153
Kapitel 4 – Das Recht in Frankreich vor Umsetzung der Richtlinie
In Kapitel 4 wird das französische Recht vor Umsetzung der Richtlinie dargestellt.
Zunächst wird ein Überblick gegeben, ob und in welcher Weise die durch das Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie betroffenen Verträge eine eigene Typisierung erfahren hatten. Darauf aufbauend werden die Voraussetzungen und die Folgen
der Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen erläutert.
A. Die Vertragstypik der Sachleistungsverträge in Frankreich
I. Einleitung zur Vertragstypik in Frankreich
Der Code civil verfolgte643 konzeptionell den Ansatz, die am häufigsten vorkommenden Schuldvertragstypen in einem einheitlichen Gesetzbuch zusammenzufassen
und auszuformen.644 In einigen der hier zu betrachtenden Rechtsbereichen waren die
geschriebenen Regeln vergleichsweise fragmentarischer Natur.645 Insbesondere galt
dies hinsichtlich der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Herstellungsverträge646,
was unter anderem für eine herausgehobene Stellung der Gerichte bei der Anwendung und Fortentwicklung des Rechts sorgte.647
II. Veräußerungsverträge
Verträge über die entgeltliche und endgültige Überlassung einer beweglichen Sache
hatten als „contrat de vente“ im Sechsten Titel des Dritten Buchs in den
Artt. 1582-1701 CC eine vergleichsweise eingehende Regelung erfahren.648 Seiner
Legaldefinition in Art. 1582 CC zufolge, zielte der „contrat de vente“ in seinem
643 Zur Verdeutlichung erfolgt die Darstellung des französischen Rechts vor Umsetzung der
Richtlinie in der Vergangenheitsform. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die Umsetzung
das zuvor gültige Recht inhaltlich kaum abgeändert und eher erweitert hat, s. Kap. 8 A. I.-IV.
644 Ferid/Sonnenberger, Bd. 1/1, Rn. 1 A 312.
645 Zweigert/Kötz, S. 89.
646 Bloeck, S. 11; Ferid/Sonnenberger, Bd. 1/1, Rn. 1 A 332; anderes galt für das Bauvertragsrecht, s. Art. 1792 ff. CC.
647 Sonnenberger, in: FS für Lerche, S. 555; Ferid/Sonnenberger, Bd. 1/1, Rn. 1 A 374.
648 Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 66 f.
154
Kernbereich auf die Lieferung einer bereits existierenden649 Sachleistung650 ab. Als
Lieferung wurde gemäß Art. 1604 CC die Übertragung der Gewalt und des Besitzes
an der Sache angesehen.651 Schon aus seiner systematischen Verortung im Dritten
Buch652 und dem Wortlaut des Art. 1583 CC ergab sich, dass der Vertrag auf den
Übergang des Eigentums an der Sache gerichtet war.653 Das Gesetz sah für den Fall
des unproblematischen Leistungsaustausches eine Rückgabe der Sachleistung nicht
vor, was die angestrebte Endgültigkeit der Sachüberlassung verdeutlicht. Die Entgeltlichkeit der Sachüberlassung ergab sich aus Art. 1582 CC.
III. Herstellungsverträge
Der Lebenssachverhalt der endgültigen und entgeltlichen Überlassung einer noch
herzustellenden Sache wurde teilweise als „contrat de vente“ über eine „chose future“ angesehen. Doch die Mehrheit der hier in Frage stehenden Herstellungsverträge
wurden dem Vertragstypus „contrat d’entreprise“ zugeordnet.654 Das gesetzliche
Bild des Vertragstypus war wenig homogen. Im Dritten Buch, Titel VIII in Kapitel III fanden sich nur Fragmente der Grundform des „contrat d’entreprise“. Einige
spezielle Unterarten, wie beispielsweise der Bauvertrag, hatten dagegen eine sehr
detaillierte Normierung erfahren.655 Im Laufe der Zeit hatten Rechtslehre und Gerichte, ausgehend von der Norm des Art. 1710 CC, genauere Konturen der Grundform des „contrat d’entreprise“ herausgearbeitet.656
Danach umfasste der „contrat d’entreprise“ solche Lebenssachverhalte, bei denen
sich eine Partei gegen ein Entgelt verpflichtete, eigenständig eine Tätigkeit auszuführen, ohne die andere Partei zu vertreten.657 Als „contrat d’entreprise“ galten zum
649 Ebenso bekannt war der „contrat de vente de choses futures“, s. Art. 1130 CC; Veaux, in: Juris-Classeur, Art. 1624, Rn. 27; Ghestin/Desché, Rn. 330 ff.; Puig, Rn. 289; Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, Rn. 2 G 164.
650 Zum Begriff der „chose“ s. Dutilleul/Delebecque (2004), Rn. 120 ff. u. Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 168 ff.; Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, Rn. 2 G 152.
651 Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, Rn. 2 G 154.
652 S. die Überschrift „Des différentes manières dont on acquiert la propriété“.
653 Das Eigentum an der Sachleistung wird nach der französischen Rechtsordnung nach dem
Konsensualprinzip übertragen, Art. 1583, dazu Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, Rn. 2 G 201 ff.
654 Der Code civil selbst benutzte den Terminus nicht, s. Ferid/Sonnenberger, Bd. 2,
Rn. 2 K 102.
655 S. etwa die Artt. 1792 ss. CC zum Bauvertragsrecht. Gleichzeitig vermischen die
Artt. 1708 ff. und 1779 ff. CC nach deutschem Verständnis Werk- und Dienstvertragsrecht
und enthalten nur wenige Regelungen, die über die Parteipflichten im Einzelnen aufklären;
Hök, ZfBR 2000, 80; Ferid/Sonnenberger, Bd. 2, Rn. 2 K 102; Hübner/Constantinesco,
§ 23, 3d); Bloeck, S. 11.
656 Lorenz, in: IECL, Rn. 53.
657 Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 708; Bénabent (2004), Rn. 479; Gibirila, in: Juris-
Classeur, Art. 1787: fasc. 10, Rn. 1.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.