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dass die Zuordnung ein und derselben Werkleistung zu einem Vertragstypus bzw.
die Anwendung divergierender Regeln davon abhängen konnte, dass das Material
einen unterschiedlichen Wert hatte.670 Deshalb stellte man nunmehr auf den Individualisierungsgrad der hergestellten Sachleistung ab. Handelte es sich bei der Sachleistung im Ergebnis um einen Serienartikel, wurde der Vertrag als „contrat de vente“ klassifiziert.671 Das konnte selbst dann gelten, wenn die Sache auf einen Auftrag
des Sachgläubigers hin angefertigt wurde. Wurde die Sachleistung dagegen auf die
individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Sachschuldners abgestimmt, erfolgte
eine Einordnung des Vertrags als „contrat d’entreprise“.672
V. Ergebnis zur Vertragstypik
Zusammenfassend kann zur Vertragstypik festgehalten werden, dass das französische Recht, abweichend von der Sachleistungsvertragskonzeption der Richtlinie, die
in Frage stehenden Lebenssachverhalte unterschiedlichen Vertragstypen zuordnete.
Es konnte ein „contrat de vente“ oder ein „contrat d’entreprise“ vorliegen. Somit
stehen beide Vertragstypen unter dem Einfluss der Richtlinie673 und es ist im weiteren Verlauf der Untersuchung die Darstellung beider Vertragstypen notwendig. Erneut verdeutlicht sich die vertragstypische Neuorientierung der Richtlinie in Richtung eines Sachleistungsvertragskonzepts.
Die entgeltliche und endgültige Überlassung einer zu dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses existenten Sachleistung wurde als „contrat de vente“ eingeordnet. Der
Vertrag wurde dagegen als „contrat d’entreprise“ verstanden, wenn die Sachleistung
der Herstellung bedurfte und das zur Herstellung erforderliche Material vom Sachgläubiger stammte. Lieferte der Sachschuldner indes das Material, wurde auf den
Grad der Individualisierung des Endprodukts abgestellt. Handelte es sich bei der fertig gestellten Sachleistung um einen Massenartikel, fand das Recht des „contrat de
vente“ Anwendung. Anderenfalls wurde der Vertrag als „contrat d’entreprise“ eingeordnet.
670 Bénabent (2004), Rn. 484; Huet, Rn. 32135; Gibirila, in: Juris-Classeur, Art. 1787: fasc. 10,
Rn. 9.
671 Ghestin/Desché, Rn. 78; Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 76; Mainguy, Rn. 32; Huet,
Rn. 32135; Labarthe, JCP-E 2001, 1426 (1427 f.); Barbieri, S. 274; s. auch die Urteile des
Cour de cass. civ. vom 12.05.2004, N° de pourvoi 02-20247, vom 29.10.2003, N° de pourvoi
01-12482 (Bulletin 2003 III N° 183, 162), vom 04.06.2003, N° de pourvoi 02-10851 und des
Cour d’appel Lyon vom 10.04.2003, N° de décision 2000/07137; die in dieser Untersuchung
verwendeten Urteile sind im Internet unter http://www.legifrance.gouv.fr einsehbar.
672 Bénabent (2004), Rn. 484; kritisch wohl Labarthe, JCP-E 2001, 1426 (1427).
673 S. auch Art. 1791-1 des ersten Umsetzungsvorhabens des „avant Projet de loi“ sowie die letzten Endes erfolgte Umsetzung, s. Kap. 8 u. A. I. f.; Huet, Rn. 11417-5; Labarthe/Noblot, JCP
2005, 1680; Frizberg, ZfRV 2003, 203 (206).
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B. Die Haftung des Sachschuldners eines „contrat de vente“
Das Recht der Veräußerungsverträge war als „contrat de vente“ im Code verhältnismäßig umfassend geregelt worden. So ergeben sich die Voraussetzungen und
Folgen der Haftung des Sachschuldners wegen einer qualitativen Beschaffenheitsabweichung der Sachleistung weitgehend aus dem Gesetz. Doch bevor darauf näher
eingegangen wird, werden zunächst die Struktur der Haftung und die systematische
Verortung der Fälle der Schlechtleistung erläutert.
I. Die systematische Behandlung von Fällen der Schlechtleistung
Die hier zu betrachtende Haftung des Sachschuldners wegen qualitativer Beschaffenheitsabweichungen ergab sich aus zwei unterschiedlichen Haftungsregimen. Der
„contrat de vente“ begründete gemäß Art. 1603 CC zwei Pflichten des Sachschuldners, die diesbezüglich zu beachten waren. Für beide Pflichten existierten Haftungsregime, die sich in ihren Voraussetzungen und Folgen unterschieden. Daher ist im
weiteren Verlauf eine zweigliedrige Darstellung erforderlich.
Zum einen musste der Sachschuldner die Sachleistung liefern („obligation de délivrance“), zum anderen traf ihn die, auf römisch-rechtlichen Wurzeln basierende,
Einstandspflicht für verdeckte Abweichungen („garantie contre vices cachés“).674
Anders als die „Gewährleistungshaftung“ für „vices cachés“ der Artt. 1641 ff. CC
entsprach die Haftung für eine „inéxecution de l’obligation de délivrance“ der
Art. 1610 ff. CC weitgehend der Haftung wegen Nichterfüllung des allgemeinen
Schuldrechts („droit commun“).675 Beide Haftungsregime sollten in der Theorie
leicht abzugrenzen sein676: Die „garantie contre vices cachés“ sollte den Sachschuldner verpflichten, dass die Sachleistung die übliche Beschaffenheit aufwies.
Als „vices cachés“ sollten Abweichungen angesehen werden, die sich erst durch den
Gebrauch der Sache entdecken ließen. Die „obligation de délivrance“ sollte die Haftung des Sachschuldners für den Fall begründen, dass die Sachleistung nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufwies677 oder offensichtliche Beschaffenheitsabweichungen vorlagen.
674 Dutilleul/Delebecque (2004), Rn. 225, 264.
675 Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 317; Huet, Rn. 11255; Dutilleul/Delebecque (2004),
Rn. 232; Malaurie/Aynès/Gautier (2001) Rn. 285; Art. 1610 wird überwiegend nur als Konkretisierung der allgemeinen Regel des Art. 1184 al. 1 angesehen, Schmidt, S. 57; vertiefend
zur vertraglichen Nichterfüllungshaftung s. die Monographie v. Sonnenschein.
676 Lièvremont, JCP 2005, 2430 (2431).
677 Dalloz CC (2005), Art. 1641, Rn. 10; s. das Urteil des Cour de cass. civ. vom 19.03.2002,
N° de pourvoi 99-14973; zum Wandel der Abgrenzung eingehend Mainguy, Rn. 164 f.; Huet,
Rn. 11229; Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 285; Nietzer/Stein, ZVglRWiss 99 (2000),
41 (45); Peterl, S. 122 ff.; Ranieri, S. 301 ff.; Adam, S. 168 f.; Bacher, S. 63; Gerny, S. 59;
s. auch das Urteil des Cour d’appel Bastia vom 19.11.2002, N° de décision 2002/00772. Eine
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.