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B. Das Sachleistungsvertragskonzept auf länderübergreifender Ebene
In diesem Abschnitt wird beantwortet, ob die Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen nach der Umsetzung der Richtlinie grenzüberschreitend
einheitlichen Regeln folgt. Die Ausführungen hinsichtlich der einzelstaatlichen
Durchsetzung des Sachleistungsvertragskonzepts haben auf das Ergebnis bereits
hingedeutet: Eine länderübergreifende Vereinheitlichung der Sachschuldnerhaftung
im Sinne eines Sachleistungsvertragskonzepts kann für die untersuchten Rechtsordnungen nur eingeschränkt festgestellt werden.
So ist zu konstatieren, dass die Umsetzung der Richtlinie grenzüberschreitend
einheitliche Mindeststandards für Sachleistungsverträge im Verbrauchervertragsrecht geschaffen hat.1402 Anderes gilt nur für einige unzulässige Unterschreitungen.1403 Ferner haben die nationalen Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzungsmaßnahmen beinahe vollständig auf das Überschreiten des Mindeststandards verzichtet.1404 Die der Umsetzung dienenden Haftungsregime ähneln sich sehr. Es haben
sich auch einige bedeutende rechtstechnische Annäherungen ergeben. In Deutschland ist der hier betrachtete Bereich der Haftung des Sachschuldners mittlerweile
monistisch strukturiert1405 und die problematische Abgrenzung zwischen Nichterfüllungs- und Gewährleistungshaftung ist entfallen.1406 In Frankreich ist das neu geschaffene Haftungsregime eingliedrig aufgebaut1407, was gegenüber der dualistischen Haftungsstruktur des „contrat de vente“ eine erhebliche Veränderung darstellt.
In dieser Hinsicht zeigt sich eine Annäherung der deutschen und französischen
Rechtsordnungen an das System des „common law“. Im englischen Recht führte die
Umsetzung der Richtlinie zu einer wenigstens zaghaften1408 Anerkennung der nacherfüllenden Rechtsbehelfe als Regelrechtsbehelfe. Die englische Rechtsordnung ist
den untersuchten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen dadurch einen Schritt
entgegengekommen.
Im Ergebnis verlieren diese erfreulichen Annäherungen aber einen nicht unerheblichen Teil ihrer vereinheitlichenden und vereinfachenden Wirkung. Der grenzüberschreitende Güteraustausch verkompliziert sich für die Vertragsparteien eher. Das
liegt vor allem daran, dass man sich in England und Frankreich nicht dazu durchringen konnte, die bisher gültigen Haftungsregime zu ersetzen. Daraus resultieren insbesondere im Bereich der Haftungsfolgen1409 im länderübergreifenden Vergleich erhebliche rechtliche Unterschiede.
1402 Vgl. Kämpf, S. 159.
1403 S. Kap. 7 C. II. 1. sowie Kap. 6 B. III. 3. und 4.; s. Zerres, S. 445, für das englische und das
deutsche Recht.
1404 S. beispielsweise Kap. 7 B. III. 4., C. III. 4.
1405 S. Kap. 6 B. I.
1406 S. dazu Kap. 2 B. I. u. C. I.
1407 S. Kap. 8 B. I.
1408 Diesbezüglich ist an das Bestehen der „discretion of the court“ zu erinnern, s. Kap. 7 B. III. 2.
1409 Bis auf das weitere Bestehen der haftungsausschließenden Geringfügigkeitsschwelle in der
französischen Haftung für „vice caché“ existieren nur eher geringfügige Unterschiede. Hier
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So übernimmt beispielsweise das deutsche Recht die Abstufung des Sachleistungsvertragskonzepts der Richtlinie. Der Sachgläubiger muss die nacherfüllenden
Rechtsbehelfe grundsätzlich zuerst geltend machen und kann erst auf zweiter Stufe
die Rechtsbehelfe der Minderung und der Vertragsauflösung wählen. Es ergibt sich
eine Abwendungsbefugnis des Sachschuldners.1410 Der Rechtsbehelf der Vertragsauflösung setzt ferner voraus, dass die Beschaffenheitsabweichung eine gewisse Erheblichkeit aufweist1411, er ist insoweit als absolut nachrangig konzipiert.1412
Im englischen Recht hingegen gewährt das neue Haftungsregime dem Sachgläubiger die nacherfüllenden Rechtsbehelfe nur unter der „discretion of the court“.1413
Die Vertragsauflösung setzt ferner auch nach dem neuen Haftungsregime keine besondere Schwere der Beschaffenheitsabweichung voraus.1414 Im Übrigen übernimmt
das neue Haftungsregime des englischen Rechts zwar die Abstufung der Rechtsbehelfe des Sachleistungsvertrags nach der Konzeption der Richtlinie, so dass der
Sachgläubiger bei Vorliegen einer „non conformity“ zunächst nur die Nacherfüllung
verlangen kann.1415 Die Abstufung wird aber dadurch faktisch ausgehöhlt, dass dem
Sachgläubiger auch weiterhin die Rechte aus der Haftung für „breach of contract“
zustehen.1416 Das ermöglicht es ihm, sofort die Vertragsauflösung zu verlangen oder
seine Gegenleistung zu mindern.1417
Die Situation im französischen Recht gestaltet sich erneut anders. Hier übernimmt
das neue Haftungsregime die Abstufung der Richtlinie, indem es den Sachgläubiger
zunächst auf die nacherfüllenden Rechtsbehelfe verweist. Der Sachschuldner hat dadurch die Möglichkeit der Abwendung der anderen Rechtsbehelfe.1418 Weiterhin ist
die Auflösung des Vertrags nur möglich, wenn eine gewisse Intensität der Beschaffenheitsabweichung vorliegt.1419 So ergibt sich die absolute Nachrangigkeit des
Rechtsbehelfs der Vertragsauflösung.1420 Diese Abstufung der Rechtsbehelfe wird
aber, ähnlich der Situation im englischen Recht, teilweise dadurch unterlaufen, dass
der Sachgläubiger auch die ihm nach bisherigem Recht zustehenden Rechtsbehelfe
geltend machen kann.1421 Ist der Vertrag als „contrat de vente“ einzustufen und stellt
die Abweichung einen „vice caché“ dar, kann der Sachgläubiger sofort die Mindeist beispielsweise auf die unterschiedlich ausgebildete Abschwächung des Konsenserfordernisses zu verweisen, s. Kap. 5 B. 1. c), d).
1410 S. Kap. 6 B. III. 3. a) und 4.
1411 S. Kap. 6 B. III. 4.
1412 S. Kap. 6 B. III. 6.
1413 S. Kap. 7 B. III. 2. und C. III. 2.
1414 S. Kap. 7 B. III. 4. a) und C. III. 4.
1415 S. Kap. 7 B. III. 6. C. III. 6.
1416 Miller, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-164; Arnold/Unberath, ZEuP 2004, 366 (372).
1417 S. Kap. 3 B. III. 7. C. III. 6.
1418 S. Kap. 8 B. III. 3. a) und 4.
1419 S. Kap. 7 B. III. 4.
1420 S. Kap. 8 B. III. 6.
1421 S. Kap. 8 A. IV.
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rung verlangen oder den Vertrag sogar auflösen. Die Abwendungsbefugnis des
Sachschuldners besteht in diesen Fällen nicht.1422
Die wirtschaftliche Konsequenz der angeführten Unterschiede ist, dass es auch
nach der Umsetzung der Richtlinie erheblich von Vorteil ist, sich vor dem grenz-
überschreitenden Vertragsschluss bzw. bei Problemen der Vertragsabwicklung über
die Rechtslage im anderen Land zu informieren. Das ist in der Praxis für den wirtschaftlich Denkenden sogar notwendig. Damit verbunden sind Informationskosten,
die den grenzüberschreitenden Vertragsschluss erheblich behindern. So ist zu befürchten, dass in der Gesamtschau eine Senkung der Transaktionskosten bzw. eine
Förderung des wirtschaftlichen Austauschs durch eine Vereinheitlichung der
Rechtsordnungen nicht in dem Maße erzielt wurde, wie es möglich gewesen wäre.
1422 S. Kap. 4 B. III. 4. a) und 5. a).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.