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B. Die Haftung des Sachschuldners eines „contrat de vente“
Im folgenden Abschnitt wird die Haftung des Sachschuldners eines „contrat de vente“ bzw. eines assimilierten Vertrags nach dem neu hinzugetretenen Haftungsregime
inhaltlich erläutert. Zunächst werden die Struktur des neuen Haftungstatbestands
und die systematische Verortung der hier interessierenden Schlechtleistung kurz abgebildet. Die Darstellung der Voraussetzungen und Folgen der Sachschuldnerhaftung schließt sich an.
I. Die systematische Behandlung von Fällen der Schlechtleistung
Das durch die Umsetzungsmaßnahme eingefügte Haftungsregime kennt nach
Art. L211-9 al. 1 Code consom. nur einen einheitlichen Haftungstatbestand, die
„conformité du bien au contrat“. Der Inhalt beider bisherigen Haftungstatbestände
wurde in einem neuen Haftungstatbestand verschmolzen und die Haftung des Sachschuldners folgt insoweit der „théorie unitaire“.1339 Die bisher vor allem im Bereich
des „contrat de vente“ äußerst problematische Abgrenzung von Gewährleistungsund Nichterfüllungshaftung entfällt damit für das neue Haftungsregime.1340 Es kann
davon ausgegangen werden, dass der Begriff der „conformité du bien au contrat“
alle denkbaren Fälle der qualitativen Beschaffenheitsabweichung erfasst.1341
II. Haftungsvoraussetzungen
In der Folge werden die Voraussetzungen der Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen inhaltlich erläutert. Zuerst wird der Bezugspunkt der
1339 Malaurie/Aynès/Gautier (2007), Rn. 332; Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (699 f.); Antonmattei/Raynard, Rn. 232; Hocquet-Berg, Responsabilité 2005 N°4, 4.
1340 Tournafond, RD 2005, 1557 (1561) hingegen geht scheinbar davon aus, dass es sich nur um
eine „agglomération“ der bisher geltenden Haftungstatbestände handelt. Er begründet seine
Ansicht damit, dass sich die bisherige Trennung der Haftungstatbestände auch in der Aufteilung des neuen Haftungstatbestands des Art. L211-5 Code consom. wiederfinde. Die jeweilig
divergierenden Haftungsvoraussetzungen sollen daher auch innerhalb des neuen Haftungstatbestands fortbestehen. So scheint er beispielsweise zu meinen, dass wie im (bisherigen) funktionalen Bereich der Haftung für „vice caché“ eine „gravité du défaut“ erforderlich ist, um eine Haftung überhaupt auszulösen (s. dazu Kap. 4 B. II. 1. e)). Dieses Verständnis widerspricht aber in richtlinienwidriger Weise (s. Art. 8 II der Richtlinie) dem Sachleistungsvertragskonzept, s. Kap. 1 C. I. 2. e). Ferner missachtet die Interpretation von Tournafond, dass
der französische Gesetzgeber eindeutig eine monistische Struktur des Haftungsregimes beabsichtigte.
1341 Nach Einschätzung von Tournafond werden die Fälle der verspäteten Lieferung nicht durch
das neue Haftungsregime erfasst, ders., RD 2005, 1557 (1561); ferner stellt er die Einbeziehung der Fälle der Aliud-Lieferung in Frage; anders Pimont, RTDcom 2006, 261 (262).
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neu geschaffenen Pflicht des Sachschuldners untersucht, anschließend wird geprüft,
wie das Soll des Sachschuldners bestimmt wird.1342
1. Der Bezugspunkt der Sachschuldnerpflicht
Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der Begriff der „conformité du bien
au contrat“ auf die fertig hergestellte Sachleistung in toto bezieht. Das wird durch
das bisher gültige Rechtsverständnis indiziert.1343 Bei der Betrachtung des neuen
Haftungsregimes lässt sich kein Anhaltspunkt dafür erkennen, dass der Normgeber
diesbezüglich einen Systemwechsel beabsichtigte.1344 Weiterhin betont Art. 211-4
al. 2 Code consom., dass der Begriff der „conformité“ auch Beschaffenheitsabweichungen erfasst, die das Resultat der Werkleistung bzw. des „processing“ sind: „Il
répond également des défauts de conformité résultant.....de l’installation“.1345 An
der Norm zeigt sich zum einen, dass beide unterscheidbare Pflichtenkreise („selecting“ und „processing“) für das Vorliegen einer „conformité“ maßgeblich sind. Zum
anderen wird deutlich, dass auf das Resultat („résultant“), also das Endprodukt der
fertigen Sachleistung, als Bezugspunkt einer im Ansatz einheitlichen Pflicht abgestellt wird.
2. Die Festlegung der geschuldeten Beschaffenheit
Im Laufe der Untersuchung des „alten“ Rechts hatten sich für den Bereich der Haftungsvoraussetzungen weitgehende Übereinstimmungen mit dem Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie gezeigt. Das galt im besonderen Maße hinsichtlich der
Art der Festlegung der vom Sachschuldner zu leistenden Beschaffenheit.1346 Das gefundene Ergebnis wird dadurch gestützt, dass der französische Gesetzgeber im Bereich der Haftungsvoraussetzungen keinen Bedarf für Veränderungen gesehen hat.
a) Die Bedeutung subjektiver Kriterien
Gemäß Art. L211-4 al. 1 Code consom. ist der Sachschuldner in wörtlicher Übereinstimmung mit der französischen Fassung der Richtlinie verpflichtet, eine vertragsgemäße Sachleistung zu liefern. Die Vertragsmäßigkeit bestimmt sich nach den
„caracteristiques définies d’un commun accord par les parties“, Art. L211-5 2° Code
1342 Vgl. Kap. 1 C. I. 1. und Kap. 3 C. II. 1.
1343 S. Kap. 4 C. II. 1.
1344 Rondey indes bemängelt, dass die Verpflichtung des Sachschuldners hinsichtlich der Beschaffenheit verwendeter Materialien nicht eindeutig geregelt wurde, dies., RD 2005, 562 (563).
1345 Hervorhebungen vom Verfasser.
1346 S. Kap. 5 B. I.
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consom. Die im Rahmen des Art. 2 II der Richtlinie als Vermutungsregel ausgestalteten Parameter sind zu Tatbestandsvoraussetzungen geworden. Hat der Sachschuldner die Sachleistung beschrieben oder ein Muster vorgelegt, bestimmt sich
danach, welche Beschaffenheit die Sachleistung aufweisen muss.1347
In Bezug auf die Frage, ob eine Konsentierung der kommunikativen Elemente erforderlich ist, damit diese Einfluss auf die sachschuldnerische Pflicht ausüben, ergibt
sich kein eindeutiges Bild. Art L211-4 al. 1 stellt auf den „commun accord“ ab, so
dass im Prinzip von einem Konsenserfordernis auszugehen ist. Inwiefern des Prinzip
aber Ausnahmen zulässt, zeigt sich nicht zweifelsfrei. Art L211-5 1° scheint seinem
Wortlaut zufolge auch die nur einseitige Beschreibung oder Mustergabe des Sachschuldners den Schuldinhalt bestimmen zu lassen.1348 Doch findet sich diese Regelung erst im „Rahmen“ der Definition des Begriffs der Vertragsgemäßheit, der durch
das Erfordernis des „commun accord“ geprägt ist. Das spricht gegen eine Auflockerung des Konsenserfordernisses im betrachteten Bereich. Ferner verlangt
Art. L211-5 2° für den Sonderfall der Verwendungstauglichkeit der Sachleistung für
ungewöhnliche Zwecke explizit nach einem „commun accord“.1349 Gerade im Bereich dieser Fallgruppe ist bei Verbraucherverträgen das Informationsgefälle zwischen den Vertragsparteien regelmäßig besonders ausgeprägt1350 und der insofern
erhöhte Schutzbedarf des Sachgläubigers würde umso eher eine Auflockerung des
Konsenserfordernisses rechtfertigen. Es wäre widersprüchlich, wenn in Fällen eines
besonders hohen Schutzbedarfs des Sachgläubigers eine Konsentierung erforderlich
sein sollte, bei einfachen Beschreibungen der Ware durch den Sachschuldner aber
nicht. In der Gesamtschau sprechen die besseren Argumente dafür, dass es im betrachteten Bereich nicht zu einer Auflockerung des Konsenserfordernisses gekommen ist.
b) Die Bedeutung objektiver Kriterien
Neben der Maßgeblichkeit subjektiver Kriterien ordnet das neue Haftungsregime
auch die Berücksichtigung objektiver Kriterien bei der Bestimmung des sachschuldnerischen Solls an. Im Rahmen der Beurteilung der Vertragsmäßigkeit der Sachleistung ist gemäß Art. L211-5 1° Code consom. zu beachten, welche Gebrauchstauglichkeit gewöhnlicherweise von einer vergleichbaren Sachleistung zu erwarten
1347 Dasselbe gilt bei öffentlichen Äußerungen, wie insbesondere Werbung oder Etikettierung. In
diesen Fällen müssen aber auf der Sachgläubigerseite entsprechende Erwartungen geweckt
worden sein, die überdies auch gerechtfertigt sein müssen, Art. L211-5 1° Code consom.
1348 „…correspondre à la description donnée par le vendeur et posséder les qualités que celui-ci a
présentées à l’acheteur sous forme d’échantillon ou de modèle; présenter les qualités qu’un
acheteur peut légitimement attendre au égard aux déclarations publiques faites par le vendeur..“.
1349 S. unter c).
1350 S. Kap. 1 C. I. 2. c).
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ist.1351 Dazu steht im Gleichlauf, dass Art. L211-5 1° Code consom. für die Frage
nach einer Maßgeblichkeit der Etikettierung der Sachleistung oder einer öffentlicher
Äußerungen darauf abstellt, was „légitimement“ von „einem“ Sachgläubiger erwartet werden darf.
c) Die Verwendungstauglichkeit
Bereits aus der Maßgeblichkeit der Parteivereinbarung für den Inhalt der Schuld ergibt sich, dass die Sachleistung für die Verwendung zu den vereinbarten Zwecken
taugen muss. Das Schulden der üblichen Beschaffenheit beinhaltet, dass die Sachleistung verwendungstauglich für gewöhnliche Zwecke sein muss. Bereits angemerkt wurde, dass der Sachschuldner im Rahmen des neuen Haftungsregimes für die
Verwendungstauglichkeit der Sachleistung für ungewöhnliche Zwecke nur einstehen
muss, wenn ein entsprechender Konsens vorliegt. Art. L211-5 2° Code consom.
stellt fest: „...ou être propre à tout usage spécial recherché par l’acheteur, porté à la
connaissance du vendeur et que ce dernier a accepté“.1352
d) Das Verhältnis subjektiver und objektiver Kriterien
Ob sich die Festlegung des sachschuldnerischen Solls primär nach subjektiven oder
nach objektiven Kriterien bestimmt, ist der Definition der Vertragsmäßigkeit in
Art. L211-5 Code consom. nicht deutlich zu entnehmen. Zunächst könnte man aufgrund der alternativen Anordnung („ou“) der Ziffern 1° und 2° eine Gleichrangigkeit
subjektiver und objektiver Kriterien vermuten. Ziffer 1° ordnet jedoch durch die zusätzliche Verwendung des Wortes „et“ an, dass bei (weiterem) Vorliegen subjektiver
Elemente wie Mustergabe, Beschreibung, Etikettierung etc. die so kommunizierte
Beschaffenheit über die gewöhnlicherweise geschuldete Gebrauchstauglichkeit hinaus vorhanden sein muss. So genügt in diesen Fällen gerade nicht die Leistung des
üblicherweise Geschuldeten. Es ergibt sich der Vorrang der subjektiven Kriterien.1353 Zu diesem Ergebnis im Gleichlauf steht, dass der Sachgläubiger gemäß
Art. L211-8 Code consom. keine Rechte aus Beschaffenheitsmerkmalen der Sachleistung herleiten kann, die er bei Vertragsschluss kannte.
1351 Malaurie/Aynès/Gautier (2007), Rn. 332; Dalloz C. cons. (2007), Section II.
1352 Hervorhebungen vom Verfasser.
1353 So wohl auch Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (701) u. Bénabent (2006), Rn. 234-6.
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e) Die haftungsausschließende Geringfügigkeitsschwelle
Eine tatbestandliche Geringfügigkeitsschwelle ist im Rahmen der Haftungsvoraussetzungen des neuen Haftungsregimes nicht vorgesehen. Nach Art. L211-10 Code
consom. besteht das Recht des Sachgläubigers zur Auflösung des Vertrags nicht,
wenn die Beschaffenheitsabweichung nur geringfügiger Natur ist. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass jede Beschaffenheitsabweichung die Haftung des Sachschuldners begründen kann.
3. Der maßgebliche Zeitpunkt
Art. L211-4 al. 1 Code consom. ordnet an, dass der Sachschuldner nach den Regeln
des neuen Haftungsregimes nur haftet, wenn die Beschaffenheitsabweichung zum
Zeitpunkt der Lieferung besteht. Ausführungen darüber, welcher Moment als Zeitpunkt der Lieferung anzusehen ist, lässt die „Ordonnance“ vermissen.
4. Ergebnis zu den Haftungsvoraussetzungen
Die Festlegung der vom Sachschuldner zu leistenden Beschaffenheit bzw. Verwendungstauglichkeit erfolgt auch im Rahmen des neuen Haftungsregimes nach den bereits im bisherigen Recht geltenden Grundsätzen. Systematisch hat man allerdings
von der bisher dualistischen Struktur Abstand genommen und die Haftungsvoraussetzungen nunmehr in nur einem Haftungstatbestand vereint. Die geschuldete Beschaffenheit bzw. Verwendungstauglichkeit bestimmt sich primär anhand subjektiver Kriterien. Subsidiär wird das üblicherweise zu Erwartende geschuldet. Grundsätzlich besteht ein Konsenserfordernis, damit kommunikative Elemente den
Schuldinhalt beeinflussen. Der Sachschuldner haftet auch dann, wenn die Beschaffenheitsabweichungen nur geringfügiger Natur sind. Er ist insoweit zu der Erbringung einer „perfekten“ Leistung verpflichtet. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Beschaffenheit ist der Moment der Lieferung.
III. Haftungsfolgen - die Rechtsbehelfe des Sachgläubigers
Für den Fall einer Beschaffenheitsabweichung verfügt der Sachgläubiger über die
Rechtsbehelfe des neuen Haftungsregimes der Artt. L211-9 ff. Code consom. Diese
werden in der Folge dargestellt.
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References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.