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Kapitel V:
Die Beweislastumkehr
1. Die Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 RL in Deutschland
Die in Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vorgesehene Vermutung,
dass Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung der Sache offenbar werden, bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden, wurde in
Deutschland (wie schon erwähnt660) in § 476 BGB (d.h. im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs) als verbraucherschützende Norm umgesetzt, die das Defizit
zwischen Verbraucher und Unternehmer in der Beweisführung ausgleichen soll.
Die Beweislastumkehr von § 476 BGB gilt nicht für die Frage, ob überhaupt ein
Mangel vorliegt. Den Käufer trifft immer noch die Darlegungs- und Beweislast
für die einen Sachmangel begründenden Tatsachen. Damit die Beweislastumkehr
gilt, muss er außerdem nachweisen, dass sich der Mangel innerhalb von sechs
Monaten nach Gefahrübergang gezeigt hat. Allein für das Vorliegen des Mangels
zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs gilt die Vermutung.661 In Abweichung von
der Richtlinienvorgabe beginnt die sechsmonatige Frist nach der deutschen Regelung nicht mit dem Zeitpunkt der Lieferung, sondern mit demjenigen des Gefahrübergangs.662 Das stellt aber keinen Verstoß gegen die Richtlinie dar, denn Erwägungsgrund 14 der RL stellt ausdrücklich klar, dass die Bezugnahme der
Richtlinie auf den Zeitpunkt der Lieferung nicht bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihre Vorschriften über den Gefahrübergang ändern müssen. Demnach kann
nicht nur die Sachübergabe, sondern auch ein Annahmeverzug des Verbrauchers
die Frist in Gang setzen (vgl. § 446 S. 3 BGB).
Im Nicht-Verbrauchsgüterkauf bleibt es in Deutschland für die Beweislast bei
der Regel, dass der Käufer, der die Sache angenommen hat, den Mangel und sein
Vorliegen zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs nachweisen muss (§ 363 BGB).663
Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die Beweislastumkehr nicht auf
alle Kaufverträge auszudehnen, wurde damit begründet, dass einem unternehmerischen Käufer bessere Beweismöglichkeiten zur Verfügung stünden als einem
Verbraucher.664 Es wurde davon ausgegangen, dass es für den unternehmerischen
Käufer wegen seiner Sachkenntnis oder des Kontakts zu dem Hersteller immer
leichter sei, die Mangelhaftigkeit nachzuweisen. Dies ist jedoch fraglich, da im
660 Unter Kapitel III.3.e.
661 Dazu BGH v. 2.6.2004, Az. VIII ZR 329/03, ZGS 2004, 309 ff.; OLG Stuttgart v.
31.01.2005 – 5 U 153/04, ZGS 2005, 156; BGH v. 14.9.2005 – VIII ZR 363/04, Nr. 28;
Reinking, DAR 2001, 8 (14).
662 Hierzu auch unter s. III.3.e.
663 So auch die Regel von Art. 418 AK.
664 RegBegr, in: Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. 872.
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modernen Absatzsystem der Verkäufer (und zwar sogar der professionelle) nicht
mehr als eine Distributionsfunktion wahrnimmt und ihm oft sowohl die Produktkenntnis als auch ein direkter Kontakt zum Hersteller fehlen.665
2. Die Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 RL in Griechenland
Der griechische Gesetzgeber hat auf der anderen Seite den Erfahrungsgrundsatz,
dass das, was sich in den ersten sechs Monaten nach Lieferung666 der Sache zeigt,
vermutlich bei der Übergabe schon vorhanden war, für bei jedem Kauf zutreffend
und somit für verallgemeinerungsfähig gehalten. Auch in diesem Punkt wurde in
Griechenland der Weg einer überschießenden Umsetzung beschritten und die
Vermutung der Vertragswidrigkeit ins allgemeine Kaufrecht (Art. 537 Abs. 2 AK)
eingeführt. Die Beweislastumkehr ist somit nach dem griechischen Recht auf jeden Kauf anwendbar, Verbrauchsgüterkauf oder nicht. Sie gilt für jeden Käufer
unabhängig davon, ob es sich um einen Verbrauchsgüterkauf, einen Kaufvertrag
zwischen zwei Unternehmern oder zwei Privatleuten, oder um einen Verkauf von
einem Privatmann an einen Unternehmer handelt. Auch hier spiegelt sich die
„monistische“ Orientierung des griechischen Reformgesetzgebers an dem Käufer- und nicht nur dem Verbraucherschutz wider.667
Während also der deutsche Gesetzgeber der Beweislastumkehr eine verbraucherschützende Funktion beigemessen hat und dabei überwiegend auf verbraucherspezifische Aspekte, wie das überlegene Sachwissen und die ungleich besseren Erkenntnismöglichkeiten des unternehmerischen Letztverkäufers, abgestellt
hat, scheint der griechische Gesetzgeber durch seine Entscheidung, die Vermutung bei jeder Kaufart gelten zu lassen, fast ausschließlich auf dem allgemeinen
Erfahrungsgrundsatz basiert zu haben, dass ein sich innerhalb von sechs Monaten
zeigender Mangel schon bei der Übergabe der Sache vorhanden gewesen sein
muss. Im griechischen Schrifttum sind trotzdem viele Stimmen zu finden, die als
Grund für die Einführung der Beweislastumkehr, die Sachkunde des Verkäufers
und die damit einhergehende Überlegenheit in der Beweisführung nennen.668
Da aber nicht jeder Verkäufer über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt
als sein Vertragspartner, kann die Vorschrift von Art. 537 Abs. 2 AK zu unsachgemäßen Ergebnissen führen, wenn ein Privatmann gegenüber einem Fachmann
die Vermutung zu entkräften hat. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn ein Pri-
665 Vgl. Kelwing, Die Mängelhaftung des Verkäufers, S. 107.
666 Trotz des Abstellens auf den Zeitpunkt der Lieferung wird auch in Griechenland angenommen, dass auch der Annahmeverzug des Verkäufers die sechsmonatige Frist von Art.
537 Abs. 2 AK in Gang setzt. Vgl. Christodoulou, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht
der Verkäuferhaftung, Rn. 768.
667 Papanikolaou, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht der Verkäuferhaftung, Rn. 238.
668 Vgl. Kontogianni, KritE 2000/2, 145 (177); Pouliadis, Die Haftung des Verkäufers, § 30,
S. 117; dens., in: 5. Tagung des Zivilrechtlerverbands, S. 49 (60); Kornilakis, Besonderes
Schuldrecht, Bd. I, S. 245; Papanikolaou, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht der Verkäuferhaftung, Rn. 237 f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der den Rückgriff des Letztverkäufers im Fall einer von ihm nicht verursachten Mangelhaftigkeit der Sache gewährleisten will, überlässt den Mitgliedstaaten einen weiten Umsetzungsspielraum. Dies reizt zu einer rechtsvergleichenden Untersuchung, da das Optionenspektrum für die Ausgestaltung des Rückgriffs sehr breit ist. Wie der deutsche und griechische Gesetzgeber die genannte Richtlinienvorschrift ins nationale Recht umsetzten, ist Gegenstand dieses Werkes. Die Verfasserin stellt die Rückgriffsregelungen des BGB und des griechischen ZGB (AK) nebeneinander und gelangt zu interessanten Ergebnissen bezüglich ihrer Richtlinienkonformität und rechtspolitischen Richtigkeit.