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C. Rechtsvergleich der Haftungsfolgen
Nachdem sich die Tragfähigkeit des Sachleistungsvertragskonzepts in Bezug auf die
Haftungsvoraussetzungen festgestellt werden konnte, ist zu prüfen, ob sich eine
gleichlautende Aussage auch für die Ausgestaltung der Haftungsfolgen treffen lässt.
I. Das Recht zur Auswahl des Rechtsbehelfs
Es stellt sich zunächst die Frage, ob die untersuchten Rechtsordnungen im Falle der
Haftung des Sachschuldners wegen einer Beschaffenheitsabweichung dem Sachschuldner, dem Sachgläubiger oder einer weiteren Partei das Recht über die Auswahl des Rechtsbehelfs zugestanden.
1. Bestehende Haftungsprinzipien
Bei vergleichender Betrachtung aller untersuchten Haftungsregime ergibt sich als
vertragstypen- und länderübergreifendes Prinzip, dass die Auswahl des Rechtsbehelfs im Grundsatz dem Sachgläubiger zuerkannt wurde.893 Es hat sich aber gezeigt,
dass einige Rechtsordnungen diese grundsätzliche Entscheidung in ihrer Wirkung
beschränkten, indem sie die Bindung der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers
nicht vorschrieben.894 In Deutschland und England existierten zwar jeweils vertragstypenübergreifend auf nationaler Ebene einheitliche Prinzipien, denn die Bindung
der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers richtete sich nicht nach dem Vertragstypus. Jedoch sah die englische Rechtsordnung für die Nacherfüllung („specific performance“) eine „discretion of the court“ vor.895 Das englische Recht differenzierte
also hinsichtlich der Bindung der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers nach der
Art des Rechtsbehelfs. Die deutschen Gerichte hingegen waren bei Vorliegen der
Tatbestandsvoraussetzungen an die Wahl des Sachgläubigers gebunden.896 Das französische Recht zeichnete ein verwirrendes Bild. Nach welchen Kriterien sich die unterschiedliche Bindung der Gerichtete richtete, ergab sich nicht eindeutig. Zum einen schien es sich auszuwirken, welchem Vertragstypus der jeweilige Lebenssachverhalt zuzuordnen war. Aus der umfassenden Anwendung des „droit commun“ im
Herstellungsvertragsrecht folgte die umfangreiche Eröffnung der „discrétion“ der
Gerichte. Zum anderen schien auch die Art der Abweichung die Bindungswirkung
zu beeinflussen.897 Eine Bindung der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers be-
893 S. Kap. 2 B. III. 1. u. C. III. 1.; Kap. 3 B. III. 2. u. C. III. 1.; Kap. 4 B. III. 2. u. C. III. 2.
894 Sivesand, S. 239.
895 S. Kap. 3 B. III. 2. u. C. III. 2.
896 S. Kap. 2 B. III. 1. u. C. III. 1.
897 Gegen die Annahme, dass auch die Art des Rechtsbehelfs von Bedeutung war, spricht die
Tatsache, dass eine Vertragsauflösung aufgrund eines „vice caché“ nicht im Ermessen des
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stand nur im Anwendungsbereich der gesetzlichen Haftung für „vice caché“ des
„contrat de vente“.898
2. Die Rezeption der Haftungsprinzipien - Würdigung der Abweichungen
Das Einheitskonzept der Richtlinie gesteht die Auswahl des Rechtsbehelfs dem
Sachgläubiger zu. Die Richtlinie übernimmt insoweit ein existentes länder- und vertragstypenübergreifendes Prinzip. Darüberhinaus ist bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die Bindung der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers vorgesehen.899 Insoweit folgt das Sachleistungsvertragskonzept dem deutschen Schuldrecht
alter Fassung. Abweichungen zeigen sich gegenüber dem englischen und französischen Recht: Die nach Art des Rechtsbehelfs (England) und Art der Abweichung
(Frankreich) jeweils vertragstypenübergreifend vorgefundenen Differenzierungen
geben Anlass, an der durch die Richtlinie vorgegebenen Fassung des Sachleistungsvertrags zu zweifeln.
a) Die Nivellierung der Unterschiede in der Gerichtspraxis
Vor einer näheren inhaltlichen Untersuchung der konzeptionellen Unterschiede ist
darauf hinzuweisen, dass sich diese bei Berücksichtigung der tatsächlichen Rechtspraxis weitgehend nivellieren. Die Länderberichte haben aufgezeigt, dass die Gerichte in den Rechtsordnungen, die eine „discretion of the court“ vorsahen, im Laufe
der Zeit eigene Tatbestandsvoraussetzungen für die einzelnen Rechtsbehelfe entwickelt hatten. Bei Vorliegen der Voraussetzungen wurde der Wahl des Sachgläubigers auch entsprochen900, es existierte eine Bindung der Gerichte. So ergibt sich ein
weitgehender Gleichlauf der auf den ersten Blick abweichenden Regelungen mit
dem Sachleistungsvertragskonzept.901 Die im Folgenden zu hinterfragenden Unterschiede verlieren erheblich an Bedeutung.
Gerichts stand, die Auflösung des Vertrags wegen einer Nichterfüllung hingegen schon,
s. Kap. 4 B. III. 2.
898 S. Kap. 4 B. III. 2. ff.
899 S. Kap. 1 C. II. 2.
900 S. Kap. 3 B. III. 2. und Kap. 4 B. III. 2.; Treitel, in: Chitty Bd. 2 (1999), Rn. 27-029; Zweigert/Kötz, S. 478; Peukert, S. 369; Melzer schreibt über das US-amerikanische Recht: „in Anlehnung an das deutsche öffentliche Recht lässt sich insoweit unter Umständen von einem
gebundenen Anspruch durch Ermessensreduzierung auf Null sprechen“, s. ders., S. 70.
901 Der wirklich verbleibende Unterschied beschränkte sich daher auf den Extremfall: Die „discretion of the court“ ermächtigte das Gericht dazu, den Rechtsbehelf auch dann nicht zu gewähren, wenn die vormals aufgestellten Tatbestandsvoraussetzungen vorlagen, Treitel, in:
Chitty Bd. 2 (1999), Rn. 27-029.
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b) Die nach Art des Rechtsbehelfs differenzierende Bindung
Das englische Recht machte die Bindung der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers von der Art des Rechtsbehelfs abhängig. Doch eine rechtliche bzw. wirtschaftliche Notwendigkeit der Unterscheidung lässt sich nicht erkennen: Eine inhaltliche
Beschränkung des Anspruchs auf „specific performance“ auf Ausnahmefälle hätte
sich auch bei einer Bindung der Gerichte erzielen lassen. Dazu hätte lediglich der
Tatbestand entsprechend eng gefasst werden müssen.902 Der Blick auf das deutsche
Recht a. F. zeigt, dass die gesetzliche Beschränkung des Rechts zur Vertragsauflösung möglich ist.903 Unterschiede ergeben sich lediglich in kompetentieller Hinsicht
bzw. dahingehend, ob die Legislative oder die Judikative das Recht ausformt. Bei
wirtschaftlicher Betrachtung erstaunt, dass der regelmäßig für den Sachgläubiger
besonders einschneidende Rechtsbehelf der Vertragsauflösung904 nicht „discretionary“ war. In diesem Bereich wäre das Erfordernis einer Einzelfallabwägung durch die
Gerichte bzw. eine „discretion of the court“ gleichermaßen begründbar gewesen.
Vor dem Hintergrund der dargestellten Überlegungen liegt die Vermutung nahe,
dass dem vorgefundenen Unterschied eher historische Gründe als tatsächliche Bedürfnisse zugrunde gelegen haben könnten: Ein Anspruch auf „specific performance“ konnte klassischerweise nur über die Billigkeitsrechtsprechung der „equity“
durchgesetzt werden. Der Weg zum Gericht des Sheriffs war in früherer Zeit nur
möglich gewesen, wenn „at law“ kein billiges Ergebnis erzielt werden konnte.905
Der Gedanke der Billigkeit könnte aufgrund der ihm eigenen inhaltlichen Weite als
tatbestandlich schwer fixierbar angesehen worden sein. Ferner könnte die Beibehaltung der „discretion of the court“ der Betonung der Ausnahmestellung und des Billigkeitscharakters der „specific performance“ gedient haben. In der Gesamtschau
ergeben sich keine Gründe, die zwingend gegen eine Bindung der Gerichte an die
Wahl des Sachschuldners sprechen.
c) Die nach Vertragstypen differenzierende Bindung
Im französischen Recht hing die Bindung der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers auch von der systematischen Zuordnung des Lebenssachverhalts zu einem Vertragstyp ab. Aus der bevorzugten Anwendung des „droit commun“ auf die Haftung
des Sachschuldners eines „contrat d’entreprise“ ergab sich die „discrétion“ der Gerichte. Soweit ein „contrat de vente“ vorlag und die Abweichung als „vice caché“
einzuordnen war, bestand diese „discrétion“ hingegen nicht. Doch weder auf Sachgläubiger noch auf Sachschuldnerseite lassen sich unterschiedliche Bedürfnisse er-
902 Zur Notwendigkeit der Beschränkung des Erfüllungs- bzw. Nacherfüllungsanspruchs s. u.
unter III. 1. b) und III. 2. b), c).
903 S. Kap. 2 B. III. 2. und C. 2.
904 Dazu s. u. unter IV. 2. b) ff.
905 S. Kap. 3 B. III. 3. u. C. III. 2.
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blicken, welche die Erforderlichkeit einer derartigen Differenzierung begründen.
Dieses Ergebnis wird durch den rechtsvergleichenden Blick auf das englische und
deutsche Recht bestätigt. Beide Rechtsordnungen erachteten es nicht als notwendig,
die Bindung der Gerichte von der Art des Vertrags abhängig zu machen.906
d) Die nach der Art der Beschaffenheitsabweichung differenzierende Bindung
Das französische Recht sah eine Bindung der Gerichte an die Wahl des Sachgläubigers nur vor, soweit sich die Haftung auf einen „vice caché“ gründete. Die Bindung
der Gerichte richtete sich daher im Ergebnis auch nach der Art der Beschaffenheitsabweichung.907 Diese Beobachtung wirft die Frage auf, ob eine solche Unterscheidung erforderlich ist.
Es lassen sich keine Gründe dafür finden, die Bindung der Gerichte von der Art
der Abweichung abhängig zu machen. Bei einer strengen Befolgung der vorgesehenen Regelungen drohten für das französische Recht in bestimmten Konstellationen
sogar Wertungswidersprüche: Vereinbarten die Parteien eine bestimmte Beschaffenheit, obwohl der Sachschuldner diese schon aufgrund objektiver Kriterien schuldete,
wurde eine Abweichung eher als Fall der Nichterfüllung eingeordnet.908 Diese Einordnung eröffnet den Gerichten die „discrétion“. Faktisch folgte daraus eher eine
Benachteiligung des Sachgläubigers.909 Denn ohne eine Vereinbarung wäre die Haftung für „vice caché“ einschlägig gewesen, nach der eine Bindung der Gerichte an
den ausgewählten Rechtsbehelf bestanden hätte. Warum die Gerichte an die Wahl
des Sachgläubigers gebunden sein sollten, wenn die Sachleistung vom üblicherweise
geschuldeten Soll abwich, diese Bindung fehlen aber sollte, wenn die Beschaffenheit
einer expliziten Vereinbarung nicht entsprach, ist unverständlich. Eigentlich besteht
Grund zu der Annahme, dass bei der Nichteinhaltung eines explizit vereinbarten
Solls der Wahl der Sanktion durch den Sachgläubiger eine besondere Bedeutung zukommen müsste.
906 Es ließe sich erwägen, dass die vorgefundene Differenzierung die unbeabsichtigte Nebenfolge
einer anderen Entscheidung war: Für den „contrat d’entreprise“ ermöglichte es die einheitliche Bewertung von Beschaffenheitsabweichungen nach dem „droit commun“, dem Sachschuldner die im Herstellungsvertragsrecht besonders bedeutungsvolle Abwendungsbefugnis
einzuräumen. Diese war in der Haftung für „vice caché“ des „contrat de vente“ nicht vorgesehen. Gleichzeitig konnte man der Anwendung des ungeliebten Art. 1648 CC entgehen,
s. Kap. 4 B. III. 4. und 5.
907 Anhand der Parameter „sichtbar“ oder „unsichtbar“ und „objektiv“ oder „subjektiv“ geschuldetes Soll bestimmte sich die Einordnung der Beschaffenheitsabweichung als „vice caché“
bzw. Nichterfüllung der Lieferpflicht, s. Kap. 4 B. I.
908 S. Kap. 4 B. I.
909 S. Kap. 4 B. III. 2.
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II. Die Rechtsbehelfe der Nachbesserung und Nachlieferung
Es stellt sich die Frage, ob in Bezug auf den Bestand und die inhaltliche Ausgestaltung der nacherfüllenden Rechtsbehelfe in den untersuchten Rechtsordnungen vertragstypen- und länderübergreifende Prinzipien existierten, die durch das Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie aufgegriffen werden. Vorgefundene Unterschiede sind auf ihre Erforderlichkeit hin zu untersuchen.
1. Bestehende Haftungsprinzipien
Der Vergleich der Länderberichte lässt neben vielen Gemeinsamkeiten sowohl vertragstypen- als auch länderübergreifend einige Unterschiede gegenüber dem Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie zu Tage treten.
a) Die grundsätzliche Gewährung beider nacherfüllender Rechtsbehelfe
Das englische Recht sah einen Nacherfüllungsanspruch des Sachgläubigers im Bereich des „contract of sale“ schon konzeptionell nicht vor.910 Im Bereich der Herstellungsverträge konnte die „specific performance“ zwar grundsätzlich auch die Nacherfüllung erfassen. Aufgrund strenger tatbestandlicher Restriktionen stellte die Gewährung der „specific performance“ aber die absolute Ausnahme dar.911 Das
deutsche Kaufvertragsrecht sah lediglich für den Gattungskauf einen Nacherfüllungsanspruch vor, der nur die Nachlieferung und nicht auch die Nachbesserung beinhaltete.912 Im deutschen Werkvertragsrecht hatte der Sachgläubiger sowohl einen
Anspruch auf Nachbesserung als auch auf Neuherstellung.913 Lediglich das französische Recht erkannte sowohl den Nachbesserungs- als auch den Nachlieferungsbzw. Neuherstellungsanspruch grundsätzlich für beide Vertragstypen an.914 So lässt
sich in der Gesamtschau ein länder- und vertragstypenübergreifendes Prinzip der
Anerkennung beider auf Nacherfüllung gerichteten Rechtsbehelfe als Regelrechtsbehelfe nicht feststellen.
910 S. Kap. 3 B. III. 3.
911 S. Kap. 3 C. III. 2.
912 S. Kap. 2 B. III. 2.
913 S. Kap. 2 C. III. 2.
914 S. Kap. 4 B. III. 3. bzw. C. III. 3.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.