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Kapitel 8 – Das Recht in Frankreich nach Umsetzung der Richtlinie
A. Einleitung
In Kapitel 8 wird der Stand der Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen nach der Umsetzung der Richtlinie in Frankreich dargestellt. Einleitend
wird ein Überblick über das Normgebungsverfahren und den Anwendungsbereich
der Umsetzungsmaßnahme in sachlicher und persönlicher Hinsicht gegeben. Im Anschluss wird der Einfluss der Richtlinienumsetzung auf die Grenzen der Vertragstypen beschrieben. Danach werden die Veränderungen bei den Voraussetzungen und
Folgen der Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen erläutert.
I. Das Umsetzungsverfahren
Die Umsetzung der Richtlinie nahm in Frankreich viel Zeit in Anspruch. Erheblich
verspätet1308 wurde die „Ordonnance N? 2005-136 du 17 février relative à la garantie
de la conformité du bien au contrat due par le vendeur au consommateur“ (im Folgenden: „Ordonnance“) verabschiedet.1309 Vorausgegangen war ein Verfahren voller
Kontroversen und teilweise erbitterter Auseinandersetzungen.1310 Bereits im Jahre 2000 war vom französischen Justizminister eine Expertengruppe unter der Präsidentschaft von Geneviève Viney eingesetzt und beauftragt worden, einen Umsetzungsvorschlag zu erarbeiten. Ähnlich der Situation in Deutschland stand man vor
der Frage, die Richtlinie im Rahmen einer „kleinen Lösung“ in den Code de la consommation einzuarbeiten oder einer umfassenden Erneuerung des Code civil den
Vorrang einzuräumen.1311 Nach drei Jahren nicht öffentlicher1312 Arbeit wurde 2003
der „Rapport General du groupe de travail sur l’intégration en droit français de la
directive 1999-44“ (im Folgenden „Rapport A“) vorgelegt, der am 8. Januar 2004
über den Kreis der unmittelbar beteiligten Gremien hinaus Bekanntheit erlangte.
1308 Die Kommission hat daher ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, vgl. EuZW 2003,
130; Leroyer, RTDciv 2005, 483 (484); Peterl, S. 188.
1309 J.O. N°41 du 18 février 2005, page 2778, texte N° 26, NOR:JUSX0500005R; einzusehen ist
der Text unter www.legifrance.gouv.fr/WAspad/UnTexteDeJorf?numjo=JUSX0500005R;
s. zum Ordonnanzverfahren Art. 82 de la loi de simplification du droit du 9 décembre 2004.
1310 Malaurie/Aynès/Gautier (2007), Rn. 330; Bénabent (2006), Rn. 234-2; Tournafond, Le Dalloz 2003, 427; Jourdain, Le Dalloz 2003, 4; Remy-Corley, RTDciv. 2005, 345 (346).
1311 Canvivet, R.l.D.C. 2003, 7 (10 f.); Mainguy, JCP 2002, 2109; Paisant, JCP 2002, 923; Viney,
JCP 2002, 1497; Jourdain, Le Dalloz 2003, 4; Frizberg, ZfRV 2003, 203 f.
1312 Das nicht öffentliche Vorgehen vereitelte eine breite Diskussion möglicher Umsetzungsalternativen und wurde deshalb wiederholt scharf kritisiert, Mansel, AcP 204 (2004), 396 (406).
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Die Expertengruppe hatte sich bei ihrer Arbeit von dem Gedanken leiten lassen,
eine weitere Zersplitterung des Vertragsrechts zu vermeiden und sich für eine „große
Lösung“ entschieden.1313 Die Umsetzungsverpflichtung wurde als historische Chance begriffen, den seit seiner Schaffung weitgehend unveränderten Code civil den tatsächlichen Entwicklungen anzupassen und bestehende Defizite zu beheben.1314 Der
als kaum mehr beherrschbar empfundene Dualismus zwischen Nichterfüllungs- und
Gewährleistungshaftung beim „contrat de vente“1315 sollte beseitigt werden. An seine Stelle sollte eine monistisch strukturierte Einstandspflicht des Sachschuldners treten.1316 Geplant war ferner die Modifikation des „bref délai“ gemäß Art. 1648 Code
civil, dessen Anwendung in der Praxis immer wieder als Quelle erheblicher Probleme in Erscheinung getreten war.1317 Schließlich beabsichtigte man in Teilbereichen
eine Übernahme gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung.1318
Als Reaktion auf den vorgestellten Gesetzesentwurf, teilweise vielleicht auch von
einer Enttäuschung über die Nichtbeteiligung an den Entwurfsarbeiten getragen,
formierte sich gegen das Vorhaben bald energischer Widerstand, dem letztlich Erfolg beschieden war.1319 Das Projekt der Expertengruppe wurde verworfen und für
die Umsetzung der Richtlinie der diametral entgegengesetzte Ansatz gewählt. Der
Schwerpunkt des „Projet de loi du 16. juin 2004 relatif à la garantie de la conformité
du bien au contrat due par le vendeur au consommateur et à la responsabilité du fait
de produits défectueux“ (im Folgenden auch „Projet“) lag auf einem „copying out“
der Richtlinie in den Code de la consommation. Der Code civil selbst sollte nur geringfügig verändert werden. Es war eine Modifikation des „bref délai“ des
1313 Artt. 1625, 1641 bis 1649 (außer 1646-1) CC sollten modifiziert werden. Neu eingefügt werden sollten Artt. 1641-1 bis -4, 1643-1, 1644-1 und -2 und 1649-1 CC, siehe S. 33 ff. des
„Rapport A“; zu den Gründen siehe S. 5 des „Rapport A“; Mainguy, JCP 2002, 2109; Le-
Tourneau, JCP-E 2003, 9; Paisant, JCP 2002, 924; Sefton-Green, in: Schermaier, S. 230 f.;
Ranieri, S. 324 ff.; Beckmann, in: Staudinger (2004), Vor §§ 433 ff., Rn. 59.
1314 Siehe S. 4 des „Rapport A“; Remy-Corley, RTDciv. 2005, 345 (346); Paisant, JCP 2005,
1167 (1168); Viney, JCP 2002, 150; Rondey, RD 2005, 562; Jourdain, Le Dalloz 2003, 4 u.
JCP-E 2003, 5 (8); kritisch Tournafond, Le Dalloz 2003, 427.
1315 S. Kap. 4 B. I.
1316 „Or l’un des objectifs essentiels des auteurs de la directive a consisté à imposer..... une action
unique fondée sur le défaut de conformité“, siehe S. 4 des „Rapport A“; s. dort auch die
Entwürfe der Artt. 1641 al. 2 und 1641-1; Pinna, ERPL 2001, 224; Sefton-Green, in: Schermaier, S. 230.
1317 Dazu Gautier, JCP-E 2003, 15 ff.; die Regelung hatte im Bereich der Haftung für „vice caché“ des Sachschuldners vor allem deshalb Schwierigkeiten bereitet, weil stets unklar war,
welcher Zeitraum als „bref“ einzuordnen war. Der Sachgläubiger sollte nach der neuen Regelung ab Entdeckung der Abweichung 2 Jahre Zeit haben, seine Ansprüche geltend zu machen,
siehe S. 21 des „Rapport A“.
1318 Das betraf insbesondere die beim „contrat de vente“ bekannte Gleichstellung des gewerblichen mit dem bösgläubigen Sachschuldner, die im Bereich des Schadensersatzanspruchs gro-
ße Bedeutung besaß, s. Art. 1645 des Entwurfs bzw. S. 41 des „Rapport A“.
1319 Mainguy, JCP 2002, 183 ff.; Viney, JCP-E 2003, 1; Paisant, JCP-E 2003, 20 (21 f.) u. JCP
2002, 923 ff.; Tournafond, RD 2005, 1557 (1566); Mansel, AcP 204 (2004), 396 (407); Peterl, S. 219; Ranieri, S. 326 f.
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Art. 1648 CC in der schon zuvor beabsichtigten Weise geplant. Ein neuer
Art. 1603-1 CC sollte ferner auf die Einstandspflicht des gewerblichen handelnden
Verkäufers einer beweglichen Sache für einen „défaut de conformité“ hinweisen.
Für die eigentliche Umsetzung der Richtlinie wollte man ein neues Haftungsregime
in den Code de la consommation einfügen.1320 Wenn auch diesem Gesetzesvorhaben
letztlich kein Erfolg beschieden war, entsprach es doch im hier interessierenden Bereich der letztlich verabschiedeten „Ordonnance“ fast vollständig. Diese verzichtet
lediglich auf die Verweisungsnorm Art. 1603-1 CC.1321
II. Die Systematik der Umsetzungsmaßnahme
Rechtstechnisch ist die Umsetzung der Richtlinie dadurch erfolgt, dass ein eigenständiges Haftungsregime mit eigenen Haftungsvoraussetzungen und -folgen geschaffen wurde.1322 Artt. L211-4 bis L211-8 Code consom. geben Auskunft über die
Verpflichtung des Sachschuldners hinsichtlich der zu leistenden Beschaffenheit der
Sachleistung. Artt. 211-9 bis 211-11 Code consom. legen die Rechtsbehelfe des
Sachgläubigers fest für den Fall der Nichterfüllung dieser Pflicht.
Bereits aus der systematischen Allokation des neuen Haftungsregimes in das erste
Kapitel des ersten Titels von Buch 2 des Code de la Consommation („partie législative“, Art. L211-1 bis Art. L211-18) folgt die Beschränkung seines Anwendungsbereichs auf die Konstellation des Verbrauchervertrags.1323 Dies wird in
Art. L211-3 al. 1 Code consom. noch einmal klargestellt: „Le présent chapitre est
applicable aux relations contractuelles entre le vendeur agissant dans le cadre de son
acitivité professionnelle ou commerciale et l’acheteur agissant en qualité de consommateur“.1324 Eine Inhaltsbestimmung des Verbraucherbegriffs bzw. der „activité
professionnelle ou commerciale“ ist (in gewohnter Weise) nicht getroffen worden.1325 Um ein hohes Maß an Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten, wird es in
Frankreich traditionellerweise den Gerichten überlassen, über die Schutzbedürftigkeit der Vertragsparteien bzw. den Charakter des Vertrags zu befinden.1326 So verdeutlicht sich erneut der eher kompilatorische Charakter des Code de la consomma-
1320 S. Art. 2 des Titre Ier des „Projet“, dort Artt. L211-1 ff.
1321 Ebenso wurde von der Modifikation des Art. 1386-2 CC abgesehen.
1322 Peterl, S. 221 (zum damaligen Entwurf).
1323 Malaurie/Aynès/Gautier (2007), Rn. 330; Bénabent (2006), Rn. 234-2; Labarthe/Noblot, JCP
2005, 1680 (1681); Antonmattei/Raynard, Rn. 228; Paisant, JCP 2005, 1167 (1168); Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (699); Hocquet-Berg, Responsabilité 2005 N°4, 4.
1324 Weitere Beschränkungen ergeben sich aus Art. L211-2 Code consom., der beispielsweise öffentliche Versteigerungen und Verträge über „électricité“ dem Anwendungsbereich entzieht.
1325 Bénabent (2006), Rn. 234-2; Paisant, JCP 2005, 1167 (1171); zum Verbraucherbegriff im
französischen Recht s. v. Vogel, S. 23 ff. m. w. N.
1326 Vgl. den „Rapport A“ unter A.; Rondey, RD 2005, 562; Tournafond, RD 2005, 1557 (1560).
Der Mangel an Einheitlichkeit hat in der Vergangenheit zu erheblichen Schwierigkeiten geführt.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.