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Kapitel 5 - Die Tragfähigkeit des Sachleistungsvertragskonzepts
A. Einleitung
In Kapitel 5 wird der Frage nachgegangen, ob das vereinheitlichende Sachleistungsvertragskonzept in der Fassung der Richtlinie eine mögliche und begrüßenswerte
Neuausrichtung des europäischen Vertragstypenrechts ist. Bejaht wird die Frage,
wenn die Richtlinie bereits bestehende einheitliche Haftungsprinzipien übernimmt,
da die einheitliche länder- und vertragstypenübergreifende Anwendung einer Regel
ihre Eignung indiziert. Die Frage wird ebenfalls bejaht, wenn sich die in den
Rechtsordnungen vorgefundenen Abweichungen gegenüber dem Sachleistungsvertrag der Richtlinie nicht (mehr) rechtfertigen lassen. Bei der Untersuchung wird methodisch folgendermaßen vorgegangen:
In einem ersten Arbeitsschritt werden die Länderberichte auf die Existenz länderund vertragstypenübergreifender Haftungsprinzipien hin untersucht. Anschließend
werden die Ergebnisse in einem zweiten Arbeitsschritt mit der jeweiligen Regel verglichen, die das Sachleistungsvertragskonzept vorsieht. In einem dritten Arbeitsschritt werden die vorgefundenen Abweichungen hinterfragt. Es wird geprüft, ob
sich die Abweichungen bei der Beachtung der Rechtspraxis und des funktionalen
Kontextes der Regelung als vermeintlich herausstellen oder abschwächen. Tatsächlich bestehende Deviationen werden unter Berücksichtigung ihrer Anknüpfungspunkte auf ihre Erforderlichkeit hin geprüft.
Es ist eine Herausforderung, für die Bewertung der „Erforderlichkeit“ einer Abweichung geeignete Bewertungsmaßstäbe festzulegen. Einzelstaatliche (Gerechtigkeits-) Vorstellungen erscheinen für die Bewertung des „europäischen Konzepts“
einer Richtlinie nicht geeignet, da sie zwangsläufig systemverhaftet sind. Für die
Bewertung der „Erforderlichkeit“ werden deshalb primär wirtschaftliche Aspekte
herangezogen.840 Grundsätzlich gilt, dass eine differenzierende rechtliche Regelung
gegenüber einer einheitlichen rechtlichen Bewertung nur vorzuziehen ist, wenn
mindestens ein Subjekt dadurch einen billigenswerten Vorteil erlangt, ohne dass dadurch ein anderes Subjekt einen Nachteil erlangt. Rechtliche Differenzierungen verursachen einen Anstieg der Informations- bzw. Transaktionskosten. Eine differenzierende rechtliche Bewertung bedarf daher in dieser Hinsicht einer Rechtfertigung
und es spricht eine Vermutung für die einheitliche Behandlung der Verträge in einem Sachleistungsvertrag. Die Erforderlichkeit einer Differenzierung ist fraglich,
wenn die vorgefundene Abweichung nur in einer untersuchten Rechtsordnung existierte. Bestünde das Erfordernis der abweichenden rechtlichen Bewertung, hätte diese länderübergreifend vorgefunden werden müssen. Soweit im untersuchten Bereich
840 Zu dieser Vorgehensweise s. Großfeld, S. 53; Baldus/Schmidt-Kessel, GPR 2005, 157; van
Aaken, in: Jahrbuch 2000, S. 148.
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Überlegungen zur wohlfahrtsökonomischen Allokationseffizienz vertraglicher Regelungen bestehen, werden sie berücksichtigt.841 Gerade im angloamerikanischen
Rechtskreis werden diese Gedanken oft ins Feld geführt, um bestehende Unterschiede der rechtlichen Bewertung gegenüber den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen zu begründen.842
841 Aus der Blindheit der Betrachtung der Güterverteilung unter dem Effizienzgesichtspunkt gegenüber anderen Kriterien, wie beispielsweise einer Verteilungsgerechtigkeit, ergibt sich die
limitierte Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts, Leff, Va.L.Rev. 451 (462 ff.);
Wheeler/Shaw, S. 88 (unter Verweis auf Polinsky). Daraus folgt aber nicht ihre Unbrauchbarkeit für die Beurteilung der Angemessenheit von Rechtsregeln, Schäfer/Ott, S. 6 ff.; Posner,
S. 14 f.; ders. in: Assmann/Kirchner/Schanze, S. 86; Deckert, S. 183 f.; Janson, S. 53 ff.;
Melzer, S. 145 f. Das Leistungsstörungsrecht der Vertragsrechtsordnungen ist von Umverteilungszielen praktisch frei, Tröger, ZIP 2005, 2238 (2239, Fn. 12). Den Ausführungen wird
jeweils vorausgesetzt, dass die Kosten der Schaffung und Durchsetzung entsprechender gesetzlicher Normen den potenziell erzielbaren Nutzenzuwachs nicht aufzehren. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Betrachtung der Harmonisierungswirkung
die Erzielung eines Nutzenzuwachses relevant für die Verhältnismäßigkeit und damit auch für
die Zulässigkeit von Maßnahmen nach Art. 95 EGV sein dürfte, vgl. dazu etwa Fischer, in:
Lenz/Borchardt, Art. 95, Rdnr. 32 und Tietje, in: Grabitz/Hilf, Art. 95, Rdnr. 31.
842 S. unten unter C. II. b).
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B. Rechtsvergleich der Haftungsvoraussetzungen
Es stellt sich die Frage, ob das Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie in Bezug
auf die Voraussetzungen der Sachschuldnerhaftung tragfähig ist.
I. Die Festlegung der geschuldeten Beschaffenheit
Alle untersuchten Rechtsordnungen legten das sachschuldnerische Soll hinsichtlich
der Sachbeschaffenheit vertragstypenübergreifend nach sehr ähnlichen Regeln fest.
1. Bestehende einheitliche Haftungsprinzipien
Die Bestimmung des sachschuldnerischen Solls erfolgt vertragstypenübergreifend
nach subjektiven und objektiven Kriterien.843
a) Die primäre Maßgeblichkeit subjektiver Kriterien
Die Verpflichtung des Sachschuldners konnte sich einerseits auf die Beschaffenheit
der Sachleistung selbst, andererseits auf die Verwendungstauglichkeit der Sachleistung zu einem bestimmten Zweck beziehen.844 Im Falle der Kollision objektiver und
subjektiver Kriterien bei der Bestimmung des Pflichtinhalts waren die subjektiven
Kriterien von vorrangiger Bedeutung.845 Es kann festgehalten werden, dass insoweit
für Herstellungs-und Veräußerungsverträge länderübergreifend einheitliche Prinzipien existierten, die eine einheitliche rechtliche Bewertung der Lebenssachverhalte
in einem Sachleistungsvertrag ermöglichen.
b) Das Konsenserfordernis
Ein vertragstypen- und länderübergreifender Gleichlauf lässt sich auch verzeichnen,
soweit es um die Verbindlichkeit der kommunikativen Elemente ging. Soweit erkennbar, war es ein gemeinsames vertragstypenübergreifendes Prinzip aller Rechtsordnungen, dass der Sachschuldner in Bezug auf die Beschaffenheit der Sachleistung selbst nur dann verpflichtet wurde, wenn ein entsprechender Konsens vorlag.846
843 S. Kap. 2, 3 und 4 jeweils B. II. 1. a), b) und C. II. 2. a), b).
844 S. Kap. 2, 3 und 4 jeweils B. II. 1. a), b), c) und C. II. 2. a), b), c).
845 S. Kap. 2, 3 und 4, jeweils B. II. 1. d) und C. II. 2. d).
846 S. Kap. 2, 3 und 4, jeweils B. II. 1. a) und C. II. 2. a); vertiefend Riesenhuber, in: System,
S. 312 ff.; Schulze, GPR 2005, 56 (59 f.).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.