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anwender abzielen.125 Die Schaffung einer alternativen 28. Regelung steht dem aber
gerade entgegen, da vielmehr noch eine weitere zusätzliche Vorschrift geschaffen
wird. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Absätze 4 und 5 des Art. 95 EG nur
hinsichtlich auf Grundlage des Art. 95 Abs. 1 erlassener Maßnahmen eingreifen.126
Auf andere Maßnahmen könnte ein auf Art. 95 Absätze 4 und 5 EG gestütztes „28.
Regime“ somit nicht gestützt werden. Eine umfassende Rechtsangleichungsmöglichkeit wäre mithin auch nach dem „28. Regime“ nicht gegeben.
Letztlich ist auch die Anwendung des Auffangtatbestands des Art. 308 EG als
Ermächtigungsgrundlage einer 28. Regelung zweifelhaft. Art. 308 EG ist gegenüber
den anderen vertraglichen Ermächtigungsgrundlagen subsidiär,127 weshalb an eine
Berufung strenge Anforderungen gestellt werden. Es bestehen aber schon Zweifel an
der Erforderlichkeit einer 28. Regelung, wenn dieselbe Materie bereits durch mitgliedstaatliche Vorschriften geregelt ist und diese hierdurch nicht zwingend abgelöst
werden. Können die mitgliedstaatlichen Regelungen neben dem „28. Regime“ weiterhin bestehen, erscheint die Schaffung desselben gerade eben nicht zwingend erforderlich.
4. Zwischenergebnis
Die negative Rechtsangleichung ist zwar in der Lage, eine Rechtsvereinheitlichung
dynamisch hervorzurufen. Eine reine negative Rechtsangleichung nach dem Prinzip
des „Delaware-Effekts“, ohne Elemente der positiven Harmonisierung, ist jedoch
nicht mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts vereinbar. So erscheint sie nicht
zuletzt auf Grund des durch den zwangsläufig mit ihr verbundenen Race-To-The-
Bottom bedenklich. Unvereinbar mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben ist das
„28. Regime“. Weder die Art. 94, 95 EG noch der Auffangtatbestand des Art. 308
EG kommen als kompetenzrechtliche Grundlage in Betracht. Art. 94, 95 EG scheiden aus, da zum einen die Schaffung einer zusätzlichen 28. Regelung schwerlich
unter den Begriff der Angleichung im Sinne der Vorschriften gefasst werden kann.
Zum anderen scheitert eine Anwendung des vorrangigen Art. 95 EG letztlich daran,
dass die Beibehaltung einzelstaatlicher Bestimmungen neben einer europäischen
Vorschrift nur einem Mitgliedstaat gemäß Art. 95 Abs. 4 und 5 EG und nicht der
Gemeinschaft ermöglicht wird. Art. 308 EG kann als Ermächtigungsgrundlage nicht
herangezogen werden, da bei einer zusätzlichen, neben den mitgliedstaatlichen Vorschriften bestehenden, Harmonisierungsmaßnahme die Erforderlichkeit einer Rege-
125 Vgl. Fischer, in Lenz/Borchardt, EUV/EGV-Kommentar, Art. 94 EG, Rn. 7; Zeitler/Kolling,
EWS 2006, S. 97 (101)
126 Vgl. Kahl, in Callies/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar, Art. 95 EG, Rn. 40; Fischer, in
Borchardt/Lenz, EUV/EGV-Kommentar, Art. 95 EG, Rn. 40; Pipkorn/Bardenhewer-
Rating/Taschner, in von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV-Kommentar, Band 2, Art. 95 EG,
Rn. 99; Tietje, in Grabitz/Hilf, EUV/EGV-Kommentar, Art. 95 EG, Rn. 97.
127 Vgl. EuGH, Urt. vom 26.3.1987, Rs. C-45/86, APS I, Slg. 1987, S. 1493, Rn. 13 ff.;
Herdegen, Europarecht, § 9, Rn. 60.
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lung fehlt. Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung kombiniert das Herkunftslandund Bestimmungslandprinzip. Verbunden mit der Schaffung gemeinsamer Mindeststandards im Wege der positiven Rechtsangleichung, gelingt es allein diesem, Bedenken funktionaler und kompetenzrechtlicher Art auszuräumen.
III. Verfolgte Strategie der Berufsanerkennungsrichtlinie
Die Berufsanerkennungsrichtlinie kombiniert das Herkunftslandprinzip mit dem
Bestimmungslandprinzip und folgt so dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung.128 In
Art. 4 Abs. 1 heißt es deshalb:
„Die Anerkennung der Berufsqualifikation durch den Aufnahmemitgliedstaat ermöglicht der
begünstigten Person, in diesem Mitgliedstaat denselben Beruf wie den, für den sie in ihrem
Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und unter denselben Voraussetzungen wie
Inländer auszuüben.“
Soweit die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit, also der Marktzugang, betroffen ist, findet grundsätzlich das Herkunftslandprinzip Anwendung. Art. 4 Abs. 1
lautet insoweit:
„...in den Mitgliedstaaten denselben Beruf wie den für den sie in ihrem Herkunftsstaat qualifiziert ist…aufzunehmen“.
Was die Berufsausübung, also das Marktverhalten, anbelangt, so wird der jeweilige Berufsträger den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats, gemäß dem Bestimmungslandprinzip, gleichgestellt. Art. 4 Abs. 1 lautet diesbezüglich:
„...und unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben“.
Ursprünglich sollte die Vorschrift auf Rechte und Pflichten der Berufsangehörigen
des jeweiligen Mitgliedstaats Bezug nehmen.129 Die Formulierung
„unter denselben Voraussetzungen“
schließt dies mit ein.
Die Richtlinie geht dabei nicht von transnationaler Geltung von Genehmigungen
zur Berufsausübung aus, wie dies noch bei der Van-Wesemael – Entscheidung130 des
128 Vgl. zur Durchsetzung der Prinzipien auch Kluth/Rieger, GewArch 2006, S. 4 f.
129 Vgl. Begründung des Rates hinsichtl. gemeinsamen Standpunkts des Rates vom 21.12.2004
(13781/2/04 REV 2 ADD 1), interinstitutionelles Dossier 2002/0061 (COD), Ziffer 14; abzurufen unter http://ec.europa.eu/internal_market/qualifications/future_de.htm, Stand: 1.9.2008.
130 Vgl. EuGH, Urt. vom 18.1.1979, Rs. C-110/78 und 111/78, Ministère Public und ASBL ./.
van Wesemael u.A., Slg. 1979, S. 35, 3. Leitsatz sowie Rn. 24-30. Der EuGH entwickelte einen mehrstufigen Test, der die Voraussetzungen einer gerechtfertigten Beschränkung des
freien Dienstleistungsverkehrs festlegt: Die nationalen Beschränkungen in einem (1.) noch
nicht vergemeinschafteten Bereich (sonst EG-Regelung lex spezialis) müssen (2.) nichtdiskriminierend sein (sonst Art. 55 i.V.m. 45, 46 EG). Es müssen (3.) zwingende Gründe des
Allgemeininteresses bestehen, wobei (4.) der beabsichtigte Schutz noch nicht durch Maßnahmen des Heimatstaats gewährleistet sein darf und (5.) die Maßnahme verhältnismäßig sein
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit widmet sich der Einflussnahme der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG auf die Berufsaufsicht über Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland und Großbritannien. Im Rahmen dessen erfolgt eine Auseinandersetzung mit den europäischen Harmonisierungskonzepten und dem Rechtskonzept der Berufsanerkennungsrichtlinie. Die Autorin erörtert die Auswirkungen einzelner Richtlinienvorschriften nach ihrer Umsetzung, insbesondere auf die deutschen Heilberufekammern. Sie analysiert dabei insbesondere die von der Richtlinie vorgegebene Verwaltungszusammenarbeit im Bereich der Berufsaufsicht sowie amtshaftungsrechtliche Aspekte, die sich im Rahmen der Aufsichtsarbeit der Berufskammern stellen.