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e) Die haftungsausschließende Geringfügigkeitsschwelle
Eine tatbestandliche Geringfügigkeitsschwelle ist im Rahmen der Haftungsvoraussetzungen des neuen Haftungsregimes nicht vorgesehen. Nach Art. L211-10 Code
consom. besteht das Recht des Sachgläubigers zur Auflösung des Vertrags nicht,
wenn die Beschaffenheitsabweichung nur geringfügiger Natur ist. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass jede Beschaffenheitsabweichung die Haftung des Sachschuldners begründen kann.
3. Der maßgebliche Zeitpunkt
Art. L211-4 al. 1 Code consom. ordnet an, dass der Sachschuldner nach den Regeln
des neuen Haftungsregimes nur haftet, wenn die Beschaffenheitsabweichung zum
Zeitpunkt der Lieferung besteht. Ausführungen darüber, welcher Moment als Zeitpunkt der Lieferung anzusehen ist, lässt die „Ordonnance“ vermissen.
4. Ergebnis zu den Haftungsvoraussetzungen
Die Festlegung der vom Sachschuldner zu leistenden Beschaffenheit bzw. Verwendungstauglichkeit erfolgt auch im Rahmen des neuen Haftungsregimes nach den bereits im bisherigen Recht geltenden Grundsätzen. Systematisch hat man allerdings
von der bisher dualistischen Struktur Abstand genommen und die Haftungsvoraussetzungen nunmehr in nur einem Haftungstatbestand vereint. Die geschuldete Beschaffenheit bzw. Verwendungstauglichkeit bestimmt sich primär anhand subjektiver Kriterien. Subsidiär wird das üblicherweise zu Erwartende geschuldet. Grundsätzlich besteht ein Konsenserfordernis, damit kommunikative Elemente den
Schuldinhalt beeinflussen. Der Sachschuldner haftet auch dann, wenn die Beschaffenheitsabweichungen nur geringfügiger Natur sind. Er ist insoweit zu der Erbringung einer „perfekten“ Leistung verpflichtet. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Beschaffenheit ist der Moment der Lieferung.
III. Haftungsfolgen - die Rechtsbehelfe des Sachgläubigers
Für den Fall einer Beschaffenheitsabweichung verfügt der Sachgläubiger über die
Rechtsbehelfe des neuen Haftungsregimes der Artt. L211-9 ff. Code consom. Diese
werden in der Folge dargestellt.
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1. Das Recht zur Auswahl des Rechtsbehelfs
Wie schon das bisher geltende Recht spricht auch das neue Haftungsregime das
Recht über die Auswahl der Rechtsbehelfe dem Sachgläubiger zu.1354 Artt. L211-9
al. 1 u. L211-10 al. 1 Code consom. lauten: „L’acheteur choisit entre la réparation et
le remplacement“ bzw. „l’acheteur peut rendre le bien et se faire restituer le prix ou
garder le bien et se faire rendre une partie du prix“. Für das Vorliegen einer „discrétion“ der Gerichte, wie sie das französische Recht bisher außerhalb der gesetzlich
kodifizierten Haftung für „vice caché“ kannte, ergeben sich keine Anhaltspunkte.1355
Die Gerichte sind daher bei ihrer Entscheidung daran gebunden, welchen Rechtsbehelf der Sachgläubiger ausgewählt hat.
2. Die Rechtsbehelfe der Nachlieferung und Nachbesserung
Art. L211-8 Code consom. statuiert den Anspruch des Sachgläubigers auf die Vertragsgemäßheit der Sachleistung. Diesen Anspruch flankierend gewährt Art. L211-9
Code consom. dem Sachgläubiger das Recht, bei Vorliegen einer Beschaffenheitsabweichung zwischen der Nachbesserung („réparation“) oder Nachlieferung/Neuherstellung („remplacement“) zu wählen.1356 Eine dogmatische Neuerung
ergibt sich daraus für das französische Recht kaum. Neu ist lediglich, dass nun auch
für den Bereich, der funktional der Haftung für „vice caché“ des „contrat de vente“
unterfiel, eine gesetzliche Regelung dieser Rechtsbehelfe vorliegt.1357 Das neue Haftungsregime unterstellt die Ausgestaltung der beiden Rechtsbehelfe denselben Regeln, so dass sie in der Folge gemeinsam dargestellt werden können. Art. L211-11
al. 1 Code consom. bestimmt, dass die Herstellung der geschuldeten Beschaffenheit
vollständig auf Kosten des Sachschuldners erfolgen muss. Das Recht des Sachgläubigers, Nachbesserung oder Nachlieferung bzw. Neuherstellung zu verlangen, erfährt in bestimmten Konstellationen sachschuldnerschützende Einschränkungen.
1354 Bénabent (2006), Rn. 234-11; Calais-Auloy, RTDciv 2005, 701 (706); Paisant, JCP 2005,
1167 (1172).
1355 Hocquet-Berg, Responsabilité 2005 N°4, 4; Mainguy, JCP-E 2005, 698 (701), schließt aus
der Tatsache, dass die Nacherfüllung nach Art. 211-11 code consom. untentgeltlich erfolgen
muss, dass anders als bisher zur Geltendmachung der Sachgläubigerrechte eine Anrufung der
Gerichte nicht notwendig ist. Das soll jedenfalls gelten, soweit es um die auf Nacherfüllung
gerichteten Rechtsbehelfe geht; ihm wohl beipflichtend Tournafond, RD 2005, 1557 (1566).
Gegenüber der bisher verhältnismäßigen strikten Befolgung des Grundsatzes „nul ne peut se
faire justice par soi même“ wäre das eine Veränderung des französischen Rechts, s. dazu Kap.
4 B. III. 2.
1356 Antonmattei/Raynard, Rn. 232.
1357 S. Kap. 4 B. III. 3.
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a) Die Einschränkung bei Unmöglichkeit und Unverhältnismäßigkeit
Artt. L211-9 al. 2, L211-10 Code consom. sehen vor, dass der Sachgläubiger die
Nacherfüllung nicht verlangen kann, wenn diese unmöglich bzw. unverhältnismäßig
ist. Ihrem Wortlaut nach mutet die Regelung ungewöhnlich an: Dem Sachschuldner
wird es nach Art. L211-9 al. 2 Code consom. verwehrt, eine neue Sachleistung zu
liefern bzw. die Beschaffenheitsabweichungen durch eine Reparatur zu beheben,
wenn das unverhältnismäßig ist, „Toutefois, le vendeur peut ne pas proceder..“.1358
Darüberhinaus scheint die „Ordonnance“ ihrem Wortlaut nach den Sachschuldner
für diesen Fall ipso iure verpflichten zu wollen, die Art der Nacherfüllung durchzuführen, die der Sachgläubiger nicht gewählt hat („il est tenu“). Das gilt nur dann
nicht, wenn die andere Art der Nacherfüllung unmöglich ist.
Doch anders als es die Formulierungen zunächst vermuten lassen, soll auf diese
Weise nur betont werden, dass der Sachschuldner den anderen Weg der Nacherfüllung beschreiten kann, wenn ein Weg unmöglich bzw. unverhältnismäßig ist. Der
Normgeber beabsichtigte nicht, eine entsprechende Verpflichtung des Sachschuldners zu statuieren.1359 Es wäre auch kaum nachzuvollziehen, den Sachschuldner zu
der anderen Art der Nacherfüllung gesetzlich zu verpflichten, wenn dies dem Willen
keiner der Vertragsparteien entspricht. Diese, dem Wortlaut eher zuwiderlaufende
Interpretation, wird auch durch die Formulierung des Art. L211-10 1° Code consom.
gestützt. Dort wird eindeutig davon ausgegangen, dass es „en application de l’article
L211-9“ auch zu Parteivereinbarungen über die Art der Nacherfüllung kommen
kann.1360
Der Begriff der Unmöglichkeit erfährt durch das neue Haftungsregime keine
Ausgestaltung. Unverhältnismäßig ist die Durchführung eines nacherfüllenden
Rechtsbehelfs gemäß Art. L. 211-9 al. 2, wenn sie gegenüber „der“ anderen Abhilfemodalität offensichtlich disproportionale Kosten verursacht. Für die Bewertung
der Unverhältnismäßigkeit sind der Wert der Sachleistung oder die Bedeutung der
Abweichung maßgeblich.1361 In die Unverhältnismäßigkeitsprüfung miteinbezogen
wird jeweils nur der andere auf Herstellung gerichtete Rechtsbehelf. Ein Vergleich
mit den Kosten der Minderung oder Auflösung des Vertrags scheint nicht vorge-
1358 Hervorhebungen vom Verfasser.
1359 S. die entsprechenden Erläuterungen im Rapport B, Unterpunkt A. zu „Les remèdes au défaut
de conformité“: „Le professionel ne peut imposer au consommateur une tierce solution. Il
peut toutefois procéder à l’inverse du choix du consommateur“ (Hervorhebung vom Verfasser); so auch Tournafond, RD 2005, 1557 (1566); Rondey, RD 2005, 562 (563); Paisant, JCP 2005, 1167 (1172); a. A. wohl Antonmattei/Raynard, Rn. 232; eine identische Gesetzeserläuterung findet sich schon im Rahmen von Art. L211-9 des „Projet“, der mit dem aktuellen Gesetzestext wörtlich übereinstimmt.
1360 „Si la solution demandée, proposée ou convenue... “.
1361 Tournafond, RD 2005, 1557 (1566), scheint entgegen dem eindeutigen Wortlaut der „Ordonnance“ davon auszugehen, dass nur bei kumulativ vorliegender Unverhältnismäßigkeit von
Bedeutung der Abweichung und Wert der Sachleistung ein Recht des Sachschuldners zur
Verweigerung der Nacherfüllung besteht („et“).
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nommen zu werden. Dafür spricht der Wortlaut der „Ordonnance“. Sie spricht von
„l’autre modalité“, wählt also den Singular und behält diese Wahl ebenfalls im letzten Satz des Art. L. 211-9 al. 2 Code consom. bei. Ferner findet sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung systematisch im Rahmen der Ausgestaltung der beiden nacherfüllenden Rechtsbehelfe.1362 Außerdem geht das System der sich anschließenden sekundären Rechtsbehelfe in seinen Tatbestandsvoraussetzungen nicht davon aus, dass
eine Unverhältnismäßigkeit beider auf Nacherfüllung gerichteter Rechtsbehelfe
überhaupt vorliegen kann.1363
b) Das Recht zur Auswahl der Art der Nacherfüllung
Das Recht zur Wahl der Art der Nacherfüllung gesteht Art. L211-9 al. 1 Code consom. dem Sachgläubiger zu.1364 Daran ändert auch nichts, dass Art. L211-10 1° Code consom. davon ausgeht, dass die Art der Ausführung der Nacherfüllung auch
vorgeschlagen oder vereinbart werden kann. Die Regelung stellt es dem Sachgläubiger lediglich frei, sich in der Ausübung seines Wahlrechts zu beschränken.1365
3. Der Rechtsbehelf der Minderung
Als weiteren Rechtsbehelf sieht das neue Haftungsregime in Art. L211-10 al. 1,
2. Variante Code consom. den Rechtsbehelf der Minderung vor. Weist die Beschaffenheit der Sachleistung eine Abweichung vom geschuldeten Soll auf, kann der
Sachgläubiger die Sachleistung behalten und sich einen Teil des bereits bezahlten
Entgelts erstatten lassen. Gegenüber dem bisherigen Recht ergibt sich insoweit ein
dogmatisches Novum, als dass der Rechtsbehelf der Minderung als eigenständiger
Rechtsbehelf im Bereich der Nichterfüllungshaftung des Verbrauchervertragsrechts
zuvor noch nicht endgültig anerkannt war. 1366 Das Recht des Sachgläubigers die
1362 Nach der Fassung der französischen Normen könnte der Sachgläubiger verlangen, dass der
jeweils andere Weg der Nacherfüllung beschritten wird. Das würde selbst dann gelten, wenn
die alternative Art der Nacherfüllung in der Gesamtschau zwar etwas weniger, aber immer
noch unverhältnismäßig wäre („au regard de l’autre modalité“). Eine absolute Verhältnismä-
ßigkeitsprüfung ergibt sich nicht.
1363 Anderenfalls könnte es zu einem einmonatigen Stillstand bei der Vertragsabwicklung kommen, der einer „Pattsituation“ gleicht. Erst dann wären Minderung oder Vertragsauflösung
möglich, s. dazu unten bei 3. und 4.
1364 Antonmattei/Raynard, Rn. 232; Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (701).
1365 Tournafond, RD 2005, 1557 (1566), kritisiert die drohende Ressourcenvergeudung und verweist darauf, dass man diese hätte vermeiden können, wenn man das Wahlrecht dem Sachschuldner zugewiesen hätte. Eine derartige Umsetzung hätte aber gegen Art. 3 III i. V. m.
Erwägungsgrund 10 bzw. das Mindeststandardprinzip des Art. 8 II der Richtlinie verstoßen.
1366 S. Kap. 4 B. III. 4. und C. III. 4.
299
Minderung zu verlangen, ist einigen wesentlichen sachschuldnerschützenden Beschränkungen unterworfen.
a) Die Abwendungsbefugnis des Sachschuldners
Aus dem Zusammenspiel der Artt. L211-9 al. 1 und L211-10 Code consom. ergibt
sich, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle eine Abwendungsbefugnis des Sachschuldners besteht. Es wird angeordnet, dass bei Vorliegen einer „non conformité“
der Sachgläubiger grundsätzlich zunächst zwischen Nachbesserung und Nachlieferung wählen muss.1367 Der so generierte Vorrang der Nacherfüllung1368 entfällt jedoch in bestimmten Ausnahmesituationen.
b) Die sachgläubigerschützenden Gegenausnahmen
Sofort kann der Sachgläubiger die Minderung in drei Fällen verlangen. Ihm steht
gemäß Art. L211-10 al. 1 Code consom. dieser Weg offen, wenn sowohl Nachbesserung als auch Nachlieferung/Neuherstellung unmöglich sind.1369 Ferner kann er nach
Art. L211-10 1° Code consom. sofort mindern, wenn die verlangte, vereinbarte oder
vorgeschlagene Form der Abhilfe nicht innerhalb eines Monats ab der Reklamation
durch den Sachgläubiger vom Sachschuldner durchgeführt werden kann.1370 Außerdem kann der Sachgläubiger seine Gegenleistung sofort herabsetzen, wenn die Abhilfe mit größeren Unannehmlichkeiten für ihn verbunden wäre. Für die Bewertung
der Unannehmlichkeiten sind gemäß Art. L211-10 2° Code consom. die Art der
Sachleistung und der vom Sachgläubiger beabsichtigte Gebrauch maßgeblich.
An dieser Stelle ist auf zwei Abweichungen gegenüber dem Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie ergänzend hinzuweisen: Zum einen gestehen
Art. L211-10 1° und 2° Code consom. im Widerspruch zu Art. 3 V aller untersuchten Sprachfassungen der Richtlinie dem Sachgläubiger die sofortige Minderung
bzw. Vertragsauflösung schon dann zu, wenn eine Herstellung nicht fristgemäß oder
1367 Vgl. den Rapport B, Unterpunkt A. zu „Les remèdes au défaut de conformité“; Calais-Auloy,
RTDciv 2005, 701 (707); Tournafond, RD 2005, 1557 (1566); Rondey, RD 2005, 562 (563);
Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (701).
1368 Paisant, JCP 2005, 1167 (1172); Antonmattei/Raynard, Rn. 232.
1369 Rondey, RD 2005, 562 (563); von diesem klaren Wortlaut abweichend scheint Mainguy,
JCP-EA 2005, 698 (701), die Ansicht zu vertreten, der Sachgläubiger könne auch dann die
Minderung oder Vertragsauflösung verlangen, wenn nur eine der beiden Nacherfüllungsalternativen unmöglich ist.
1370 S. dazu näher Dalloz C. cons. (2007), Art. L211-10; Labarthe/Noblot, JCP 2005, 1680 (1684)
weisen daraufhin, dass die Frist von einem Monat für Herstellungsverträge unangemessen
kurz sei.
300
ohne erhebliche Unannehmlichkeiten erfolgen kann.1371 Der Ablauf einer Frist bzw.
das Entstehen der nicht unerheblichen Unannehmlichkeiten sind nicht Voraussetzung einer sofortigen Geltendmachung der Rechtsbehelfe. Es ergibt sich insoweit
eine gegenüber der Richtlinie unproblematische Besserstellung des Sachgläubigers.
Zum anderen verwehrt die „Ordonnance“ dem Sachgläubiger das Recht zur sofortigen Minderung, wenn beide Rechtsbehelfe der Nacherfüllung lediglich unverhältnismäßig sind. Nach Art. L211-10 Code consom. wird stattdessen die Unmöglichkeit der Nacherfüllung insgesamt verlangt.1372 Die Richtlinienkonformität der Regelung könnte je nach französischem Verständnis der Unmöglichkeit in einigen funktional denkbaren Bereichen zweifelhaft sein, denn nach der hier vertretenen Auffassung kann der Sachgläubiger nach der Richtlinie gemäß Art. 3 III, V auch die Minderung verlangen, wenn beide Nacherfüllungsmöglichkeiten unverhältnismäßig
sind.1373
4. Der Rechtsbehelf der Vertragsauflösung
Schließlich ermöglicht es Art. L211-10, 1. Variante Code consom. dem Sachgläubiger, den Vertrag aufzulösen, wenn die Sachleistung von der geschuldeten Beschaffenheit abweicht. Art. L211-10 Code consom. sieht für den Fall der Vertragsauflösung die Rückgabe der Sachleistung an den Sachschuldner vor. Im Gegenzug kann
sich der Sachgläubiger einen bereits gezahlten Preis zurückerstatten lassen. Der
Rechtsbehelf der Vertragsauflösung und der Rechtsbehelf der Minderung sind gemeinsam und weitgehend identisch geregelt worden. Insoweit kann im Hinblick auf
die nähere Ausformung des Rechtsbehelfs der Vertragsauflösung auf die Ausführungen zum Rechtsbehelf der Minderung verwiesen werden.1374
1371 „ne peut être mise en oeuvre dans le délai d’un mois....... ou si cette solution ne peut l’être
sans inconvénient majeur.. “; die Richtlinie hingegen verlangt den Ablauf der Frist, „Abhilfe
geschaffen hat“, „has not completed“, „n’a pas mis en oeuvre“, „no hubiera llevado“; unbeantwortet bleibt die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Nacherfüllung erfolgreich durchgeführt wurde, aber mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden war, vgl. Kap. 1 C. II. 4.
und 5.
1372 Das französische Recht geht offenbar davon aus, dass eine Unverhältnismäßigkeit von beiden
auf Herstellung gerichteten Rechtsbehelfen nicht vorliegen kann, da sich die Unverhältnismä-
ßigkeit ausschließlich relativ zur anderen Art der Nacherfüllung bestimmt. Anderenfalls ergäbe sich in den Fällen der Unverhältnismäßigkeit beider Nacherfüllungsansprüche eine Pattsituation: Der Sachschuldner wäre zum Handeln nicht verpflichtet. Gleichzeitig könnte der
Sachgläubiger nach der Fassung des Art. L211-10 Code consom. nicht sofort auf die sekundären Rechtsbehelfe übergehen. Das wäre erst nach dem fruchtlosen Ablauf der Monatsfrist
gem. Art. L211-10 1° Code consom. möglich.
1373 S. Kap. 1 C. II. 4. und 5. Tatsächlich wird sich dieser Unterschied in der Praxis nicht zum
Nachteil des Sachgläubigers auswirken. Sind beide Nacherfüllungsalternativen für den Sachschuldner mit einer derartigen Belastung verbunden, dass sie als unverhältnismäßig im Sinne
der Richtlinie anzusehen sind, wird er mit einer Minderung bzw. Vertragsauflösung durch
den Sachgläubiger einverstanden sein.
1374 S. o. unter 3.
301
Anzumerken ist, dass der Rechtsbehelf der Vertragsauflösung, anders als der
Rechtsbehelf der Minderung, gemäß Art. L211-10 Code consom. a. E. zusätzlich das
Vorliegen eines weiteren Tatbestandserfordernisses verlangt. Der Sachgläubiger ist
zu der Auflösung des Vertrags nicht berechtigt, wenn die Beschaffenheitsabweichung der Sachleistung nur geringfügiger Natur ist.1375 Daraus ergibt sich eine weitere Hierarchisierung innerhalb der Rechtsbehelfe der zweiten Stufe. Der Rechtsbehelf der Vertragslösung ist durch das dargestellte besondere Tatbestandserfordernis
absolut nachrangig.1376
5. Verschuldenserfordernis der Rechtsbehelfe
Ein Verschulden des Sachschuldners ist nicht tatbestandliche Voraussetzung der
Rechtsbehelfe des neuen Haftungsregimes. Die Haftung des Sachschuldners wird
durch das bloße Vorliegen einer Beschaffenheitsabweichung zum maßgeblichen
Zeitpunkt begründet. Eine „exonération“ ist nicht möglich.1377
6. Ergebnis zu den Haftungsfolgen
Das der Umsetzung der Richtlinie dienende neu eingefügte Haftungsregime der
„non conformité“ gewährt dem Sachgläubiger das Recht zu der Auswahl des
Rechtsbehelfs. Für das Bestehen einer „discretion“ der Gerichte ergeben sich keine
Anhaltspunkte. Die Wahl des Sachgläubigers ist daher bindend für die Gerichte. Der
Sachgläubiger kann bei Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen zwischen der
Nachbesserung oder Nachlieferung/Neuherstellung der Sachleistung wählen. Diese
Möglichkeit hat er nicht, wenn die Nacherfüllung unmöglich ist oder wenn die
Nacherfüllung im Verhältnis zu der jeweils anderen Nacherfüllungsart unverhältnismäßig ist. Als weiterer Rechtsbehelf steht dem Sachgläubiger die Minderung der
Gegenleistung offen. Außerdem kann er die Auflösung des Vertrags verlangen,
wenn die Beschaffenheitsabweichung mehr als geringfügig ist.
Hinsichtlich einer Hierarchie der Rechtsbehelfe ist festzuhalten, dass die vom
Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie vorgesehene Abstufung der Rechtsbehelfe übernommen wurde.1378 Der Sachgläubiger ist zunächst gehalten, zwischen
den auf Nacherfüllung gerichteten Rechtsbehelfen zu wählen. Nur wenn die Nacherfüllung unmöglich ist oder nicht innerhalb eines Monats nach der Reklamation bzw.
1375 Calais-Auloy, RTDciv 2005, 701 (707); Antonmattei/Raynard, Rn. 232; Paisant, JCP 2005,
1167 (1172).
1376 S. Rapport B, Unterpunkt A., dort unter „Les remèdes au défaut de conformité“; Tournafond,
RD 2005, 1557 (1566).
1377 Tournafond, RD 2005, 1557 (1564); zweifelnd Paisant, JCP 2005, 1167 (1173).
1378 Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (701); Rondey, RD 2005, 562 (563); Hocquet-Berg, Responsabilité 2005 N°4, 4.
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ohne größere Unannehmlichkeiten vorgenommen werden kann, ist der Sachgläubiger berechtigt, zur Minderung bzw. Vertragsauflösung überzugehen. Daraus ergibt
sich für die überwiegende Zahl der Fälle eine faktische Abwendungsbefugnis für
den Sachschuldner bzw. ein prinzipieller Vorrang der Nacherfüllung. Die Vertragsauflösung ist gegenüber den anderen Rechtsbehelfen absolut nachrangig ausgestaltet
worden. Sie verlangt als zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung, dass die Beschaffenheitsabweichung nicht nur geringfügiger Natur ist.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.