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setzen lässt.691 Zum anderen unterliegt der für die Realisierung des sekundärrechtlichen Models erforderliche horizontale Verwaltungsverbund den gleichen Kritikpunkten wie das Herkunftslandprinzip. Ein solcher ließe sich nur dann mit bestehendem Recht vereinbaren, wenn die Gemeinschaft als Garant für Sicherheit und Wohlfahrt an die Stelle der Mitgliedstaaten tritt. Ein mit Gemeinschaftsrecht zu
vereinbarender „vertikaler Verwaltungsverbund“ stellt sich daneben als schwerfällig
für die Berufsaufsicht dar. Dies folgt daraus, dass die Kommission bei allen relevanten Entscheidungen stets eingeschaltet werden muss.
3. Modell: Herkunftslandprinzip ohne Rechtsangleichung
Eine europäische Berufsaufsicht ist zudem durch eine konsequente Anwendung des
Herkunftslandprinzips denkbar. Für einen Dienstleister würde demnach für das gesamte Gemeinschaftsgebiet das Recht und die Aufsichtbehörde des Herkunftslands
gelten. Doch auch bei diesem Modell ist zu bedenken, dass die Gemeinschaft den
Mitgliedstaaten ihre Garantieverantwortung für Sicherheit und Wohlfahrt im eigenen Staatsgebiet nur in dem Maße aus der Hand nehmen darf, wie sie bereit ist,
selbst an deren Stelle zu treten und ihrerseits für eine ausreichende Garantie zu sorgen.692 Die bedingungslose Anordnung der Geltung des Heimatrechts würde jedoch
weder dem jeweiligen Bestimmungsland seine Garantenpflichten belassen, noch
eine Übernahme von Garantenpflichten durch die Gemeinschaft bedeuten. Vielmehr
würde die Übernahme von Garantenpflichten des Bestimmungslands durch das
Herkunftsland festgelegt. Die Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus, wie von
Art. 95 Abs. 3 EG verlangt, könnte so vom Gemeinschaftsgesetzgeber nicht hinreichend garantiert werden. Gegen eine konsequente Anwendung des Herkunftslandprinzips sprechen darüber hinaus die bereits erörterten Bedenken.693
4. Ergebnis zu den Aufsichtsmodellen
Alle drei Modelle weisen Defizite auf. Das 3. Modell begegnet den bereits im Rahmen der Darstellung der negativen Rechtsangleichung erörterten Bedenken. Problematisch ist in gleicher Weise auch das 2. Modell. Der zur Realisierung des sekundären Modells erforderliche horizontale Verwaltungsverbund lässt die Situation des
Herkunftslandsprinzips entstehen und unterliegt damit ebenfalls den Kritikpunkten
des Herkunftslandprinzips. Darüber hinaus lässt sich gerade die Schaffung einheitlicher Aufsichtsstandards durch das 2. Modell kaum realisieren, da ein diesbezüglicher Konsens zwischen den 27 Mitgliedstaaten politisch unrealistisch erscheint.
691 Siehe zur Kritik an der positiven Rechtsangleichung obige Ausführungen unter B./I./1./d.
692 Vgl. Möstl, DÖV 2006, S. 281 (285).
693 Vgl. obige Ausführungen unter B./II./2./b./(2).
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Einzig das 1. Modell lässt sich unproblematisch mit den gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben vereinbaren. Aber auch hier bestehen Effektivitätsbedenken, da nach
diesem Modell ein Mitgliedstaat ungeprüft auf Aufsichtsmaßnahmen eines anderen
Mitgliedstaats vertrauen muss.
II. Für die Berufsausübung relevante Richtlinienregelungen
Gemäß Art. 4 Abs. 1 richtet sich die Berufsausübung nach den Vorschriften des
Bestimmungslands (=Bestimmungslandprinzip). Zusätzlich schreibt Art. 5 Abs. 3
vor, dass die Berufsausübung von dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Berufsrecht
und Berufsaufsichtsrecht bestimmt wird. Insofern heißt es dort:
„Begibt sich der Dienstleister in einen anderen Mitgliedstaat, so unterliegt er im Aufnahmemitgliedstaat den berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln.“
Zu den anwendbaren Normen gehört so auch das Berufsrecht der freien Berufe,694
mithin auch die mitgliedstaatlichen Berufsordnungen für Ärzte- und Psychotherapeuten. Im Folgenden werden die für die Berufsausübung relevanten Richtlinienregelungen aufgezeigt und erläutert.
1. Berufsausübung – Dienstleistungsfreiheit
Bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen der Berufsausübung gelten die Art. 53-
55. Daneben finden sich in den Art. 5 – 9 noch einige speziell für Dienstleistungserbringer geltende Regelungen.
a. Sprachtests
Damit Berufsqualifikationen anerkannt werden, müssen gemäß Art. 53 die jeweiligen Qualifikationsinhaber über – für die Berufsausübung erforderliche – nationale
Sprachkenntnisse verfügen. Diese Bestimmung wurde im Rahmen des Entscheidungsverfahrens in Titel IV verlagert, der sich sowohl auf die Niederlassungsfreiheit
als auch auf die Erbringung von Dienstleistungen erstreckt.695 Aus dieser Systematik
lässt sich der Schluss ziehen, dass jeder Mitgliedstaat auch die vorübergehende Aus-
übung einer Dienstleistung von dem Ergebnis eines Sprachtests abhängig machen
kann. Letztlich würde dies jedoch eine deutliche Einschränkung der Dienstleistungs-
694 Vgl. Kluth/Rieger, GewArch 2006, S.4.
695 Vgl. Begründung des Rates hinsichtlich des gemeinsamen Standpunkts des Rates vom
21.12.2004 (13781/2/04 REV 2 ADD 1), interinstitutionelles Dossier 2002/0061 (COD), Ziffer 62; abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/qualifications/future_de.htm, Stand:
21.9.2008.
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit widmet sich der Einflussnahme der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG auf die Berufsaufsicht über Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland und Großbritannien. Im Rahmen dessen erfolgt eine Auseinandersetzung mit den europäischen Harmonisierungskonzepten und dem Rechtskonzept der Berufsanerkennungsrichtlinie. Die Autorin erörtert die Auswirkungen einzelner Richtlinienvorschriften nach ihrer Umsetzung, insbesondere auf die deutschen Heilberufekammern. Sie analysiert dabei insbesondere die von der Richtlinie vorgegebene Verwaltungszusammenarbeit im Bereich der Berufsaufsicht sowie amtshaftungsrechtliche Aspekte, die sich im Rahmen der Aufsichtsarbeit der Berufskammern stellen.