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Einleitung
I. Problemstellung
Europa wächst wirtschaftlich weiter zusammen. Es sind vielfältige Bemühungen zu
erkennen, diesen Prozess auf europäischer Ebene legislativ zu begleiten. Sowohl im
nationalen als auch im internationalen Handel spielen Verträge, bei denen sich die
Parteien die endgültige Überlassung einer beweglichen Sache gegen Bezahlung versprechen, eine herausragende Rolle.1 Selbst der Nichtjurist kennt die Bezeichnungen
„Kaufvertrag“ und „Werkvertrag“, die bisher in Deutschland für Sachleistungsverträge verwendet wurden. Gelegentlich sind sogar die ausländischen Bezeichnungen
solcher Schuldverhältnisse geläufig: „contrat de vente“, „contract of sale“, „contrat
d‘entreprise“ und „contract for work and materials“. Im Folgenden werden diese
Verträge als „Sachleistungsverträge“, die Parteien als „Sachschuldner“ bzw. „Sachgläubiger“ bezeichnet.2
Den Verträgen ist gemein, dass die Vertragsparteien eine bestimmte Beschaffenheit der Sachleistung vereinbaren. Häufig ist der Sachgläubiger nach erfolgtem Leistungsaustausch mit der Beschaffenheit der Sachleistung unzufrieden. Für die
Rechtsordnungen bzw. die Vertragsparteien stellt sich seit jeher die Frage, welche
Rechte den Vertragsparteien in dieser Situation zustehen. Um dies festzulegen, verfuhren3 die Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs, die als Vertreter dreier großer Rechtskreise4 Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind,
bislang in ähnlicher Weise. In allen drei Rechtsordnungen existierten verschiedene
Vertragstypen.5 Die rechtliche Bewertung der geschilderten Konfliktsituation regelte
das englische Recht für Sachleistungsverträge im „contract of sale“ und im „contract
for work and materials“. Im französischen Recht übernahmen der „contrat de vente“
und der „contrat d’entreprise“ diese Funktion. Der „Werkvertrag“, der „Werklieferungsvertrag“ und der „Kaufvertrag“ bestimmten im deutschen Recht die Rechte
und Pflichten der Parteien. Nicht nur die Vertragsbezeichnungen, sondern auch die
1 Nach Weyers, S. 1142, sind sie „die am häufigsten vorkommenden Schuldverträge“; ähnlich
für das französische Recht Mainguy, JCP-EA 2005, 698 (703).
2 Zur Terminologie s. Schwartze, ZEuP 2000, 555; A. Sandrock, S. 8.
3 Im Rahmen der folgenden Untersuchung wird zur Verdeutlichung die Rechtslage vor Umsetzung der Richtlinie in der Vergangenheitsform beschrieben. Das „alte“ Recht ist im untersuchten Bereich in England und Frankreich aber weiterhin gültig.
4 Zu den Rechtskreisen der Welt s. Zweigert/Kötz, S. 64 ff., dort auch zu der Kritik an dieser
Einteilung; ferner Kötz, ZEuP 1998, 493 ff.
5 Im Folgenden werden die Begriffe „Vertragsart“ oder „Vertragstyp“ als Äquivalent benutzt,
ohne dass damit eine Aussage über die Vorzugswürdigkeit eines typen- oder begriffsorientierten Verständnisses getroffen werden soll, s. dazu Stoffels, S. 20 ff.; Larenz, S. 4.
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Inhalte der jeweiligen Vertragsregeln unterschieden sich teilweise erheblich. Der
Sachgläubiger eines Werkvertrags konnte andere Rechte gelten machen als der eines
Kaufvertrags. Für das englische und das französische Recht galt Entsprechendes. So
betonten die drei Rechtsordnungen nicht die Wesensgleichheit der Lebenssachverhalte, also den entgeltlichen und endgültigen Austausch der Sachleistung und die
Unzufriedenheit des Sachgläubigers mit ihrer Beschaffenheit. Stattdessen legten sie
den Schwerpunkt der rechtlichen Betrachtung und Bewertung auf die Unterschiedlichkeit der Lebenssachverhalte.6
Die Verschiedenartigkeit der Regeln verschaffte der Einordnung eines Lebenssachverhalts in das System der Schuldverhältnisse große Bedeutung. Gleichzeitig
gestalteten die vielen Gemeinsamkeiten der nah verwandten Vertragstypen7 dieses
Unterfangen oft schwierig.8 Nicht selten wurde die ungleiche rechtliche Bewertung
einander so ähnlicher Sachverhalte durch verschiedene Vertragstypen als unpassend
empfunden. Die Kriterien, die über die Einordnung des Lebenssachverhalts in das
System der Schuldverhältnisse entschieden, wurden in der Folge immer wieder modifiziert.9 Für die Vertragsparteien resultierten daraus Unsicherheiten über die rechtliche Bewertung im Konfliktfall. Zur Beseitigung der Ungewissheiten mussten vermehrt Informationen eingeholt werden, die Transaktionskosten10 stiegen und viele
grundsätzlich wünschenswerte Geschäfte unterblieben.
Die beschriebenen rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme gewannen an Bedeutung, wenn die Parteien grenzüberschreitend handelten.11 Die rechtliche Bewer-
6 Vgl. Grundmann, in: Jayme/Mansel/Peter, S. 57; Tercier, in: FS für Schluep, S. 57 ff.; Stoffels, S. 4 f.; Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 54 f. und 67 ff.
7 Diederichsen, AcP 182 (1982), 101 (105 f.); Ghestin/Jamin/Billiau, Rn. 57 ff.; Weick, NJW
1978, 11 (12 ff.); zum „Typenkontinuum“ bzw. Typenverständnis Dasser, Rn. 18 ff. u. Leenen, S. 133 ff.
8 „I cannot discover anything to distinguish this...”, so Hilberry J., in: J. Marcel Ltd. v. Tapper
[1953] 1 All E.R., 15 (16); Labarthe, JCP-E 2001, 1426 (1427); Mainguy, Rn. 10; Bénabent,
(2004), Rn. 8; Dutilleul/Delebecque (2004), Rn. 25; Gauch, in: FS für Honsell, S. 7 ff.;
Twigg-Flesner, GPR 2003, 12 (15); Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-030 ff.;
Atiyah/Adams, S.7 ff.; Samuels v. Davis [1943] 2 All E.R., 4; G.H. Myers & Co. v. Brent
Cross Service Co [1933] All E.R. Rep., 9, s. die Ausführungen von Du Parcq, J., S. 11 ff.;
Peters, in: Staudinger (2000), § 651, Rn. 3 ff.; Westermann, in: MüKo (2007), Vor
§ 433, Rn. 21; Teichmann, in: Soergel (1997), Vor § 631, Rn. 15 ff.; G. Walter, S. 16; Medicus, JuS 1992, 273; Mankowski, MDR 2003, 845 (855); Glöckner, Jura 1999, 343 (345 ff.); v.
Craushaar, in: FS für Korbion, S. 27 ff.; Weyers, AcP 182 (1982), 60 (64 f.); ferner schon
Mugdan, S. 918; Henle, S. 1 ff.; Gaius, in: D. 19.2.2.1. (zum Abgrenzungskriterium der Materiallieferung).
9 Sealy, in: Benjamin’s (2002), Rn. 1-041 ff.; Palmer, S. 889; Bénabent (2004), Rn. 483; Malaurie/Aynès/Gautier (2003), Rn. 73f.; Leenen, S. 179.
10 S. dazu Cooter/Ulen, S. 91 ff.; Richter/Furubotn, S. 53 ff.; Eidenmüller, S. 97 ff.; Schäfer/Ott, S. 100 ff. und 400 ff.; Kittner, Rn. 138 ff.; Adams, BB 1989, 781; Staudenmayer, in:
Grundmann/Medicus/Rolland, S. 41 f.; Kötz/Schäfer, S. 27 ff.; Stoffels, S. 2 f.
11 Vogenauer/Weatherill, JZ 2005, 870 (876); Lando, in: Müller-Graff, S. 476 f.; W. Wagner, in:
Smits, S. 17; H. Wagner, in: Smits, S. 27 ff.; van den Bergh, in: FS für Ott, S. 335; Tröger,
ZEuP 2003, 525; Lorenz, JZ 2001, 674 (675) – jeweils m. w. N.
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tung des Konfliktfalls ließ sich dann noch schwerer einschätzen. Ein „contrat de
vente“ nach französischem Recht räumte dem Sachgläubiger beispielsweise andere
Rechte ein als ein „contrat d’entreprise“. Ferner standen dem Sachgläubiger eines
Kaufvertrags nach deutschem Recht andere Rechte zu als dem Sachgläubiger eines
„contrat de vente“ französischen Rechts.12 Darüberhinaus bestanden Unterschiede in
den einzelnen Rechtsordnungen, was die Begrenzung der individuellen Vertragsgestaltung durch zwingende Vorschriften anbetraf.13 Die dargestellten Unklarheiten
trieben die Informations- bzw. Transaktionskosten weiter in die Höhe. Der grenz-
überschreitende Handel in einem gemeinsamen europäischen Markt wurde erheblich
erschwert, für den Verbraucher wurde er beinahe unmöglich.14
II. Die Ziele der Arbeit
Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie15 ist für die dargestellte Situation von besonderer
Bedeutung. Die Richtlinie zeichnet sich dadurch aus, dass sie Ansätze einer systematischen Neuausrichtung der bisherigen Vertragstypik in Europa aufweist16 und
insoweit wegweisend für ein Europäisches Zivilgesetzbuch17 sein könnte. Anders als
es die abweichende Bezeichnung als Richtlinie über den „Kauf“ zunächst suggeriert,
liegt der Richtlinie das Konzept eines Sachleistungsvertrags zugrunde. Es werden
europäische Regeln formuliert, welche Rechtsbehelfe dem Sachgläubiger zustehen,
wenn die Beschaffenheit der Sachleistung nach erfolgtem Leistungsaustausch vom
geschuldeten Soll abweicht.18 Als Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung wählt
12 S. dazu die Kap. 2 und 4 jeweils A.
13 Ogus, in: FS für Ott, S. 267 f.; Wehrt, S. 121.
14 G. Wagner, in: Smits, S. 17 f.; H. Wagner, in: Smits, S. 44; Williamson, in: Burrows/Veljanowski, S. 42 f.; Kämpf, S. 20 f u. 161.
15 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter 1999/44/EG, ABl.
EG Nr. L 171 vom 07.07.1999, S. 12-16; im Folgenden auch „Richtlinie“.
16 Baldus/Schmidt-Kessel, GPR 2005, 157; Dasser, Rn. 318 ff.; Bangemann, ZEuP 1994,
(377) 379; Grundmann, S. 203; zur Umorientierung im deutschen Recht s. Weick, NJW
1978, 11 (15); zur Umorientierung im französischen Recht s. Labarthe/Noblot, JCP
2005, 1680 (1681).
17 S. dazu exemplarisch die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Bemühungen
über eine Angleichung des Privatrechts der Mitgliedstaaten vom 26.05.1989, ABl. EG
Nr. C 158 vom 26.06.1989, S. 400-401; ferner die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Angleichung bestimmter Bereiche des Privatrechts der Mitgliedstaaten vom
06.05.1994, ABl. EG Nr. C 205 vom 25.07.1994, S. 518 f.; die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere, s. unter www.europa.eu.int/council/off/conclu/oct99/oct99.de_htm; die Mitteilung der Europäischen Kommission zum europäischen Vertragsrecht
vom 11.07.2001, ABl. EG Nr. C 255 vom 13.09.2001, S. 1 ff.; die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein übereinstimmendes europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan, ABl. EG Nr. C. 63 vom 15.03.2003, S. 1 ff.
18 Mankowski, MDR 2003, 854 (855); Grundmann, in: Jayme/Mansel/Peter, S. 57 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Herstellungs- und Veräußerungsverträge spielen im Wirtschaftsalltag eine überragende Rolle. Mithilfe der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber starken Einfluss auf den Kernbereich der mitgliedstaatlichen Zivilrechtsordnungen ausgeübt und bisher überwiegend eigenständige Vertragstypen einheitlichen Regelungen unterworfen.
Der Autor setzt sich rechtsvergleichend mit der Frage auseinander, inwiefern die vorgesehene Gleichbehandlung der Verträge rechtlich und wirtschaftlich möglich ist und ob die Umsetzung der Richtlinie einen Gleichlauf des Vertragsrechts tatsächlich bewirkt hat. Dazu untersucht er die Gewährleistung bei Herstellungs- und Veräußerungsverträgen in den Rechtsordnungen Deutschlands, Englands und Frankreichs vor und nach der Umsetzung der Richtlinie. Abweichungen und Unterschiede hinterfragt er in ihrem wirtschaftlichen Kontext, wobei er sich auch mit Aspekten der ökonomischen Analyse des Zivilrechts auseinandersetzt.