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C. Die Haftung des Sachschuldners für Beschaffenheitsabweichungen
Der bisherige Schwerpunkt der Untersuchung lag auf der Erarbeitung der von der
Richtlinie erfassten Lebenssachverhalte und der Darstellung des ihr zugrunde liegenden Sachleistungskonzepts. Im weiteren Verlauf wird das Sachleistungsvertragskonzept inhaltlich in Bezug auf die Voraussetzungen und Folgen der Haftung für
Beschaffenheitsabweichungen geprüft.
I. Haftungsvoraussetzungen
Zunächst wird dargelegt, auf welche der denkbaren Leistungen sich die vertragliche
Pflicht des Sachschuldners bezieht. Im Anschluss daran wird ermittelt, auf welche
Weise sich der Inhalt der Pflicht des Sachschuldners bestimmt. Schließlich wird untersucht, mit welcher Exaktheit und zu welchem Zeitpunkt der Sachschuldner das so
definierte Ziel auch tatsächlich erreichen muss, damit er nicht haftet.
1. Der Bezugspunkt der Sachschuldnerpflicht
Aus der Wahl des Bezugspunkts ergibt sich die Reichweite der für die Haftungsbegründung maßgeblichen Sachschuldnerpflicht. Dem kontinentaleuropäischen Juristen mag die Frage nach dem Bezugspunkt dieser Pflicht im Zusammenhang mit den
hier untersuchten Verträgen befremdlich erscheinen. Er könnte dazu neigen anzunehmen, die Verpflichtung des Sachschuldners bezöge sich (selbstverständlich) auf
die Beschaffenheit der Sachleistung insgesamt. Doch gilt das für den englischen Juristen nicht.166
Im Bereich der zu untersuchenden Verträge lassen sich mehrere Handlungen des
Sachschuldners unterscheiden, deren Durchführung sich auf die Beschaffenheit der
Sachleistung auswirkt.167 Das gilt insbesondere für die in das Sachleistungsvertragskonzept einbezogenen Herstellungsverträge. So kann sich die sachschuldnerische
Pflicht zu der Leistung einer bestimmten Beschaffenheit auf die Sachleistung als
Ganzes beziehen. Es lässt sich aber auch erwägen, den Sachschuldner nur zu der
Auswahl geeigneter Materialien (im Folgenden auch „selecting“) oder zu der erforderlichen herstellerischen Tätigkeit selbst (im Folgenden auch „processing“) zu verpflichten. Eine unterschiedliche Anknüpfung kann mit jeweils divergierenden Voraussetzungen und Folgen der Haftung verbunden werden. Da die Richtlinie ein eu-
166 Das englische Recht sieht die im Folgenden skizzierte Aufteilung der Pflichten vor. Diese
Struktur liegt der Konzeption des SGSA zugrunde, s. Kap. 3 u. C. II. 1. In England ist die
Richtlinie offenbar so umgesetzt worden, als erfasse sie nur Beschaffenheitsabweichungen,
die auf einem fehlerhaften „selecting“ beruhen, s. Kap. 7 u. C. II. 1.
167 S. Jansen, S. 254 f.; Ganten, BauR 1971, 161.
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ropäischer Rechtsakt ist, kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, ihre
Systematik wäre in dieser Hinsicht kontinentaleuropäisch.
In allen untersuchten Sprachfassungen wird der Sachschuldner in Art. 2 I der
Richtlinie zu der Lieferung vertragsgemäßer „Güter“168 verpflichtet. Die Vermutung
der Vertragsgemäßheit nach Art. 2 II dagegen bezieht sich in allen untersuchten Fassungen auf das „Verbrauchsgut“.169 Vor dem Hintergrund der im englischen Recht
geläufigen Aufteilung der Sachschuldnerpflichten170 könnte die Wahl der unterschiedlichen Begrifflichkeiten auf eine entsprechende Trennung der Sachschuldnerpflichten in der Richtlinie hindeuten. Der Begriff „Verbrauchsgut“ könnte auf das
fertige Endprodukt als Bezugspunkt der Pflicht hinweisen. Den Begriff „Gut“ könnte man als Bezeichnung für das für die Herstellung der Sachleistung verwendete Material verstehen. Aufgrund der Beobachtung lässt sich erwägen, dass die Richtlinie
als Anknüpfungspunkt für die Verpflichtung des Sachschuldners lediglich das „selecting“ wählt. Der Sachschuldner wäre demnach aufgrund der Richtlinie nur zu der
Verwendung geeigneter Materialien verpflichtet. Der Auslegung widerspräche es
auch nicht, dass sich die Vermutung des Art. 2 II auf das Verbrauchsgut, also auf
das fertige Endprodukt bezieht. Der Sachschuldner wird seiner Pflicht zur Auswahl
geeigneter Materialien nachgekommen sein, wenn selbst das Endprodukt eine bestimmte Beschaffenheit aufweist.
Doch schon im Rahmen des Art. 3 der Richtlinie wird dieser zunächst scheinbar
in allen untersuchten Sprachfassungen bestehende Einklang aufgegeben. Art 3 I der
deutschen Fassung sieht die Haftung für Vertragswidrigkeiten des „Verbrauchsgutes“ vor – und das, nachdem Art. 2 I den Sachschuldner (widersprüchlicherweise)
nur zu der Lieferung vertragsgemäßer „Güter“ verpflichtet hatte. Die englische,
französische und spanische Fassung stellen in Art. 3 I hingegen auf das „good“ bzw.
„bien“ ab und benutzen damit den Begriff, der dem des deutschen „Gut“ entspricht.
In Art. 5 III stellt die deutsche Fassung eine Vermutung der Vertragswidrigkeit des
„Gutes“ auf. Dies geschieht, nachdem in Art. 3 I noch die Lieferung des „Verbrauchsgutes“ als maßgeblich erklärt worden war.171 Es zeigt sich der bereits erwähnte verringerte heuristische Gehalt der Untersuchung des Wortlauts.172 Aus dem
Wortlaut der Richtlinie ergibt sich nicht zweifelsfrei, ob die Pflicht des Sachschuld-
168 Bzw. „goods“ bzw. eines „bien“.
169 Bzw. „consumer goods“, „bien de consommation“, „bienes de consumo“.
170 S. Kap. 3 u. C. II. 1.
171 Vergleichbare Widersprüche ergeben sich in der englischen, französischen und spanischen
Fassung. Zwar wird überwiegend außerhalb der Vermutungsregelung der Begriff „goods“
bzw. „bien“ benutzt. So könnte man meinen, die Pflicht des Sachschuldners bezöge sich auch
nur auf die „goods“/„biens“ als Materialien. Im Rahmen der Definition der Nachbesserung in
Art. 1 II f) der Richtlinie stellen die englische, französische und spanische Fassung dann aber
wieder auf die Herstellung vertragsgemäßer „consumer goods“ bzw. eines „bien de consommation“ und „bien de consumo“ ab.
172 S. o. unter B. I.; zu weiteren sprachlichen Divergenzen der Richtlinie s. Rainer, in: Schermaier, S. 147 ff.
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ners sich auf die Verwendung richtiger Materialien oder die fertige Sachleistung bezieht.
Knüpft man aber die von der Richtlinie vorgesehene Sachschuldnerpflicht an die
Auswahl entsprechender Materialien („selecting“), ergibt sich folgende systematische Ungereimtheit: Gemäß Art. 2 V der Richtlinie kann die unsachgemäße Montage ebenfalls die Haftung des Sachschuldners auslösen. Daraus folgt, dass auch ein
Element einer Herstellungsleistung Teil der Sachschuldnerpflicht sein kann. Das
spricht dafür, als Bezugspunkt der Sachschuldnerpflicht den Zustand der Sachleistung als Ganzes anzusehen.
In dieselbe Richtung weist die Berücksichtigung des Telos der Richtlinie. Durch
die Gewährung eines verbraucherschützenden Mindeststandards soll die Vollendung
des Binnenmarkts gefördert werden.173 Die Wahl des „selecting“ als Anknüpfungspunkt für die Richtlinienpflichten würde bewirken, dass der Sachschuldner im
Streitfall ergründen müsste, ob die Sachbeschaffenheit auf der Verwendung ungeeigneter Materialien, also auf dem „selecting“ beruht. Im Ergebnis entstünden Informationskosten, die den Verbraucher eher vom grenzüberschreitenden Handeln
abhalten dürften.174
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass in allen untersuchten Rechtsordnungen letztlich das Endprodukt Bezugspunkt der Sachschuldnerpflicht zur Leistung einer bestimmten Beschaffenheit war.175 Zwar sah das englische Recht im Bereich der Herstellungsverträge die dargestellte Aufteilung der Pflicht vor, aber es ist Folgendes
anzumerken: Im Bereich der untersuchten Verträge bestand im englischen Recht
trotz der unterschiedlichen Anknüpfungen der Pflichten faktisch eine funktionale
Pflichtenidentität.176 Der Sachschuldner eines Herstellungsvertrags haftete für die
Beschaffenheitsabweichung der fertiggestellten Sachleistung gleichermaßen und
unabhängig davon, ob die Beschaffenheitsabweichung auf dem „processing“ oder
dem „selecting“ beruhte. So sprechen insgesamt die besseren Argumente dafür, dass
sich die Pflicht des Sachschuldners zur Leistung einer bestimmten Beschaffenheit
auf die Sachleistung insgesamt bezieht.
2. Die Festlegung der geschuldeten Beschaffenheit
Es stellt sich die Frage, auf welche Weise das Sachleistungsvertragskonzept der
Richtlinie den Inhalt der sachschuldnerischen Pflicht festlegt. Für die Determinie-
173 S. oben unter A. II.
174 S. oben unter A. II.
175 Im weiteren Verlauf der Arbeit erfolgt die Schilderung der rechtlichen Situation vor Umsetzung der Richtlinie in den untersuchten Rechtsordnungen zur Verdeutlichung in der Vergangenheit. Das gilt auch dann, wenn das alte Recht, wie in England und Frankreich, weiterhin
Geltung beansprucht.
176 S. Kap. 3 C. II. 4. u. C. III. 6.
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rung des Pflichtinhalts kann man auf die verbale und nonverbale Kommunikation
der Parteien abstellen (im Folgenden auch „subjektive Kriterien“). In diesem Zusammenhang kann weiter festgelegt werden, ob die Kommunikation nur dann das
sachschuldnerische Soll beeinflusst, wenn eine Einigung zwischen den Parteien erfolgte. Weiterhin können zu der Bestimmung des Schuldinhalts auch objektive Kriterien als maßgeblich erachtet werden. Schließlich kann festgelegt werden, dass sich
die nach subjektiven bzw. objektiven Elementen festzustellende Schuld nicht nur auf
den Zustand der Sachleistung selbst bezieht, sondern auch eine bestimmte Verwendungstauglichkeit der Sachleistung in Verbindung mit der Umwelt beinhaltet.177 Aus
den Haftungsvoraussetzungen in Art. 2 I, 3 I178 und den Vermutungsregeln179 des
Art. 2 II lassen sich Rückschlüsse hinsichtlich der Berücksichtigung und dem Zusammenwirken der vorgenannten Kriterien bei der Festlegung des sachschuldnerischen Solls ziehen.
a) Die Bedeutung subjektiver Kriterien
In Art. 2 spiegelt sich an verschiedenen Stellen die Maßgeblichkeit kommunikativer
(subjektiver) Elemente für die Bestimmung der geschuldeten Beschaffenheit wider.
Die Richtlinie postuliert die Pflicht des Sachschuldners, ein vertragsgemäßes Verbrauchsgut zu liefern, und erklärt damit die Parteikommunikation für grundsätzlich
maßgeblich.180 Art. 2 II a) der Richtlinie statuiert ferner die Vermutung der Vertragsgemäßheit für den Fall, dass die Sachleistung mit der vom Sachschuldner abgegebenen Beschreibung übereinstimmt und181 die Eigenschaft des Gutes besitzt, das
177 Sofern keine abweichende Bestimmung erfolgt, wird im Folgenden mit „Beschaffenheit“ der
umfassende Zustand der Sachleistung verstanden. Miteinbezogen in dieses Verständnis ist
auch die Eignung der Sachleistung zu einer bestimmten Verwendung in Kombination mit ihrer Umwelt. Beide Kriterien sind vom Begriff der Vertragsmäßigkeit i. S. d. Richtlinie umfasst; das neue deutsche Recht unterscheidet hier terminologisch, s. Kap. 6 B. II. 2.
178 Weisner, JuS 2001, 759 (760); Riesenhuber, in: Vertragsrecht, Rn. 731; Ehmann/Rust,
JZ 1999, 853 (856); Hänlein, DB 1999, 1641 (1642); Serrano, in: Grundmann/Bianca, Art. 1,
Rn. 41.
179 Es ist darauf hinzuweisen, dass das Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutungsregel nicht den Schluss auf die Vertragswidrigkeit zulässt, da es sich nur um eine Vermutung handelt, s. Matusche-Beckmann, in: Staudinger (2004), § 434, Rn. 37; Westermann,
NJW 2002, 241 (243); Jorden/Lehmann, JZ 2001, 952 (953); Ernst/Gsell, ZIP 2000,
1410 (1414); Twigg-Flesner, N.L.J. 2001, 91 (94); a. A. wohl Hoffmann, ZRP 2001,
347 (348).
180 Hervorhebung vom Verfasser; Serrano, in: Grundmann/Bianca, Art. 2, Rn. 8; Riesenhuber,
in: System, S. 480; Mittmann, S. 76 f.; Schlechtriem, in: GS Lüderitz, S. 678 und JZ 1997,
441 (444); Flessner, in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 237; Ehmann/Rust, JZ 1999,
853 (856); Micklitz in EuZW 1997, 229 (231); Tonner, BB 1999, 1769 (1771).
181 Der Wortlaut verlangt das kumulative Vorliegen einer Beschreibung und einer Muster- bzw.
Probengabe. Überwiegend wird es aber als ausreichend erachtet, dass alternativ eine Be-
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dem Sachgläubiger als Muster oder Probe vorgelegt wurde. Daraus ergibt sich, dass
auch die konkludente Parteikommunikation die Schuld bestimmen kann.182
Fraglich ist, inwiefern die Richtlinie eine Konsentierung verlangt.183 Einige Anhaltspunkte sprechen für das Bestehen eines solchen Erfordernisses. Der Begriff der
Vertragsmäßigkeit in Art. 2 I setzt eine Einigung der Parteien voraus. Ferner hatte
man sich während des Normgebungsverfahrens zunächst dafür ausgesprochen, die
Vertragswidrigkeit als Nichtübereinstimmung des Verbrauchsgutes mit den berechtigten Erwartungen des Verbrauchers zu definieren. Doch der Ansatz findet sich
nicht in der Endfassung. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Veränderung nicht
unbegründet erfolgte.184
Andererseits ließe sich überlegen, die Vermutungsregel des Art. 2 II der Richtlinie zum Anlass zu nehmen, von einer teilweisen Lockerung des Konsenserfordernisses auszugehen. Dort ist vorgesehen, dass die Übereinstimmung der Sachleistung
mit der Beschreibung oder Mustergabe die Vermutung der Vertragsgemäßheit begründet. Sowohl die Beschreibung als auch die Mustergabe sind in ihrem Kern aber
nur einseitiger Natur. Wenn die Vermutung der Vertragsmäßigkeit abhängig von der
Vornahme einseitiger Handlungen sein kann, könnte auch die Vertragsmäßigkeit
selbst keiner Konsentierung bedürfen.185
Doch findet sich die Vermutungsregel schon ihrer systematischen Stellung nach
nur im Rahmen des Begriffs Vertragsmäßigkeit.186 Für ihre Anwendung bedarf es
einer zeitlich vorgelagerten Einigung der Parteien. Die Regelung kann daher nicht
dazu dienen, das Nichtbestehen eines Konsenserfordernisses zu begründen. In der
Gesamtschau sprechen die überwiegenden Argumente für die Annahme eines
grundsätzlichen Konsenserfordernisses.187
schreibung vorliegt oder eine Muster- bzw. Probengabe erfolgt, s. Serrano, in: Grundmann/Bianca, Art. 2, Rn. 23; Schlechtriem, in: GS Lüderitz, S. 682.
182 Serrano, in: Grundmann/Bianca, Art. 2, Rn. 8; Micklitz, EuZW 1999, 485 (486).
183 In diesem Zusammenhang ist auf die Acquis Principles zu verweisen, die gemäß Art. 4:101
grundsätzlich eine Einigung verlangen – einzusehen unter www.acquis-group.org; weiterführend zum Erfordernis einer Einigung für die Begründung der Vertragsbindung im Europäischen Vertragsrecht Riesenhuber, in: System, S. 312 ff.
184 Vgl. die Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 10.03.1998, ABl. EG Nr. C 104
vom 06.04.1998, S. 30 sowie den Vorschlag der Kommission vom 18.06.1996, ABl. EG
Nr. C 307 vom 16.10.1996, S. 8; Bradgate, Web.J.C.L.I. 1997 unter „Conformity with the
Contract“; Lehmann, JZ 2000, 280 (283 ff.); Faber, JBl. 1999, 413 (416 ff.); Micklitz, EuZW
1997, 229 (231 f.).
185 S. Westermann, JZ 2002, 241 (243); ebenso Huber, in: FS für Henrich, S. 300 f. Huber betont, dass sich die Vermutungsregel auf die vom Sachschuldner abgegebene Beschreibung
bezieht. Deshalb könne dem Begriff der Vertragswidrigkeit nur bei dieser Interpretation ein
eigenständiger Regelungsgehalt zukommen; diesbezüglich unentschlossen Tröger, ZEuP
2003, 525 (530).
186 Hervorhebung vom Verfasser.
187 Rieger, VuR 1999, 287 (288); Prieß, S. 217; Zsernaviczky, S. 19 f.; entsprechend zum Entwurf Kircher, ZRP 1997, 290 (292 f.).
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b) Die Bedeutung objektiver Kriterien
Objektive Kriterien kommen in der Vermutungsregelung des Art. 2 II der Richtlinie
zum Tragen und sind auf diese Weise Teil des Begriffs der (vermuteten) Vertragsmäßigkeit geworden.188 Eignet sich die Sachleistung für die Zwecke, zu denen sie
gewöhnlicherweise verwendet wird, spricht das gemäß Art. 2 II c) der Richtlinie für
die Erfüllung des sachschuldnerischen Solls. Dasselbe gilt nach Art. 2 II d) der
Richtlinie, wenn die Sachleistung die Qualität und Leistung aufweist, welche der
Sachgläubiger vernünftigerweise erwarten kann.
c) Die Verwendungstauglichkeit
Aus der Maßgeblichkeit der subjektiven Kriterien189 für die Bestimmung der sachschuldnerischen Pflicht folgt, dass eine Parteivereinbarung über die Verwendbarkeit
der Sachleistung zu einem bestimmten Zweck eine entsprechende Verpflichtung des
Sachschuldners bewirkt.190 Ebenso lässt sich aus der Maßgeblichkeit objektiver Kriterien ableiten, dass das sachschuldnerische Soll auch die Eignung der Sachleistung
zu der üblichen Verwendung beinhaltet. In diese Richtung weist die Vermutungsregel des Art. 2 II c).191
Es stellt sich die Frage, ob auch die lediglich einseitige Kundgabe einer beabsichtigten Verwendung durch den Sachgläubiger den Inhalt der Leistungspflicht des
Sachschuldners bestimmt. 192 Die Verwendungstauglichkeit einer Sachleistung ist
den sogenannten „Erfahrungseigenschaften“193 zuzurechnen. Gerade in diesem Bereich ist das Informationsgefälle zwischen den Parteien am höchsten.194 Der Sachgläubiger kann die Eignung der Sachleistung für eine bestimmte Verwendung
schlechter überblicken als ihre „gewöhnliche“ äußere Beschaffenheit.
Eine Regelung mit Bedeutung für die vorliegende Frage findet sich in der Richtlinie nur in der Vermutungsregel des Art. 2 II b). Der Norm nach besteht die Vermu-
188 Vertiefend Grundmann, in: Grundmann/Bianca, Art. 2, Rn. 11 und 26 ff.; Schlechtriem, in:
GS Lüderitz, S. 683 und JZ 1997, 441 (444); Micklitz, EuZW 1997, 229 (231); Tonner, BB
1999, 1769 (1771); Staudenmayer, in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 34.
189 S. oben unter a).
190 A. Sandrock, S. 63; insbesondere ist die im ursprünglichen Richtlinienentwurf vorgesehene
und an Art. 35 II b) CISG angelehnte Einschränkung entfallen, dass der Verbraucher auf die
besondere Sachkunde des Verkäufers vertraut haben muss, s. ABl. EG Nr. C 104 vom
06.04.1998, S. 34 u. JZ 1997, 446 f.
191 S. zum Problem einzelstaatlicher Unterschiede in Bezug auf den gewöhnlichen Gebrauchszweck BGHZ 129, 75.
192 Siehe s. 14 (3) SGA u. s. 4 (3) SGSA, ferner § 16 II Nr. 2 Konsument Köplag u. Art. 35 II b)
CISG, der diese Wertung auf den Handelsverkehr erstreckt.
193 S. Wehrt, S. 111 f.
194 Magnus, in: Staudinger, Art. 35, Rn. 26.
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tung der Vertragsmäßigkeit der Sachleistung, wenn sie sich für einen vereinbarten
Zweck eignet. Die Ausformung der Regel spricht dafür, dass eine Verpflichtung des
Sachschuldners hinsichtlich einer Verwendungstauglichkeit nur bei entsprechender
Konsentierung besteht, denn die Vermutungsregel ist systematisch vom Begriff der
Vertragsmäßigkeit umrahmt. Das Voraussetzen einer Vereinbarung weist in dieselbe
Richtung. Weiterhin ist die Vermutung eine Regelung, die ihrer Konzeption nach
nur zugunsten des Sachschuldners eingreift. Aus dem Nichtvorliegen aller Voraussetzungen ergibt sich nicht die Vermutung der Vertragswidrigkeit der Sachleistung.195 Wenn aber die Vermutung zugunsten des Sachschuldners schon das Vorliegen einer Einigung tatbestandlich voraussetzt, spricht einiges dafür, dass auch die
Begründung einer ihn entsprechend belastenden Verpflichtung eine Konsentierung
voraussetzt. Außerdem ist davon auszugehen, dass der Normgeber eine Ausnahme
vom Grundsatz der Vertragsmäßigkeit des Art. 2 I hinreichend deutlich gekennzeichnet hätte. In Bezug auf die notwendigerweise einseitigen öffentlichen Äußerungen im Sinne des Art. 2 d) ist das nämlich erfolgt. Die besseren Argumente sprechen dafür, dass nicht konsentierte Erwartungen des Sachgläubigers hinsichtlich der
Verwendungstauglichkeit der Sachleistung ohne Einfluss auf die Pflicht seines Vertragspartners sind.196
d) Das Verhältnis subjektiver und objektiver Kriterien
Es stellt sich die Frage, ob im Falle einer Kollision objektive oder subjektive Kriterien für die Bestimmung der Sachschuldnerpflicht maßgeblich sind. Auf objektive
Kriterien stellt die Richtlinie nur innerhalb des genuin subjektiven Begriffs der Vertragsgemäßheit ab. Im Zentrum der Haftungsvoraussetzungen steht der Begriff der
Vertragsmäßigkeit. Dies spricht für ein Primat der subjektiven Kriterien. In dieselbe
Richtung weist der achte Erwägungsgrund der Richtlinie. Dort wird ausdrücklich
erklärt, dass der Grundsatz der Vertragsfreiheit auch im Rahmen der Richtlinie uneingeschränkt gilt. Dieser Grundsatz findet seine größte Entfaltung in der vorrangigen Berücksichtigung der (subjektiven) Parteiabreden. In der Gesamtschau spricht
daher viel für die vorrangige Bedeutung subjektiver Kriterien.197
195 S. oben u. a).
196 Doehner, S. 172 f.; Howells/Twigg-Flesner, in: Schermaier, S. 314; Grundmann leitet aus der
Figur der „protestatio facto contraria“ ab, dass es lediglich einer Bekanntmachung und somit
keiner Zustimmung bedarf, ders. in: Grundmann/Bianca, Art. 2, Rn. 25.
197 Grundmann, in: Grundmann/Bianca, Art. 2, Rn. 9; v. Vogel, S. 245; Ehmann/Rust, JZ 1999,
853 (856); Hänlein, DB 1999, 1641 (1643); Tonner, BB 1999, 1769 (1771); Thode, ZfBR
2000, 363 (368); Twigg-Flesner/Bradgate, Web.J.C.L.I. 2000 unter 4.; Doehner, S. 154. Umstritten ist, ob die Parteiabrede auch den durch die objektiven Kriterien gesetzten Standard
unterschreiten darf. Einer Unterschreitung könnte die Mindeststandardklausel entgegenstehen. Doch stellt Erwägungsgrund Nr. 8 klar, dass die Vermutungsregelung des Art. 2 II die
Vertragsfreiheit nicht einschränken soll. Für die Möglichkeit einer vereinbarten Unterschrei-
68
e) Die haftungsausschließende Geringfügigkeitsschwelle
Nachdem die Methode der Bestimmung des sachschuldnerischen Solls aufgezeigt
wurde, stellt sich folgende Frage: Ist der Sachschuldner verpflichtet, das festgelegte
Soll ohne jede Abweichung zu erreichen, um einer Haftung zu entgehen - ist er zu
einer „perfekten“ Leistung verpflichtet? Ihrem Wortlaut nach ist die Richtlinie in
Art. 3 I diesbezüglich eindeutig. Die Haftung des Sachschuldners ist für „jede“ Vertragswidrigkeit vorgesehen. Art. 3 VI der Richtlinie untermauert das strenge Ergebnis. Dort ist festgelegt, dass bei einer lediglich geringfügigen Vertragswidrigkeit der
Sachschuldner den Vertrag nicht auflösen kann. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass
die Haftung auch bei nur geringfügigen Beschaffenheitsabweichungen besteht.198
Ein vergleichender Blick auf die entsprechende Regelung des CISG weist in dieselbe Richtung. Obwohl im Anwendungsbereich199 des CISG als Sachgläubiger eine
Person handelt, die nach der Vorstellung des europäischen Normgebers weniger
schutzbedürftig ist, sieht der Begriff der Vertragswidrigkeit des Art. 35 CISG keine
tatbestandliche Geringfügigkeitsschwelle vor.200 Erst recht ist dann für das Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie das Fehlen einer haftungsausschließenden Geringfügigkeitsschwelle anzunehmen.201
3. Der maßgebliche Zeitpunkt
In der Folge wird untersucht, welchen Zeitpunkt das Sachleistungsvertragskonzept
der Richtlinie für die Beurteilung der Erfüllung der Sachschuldnerpflicht als maßgeblich ansieht. Art. 36 I CISG erklärt den Zeitpunkt des Gefahrübergangs für wesentlich.202 Doch eine ähnlich aussagekräftige Bestimmung findet sich im Sachleistung spricht ferner das primärrechtliche Übermaßverbot, s. Grundmann a. a. O.; ders., in:
Jayme/Mansel/Peter, S. 62; Matusche-Beckmann, in: Staudinger (2004), § 434, Rn. 39 u. 67;
Mansel, AcP 204 (2004), 396 (419); Doehner, S. 194 ff.; Lehmann JZ 2000, 280 (283); Micklitz, EuZW 1999, 485 (492); Schlechtriem, JZ 1997, 441 (444); Staudenmayer, NJW 1999,
2393 (2397); Gsell, JZ 2001, 65 (66).
198 Westermann, in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 270.
199 S. Artt. 1 und 2 CISG.
200 Magnus, in: Staudinger, Art. 35 CISG, Rn. 11, s. aber auch die einschränkenden Artt. 46 II,
49 I a) CISG.
201 Lorenz, in: MüKo (2007), Vor 474, Rn. 13; Howells, in: Grundmann/Medicus/Rolland,
S. 166 f., 177; Welser, in: FS für Dittrich, S. 514; Amtenbrink/Schneider, VuR 1996,
367 (375); Höffe, S. 109; A. Sandrock, S. 84; Thode, ZfBR 2000, 363 (370); Hänlein, DB
1999, 1641 (1643).
202 Der Zeitpunkt des Gefahrübergangs stimmt aus praktischen und rechtlichen Erwägungen häufig mit dem für die Haftung maßgeblichen Zeitpunkt überein, s. Doehner, S. 152, Basedow,
S. 53; Watterson, ERPL 2001, 197 (203). Beide Momente lassen sich aber voneinander trennen. Die auf einem Zufall beruhende Nichterreichung eines Zieles kann von einer anderweitig
bedingten Nichterreichung unterschieden werden, Bianca, in: Grundmann/Bianca, Art. 3,
69
tungsvertragskonzept der Richtlinie nicht. Zwar haftet gemäß Art 3 I der Richtlinie
der Sachschuldner für Abweichungen, die im Augenblick der „Lieferung“ bestehen.
Weder findet sich aber eine Legaldefinition des Begriffs der Lieferung noch ist dieser in sprachlicher Hinsicht klar und juristisch.203 Ein Blick auf die englische, französische und spanische Fassung vermag ebenfalls nicht weiterzuhelfen. Die Bezeichnungen „at the time the goods were delivered“ bzw. „lors de la délivrance du
bien“ und „el momento de la entrega del bien“ sind nicht aufschlussreicher. Im Folgenden ist daher der maßgebliche Zeitpunkt durch eine Auslegung der Richtlinie zu
bestimmen.
a) Vorüberlegungen
Orientiert man sich bei der Auslegung an den Regelungen, welche die untersuchten
europäischen Rechtsordnungen für die erfassten Vertragstypen bereithielten, kommen folgende Zeitpunkte als maßgeblich in Betracht: Der Vertragsschluss, der Eigentumsübergang, die tatsächliche Übergabe, der Gefahrübergang sowie ein Zeitpunkt während des Herstellungsprozesses.204 Doch diese Vielzahl möglicher Anknüpfungspunkte verringert sich durch die der Richtlinie zu Grunde liegende Sachleistungsvertragskonzeption. Der maßgebliche Zeitpunkt muss schließlich auf alle
Verträge passen, die von der Richtlinie erfasst werden.
Berücksichtigt man, dass auch Verträge über noch herzustellende Sachen in den
Anwendungsbereich fallen, erscheint es widersinnig, den Zeitpunkt des Vertragsschlusses als maßgeblich zu erachten. In diesem Moment existiert die zu beurteilende Sachleistung noch nicht. Der Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist ferner schon
sprachlich kaum unter den Begriff „Lieferung“ subsumierbar.205 Die Einbeziehung
von Herstellungsverträgen in das Sachleistungsvertragskonzept spricht ferner dagegen, auf den Moment des Eigentumsübergangs abzustellen. Stellt der Sachgläubiger
die für die Herstellung benötigten Materialien, findet ein Eigentumsübergang regelmäßig nicht mehr statt. Der Sachgläubiger ist oft bereits Eigentümer der Materialien.206 Die Einbeziehung von Veräußerungsverträgen spricht wiederum dagegen,
dass ein Zeitpunkt während der Herstellung maßgeblich sein könnte. Bei Veräußerungsverträgen ist die Sachleistung meistens schon hergestellt, bevor überhaupt die
Vertragsverhandlungen beginnen. Es zeigt sich, dass als mögliche maßgebliche
Zeitpunkte nur noch die tatsächliche Übergabe und der Gefahrübergang verblei-
Rn. 15; Doehner a. a. O.; Twigg-Flesner/Bradgate, WebJ.C.L.I. 2000 unter 4. (a). Dazu im
Einklang stehend bestimmt Erwägungsgrund 14 der Richtlinie, dass die Gefahrtragungsregeln
der Mitgliedstaaten nicht von der Richtlinie betroffen werden.
203 So Höffe, S. 55; Tailor/Naidoo, WebJ.C.L.I. 2002 u. 4.; Staudenmayer, in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 37.
204 A. Sandrock, S. 85 ff.
205 Höffe, S. 55 m. w. N.
206 Lorenz, in: IECL, Rn. 148.
70
ben.207 Eine Entscheidung für einen der Zeitpunkte muss dann getroffen werden,
wenn sie nicht, wie es oft geschieht, zusammenfallen.
b) Tatsächliche Übergabe oder Gefahrübergang?
Als „Lieferung“ im Sinne der Richtlinie könnte man den Zeitpunkt ansehen, zu dem
die Ware dem Sachgläubiger tatsächlich übergeben bzw. zur Verfügung gestellt
wird.208 Für diese Deutung scheint zum einen der natürliche Sprachgebrauch zu
sprechen.209 Zum anderen legt es die verbraucherschützende Zielsetzung der Richtlinie nahe, ein faktisches und so für jedermann zu bewertendes Ereignis als maßgeblich zu erachten. Im Streitfalle wäre es für den Verbraucher einfacher zu beurteilen,
ob die Sachleistung übergeben wurde, als die einzelstaatlich unter Umständen divergierenden Regeln über den Gefahrübergang heranzuziehen. Die Informationskosten
des Verbrauchers wären geringer, was sich positiv auf die Anzahl der grenzüberschreitenden Transaktionen auswirken würde. Für die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Übergabe spricht außerdem, dass ab diesem Moment die Sachleistung faktisch
in die Obhut des Sachgläubigers übergeht. Ab diesem Augenblick kann er den Zustand der Sache untersuchen und der Sachschuldner hat keinen Einfluss mehr auf die
Behandlung der Sache.210
Gegen das Abstellen auf den Moment der tatsächlichen Übergabe sprechen aber
gewichtige Argumente: Es ist anzumerken, dass während des Normgebungsverfahren teils noch wörtlich auf die „Übergabe der Sache an den Verbraucher“ abgestellt
wurde.211 Diese Formulierung ist nicht in die Endfassung übernommen worden.212
Wäre die tatsächliche Übergabe maßgeblich, könnte der Sachgläubiger ferner den
für die Haftung maßgeblichen Zeitpunkt durch eine Annahmeverweigerung beliebig
verzögern, selbst wenn er damit seine vertraglichen Verpflichtungen verletzen würde.213 In den Fällen einer Versendung der Sachleistung trüge weiterhin stets der Versender das Transportrisiko. Die Einstandspflicht nach Art. 5 I und die Vermutungs-
207 A. Sandrock, S. 86.
208 Bianca, in: Grundmann/Bianca, Art. 3, Rn. 12; Micklitz befürwortet in EuZW 1999,
485 (486) das Abstellen auf den Moment der physischen Aushändigung. Dies dürfte dem
Verständnis von Bianca inhaltlich entsprechen. Ähnlich Lehr/Wendel, EWS 1999, 321 (323);
Schwartze, ZEuP 2000, 544 (559); Morgenroth, S. 71 f.; wohl auch Ehmann/Rust, JZ 1999,
853 (857).
209 „Lieferung“, „delivery“, „delivrance“ bzw. „entrega“.
210 Dobson, Rn. 3-02; Schwartze, ZEuP 2000, 544 (559).
211 S. den Richtlinienvorschlag der Kommission vom 23.08.1996, ABl. EG Nr. C 307, S. 9 f.;
ferner die Äußerungen des Europäischen Parlaments vom 10.03.1998, ABl. EG Nr. C 104
vom 06.04.1998, S. 35.
212 Staudenmayer, in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 37; Schwartze, S. 110.
213 Micklitz, EuZW 1997, 227 (232); Amtenbrink/Schneider, VuR 1996, 367 (374); Doehner,
S. 153; Nietzer/Stein, ZVglRWiss 99 (2000), 41 (43 f.).
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regel des Art. 5 III der Richtlinie verlängerten sich zugunsten des Sachgläubigers.214
Erfolgt der Versand auf seinen Wunsch, ist das Ergebnis nicht ohne weiteres wertungsmäßig nachzuvollziehen. Außerdem passt das Abstellen auf die tatsächliche
Übergabe bei bestimmten Herstellungsverträgen nicht optimal. So stellt sich die
Frage, auf welchen Augenblick abgestellt werden soll, wenn der Sachgläubiger
längst den Besitz an der Sache hat, gleichzeitig aber noch ein Leistungselement, beispielsweise die Endmontage, herbeigeführt werden muss.215
Der sprachlich weite Begriff der „Lieferung“ ermöglicht es ebenfalls, auf den
Moment des Gefahrübergangs abzustellen. Zwar bleibt die Festlegung des Gefahr-
übergangs nach Erwägungsgrund 14 der Richtlinie weiterhin den Mitgliedstaaten
vorbehalten.216 Das spricht aber nicht dagegen, den Gefahrübergang als maßgeblich
für die Überprüfung der Vertragsmäßigkeit anzusehen. Das Abstellen auf den Gefahrübergang steht ferner im Einklang mit dem Verlauf des Normgebungsverfahrens. Die angesprochenen wertungsmäßigen und systematischen Friktionen ergeben
sich ebenfalls nicht: Die untersuchten Rechtsordnungen halten für Sonderkonstellationen wie Versendungsfälle und die unberechtigte Annahmeverweigerung eigene
Regelungen über den Gefahrübergang bereit.217 Die Dynamik einer Verweisung auf
den Gefahrübergang ermöglicht ebenfalls eine passendere Behandlung der Herstellungsverträge. In den hier untersuchten Rechtsordnungen war der Gefahrübergang
regelmäßig mit dem Zeitpunkt der Abnahme verknüpft.218 Schließlich spricht auch
die rechtsvergleichende Betrachtung für die Anerkennung des Gefahrübergangs als
maßgeblichen Zeitpunkt. Bisher war in den untersuchten Rechtsordnungen in der
überwiegenden Zahl der Fälle der Übergang der Gefahr wesentlich für die Beurteilung der Beschaffenheit der Sachleistung.219 So sprechen die überzeugenderen Argumente dafür, als maßgeblichen Zeitpunkt den Übergang der Gefahr zu bestimmen.220
214 Westermann, in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 262; Höffe, S. 54; A. Sandrock, S. 86.
215 Westermann führt das Beispiel der Herstellung einer Sachleistung im Haus des Sachgläubigers an, s. ders. in: Grundmann/Medicus/Rolland, S. 260; vertiefend zu den Systemwidrigkeiten der Richtlinie ggü. dem deutschen Werkvertragsrecht Thode, ZfBR 2000, 363 (369).
216 Die amtlichen Begründungen besitzen für die historische Auslegung eine besondere Bedeutung. Mit der Verabschiedung der Richtlinie werden die Erwägungsgründe Bestandteil der
Richtlinie, s. Ihns, S. 33.
217 Vgl. §§ 300 II, 446, 447, 644 I Satz 2 BGB a. F.; Art. 1138 al. 2 CC; s. 20 (2) SGA;
Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 (1415); Huet, Rn. 11260; Bloeck, S. 166; Reynolds, in: Benjamin’s (2002), Rn. 11-062; Miller, in: Benjamin’s Suppl., Rn. 1-086.
218 Siehe dazu Kap. 2, Kap. 3 und Kap. 4, jeweils C. II. 3.
219 S. Kap. 2, 3 u. 4, jeweils B. II. 2. bzw. C. II. 3.
220 Rieger, VuR 1999, 287 (289); Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 (1415); Vorsmann, S. 91 ff.;
Mittmann, S. 84; Höffe, S. 55 f.; ähnlich Amtenbrink/Schneider, VuR 1996, 367 (374).
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4. Ergebnis zu den Haftungsvoraussetzungen
Die Pflicht des Sachschuldners, dass die Sachleistung eine bestimmte Beschaffenheit aufweist, bezieht sich auf die Sachleistung als Ganzes. Der Inhalt der Pflicht
bemisst sich primär anhand kommunikativer Elemente. So muss die Sachleistung
die abredegemäße Qualität aufweisen und sich zu der vereinbarten Verwendung eignen. Subsidiär muss die Sachleistung die üblicherweise geschuldete Qualität aufweisen bzw. zur Verwendung für gewöhnliche Zwecke taugen. Den Inhalt des sachschuldnerischen Solls bestimmen grundsätzlich nur Vereinbarungen, es besteht ein
Konsenserfordernis.221 Eine bloß kundgetane einseitige Zweckeignungserwartung
des Sachgläubigers begründet keine entsprechende vertragliche Verpflichtung des
Sachschuldners. Bereits ein geringfügiges Abweichen der Beschaffenheit der Sachleistung vom geschuldeten Soll begründet die Haftung des Sachschuldners. Er ist
insofern zu einer „perfekten“ Leistung verpflichtet. Maßgeblich für die Beurteilung
der Beschaffenheit der Sachleistung ist der Zeitpunkt des Gefahrübergangs.
II. Haftungsfolgen – Die Rechtsbehelfe des Sachgläubigers
Im folgenden Abschnitt wird dargestellt, welche Rechte und Pflichten der Parteien
das Sachleistungsvertragskonzept der Richtlinie vorsieht, wenn der Sachschuldner
für die Beschaffenheitsabweichung der Sachleistung haftet.
1. Einleitung
Weicht die Beschaffenheit der Sachleistung vom geschuldeten Soll ab, lassen sich in
wirtschaftlicher Hinsicht auf der Seite des Sachgläubigers im Wesentlichen folgende
Interessen denken: Er könnte die Herstellung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung durch Nachlieferung (Neuherstellung) oder Nachbesserung verlangen.
Ferner könnte er eine entsprechende Herabsetzung des Entgelts fordern. Sein Interesse an der Durchführung des Vertrags könnte er ebenfalls verloren haben und die
Auflösung des Vertrags anstreben. Außerdem könnte er die durch die Schlechtlieferung entstandenen Schäden ersetzt haben wollen. Das Sachleistungsvertragskonzept
221 Ergänzend sei auf die mögliche Haftung des Sachschuldners für Werbeaussagen nach
Art. 2 II d) der Richtlinie hingewiesen, die eine Ausnahme zum Konsenserfordernis darstellt.
Die Haftung für Werbeaussagen ist aber nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.
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Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.