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Kapitel 7 – Das Recht in England nach Umsetzung der Richtlinie
A. Einleitung
In diesem Kapitel wird das englische Recht nach Umsetzung der Richtlinie
untersucht. Zunächst werden das Verfahren und die Reichweite der Umsetzung der
Richtlinie in persönlicher und sachlicher Hinsicht beleuchtet. Darauf aufbauend
werden die Systematik der Umsetzung sowie die Auswirkungen auf die Grenzen der
Vertragstypen skizziert. Im Anschluss werden die Voraussetzungen und Folgen der
Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen dargestellt.
I. Das Umsetzungsverfahren
Die Richtlinie wurde in England durch die „Sale and Supply of Goods to Consumers
Regulations 2002“1199 (im Folgenden auch „regulations“) umgesetzt. Anders als in
Frankreich waren die vorausgehenden Arbeiten durch das Bestreben aller an der Gesetzgebung Beteiligten gekennzeichnet, die Anregungen der interessierten Allgemeinheit in das Normgebungsverfahren miteinzubeziehen. Zunächst wurde ein
überwiegend allgemein gehaltenes Gutachten am 4. Januar 2001 über das Internet
publiziert, das mögliche Umsetzungsmaßnahmen vorstellte und mit einem Fragenkatalog verbunden war.1200 Unter Beachtung der abgegebenen Stellungnahmen wurde in der Folge ein konkreter Umsetzungsentwurf erarbeitet, der vom 26. Februar bis
zum 23. Mai 2002 zum Zwecke der Bewertung erneut im Internet präsentiert wurde.1201 Die daraufhin eingegangenen Stellungnahmen bildeten die Grundlage für eine
Überarbeitung des Entwurfs. Deren Resultat wurde am 11. Dezember 2002 dem Parlament vorgelegt und schließlich verabschiedet.1202 Seit dem 31. März 2003 gilt gemäß s. 1 (1) der „regulations“ die Umsetzungsmaßnahme.
1199 Der Text ist einzusehen unter www.legislation.hmso.gov.uk/si/si2002/20023045.htm; abgedruckt ist der Gesetzeswortlaut bei Schermaier, S. 517 ff.
1200 S. dazu DTI, in: First Consultation; zum Fragenkatalog und zur Diskussion s. Twigg-Flesner,
N.L.J. 2001, 91 ff.
1201 S. dazu DTI, in: Second Consultation.
1202 Statutory Instrument 2002 No. 3045; zum vereinfachten Verfahren („secondary legislation“)
für die Umsetzung von Richtlinien siehe s. 2 (2) des European Community Act von 1972,
ferner Zerres, S. 98; s. 2 (2) ermächtigt nur zum Erlass von „amendments“, die der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben dienen. Regelungen, die über die europäischen Vorgaben
hinausgehen, können hingegen nicht auf diese Kompetenzgrundlage gestützt werden. Daher
ist ein Verstoß gegen Gesetzgebungskompetenzen durch die Umsetzungsmaßnahme möglich,
da sich diese auch auf „hire-“, „hire-purchase-“ und „barter-“ Verträge erstreckt, die von der
Richtlinie nicht erfasst werden; vertiefend zum Umsetzungsverfahren Miller, in: Benjamin’s
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Die erhebliche Verspätung der Umsetzung1203 begründete das mit der Vorbereitung des Gesetzentwurfs betraute Department of Trade and Industry (im Folgenden
auch „DTI“) damit, dass ein wesentliches Ziel der Umsetzung darin bestanden habe,
ein wortgetreues „copying out“ des Richtlinientextes in ein Sondergesetz zu vermeiden. Die dazu erforderliche Einpassung der Umsetzungsmaßnahme in die bereits bestehenden Gesetze habe einen aufwändigen Beratungsprozess verlangt, der in der
zur Verfügung stehenden Zeit nicht durchzuführen gewesen sei.1204 Obwohl die Umsetzungsmaßnahme naturgemäß auch in England bedeutende Gebiete des Vertragsrechts beeinflusst, ist ihre Beachtung in der wissenschaftlichen Literatur mit der in
Deutschland nicht zu vergleichen. Das mag auch daran liegen, dass die Veränderungen weniger tiefgreifend ausgefallen sind. Die vorhandene Aufmerksamkeit fokussiert nahezu ausschließlich die Modifikationen des SGA.
II. Die Systematik der Umsetzungsmaßnahme
Der Aufbau der „regulations“ gliedert sich in 15 Unterpunkte, in denen sich jeweils
„amendments“ zu bereits bestehenden Acts finden. Angefügt ist eine „explanatory
note“, die nicht Bestandteil der „regulations“ ist. Die Systematik der Umsetzung ist
unübersichtlich und schwer zu durchschauen. Im Grundsatz gilt, dass die bereits
dargestellte Haftung für „breach of contract“ weiterhin Anwendung findet und daneben ein zusätzliches konkurrierendes Haftungsregime in das bestehende Vertragsrecht eingefügt wurde.1205 Die bisherige Haftung für „breach of contract“ wurde geringfügig verändert. Es erfolgte eine Modifikation der „implied terms“, die schon
zuvor in Bezug auf Qualität und Verwendungstauglichkeit die geschuldete Beschaffenheit festlegten.1206 S. 14 SGA wurde durch „regulation“ Nr. 3 um ss. (2D)-(2F)
erweitert, „regulation“ Nr. 7 ergänzt s. 4 SGSA um ss. (2B)-(2D). Diese Änderungen betreffen aber den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Bereich nicht.1207 Für
das neu eingefügte Haftungsregime wurden eigene Haftungsvoraussetzungen und
-folgen aufgestellt. Zu beachten ist, dass die Voraussetzungen der Haftung für
Suppl., Rn. 1-005; Ervine, S.L.T. 2003, 67 f.; Lindner, ZfRV 2005, 3 f.; Mansel, AcP 204
(2004), 397 (440 f.); Zsernaviczky, S. 135.
1203 Gemäß Art. 11 der Richtlinie waren die Mitgliedstaaten zur Umsetzung bis spätestens zum
1. Januar 2002 verpflichtet. Von der Kommission ist deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien eingeleitet worden, Sobich, RIW 2003, 740; EuZW 2003, 130.
1204 Miller, in: Benjamin’s Suppl., Rn. 1-005; Lindner, ZfRV 2005, 3 (4); Sobich, RIW 2003, 740;
Zsernaviczky, S. 136; mit dem Vorgehen des bloßen „copying-outs“ hatte man in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht, da sich immer wieder Friktionen mit dem bisher und
weiterhin geltenden Recht ergeben hatten, Viney, JCP-E 2003, 1.
1205 Streer, S. 193.
1206 S. o. Kap. 3 B. II. 1.
1207 Die Modifikation von s. 14 SGA bzw. s. 4 SGSA beschränkt sich auf die Haftung des Sachschuldners für öffentliche Äußerungen im Sinne des Art. 2 II d) der Richtlinie. Die ebenfalls
erfolgte Fixierung des für die Haftung maßgeblichen Zeitpunkts schreibt lediglich überwiegend bereits geltendes Recht fest, s. Kap. 3 B. II. 2.
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References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.