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b) Die Abweichung in Bezug auf die Verwendungstauglichkeit
Das Sachleistungsvertragskonzept verlangt abweichend von allen einzelstaatlichen
Rechtsordnungen deutlich das Vorliegen eines Konsensus, damit der Sachschuldner
eine bestimmte Verwendungstauglichkeit schuldet. Doch im Ergebnis zeigt sich
auch hier, dass die vorgefundenen Unterschiede kaum greifbar sind: Die bloße Mitteilung der Verwendungsabsicht an den Sachschuldner ließ im englischen Recht eine
entsprechende Verpflichtung nur entstehen, wenn der Sachgläubiger in die Urteilsfähigkeit seines Vertragspartners entsprechend vertraute.856 Die einseitige Kundgabe
der Verwendungsabsicht verpflichtete den Sachschuldner im deutschen Recht ebenfalls regelmäßig nur dann, wenn die Verwendungstauglichkeit zugleich Geschäftsgrundlage des Vertrags geworden war. Erforderlich war dazu ebenfalls ein gewisses
Vertrauensmoment auf Seiten des Sachgläubigers.857 Es lässt sich kaum eine Situation vorstellen, in welcher ein derartiges Vertrauen auf Seiten des Sachgläubigers vorliegt und nicht zugleich eine konkludente Einigung der Vertragsparteien zustande
kommt.858 Von einer weiteren Untersuchung der Erforderlichkeit vorgefundener Unterscheidungen wird daher abgesehen.
II. Die tatbestandliche Geringfügigkeitsschwelle
In der Folge ist der Frage nachzugehen, ob ein vertragstypen- und länderübergreifender Gleichlauf festgestellt werden kann, was das Bestehen einer tatbestandlichen
Geringfügigkeitsschwelle anbetrifft.
1. Bestehende Haftungsprinzipien
Für das Herstellungsvertragsrecht lässt sich für alle untersuchten Rechtsordnungen
festhalten, dass der Sachschuldner auch für geringfügige Beschaffenheitsabweichungen haftete.859 Für diese Verträge lässt sich insofern ein länderübergreifendes
Prinzip der Verpflichtung des Sachschuldners zu einer „perfekten“ Leistung feststellen.860
856 S. Kap. 3 B. II. 1. c) und C. II. 2. c).
857 S. Kap. 2 B. II. 1. c) und C. II. 2. c).
858 A. Sandrock, S. 67.
859 Anderes konnte sich im französischen Recht ergeben, wenn es zur Anwendung der Haftung
für „vice caché“ auf den „contrat d’entreprise“ kam. Aus der stark bevorzugten Einordnung
der Abweichungen im Herstellungsvertragsrechts als Nichterfüllung der Lieferpflicht ergab
sich aber faktisch das Nichtbestehen einer Geringfügigkeitsschwelle für diese Verträge,
s. Kap. 4 C. I.
860 S. Kap. 2, 3 und 4, jeweils C. II. 2. e).
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Ein weniger einheitliches Bild zeigt der Blick auf die Veräußerungsverträge.861
Die Begründung der Sachschuldnerhaftung für geringfügige Beschaffenheitsabweichung war dort nicht unbekannt. Doch lediglich im englischen Recht konnte eine
geringfügige Beschaffenheitsabweichung die Haftung des Sachschuldners immer
begründen.862 Eine vermittelnde Position nahm das französische Recht ein. Dort haftete der Sachschulder nur, wenn die (geringfügige) Abweichung als Fall der Nichterfüllung einzuordnen war. Anderes galt, wenn es sich um einen „vice caché“ handelte.863 Das deutsche Kaufrecht erforderte dagegen im Ansatz stets eine gewisse Bedeutung der Abweichung, damit die Einstandspflicht des Sachschuldners ausgelöst
wurde.864 Das Bestehen eines länder- und vertragstypenübergreifenden Prinzips
kann daher insoweit nicht festgestellt werden.
2. Die Rezeption der Haftungsprinzipien - Würdigung der Abweichungen
Das Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie sieht eine Geringfügigkeitsschwelle
nicht vor, wodurch der Sachschuldner zur „perfekten“ Leistung verpflichtet wird.
Damit folgt es dem herstellungsvertraglichen Modell und Teilen des Rechts des
„contract of sale“ bzw. „contrat de vente“. Wesentliche Abweichungen zeigen sich
gegenüber der Gewährleistungshaftung des alten deutschen Kaufrechts und der Haftung für „vice caché“. Das alte deutsche Recht differenzierte den Einsatz der Geringfügigkeitsschwelle nach dem Vertragstypus, das alte französische Recht (zusätzlich)
nach der Art der Abweichung. Die vorgefundenen Abweichungen sind in der Folge
zu hinterfragen.
a) Die Nivellierung der Unterschiede in der Rechtspraxis
Zunächst stellt sich die Frage, ob sich aus der Berücksichtigung des gelebten Vertragsrechts nicht in tatsächlicher Hinsicht eine Annäherung der vorgefundenen Unterschiede ergibt. Zu bemerken ist, dass beide abweichenden Rechtsordnungen die
Möglichkeit eines Entfallens der Geringfügigkeitsschwelle vorsahen. So wurde im
deutschen Recht oft recht großzügig zugunsten des Verbrauchers das Vorliegen einer zugesicherten Eigenschaft i. S. d. § 459 II BGB a. F. angenommen. Das führte
dazu, dass der Sachschuldner unabhängig von einer etwaigen Geringfügigkeit der
Abweichung haftete.865 Im französischen Recht wurde die Beschaffenheitsabweichung als Nichterfüllung eingeordnet, soweit die Beschaffenheit von den Parteien
vereinbart worden war. Im Bereich der Nichterfüllungshaftung existierte eine tatbe-
861 Kandler, S. 267.
862 S. Kap. 3 B. II. 1. e).
863 S. Kap. 4 B. II. 1. e).
864 S. Kap. 2 B. II. 1. e).
865 S. Kap. 2 B. II. 1. e).
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standliche Geringfügigkeitsschwelle nicht.866 So verliert der festgestellte Unterschied beider abweichenden Haftungsregime erheblich an Bedeutung.
b) Die Differenzierung nach Vertragstyp
Die vorgefundenen Abweichungen werfen die Frage auf, ob ein nach Vertragstypen
differenzierender Einsatz der Geringfügigkeitsschwelle erforderlich sein könnte.
Zunächst lassen sich einige Argumente finden, die für die Notwendigkeit einer
vertragstypenabhängigen Differenzierung sprechen: Die Nähe des herstellenden
Sachschuldners zur Sachleistung ist typischerweise erheblich größer als die des nur
veräußernden Sachschuldners. Der herstellende Sachschuldner verfügt über direkte
Einflussmöglichkeiten auf Faktoren wie Konstruktion und Verarbeitung, die sich
letztlich in der Beschaffenheit der Sachleistung niederschlagenden.867 Zusätzlich ist
seine Fachkenntnis und Urteilsfähigkeit typischerweise profunder als die des nur
veräußernden Sachschuldners. Das liegt unter anderem daran, dass sich seine Tätigkeit oft auf eine vergleichsweise begrenzte Auswahl an Sachleistungen bezieht.868
Exogene, aber vor allem endogene Produktionsrisiken vermag er besser abzuschätzen bzw. abzusichern. So ist es dem herstellenden Sachschuldner unter vergleichsweise geringerem Aufwand möglich, eine bestimmte Beschaffenheit auch definitiv
zu gewährleisten. Diese Überlegungen könnten es rechtfertigen, den nur veräußernden Sachschuldner anders als den herstellenden Sachschuldner nicht einer Pflicht
zur „perfekten“ Leistung zu unterwerfen.
Im Kontext zu dieser Differenzierung ist aber Folgendes kritisch anzumerken:
Die hier untersuchten einzelstaatlich abweichenden Lösungen unterschieden hinsichtlich der systematischen Einordnung des Schuldverhältnisses - und somit auch
hinsichtlich der Anwendung der Geringfügigkeitsschwelle - gerade nicht nur nach
der Herstellereigenschaft. Verwendete der Sachschuldner bei der Herstellung einer
nicht individualisierten Sachleistung eigenes Material, wurde der Vertrag als Kaufvertrag bzw. „contrat de vente“ eingeordnet. 869 Hier haftete der Sachschuldner nicht
für geringfügige Abweichungen, obwohl er zugleich Hersteller war. Sollen die dargestellten Unterschiede tatsächlich berücksichtigt werden, erscheint die bisherige
unterschiedliche Anwendung der Geringfügigkeitsschwelle im Ergebnis teilweise
unpassend.
Die Erforderlichkeit einer vertragstypenabhängigen Privilegierung des nicht herstellenden Sachschuldners in der dargestellten Form wird durch folgende Überlegungen erheblich in Zweifel gezogen: Zunächst spricht prinzipiell gegen jede Differenzierung, dass ihre Anwendung auf den Lebenssachverhalt Transaktionskosten
866 S. Kap. 4 B. I. u. II. 1. a).
867 Schultz, S. 163.
868 Der nicht herstellende Händler verfügt hingegen oft über ein größeres Sortiment verschiedener Waren, seine Kenntnisse liegen eher im marktorganisatorischen Bereich.
869 S. Kap. 2 und 4, jeweils A. IV.
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verursacht.870 So ist davon auszugehen, dass jede Klassifikation prinzipiell einer
Rechtfertigung bedarf. Für alle Lebenssachverhalte stellt sich gleichermaßen die
Frage, warum nicht jeder Sachschuldner für die Nichterfüllung seines Solls haften
sollte. Die Verbesserung der Überschaubarkeit des Transaktionsergebnisses führt
grundsätzlich unabhängig von der Vertragstypik zu einer Verringerung von Transaktionskosten.871 Das Interesse des Sachgläubigers an der „perfekten“ Erbringung ist in
diesem Kontext vertragstypenunabhängig gleich stark ausgeprägt. Jeder Sachgläubiger wird daran interessiert sein, genau das zu bekommen, was ihm geschuldet wird,
da die jeweiligen Annahmen die Grundlage seines wirtschaftlichen Verhaltens bilden. Der denkbare Einwand, dass die Kosten aus Streitigkeiten um die „perfekte“
Erfüllung die mögliche Senkung der Transaktionskosten wieder aufzehren, leuchtet
nicht ein. Denn Streitigkeiten um die Erbringung der vertragsgemäßen Leistung
bzw. Kosten entstehen immer, wenn es um die Beurteilung des Erreichens eines
Ziels geht. Es dürfte keinen Unterschied machen, ob die Parteien sich über die „perfekte“ Erbringung der Leistung uneins sind oder der Grad der Geringfügigkeit der
Abweichung Anlass von Streitigkeiten ist. Außerdem ist die größere Nähe des Sachschuldners zur Sachleistung im Verbrauchervertragsrecht vertragstypenunabhängig
gegeben. Dementsprechend ist es für den Sachschuldner weniger aufwändig und im
Ergebnis daher preiswerter als für den Sachgläubiger, Vorsorgemaßnahmen gegen
eine Abweichung und ihre Folgen zu treffen.872 Die Verpflichtung des Sachschuldners zu der Erbringung einer „perfekten“ Leistung ist auch nicht unbillig. In allen
Rechtsordnungen sind die subjektiven Kriterien vertragstypenübergreifend zur Festlegung des sachschuldnerischen Solls von primärer Bedeutung.873 So kann der Sachschuldner den Inhalt seiner Schuld entsprechend beeinflussen.
Außerdem stellt sich die Frage, warum entsprechende Beschaffenheitsabweichung vertragstypenabhängig ohne jeden Ausgleichsanspruch zu Lasten der vertragstreuen Partei gehen soll.874 Genau dazu führt aber der Einsatz einer tatbestandlichen Geringfügigkeitsschwelle. Der vorgefundene typenabhängige Einsatz einer
Geringfügigkeitsschwelle ist gesetzestechnisch ebenfalls zu kritisieren. Das deutsche
und französische Haftungssystem basierten auf einem „aut-aut-Prinzip“. Die tatbestandliche Hürde der Haftungsbegründung wurde in beiden Fällen vergleichsweise
hoch gehängt. War sie einmal genommen, standen dem Sachgläubiger alle gewähr-
870 In diesem Zusammenhang ist zunächst an die immensen Schwierigkeiten zu erinnern, welche
die Abgrenzung von Nichterfüllungs- und Gewährleistungshaftung im französischen Recht
bereitete, s. Kap. 4 B. I.
871 Janson, S. 77; Williamson, S. 64 ff.
872 An dieser Stelle kann der besonders im Deliktsrecht bekannte Gedanken des „cheapest cost
avoiders“ entsprechend herangezogen werden, weiterführend Schäfer/Ott, S. 227 ff. bzw.
407 f.; Kötz/Schäfer, S. 27 ff.; Calabresi, in: Assmann/Kirchner/Schanze, S. 239 ff.; s. ferner
Huber, in: BMJ Gutachten Bd. 1, S. 919.
873 S. Kap. 2, 3 und 4, jeweils B. II. 1. d) und C. II. 2. d).
874 Anderes gilt nur für absolute Bagatellschäden. Hier kann man annehmen, dass der Nutzenzuwachs des Sachgläubigers gegenüber dem erhöhten Vermeidungsaufwand des Sachschuldners unverhältnismäßig ist.
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ten Rechtsbehelfe gleichwertig zur Seite.875 Eine solche Regel wird den linearen Bedürfnissen des täglichen Lebens und der notwendigen Beachtung der unterschiedlichen Intensität der Folgen der Rechtsbehelfe876 nicht gerecht.877 Wird bereits die
Hürde für die Begründung der Haftung hoch gehängt, verbleibt oft kein Raum mehr
für die Abstufung der unterschiedlichen Rechtsbehelfe. Aus diesen Gründen erscheint ein Konzept vorzugswürdig, das von einer prinzipiell „strengen“ Haftung
des Sachschuldners auf der Tatbestandsseite ausgeht und einen linearen Ausgleich
der Parteiinteressen auf der Rechtsfolgenseite ermöglicht. Die englische Rechtsordnung kann insoweit als Vorbild dienen. Sie zeigte, dass der nach Vertragstypen differenzierende Einsatz einer tatbestandlichen Geringfügigkeitsschwelle nicht erforderlich ist, um Unterschiede der Lebenssachverhalte zu berücksichtigen.
So ergibt sich in der Gesamtschau, dass der vertragstypendifferenzierende Einsatz
der tatbestandlichen Geringfügigkeitsschwelle nicht vorzugswürdig ist. Selbst wenn
man sich dieser Ansicht nicht anzuschließen vermag, folgt daraus nicht die Erforderlichkeit der Ausbildung einzelner Vertragstypen. Es würde ausreichen, danach zu
unterscheiden, ob der Sachschuldner zugleich Hersteller der Sachleistung ist.
c) Die Differenzierung nach Abweichungsart und Vertragstypus
Das französische Recht machte konzeptionell den Einsatz der Geringfügigkeitsschwelle (zusätzlich) von der Art der Abweichung abhängig. Nur wenn die Abweichung als „vice caché“ einzuordnen war und ein „contrat de vente“ vorlag878, musste
sie eine gewisse Erheblichkeit aufweisen, um die Haftung des Sachschuldners auszulösen. Entscheidender Anknüpfungspunkt der Differenzierung war somit über den
Vertragstyp hinaus, ob die Beschaffenheitsabweichung sichtbar war bzw. der Parteivereinbarung entsprach.879 Es stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit einer
solchen Differenzierung.
Zunächst ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Interesse des Sachgläubigers an der „perfekten“ Erfüllung des sachschuldnerischen Solls davon abhängig ist, ob die Beschaffenheitsabweichung sichtbar ist. Auf Sachschuldnerseite
besteht dagegen eine Situation, die als Begründung einer Differenzierung tragfähig
erscheint. Die tatsächliche Möglichkeit des nur veräußernden Sachschuldners, auch
verborgene Abweichungen zu erkennen, ist typischerweise geringer als die eines
Herstellers.880 In Bezug auf die Möglichkeit, offensichtliche Abweichungen zu erkennen, nähern sich die Fähigkeiten herstellender und nicht herstellender Sach-
875 Ausgenommen ist der hier nicht zu problematisierende Schadensersatz.
876 S. u. unter C. IV. 2. ff.
877 S. Reynolds, in: Benjamin’s (2002), Rn. 10-036.
878 Das galt jedenfalls für die überwiegende Zahl der Fälle, da die Haftung des Sachschuldners
des „contrat d’entreprise“ zumeist dem Nichterfüllungsrecht des „droit commun“ unterstellt
wurde, s. Kap. 4 C. I.
879 S. Kap. 4 B. I.
880 S. dazu die Ausführungen unter b).
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schuldner hingegen wieder an.881 Aus diesen Gründen könnte es überlegenswert
sein, den herstellenden Sachschuldner einer Pflicht zur „Perfektion“ zu unterwerfen,
den veräußernden Sachschuldner hingegen für geringfügige Abweichungen nur haften zu lassen, wenn diese zugleich offensichtlich sind.882
Gegen die vorgefundene Differenzierung sprechen aber gewichtige Argumente.
Ein großer Teil der gerade aufgezeigten Überlegungen zur vertragstypenabhängigen
Differenzierung lassen sich übertragen.883 So ist auch hier davon auszugehen, dass
es grundsätzlich wirtschaftlich förderlich ist, die Parteien zur „perfekten“ Erfüllung
des sachschuldnerischen Solls zu verpflichten. Dann müssen keine oder vergleichsweise verminderte Vorsorgemaßnahmen für den Fall getroffen werden, dass der
Vertragspartner anders als erwartet leistet. Weiterhin ist auch für die hier in Frage
stehende Konstellation nicht ersichtlich, warum die Beschaffenheitsabweichung ungestuft zu Lasten des Sachgläubigers gehen soll und der insoweit vertragsbrüchige
Sachschuldner nicht haften soll. Dem Sachschuldner ist es kostengünstiger möglich
als seinem Vertragspartner, einer geringfügigen Beschaffenheitsabweichung vorzubeugen. Das gilt umso eher im Verbrauchervertragsrecht, wo das Informationsgefälle zwischen den Parteien typischerweise besonders ausgeprägt ist. Während der Vertragsverhandlungen hat es der Sachschuldner außerdem in der Hand, das geschuldete Soll entsprechend zu beeinflussen. Anzuführen ist ferner, dass die Exklusivität der
Anwendungsbereiche beider Haftungsregime im französischen Recht zwischenzeitlich nicht bestand. Jeder „vice caché“ wurde zugleich als Fall der Nichterfüllung angesehen und der Sachgläubiger konnte seine Rechte aus beiden Haftungsregimen
herleiten.884 Das führte dazu, dass der Sachgläubiger im Ergebnis teilweise auch im
französischen Recht durchgängig zu einer „perfekten“ Leistung verpflichtet war. An
der Erforderlichkeit der vorgefundenen Differenzierung lässt das ebenfalls erheblich
zweifeln.
So ergibt sich in der Gesamtschau, dass eine Privilegierung des nicht herstellenden Sachschuldners bei verdeckten Mängeln weder vorzugswürdig noch erforderlich
ist. Selbst wenn man sich dieser Meinung nicht anzuschließen vermag, erscheint eine Trennung nach Vertragstypen nicht notwendig. Es würde ausreichen, nach Herstellereigenschaft und Erkennbarkeit der Abweichung zu unterscheiden.
881 Vgl. die ähnliche Gedankenführung von Posner, S. 111 ff. u. Fleischer, S. 149 ff.
882 In diesem Zusammenhang ist das alte französische Recht in zweierlei Hinsicht zu kritisieren.
Es hing nicht nur von der optischen Wahrnehmbarkeit der Abweichung ab, ob diese als „vice
caché“ eingeordnet wurde, s. Kap. 3 B. I. Ferner war für die Einordnung eines Vertrags in
Grenzfällen unerheblich, ob der Sachschuldner auch Hersteller der Sachleistung war. Ausschlaggebend war stattdessen der Individualitätsgrad der Sachleistung, s. Kap. 4 A. IV. 4. Sofern durch die Differenzierung die dargestellten Unterschiede der Lebenssachverhalte berücksichtigt werden sollten, waren die vorhandenen Regeln nur eingeschränkt tauglich.
883 S. dazu die Ausführungen von soeben unter b).
884 S. die Nachweise in Kap. 4 B. I.
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III. Der maßgebliche Zeitpunkt – Prinzip und Rezeption durch die Richtlinie
In Bezug auf den für die Bewertung der Sachbeschaffenheit maßgeblichen Zeitpunkt
lässt sich ebenfalls feststellen, dass sowohl länder- als auch vertragstypenübergreifend eine weitgehende Übereinstimmung bestand. Zwar verknüpften nicht alle
Rechtsordnungen den maßgeblichen Augenblick so eindeutig mit dem Gefahrübergang wie die deutsche Rechtsordnung. Die Untersuchung hat aber gezeigt, dass auch
für die Rechtsordnungen Frankreichs und Englands überwiegend ein Zeitpunkt
maßgeblich war, der mit dem Gefahrübergang korrelierte.885 Nach der hier vertretenen Ansicht ist für das Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie der Zeitpunkt
des Gefahrübergangs ebenfalls maßgeblich. Die Richtlinie übernimmt insoweit ein
länder- und vertragstypenübergreifendes Prinzip der Herstellungs- und Veräußerungsverträge.
IV. Ergebnis zu den Haftungsvoraussetzungen
Für die Bestimmung des sachschuldnerischen Solls galten vertragstypen- und länderübergreifend einheitliche Prinzipien. Diese Einheit macht sich die Richtlinie in
erfreulicher Weise zunutze, indem sie zur Inhaltsbestimmung des sachschuldnerischen Solls primär subjektive Kriterien heranzieht und grundsätzlich eine Konsentierung voraussetzt.886 Unterschiede zeigten sich zwar in konzeptioneller Hinsicht,
weil einige Haftungsregime für bestimmte Situationen die Abschwächung des Konsenserfordernisses vorsahen.887 Eine funktionale Betrachtung verdeutlichte jedoch,
dass die Divergenzen geringfügiger Natur waren und sich tatsächlich kaum auswirkten.888 Abweichungen gegenüber der Richtlinie haben sich insoweit gezeigt, als dass
einige Haftungsregime das Bestehen einer tatbestandlichen Geringfügigkeitsschwelle vorsahen.889 Doch die nähere Betrachtung der Rechtspraxis verdeutlichte, dass die
Abweichungen tatsächlich weit weniger ausgeprägt waren, als es auf den ersten
Blick erschien. So tendierte das jeweils gelebte Vertragsrecht auch bei den abweichenden Haftungsregimen deutlich in Richtung der Regelung, die auch das Sachleistungsvertragskonzept vorsieht: Überwiegend musste der Sachschuldner eine „perfekte“ Leistung erbringen, um einer Haftung zu entgehen.890 Die Untersuchung zeigte ferner, dass eine einheitliche Pflicht des Sachschuldners zur „Perfektion“ vorzugswürdig ist.891 Durch das Abstellen auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs für
die Bewertung der Sachbeschaffenheit übernimmt das Sachleistungsvertragskonzept
885 S. Kap. 2, 3 u. 4, jeweils B. II. 2. und C. II. 3.
886 S. o. unter I. 1. a), 2.
887 S. o. unter I. 1. c).
888 S. o. unter I. 2. a), b).
889 S. o. unter II. 1., 2.
890 S. o. unter II. 2. a).
891 S. o. unter II. 2. b), c).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.