115
waren432: Wie der SGA regelte auch der SGSA Verträge, deren Objekte „goods“
waren. Der Begriff der „goods“ entsprach seiner Legaldefinition in s. 18 (1) nach
praktisch dem des SGA. Der SGSA betraf somit Verträge über bewegliche Sachen.
S. 1 (1) SGSA ging von einer Pflicht des Sachschuldners zur Eigentumsverschaffung aus. Phänotypisch zeigte sich so die beabsichtigte Endgültigkeit der Sachüberlassung. Part II des SGSA setzte in s. 13 die Verpflichtung des Sachschuldners zur
Ausführung einer bestimmten Tätigkeit voraus und verpflichtete ihn zur Beachtung
von „reasonable care and skill“. In der Regelung zeigte sich, dass Verträge über die
Herstellung einer Sachleistung erfasst wurden. Die Entgeltlichkeit des Vertrags ergab sich aus s. 15 SGSA.433 Sofern die gesetzlichen Regelungen nicht eingriffen
bzw. ausfüllbedürftig waren, richtete sich die rechtliche Behandlung nach dem Fallrecht. Bedeutung erlangte dies besonders bei Herstellungsverträgen, bei denen der
Sachgläubiger das für die Herstellung benötigte Material stellte. Part I des SGSA
konnte in diesen Fällen nicht einschlägig sein, denn eine Übereignung der Sachleistung an den Sachgläubiger war typischerweise nicht vorgesehen oder möglich.434
IV. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Vertragstypen
Wie in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen bestand eine Nähe der durch
die Vertragstypen verkörperten Lebenssachverhalte im Typenkontinuum, wenn die
Sachleistung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht existierte.435 In diesen
Fällen wurde die Zuordnung des Vertrags zu einem der Vertragstypen erforderlich.
In der Folge werden die dazu verwendeten Abgrenzungskriterien skizziert. Das Bedürfnis einer Zuordnung nahm während des letzten Jahrhunderts erheblich ab, weil
sich die rechtliche Ausgestaltung beider Vertragstypen stark annäherte.436
432 Guest, in: Chitty Bd. 1, Rn. 13-029; nur der auf die Materiallieferung bezogene Teil des Vertrags konnte aus dem Anwendungsbereich des SGSA herausfallen. Dies geschah beispielsweise dann, wenn ein Eigentumsübergang an den Sachgläubiger nicht Vertragsgegenstand
war, denn Part I setzte den Eigentumsübergang voraus (s. u.).
433 Woodroffe, Rn. 6.40.
434 Palmer, S. 926, bemerkt dazu: „Thirdly, the English legislation applies only to contracts for
the transfer of property in goods. In general terms, therefore, it cannot apply to a contract, under which the supplier of a service uses defective material...without conveying any property
in those materials”.
435 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-041; Woodroffe, Rn. 3.04; Hyundai Shipbuilding and
Heavy Industries Co Ltd. v. Papadopoulos [1980] 2 All E.R., 29; Civ.P.B. 2005, 66, 67 f.
436 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-041; wie sich noch zeigen wird, bestand zwar ein weitgehender Gleichlauf im Bereich der Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen, aber im Einzelfall konnte die Einordnung des Vertrags in das System der Schuldverhältnisse dennoch von großer Bedeutung sein, s. unter B. II. 3., III. 7. und C. II. 4., III. 6.
116
1. Das Kriterium der Materiallieferung
Stellte der Sachgläubiger das für die Herstellung der Sachleistung benötigte Material
zur Verfügung, wurde nach englischem Recht der Vertrag grundsätzlich nicht als
„contract of sale“ eingeordnet. Der Umkehrschluss hingegen, dass bei Lieferung des
Materials durch den Sachschuldner ein „contract of sale“ vorliegen musste, war
nicht zulässig.437 Bei diesen Sachverhalten wurde zunächst darauf abgestellt, ob sich
die gesamte Herstellungsleistung derart im Vertragsgegenstand niederschlug, dass
beide untrennbar verschmolzen. War das der Fall, wurden für die erforderliche Zuordnung des Vertrags beide der folgenden Kriterien, das der „substance of the contract“ und das Kriterium der Eigentumsübertragung, nebeneinander angewendet.438
Konnten Werkleistung und Material noch voneinander getrennt werden, bestimmte
das folgende Kriterium der „substance of the contract“ allein über die Einordnung
des Vertrags.439
2. Das Kriterium der Wertverhältnisse
Das Kriterium der „substance of the contract“ stellte darauf ab, ob der Schwerpunkt
des Vertrags eher in der Erbringung einer besonderen Werkleistung oder der Veräu-
ßerung des bereitzustellenden Materials lag.440 Die Wahl des Referenzrahmens zur
Bestimmung der „substance“ wurde allerding nicht eindeutig getroffen. Überwiegend wurden finanzielle Gesichtspunkte als maßgeblich erachtet. So verglich man
etwa den Wert des gelieferten Materials mit dem der Herstellungsleistung. Teilweise
wurde aber undeutlicher auch auf die jeweilige „Bedeutung“ beider Elemente abgestellt.441
437 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-045; Robinson v. Graves [1935] All E.R. Rep., 935; dies
wurde damit begründet, dass der Schwerpunkt des „contract of sale“ im Eigentumsübergang
zu sehen war und für diesen kein Raum bestand, wenn der Sachgläubiger wesentliche Teile
des für die Herstellung der Sache benötigten Materials lieferte, s. Halsbury’s, Vol. 3 (1),
Rn. 63.
438 Eine in diesem Sinne untrennbare Verschmelzung dürfte in vielen Fällen der Herstellung oder
Erzeugung einer beweglichen Sache vorgelegen haben, so beispielsweise bei der Herstellung
eines Anzugs oder eines Schiffs, s. Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-047.
439 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-042 u. 1-047.
440 Halsbury’s, Vol. 3 (1), Rn. 63; Halsbury’s, Vol. 41, Rn. 3; Palmer, S. 886 f.; vgl. die Äußerungen von Crompton J. und Hill J. in Lee v. Griffin [1861-73] All E.R. Rep., 192 ff.; a. A.
aber Hilbury J. in J. Marcel Ltd. v. Tapper [1953] 1 All E.R., 15 (16); Zerres, S. 43.
441 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-047; Halsbury’s Vol. 41, Rn. 3; Robinson v. Graves
[1935] All E.R. Rep., 935; Palmer, S. 887; Guest/Reynolds/Harris, in: Chitty Bd. 2 (1999),
Rn. 43-014; Streer, S. 56 f.; Lorenz, in: IECL Band 8, Rn. 2.
117
3. Das Kriterium der Eigentumsübertragung
Lag eine untrennbare Verschmelzung von Werkleistung und Materiallieferung vor,
stellte das englische Recht zur Abgrenzung neben der „substance of the contract“
auf ein weiteres, gleichrangiges442 Kriterium ab. Entscheidend war, ob das Eigentum
an der herzustellenden Sachleistung nach ihrer Fertigstellung auf den Sachgläubiger
übergehen konnte. Denn nur dann konnte die hergestellte Sache Objekt eines „contract of sale“ sein.443 Blackburn J. führte dazu in Lee v. Griffin aus: „...if the result
of the contract is that the party has done work and labour which ends in nothing that
can become subject of a sale, the party cannot sue for goods sold and delivered...“.444
Ein contract of sale lag meistens dann vor, wenn das Werk aus den Materialien des
Sachschuldners hergestellt wurde. So wurden beispielsweise die Herstellung einer
Zahnprothese, einer Schiffsschraube und von Tierfutter nach Angaben des Sachgläubigers als „contract of sale“ eingeordnet.445 Dasselbe konnte gelten, wenn das
Eigentum am Material zuvor an den Schuldner der Sachleistung übertragen worden
war.446
4. Das Kriterium des Individualisierungsgrads der Sachleistung
Es stellt sich die Frage, ob der Grad der Individualisierung der hergestellten Sachleistung im englischen Recht für die systematische Einordnung des Schuldverhältnisses von Bedeutung war. Wie im UN-Kaufrecht erfuhr dieses Abgrenzungskriterium im englischen Recht keine eigenständige Nennung.447 Doch ein im Hinblick
auf die Abgrenzung der Vertragstypen funktional deckungsgleiches Ergebnis ergab
sich in den meisten Fällen auch so, da das Kriterium der Individualität dem des Verhältnisses von Materiallieferung und Werkleistung nahe steht. So steigen typischer-
442 Sealy, in: Benjamin’s Rn. 1-047; teilweise wurde dem Abgrenzungskriterium der „substance“
größere Bedeutung eingeräumt, da das entsprechende Urteil jüngeren Datums ist,
s. Guest/Reynolds/Harris, in: Chitty Bd. 2 (1999), Rn. 43-014.
443 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-047; Palmer, S. 889; Streer, S. 54; auch der „contract for
work and materials“ kann in seiner „gesetzlich niedergelegten“ Form eine Eigentumsübertragung beinhalten, siehe s. 1 (1) SGSA. Die Möglichkeit der Eigentumsübertragung ist somit
als Abgrenzungskriterium nur beschränkt geeignet.
444 Lee v. Griffin [1861-73] All E.R. Rep., 193, zitiert nach Benjamin’s (2002), Rn. 1-047; Halsbury’s, Vol. 3 (1), Rn. 63; Lorenz, in: IECL, Rn. 5.
445 Lee v. Griffin [1861-73] All E.R. Rep., 191; Ashington Piggeries v. Hill [1971] 1 All E.R.,
847 (848); Samuels v. Davis [1943] 2 All E.R., 3; Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-047;
Lorenz, in: IECL, Rn. 2.
446 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-044; Guest/Reynolds/Harris, in: Chitty Bd. 2 (1999),
Rn. 43-014.
447 Lorenz, in: FS für v. Caemmerer, S. 922.
118
weise die Bedeutung der Werkleistung im Vertragsgefüge und die Individualität der
Sachleistung zugleich an.448
V. Ergebnis zur Vertragstypik
Als Ergebnis zur Vertragstypik lässt sich festhalten, dass das englische Schuldrecht
die untersuchten Sachverhalte, welche die Richtlinie einer einheitlichen Bewertung
zuführt, unterschiedlichen Vertragstypen mit divergierenden Regelungen zuordnete.449 Erneut zeigt sich die vertragstypische Neuorientierung der Richtlinie in Richtung eines Sachleistungsvertragskonzepts. Aufgrund der Zuordnung der Lebenssachverhalte zu unterschiedlichen Vertragstypen ist im weiteren Verlauf dieses Kapitels eine zweigliedrige Darstellung erforderlich.
Die entgeltliche und endgültige Überlassung einer bereits bestehenden Sachleistung wurde als „contract of sale“ verstanden. Bei Verträgen über die Herstellung
und entgeltliche Überlassung einer Sachleistung entschieden folgende Kriterien über
die Einordnung des Vertrags in das System der Schuldverhältnisse: Ein „contract of
sale“ lag nicht vor, wenn das für die Herstellung erforderliche Material vom Sachgläubiger stammte. Je größer der wert- oder bedeutungsmäßige Anteil der Herstellungsleistung im Vertragsgefüge war, desto eher schied die Einordnung des Vertrags
als „contract of sale“ aus. Zur Anwendung der Vorschriften des „contract of sale“
kam es eher, wenn ein Eigentumsübergang an den Gläubiger der Sachleistung noch
möglich war.
448 Lorenz, in: IECL, Rn. 2, vermutete, dass der Individualitätsgrad der Sachleistung für die englische Judikatur das in Wahrheit maßgebliche Kriterium darstellte, auch wenn es keine eigenständige Nennung erfuhr; ähnlich wohl A. Sandrock, S. 19.
449 So auch die überwiegende Meinung in England, s. Miller, in: Benjamin’s Suppl.,
Rn. 1-010 ff.; Reynolds, in: Benjamin’s (2006), Rn. 12-071; Bradgate, L.Q.R. 2004,
558 (563); Twigg-Flesner, GPR 2003, 12; Twigg-Flesner/Bradgate, Web.J.C.L.I. 2000 u.
3. (c), (d); Howells/Twigg-Flesner, in: Schermaier, S. 307; Sobich, RIW 2003, 740 f.; Mansel,
AcP 204 (2004), 396 (442); Zerres, S. 48; Streer, S. 58. Dieses Ergebnis unterstützend kann
darauf hingewiesen werden, dass der englische Act zur Umsetzung der Richtlinie ebenso
amendments zum SGSA 1982 enthält. Vereinzelt wird vertreten, die Richtlinie erfasse nur
den „sale of future goods“, s. dazu Watterson, in: ERPL 2001, 197 (200).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.