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IV. Das Verhältnis des neuen und des alten Haftungsregimes
Art. L211-13 Code consom. trifft eine bedeutende Regelung über das Verhältnis
zwischen dem neuen Haftungsregime und dem bereits bisher und auch weiterhin
gültigen Recht. Danach steht es dem Sachgläubiger frei, auch in Zukunft solche
Rechte geltend zu machen, die sich aus der bereits vor Umsetzung der Richtlinie geltenden Haftung für „vice caché“ der Artt. 1641 ff. Code Civ. sowie weiteren vertraglichen und außervertraglichen Haftungsgrundlagen ergeben.1334 Leider wird das
nähere Verhältnis der im Falle einer Beschaffenheitsabweichung potenziell einschlägigen Haftungsregime zueinander darüberhinaus nicht festgelegt. So kommt es
zu einem Nebeneinander zweier1335 Haftungsregime, die sich in ihren Haftungsvoraussetzungen und –folgen nur teilweise gleichen. Vergegenwärtigt man sich, dass in
Frankreich seit nunmehr über dreißig Jahren die Abschaffung des bestehenden
zweigliedrigen Haftungsregimes zugunsten einer monistischen Struktur diskutiert
wird, ist diese Entwicklung verblüffend. Der Blick auf die jüngere französische Zivilrechtsgeschichte lässt das Entstehen großer Abgrenzungschwierigkeiten und eine
weitere Verkomplizierung der Situation befürchten.1336 Malaurie/Aynès/Gautier bemerken dazu: „Et ce n’est pas la directive du 25 mai 1999.... qui va simplifier les
choses“.1337 Diese Vermutung wird von großen Teilen der französischen Literatur
geteilt.1338
V. Zwischenergebnis und Auswirkungen auf die weitere Darstellung
Die Umsetzungsmaßnahme beschränkt sich auf die Konstellation des Verbrauchervertrags. Die bisherige verbrauchervertragliche Haftung des Sachschuldners eines
Herstellungs- bzw. Veräußerungsvertrags für Beschaffenheitsabweichungen beansprucht in unveränderter Form Geltung. Zusätzlich ist ein weiteres Haftungsregime
geschaffen worden, das alle Verträge, die dem Sachleistungsvertragskonzept der
1334 Bénabent (2006), Rn. 234-2, 234-10; Tournafond, RD 2005, 1557 (1561); Rondey, RD 2005,
562 (563); Mainguy, JCP-EA, 698 (701 f.); Hocquet-Berg, Responsabilité 2005 N°4, 4; Antonmattei/Raynard, Rn. 168 ff.; Dalloz C. cons. (2007), Art. L211-3, Section II.
1335 Dies gilt jedenfalls, soweit es bei einer Exklusivität der Haftung wegen Nichterfüllung und
„vice caché“ bleibt. Wird die Exklusivität der Anwendungsbereiche der Nichterfüllungs- und
Gewährleistungshaftung (wieder) aufgehoben, kann es im Bereich des „contrat de vente“ sogar zu einer gleichzeitigen Anwendbarkeit von drei vertraglichen Haftungsregimen kommen,
s. Kap. 4 B. I.
1336 Rondey, RD 2005, 562 (563); Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (699); Paisant, JCP 2005,
1167 (1175); Lièvremont, JCP 2005, 2430 (2433 f.); Hocquet-Berg, Responsabilité 2005
N°4, 4; Tournafond, RD 2005, 1557 (1562).
1337 So Malaurie/Aynès/Gautier (2001); Rn. 285; ähnlich Bénabent (2006), Rn. 234-2.
1338 Dutilleul/Delebecque (2007), Rn. 321; Duchêne, JCP N? 43 2007, 17 ff.; vgl. ferner Dalloz
CC (2008), Art. 1641, Rn. 19. Eine Auflistung einiger Unterschiede der Haftungsregime bietet Paisant, JCP 2005, 1167 (1174 f.); Duchêne, JCP N? 43 2007, 17 ff.; vgl. ferner Dalloz
CC (2008), Art. 1641, Rn. 19.
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Richtlinie unterfallen, einer identischen rechtlichen Bewertung zuführt. Im Folgenden kann die Darstellung der neuen Haftungsvoraussetzungen und –folgen daher für
beide Vertragstypen gemeinsam erfolgen. Die erneute Untersuchung des „alten“
Haftungsregimes ist nicht erforderlich, da es im untersuchten Bereich unverändert
fortgilt.
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B. Die Haftung des Sachschuldners eines „contrat de vente“
Im folgenden Abschnitt wird die Haftung des Sachschuldners eines „contrat de vente“ bzw. eines assimilierten Vertrags nach dem neu hinzugetretenen Haftungsregime
inhaltlich erläutert. Zunächst werden die Struktur des neuen Haftungstatbestands
und die systematische Verortung der hier interessierenden Schlechtleistung kurz abgebildet. Die Darstellung der Voraussetzungen und Folgen der Sachschuldnerhaftung schließt sich an.
I. Die systematische Behandlung von Fällen der Schlechtleistung
Das durch die Umsetzungsmaßnahme eingefügte Haftungsregime kennt nach
Art. L211-9 al. 1 Code consom. nur einen einheitlichen Haftungstatbestand, die
„conformité du bien au contrat“. Der Inhalt beider bisherigen Haftungstatbestände
wurde in einem neuen Haftungstatbestand verschmolzen und die Haftung des Sachschuldners folgt insoweit der „théorie unitaire“.1339 Die bisher vor allem im Bereich
des „contrat de vente“ äußerst problematische Abgrenzung von Gewährleistungsund Nichterfüllungshaftung entfällt damit für das neue Haftungsregime.1340 Es kann
davon ausgegangen werden, dass der Begriff der „conformité du bien au contrat“
alle denkbaren Fälle der qualitativen Beschaffenheitsabweichung erfasst.1341
II. Haftungsvoraussetzungen
In der Folge werden die Voraussetzungen der Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen inhaltlich erläutert. Zuerst wird der Bezugspunkt der
1339 Malaurie/Aynès/Gautier (2007), Rn. 332; Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (699 f.); Antonmattei/Raynard, Rn. 232; Hocquet-Berg, Responsabilité 2005 N°4, 4.
1340 Tournafond, RD 2005, 1557 (1561) hingegen geht scheinbar davon aus, dass es sich nur um
eine „agglomération“ der bisher geltenden Haftungstatbestände handelt. Er begründet seine
Ansicht damit, dass sich die bisherige Trennung der Haftungstatbestände auch in der Aufteilung des neuen Haftungstatbestands des Art. L211-5 Code consom. wiederfinde. Die jeweilig
divergierenden Haftungsvoraussetzungen sollen daher auch innerhalb des neuen Haftungstatbestands fortbestehen. So scheint er beispielsweise zu meinen, dass wie im (bisherigen) funktionalen Bereich der Haftung für „vice caché“ eine „gravité du défaut“ erforderlich ist, um eine Haftung überhaupt auszulösen (s. dazu Kap. 4 B. II. 1. e)). Dieses Verständnis widerspricht aber in richtlinienwidriger Weise (s. Art. 8 II der Richtlinie) dem Sachleistungsvertragskonzept, s. Kap. 1 C. I. 2. e). Ferner missachtet die Interpretation von Tournafond, dass
der französische Gesetzgeber eindeutig eine monistische Struktur des Haftungsregimes beabsichtigte.
1341 Nach Einschätzung von Tournafond werden die Fälle der verspäteten Lieferung nicht durch
das neue Haftungsregime erfasst, ders., RD 2005, 1557 (1561); ferner stellt er die Einbeziehung der Fälle der Aliud-Lieferung in Frage; anders Pimont, RTDcom 2006, 261 (262).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.