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A. Das Sachleistungsvertragskonzept auf nationaler Ebene
I. Das Sachleistungsvertragskonzept in Deutschland
In Deutschland wurde die Umsetzungsverpflichtung zum Anlass genommen, das
Schuldrecht umfassend zu modernisieren. Anstatt die einschlägigen Vertragstypen
einzeln anzupassen, entschied sich der Gesetzgeber dafür, die bisherige Vertragstypengrenze zwischen Herstellungs- und Veräußerungsverträgen zu verschieben. Die
Lebenssachverhalte, die der Richtlinie unterfallen, sind einer einheitlichen rechtlichen Bewertung im Rahmen des Kaufvertragsrechts zugewiesen worden.1382 Das
Kaufvertragsrecht ist den Anforderungen der Richtlinie entsprechend modifiziert
worden. Vertragstypendifferenzierende Regelungen, die oberhalb des Mindeststandards nach Art. 8 II der Richtlinie möglich wären, finden sich nicht. Die bisherige
Vertragstypik des BGB a. F. hat dadurch im untersuchten Bereich ihre Bedeutung
verloren und der Typus des Sachleistungsvertrags im Sinne der Richtlinie hat Einkehr gehalten. Anders als es im französischen und englischen Recht der Fall ist, gilt
das bisher gültige Recht nicht parallel fort.1383
Im Ergebnis sind die vorher oft problematischen Differenzierungen entfallen. Die
Einheitlichkeit der Voraussetzungen und Folgen der Haftung des Sachschuldners auf
der einzelstaatlichen Ebene lässt vermuten, dass sich die Informationskosten für die
beteiligten Vertragsparteien im betrachteten Bereich verringern. Es kann davon ausgegangen werden, dass durch die Neuregelung vormals bestehende Reibungspunkte
in der Wirtschaft für diesen Bereich der Verträge entfallen. In diesem Kontext ist
positiv daran zu erinnern, dass die Neuerungen auch außerhalb des Verbrauchervertragsrechts Anwendung finden.1384 So werden weitere Differenzierungen vermieden,
die neue Abgrenzungsschwierigkeiten und Kosten verursacht hätten.
II. Das Sachleistungsvertragskonzept in England
Im englischen Recht wurden die der Richtlinie unterfallenden Lebenssachverhalte
durch die Umsetzungsmaßnahme nicht einem gemeinsamen Vertragstypus bzw.
Haftungsregime zugeordnet. Stattdessen unternahm man den Versuch, den von der
Richtlinie geforderten Mindeststandard durch eine entsprechende Modifikation des
SGA und des SGSA zu gewährleisten.1385 Zu diesem Zweck fügte man in den SGA
und in den SGSA je ein neues Haftungsregime ein, das neben der herkömmlichen
und unverändert fortgeltenden Haftung für „breach of contract“ Anwendung findet.
Die Haftungsvoraussetzungen der neuen Haftungsregime sind in Bezug auf die
Festlegung des sachschuldnerischen Solls jeweils den Voraussetzungen der Haftung
1382 S. Kap. 6 A. III.
1383 S. Kap. 6 A. IV.
1384 S. Kap. 6 A. II.
1385 S. Kap. 7 A. II., III.
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für „breach of contract“ angeglichen worden. Sie verweisen auf die vertragliche Abrede bzw. die sachschuldnerischen Pflichten, die gemäß SGA bzw. SGSA bestehen.1386 Liegt eine Beschaffenheitsabweichung der Sachleistung vor, ist daher sowohl die neue Haftung für „conformity with the contract“ als auch die schon bisher
gültige Haftung für „breach of contract“ einschlägig.1387 Die Folgen der Haftung für
„conformity with the contract“ nach SGA und SGSA unterscheiden sich in den neuen Haftungsregimen nicht. Es ist darauf verzichtet worden, vertragstypenspezifische
Unterscheidungen oberhalb des Mindeststandards der Richtlinie vorzunehmen. Die
Folgen der weiterhin gültigen Haftung für „breach of contract“ hingegen divergieren
auch zukünftig vertragstypenabhängig. Sie unterscheiden sich in einigen Bereichen
ebenfalls erheblich von den Haftungsfolgen der neu eingefügten Haftungsregime.1388
Aus den genannten Aspekten ergibt sich in Bezug auf die nationale Vereinheitlichung und Vereinfachung der rechtlichen Bewertung von Sachleistungsverträgen
Folgendes: Für die Parteien ist es nach wie vor bedeutsam, welchem Typus der von
ihnen geschlossene Vertrag zuzuordnen ist. Das liegt nicht daran, dass die Haftung
für „conformity with the contract“ inhaltlich zwischen Herstellungs- und Veräußerungsverträgen unterscheidet. Die Ursache ist stattdessen darin zu suchen, dass das
parallele Fortgelten des bisherigen Rechts die bisher geltenden vertragstypenabhängigen Unterscheidungen in das neue Recht hinein trägt. Einheitlichen rechtlichen
Regeln werden alle Sachleistungsverträge daher nur dann unterworfen, wenn sich
der Sachgläubiger dazu entscheidet, die Ansprüche des neuen Haftungsregimes geltend zu machen. Wählt er dagegen die Haftung des Sachschuldners für „breach of
contract“, was für ihn in einigen Fällen vorteilhaft sein kann, werden die „alten“ Unterschiede wieder aktuell. So ist beispielsweise die Vertragsauflösung für den Sachgläubiger am einfachsten, wenn der Vertrag als „contract of sale“ eingeordnet wird
und er sich dazu entscheidet, die Haftung seines Vertragspartners wegen „breach of
contract“ einzufordern. Dagegen ist die Auflösung des Vertrags für den Sachgläubiger schwieriger, wenn der Vertrag als „contract for work and materials“ verstanden
wird. Die Frage der Konkurrenz der weiterhin gültigen Haftung für „breach of contract“ mit der neu geschaffenen Einstandspflicht des Sachschuldners ist kaum geklärt worden.1389 Der Anwendungsbereich des neuen Haftungsregimes ist auf Verbraucherverträge beschränkt.
Der Versuch ist fehlgeschlagen, alle von der Richtlinie erfassten Herstellungsverträge in den Anwendungsbereich der Haftung für „conformity with the contract“
einzubeziehen. Der Sachgläubiger verfügt nur in Teilbereichen des von der Richtlinie erfassten Herstellungsvertragsrechts über die Rechtsbehelfe, die das neue Recht
bereithält.1390 Entscheidend ist für die Anwendung des neuen Rechts auf die Herstel-
1386 S. Kap. 7 B. II. 1. und C. II. 2.
1387 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Haftung für „breach of contract“ auch weitere Pflichtverletzungen sanktioniert. Die Haftung für „conformity with the contract“ erfasst hingegen nur
Verstöße gegen die in s. 48F SGA bzw. s. 11S SGSA normierten Sachschuldnerpflichten.
1388 Vgl. Kap. 7 B. III. 6. u. Kap. 2 B. III. 7. bzw. C. III. 6.
1389 S. Kap. 7 A. IV.
1390 S. Kap. 7 C. II. 1.
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lungsverträge zum einen, ob ein Eigentumsübergang erfolgen soll. Zum anderen unterfallen dem neuen Haftungsregime nach der gesetzlichen Regelung nur Beschaffenheitsabweichungen, die auf der Verwendung fehlerhafter Materialien beruhen.1391
Für alle nicht durch die Neuregelungen erfassten Bereiche gilt das alte Recht (ausschließlich) fort. So entsteht für den Bereich der Herstellungsverträge neuer Abgrenzungsbedarf.
Als zusammenfassende Bewertung ergibt sich, dass die Situation im englischen
Recht unübersichtlich wirkt. Die dargestellten Umstände lassen vermuten, dass bereits auf innerstaatlicher Ebene die rechtlichen Veränderungen keine Senkung der
Transaktions- bzw. Informationskosten bewirken. Die anzutreffenden, teilweise neu
entstandenen Unterscheidungen sind geeignet, weitere Unsicherheiten der rechtlichen Bewertung zu verursachen.1392 So ist zu befürchten, dass innerstaatliche wirtschaftlichen Aktivitäten, verglichen mit der Situation vor Umsetzung der Richtlinie,
eher erschwert wurden.
III. Das Sachleistungsvertragskonzept in Frankreich
Das französische Recht verzichtete für die Umsetzung der Richtlinie auf die Modifikation des bisherigen Vertragstypenrechts des Code civil. Stattdessen wurde ein
neues Haftungsregime geschaffen und in den Code de la consommation integriert.1393 In den Anwendungsbereich der neuen Haftung für „conformité du bien au
contrat“ fallen sämtliche durch die Richtlinie erfassten Sachleistungsverträge. Sie
alle werden einer Bewertung zugeführt, die sich nach einheitlichen Regeln richtet.1394 Auf die Schaffung von Regeln, die oberhalb der Mindeststandards der Richtlinie nach Vertragstypen differenzieren, ist verzichtet worden. Die Zuordnung der
Lebenssachverhalte zu Vertragstypen verliert insoweit an Bedeutung.
Doch die Vereinheitlichung und Vereinfachung des Rechts der Sachleistungsverträge wird wie im englischen Recht im Ergebnis weitgehend umgangen.1395 Das liegt
daran, dass das bisher gültige Recht neben dem neuen Haftungsregime auch in
Frankreich weiterhin Anwendung findet.1396 So bleiben die vielen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen „contrat d’entreprise“ und „contrat de vente“ aktuell. Die
in Frankreich massiv kritisierte Unterscheidung der Haftung für „vices cachés“ und
für Nichterfüllung der Lieferpflicht des „contrat de vente“ behält ihre Bedeutung.1397
Der Rechtsanwender wird mit komplizierten Differenzierungen konfrontiert, sobald
sich der Sachgläubiger entscheidet, seinen Vertragspartner nach dem „alten“ Recht
1391 S. Kap. 7 C. II. 1.
1392 S. dazu Reynolds, in: Benjamin’s (2006), Rn. 12-118 ff.
1393 S. Kap. 8 A. II.
1394 S. Kap. 8 A. II., III.
1395 Paisant, JCP 2005, 1167 (1175).
1396 S. Kap. 8 A. IV.
1397 Vgl. Kap. 4 B. II. 3., III. 7. und C. II. 4, III. 7.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.