C-58/98, Corsten, GewArch 2000, S. 476-479.
700 Vgl. EuGH, Urt. vom 3.10.2000, Rs. C-58/98, Corsten, GewArch 2000, S. 476 (479).
701 Der Aufnahmemitgliedsstaat kann zudem gemäß Art. 7 Abs. 2 verlangen, dass einer schriftlichen Meldung bei der zuständigen Behörde bestimmte Nachweise beigefügt werden. Dazu
gehören u.a. der Nachweis darüber, dass der jeweilige Beruf im Niederlassungsmitgliedstaat
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e. Aufschiebende Wirkung
Die aus Art. 7 folgenden Meldepflichten bei Ortswechsel des Dienstleisters entfalten
grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung für die Erbringung der Dienstleistung.702 Etwas anderes gilt nur für reglementierte Berufe, die die öffentliche Gesundheit oder Sicherheit berühren und die nicht unter die automatische Anerkennung
gemäß Art. 7 Abs. 4 i.V.m. Titel III Kapitel III fallen. Betroffen ist mithin auch der
Beruf des Psychotherapeuten. Hier ist die Ausübung der Dienstleistung bis zur abgeschlossenen Überprüfung der vorgelegten Nachweise bzw. bis zum Ablauf der in
Art. 7 Abs. 4 vorgesehenen Fristen aufschiebend bedingt. Dies ergibt der Umkehrschluss aus Art. 7 Abs. 4 Unterabsatz 4, wonach die Dienstleistung erbracht werden
darf, wenn
„eine Reaktion der zuständigen Behörde binnen der in den vorhergehenden Unterabsätzen
festgesetzten Fristen“
ausbleibt.
f. Berufsbezeichnung
Die Dienstleistung wird gemäß Art. 7 Abs. 3 grundsätzlich unter der Berufsbezeichnung des Niederlassungsmitgliedstaats erbracht, sofern für die betreffende Tätigkeit
in diesem Mitgliedstaat eine solche Berufsbezeichnung existiert. Liegen die Voraussetzungen einer automatischen Anerkennung nach Art. 7 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. Titel
III Kapitel III der Richtlinie vor, oder wurde die Gleichwertigkeit einer Qualifikation durch eine Eignungsprüfung festgestellt, gemäß Art. 7 Abs. 4 Unterabsatz 5,
kann die Erbringung der Dienstleistung unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmemitgliedstaats erfolgen.
g. Unterrichtung der Dienstleistungsempfänger
Schließlich kann der Dienstleister gemäß Art. 9 verpflichtet werden, auch den
Dienstleistungsempfänger mit bestimmten Informationen, z. B. zur Berufshaftpflicht
oder zur angehörigen Berufskammer, zu versorgen. Dies ist möglich, wenn
rechtmäßig ausgeübt werden darf und kein Berufsverbot besteht (Art. 7 Abs. 2 lit. b), ein Berufsqualifikationsnachweis (Art. 7 Abs. 2 lit. c)) sowie bei Berufen im Sicherheitssektor ein
Nachweis darüber, dass keine Vorstrafen vorliegen, soweit der Aufnahmemitgliedstaat einen
solchen Nachweis auch von seinen eigenen Staatsangehörigen verlangt (Art. 7 Abs. 2 lit. e)).
702 Vgl. auch Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament betreffend den vom Rat
angenommenen gemeinsamen Standpunkt, Dokumente des Entscheidungsverfahrens:
KOM(2004) 853 endg vom 6.1.2005, S. 6, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/
qualifications/future_de.htm, Stand: 21.9.2008.
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„die Dienstleistung unter der Berufsbezeichnung des Niederlassungsmitgliedstaats oder auf der
Grundlage des Ausbildungsnachweises des Dienstleisters“
erbracht wird. Verlangt werden dürfen u.a. gemäß Art. 9 lit. a) die Angabe des Handelsregisters und der zugehörigen Registernummer, gemäß Art. 9 lit. b) Name und
Anschrift der Aufsichtsbehörde im Niederlassungsmitgliedstaat oder gemäß
Art. 9 lit. c) die Umsatzsteueridentifikationsnummer, falls eine mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt wird. Diese Angaben können eine Kontaktaufnahme zu
den zuständigen Stellen im Herkunftsland im Hinblick auf die Verwaltungszusammenarbeit nach den Art. 8 und 56 und damit die Berufsaufsicht erleichtern.703
2. Berufsausübung – Niederlassungsfreiheit
Auch hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit gilt für das Marktverhalten das Recht
des Bestimmungslands. Daneben finden die bereits erörterten Art. 53-55 Anwendung.
3. Vergleich mit der bisherigen Anerkennungspraxis
Die eigentliche Novität der Richtlinie liegt in dem sektorübergreifenden Ansatz und
einer Regelung zur Anerkennung aller reglementierten Berufe. Erfasst werden so
auch Berufe, die von sektoralen Regelungen bisher nicht oder nur teilweise erfasst
wurden, wie beispielsweise der Beruf des Psychotherapeuten.704
a. Anerkennungspflicht
Keine Neuerung stellt das Prinzip der Anerkennungspflicht dar. Dies wurde vielmehr durch den Gerichtshof erstmals in seiner Webb-Entscheidung705 begründet. Ein
solches Prinzip lag auch den bisherigen sektoralen Richtlinien zu Grunde.706 Unter
Erwägungsgrund (14) der Richtlinie heißt es dazu auch:
„Der durch die Richtlinien 89/48/EWG707 und 92/51/EWG708 eingeführte Anerkennungsmechanismus ändert sich nicht.“
703 Vgl. zur Verwaltungszusammenarbeit nachfolgende Ausführungen unter D./III./2.
704 Vgl. Titel III, Kapitel I der Richtlinie.
705 Vgl. EuGH, Urt. vom 17.12.1981, Rs. C-279/80, Webb, Slg. 1981, S. 3305.
706 Vgl. z. B. Art. 2 und Art. 4 der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5.4.1993 (ABl. EG
Nr. L165 vom 7.7.1993, S. 1).
707 Richtlinie 89/48/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21.12.1988 für die
Lehrämter (EG-RL-LehrG) (ABl. EWG Nr. L 19 vom 24.1.1989, S. 16-23).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit widmet sich der Einflussnahme der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG auf die Berufsaufsicht über Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland und Großbritannien. Im Rahmen dessen erfolgt eine Auseinandersetzung mit den europäischen Harmonisierungskonzepten und dem Rechtskonzept der Berufsanerkennungsrichtlinie. Die Autorin erörtert die Auswirkungen einzelner Richtlinienvorschriften nach ihrer Umsetzung, insbesondere auf die deutschen Heilberufekammern. Sie analysiert dabei insbesondere die von der Richtlinie vorgegebene Verwaltungszusammenarbeit im Bereich der Berufsaufsicht sowie amtshaftungsrechtliche Aspekte, die sich im Rahmen der Aufsichtsarbeit der Berufskammern stellen.