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zu finden (§§ 474-479 BGB). Hier werden die Unabdingbarkeit der Gewährleistungsregelungen zu Gunsten des Verbrauchers (Umsetzung der Regelung von Art.
7 RL), die Vermutung der Vertragswidrigkeit (Art. 5 Abs. 3 RL), Sonderbestimmungen für Garantien (Art. 6 RL) und der Rückgriff des Unternehmers (Art. 4
RL) vorgesehen. In Griechenland wurden nur die Einschränkung der Abdingbarkeit und die Anforderungen an die Garantieerklärungen (überwiegend an ihre
Gestalt) im Wege einer eins-zu-eins Umsetzung in das Verbraucherschutzgesetz
2251/1994 als verbraucherschützende Regelungen eingefügt. Die Beweislastumkehr und der Verkäuferregress sind im allgemeinen Kaufrecht des AK enthalten
(Artt. 537 § 2 und 560, 561 AK).
2. Die neue Grundkonzeption: Durchsetzung der Nichterfüllungstheorie
Sowohl in Griechenland als auch in Deutschland bildet die Entscheidung für die
Nichterfüllungstheorie den wichtigsten Neuansatz der Modernisierung des Kaufrechts anlässlich der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Der frühere
wissenschaftliche Streit zwischen Nichterfüllungs- und Gewährleistungstheorie
wird zu Gunsten ersterer gelöst. Nach § 433 Abs. 1 S. 2 BGB und Art. 534 AK
ist der Verkäufer im Gefolge von Art. 2 Abs. 1 RL nunmehr verpflichtet, nach der
deutschen Regelung „die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen“, während nach der griechischen „die Sache mit den zugesicherten Eigenschaften und frei von Sachmängeln zu liefern“. Trotz der eindeutigen Unterschiede, nämlich der Beibehaltung des „Fehlens zugesicherter Eigenschaften“ als
besonderer Haftungstatbestand in Griechenland417 im Gegensatz zu seiner Preisgabe – wenigstens unter diesem Namen418 – in Deutschland sowie des Ausschlusses der Rechtsmängel von der Neuregelung des griechischen Kaufrechts,
die sich lediglich auf die Sachmängel und das Fehlen zugesicherter Eigenschaften
bezieht, ist die gesetzliche Einführung der Nichterfüllungstheorie die bedeutsamste dogmatische Neuerung der Kaufrechtsreform in beiden Staaten. Bisher
bestand in beiden Rechtsordnungen die Pflicht zur mängelfreien Lieferung beim
Kaufvertrag (anders als beim Werkvertrag) auf Grund der Gewährleistungstheo-
417 Das wird im Schrifftum kritisiert und für überflüssig gehalten, denn Art. 535 AK bestimmt
(so wie die RL), dass die Pflicht von Art. 534 AK nicht erfüllt wird, wenn die Sache nicht
vertragsgemäß ist, und auch Kriterien der Vertragswidrigkeit vorsieht. Vgl. dazu Bechlivanis, DEE 2003, 620 (622 f.), nach dem die Vertragwidrigkeit synonym zu den Begriffen
des Sachmangels und des Fehlens zugesicherter Eigenschaften sei; sowie Georgiades,
ChrID 2004, 5 (7).
418 Mehr dazu am Ende dieses Abschnitts.
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rie grundsätzlich nicht. Lediglich auf Rechtsmängel419 und beim Gattungskauf420
war die Figur der Erfüllungspflicht schon nach altem Recht anwendbar. Beim
Stückkauf andererseits unterlag der Verkäufer der Gewährleistungshaftung in
Form der Rechtsbehelfe der Wandelung, Minderung und eventuell auch des Schadensersatzes, war aber nicht zur mängelfreien Lieferung verpflichtet. Der Käufer
hatte bei Verschaffung einer mangelhaften Sache grundsätzlich keinen Anspruch
auf Nacherfüllung (in Form einer Nachbesserung oder Nachlieferung). Der
Grund hierfür war, dass Kaufgegenstand die bestimmte Sache war, so wie sie war
(„talis qualis“), mangelhaft oder mängelfrei.421 Der Käufer konnte sie sehen und
untersuchen („caveat emptor“). Diese Anschauung entspricht jedoch nicht den
heutigen Verkehrsverhältnissen. Für verantwortliche und vernünftige Vertragspartner stellt die Lieferung einer für den angestrebten Zweck qualitativ und quantitativ geeigneten Sache das Ziel des Kaufs dar.
Jetzt ist ein Gleichklang zwischen Kauf- und Werkvertrag erreicht. Zu den
Hauptpflichten des Verkäufers zählt die Übergabe einer mängelfreien Sache.422
Wenn die Sache mangelhaft ist, erfüllt der Verkäufer sowohl beim Gattungs- als
auch beim Stückkauf seine Leistungspflicht nicht mehr. Es geht also nunmehr um
Haftung wegen Nichterfüllung und nicht um Gewährleistungshaftung.423 Trotz
dieser neuen Charakterisierung soll aber nicht übersehen werden, dass es immer
noch um verschuldensunabhängige Haftung geht und dass die speziellen kaufrechtlichen Vorschriften die Anwendung der allgemeinen Regelungen für die Vertragshaftung ausschließen. Die Durchsetzung der Nichterfüllungstheorie zieht
jedoch einige praktische Folgen nach sich. Soweit sie nicht gegen die speziellen
kaufrechtlichen Vorschriften verstoßen, können die allgemeinen Vorschriften des
419 Eine Hauptpflicht des Verkäufers war gemäß § 434 BGB a.F. und Art. 514 AK, die Sache
frei von jedem Recht eines Dritten zu verschaffen. Vgl. AP 1599/2003 NoB 52 (2004),
979 ff. = EllDni 45 (2004), 806 ff. Anders als beim neuen deutschen Kaufrecht, in dem
die Rechte des Käufers beim Vorliegen von Sach- und Rechtsmängeln vereinheitlicht wurden, stehen dem griechischen Käufer bei Nichterfüllung der Pflicht des Verkäufers zur
rechtsmängelfreien Lieferung die Rechte des allgemeinen Schuldrechts aus Verzug bzw.
Unmöglichkeit zu (Art. 516 AK). Es wird somit auf die bei gegenseitigen Verträgen geltenden Vorschriften verwiesen (Art. 374-388 AK: Schadensersatz und Rücktritt). Die
bedeutsamste Folge der unterschiedlichen Behandlung der Rechtsmängel liegt jedoch
darin, dass für die sich daraus ergebenden Ansprüche die allgemeine (20-jährige) Verjährungsfrist von Art. 249 AK gilt.
420 In diesem Fall war der Verkäufer verpflichtet, eine mängelfreie Sache mit den zugesicherten Eigenschaften zu liefern. Dem Käufer stand auch ein Anspruch auf Nachlieferung nach
dem Grundsatz „genus non perire potest“ zu (vgl. § 480 Abs. 1 BGB a.F. und Art. 559 AK
a.F.).
421 Dies geht auf die Aediles Curules des römischen Praetors Agoranomos zurück.
422 s. Eckert/Maifeld/Matthiesen, Handbuch des Kaufrechts, Rn. 289 m.w.N.; Grunewald,
Kaufrecht, S. 111.
423 Über die Befreiung vom „historischen Dualismus“ zwischen Gewährleistung und Nichterfüllung im Rahmen der Verkäuferhaftung s. Kerameus/Westermann, in: FS Heldrich,
S. 741; Papanikolaou, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht der Verkäuferhaftung, Rn.
34, Fn. 107.
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Leistungsstörungsrechts Anwendung finden. Das Zusammenrücken von allgemeinem Leistungsstörungsrecht und Sachmängelrecht ist in Deutschland stärker
und deutlicher, da der Gesetzgeber auf viele spezielle Vorschriften im Rahmen
des Kaufrechts verzichtet hat und ausdrücklich auf die Regeln des allgemeinen
Leistungsstörungsrechts verweist.424 Zweitens kann der Käufer nunmehr die
Annahme einer mangelhaften Sache verweigern und gegenüber dem Zahlungsanspruch des Verkäufers die Einrede des nicht erfüllten Vertrages erheben (Artt.
349, 376 AK; § 320 BGB), da die Lieferung einer mangelhaften Sache keine
Erfüllung mehr darstellt. Als Ausfluss der gesetzlichen Statuierung der Nichterfüllungstheorie ist darüber hinaus die Einführung des Nacherfüllungsanspruchs
als gesetzlicher Rechtsbehelf anzusehen.
In Griechenland bleibt – wie schon erwähnt – die Kategorie der zugesicherten
Eigenschaften noch erhalten. Sie stellt aber lediglich einen konkretisierenden
Unterfall der Vertragswidrigkeit dar.425 Entscheidend für die Bejahung der Verkäuferhaftung ist die Vertragswidrigkeit; diese liegt aber grundsätzlich vor, wenn
die Sache entweder einen Mangel aufweist oder ihm eine zugesicherte Eigenschaft fehlt. Ein praktischer Unterschied zwischen diesen Anspruchsgrundlagen
besteht bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Im Falle einer
fehlenden zugesicherten Eigenschaft ist die Schadensersatzhaftung verschuldensunabhängig (Art. 543 S. 1 AK). Das Fehlen zugesicherter Eigenschaften ist der
RL zwar nicht als eigenständiger Tatbestand bekannt, wird jedoch von ihr wegen
der prinzipiellen Annahme des subjektiven Fehlerbegriffs erfasst. In Deutschland
ist diese in §§ 459 Abs. 2, 463 BGB a.F. enthaltene Kategorie gestrichen worden,
sie taucht aber bei der Frage des Vertretenmüssens (s. § 276 BGB: verschärfte
Einstandpflicht des Verkäufers wegen einer von ihm übernommenen „Garantie“)
wieder auf426 und das Ergebnis – verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch – ist praktisch identisch mit dem in Griechenland, obwohl man über einen
anderen Weg zu ihm gelangt.
3. Der Fehlerbegriff
a. Die Kriterien der Vertragsmäßigkeit bzw. -widrigkeit
§ 434 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB und Art. 535 AK setzen Art. 2 Abs. 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie um. Im Gegensatz aber zu der RL und der deutschen Vorschrift, in denen beschrieben wird, wann die Kaufsache frei von Sachmängeln ist,
ist die griechische Regelung negativ formuliert und legt fest, wann die Sache
nicht vertragsgemäß ist. Mit dieser Regelungstechnik verfolgt der griechische
Gesetzgeber ein Ziel. Er will klarstellen, dass es sich nicht um Vermutungen der
424 s. vor allem § 437 BGB.
425 Georgiades, ChrID 2004, 5 (7).
426 Vgl. dazu MüKo–Grundmann, § 276, Rn. 175; Westermann, NJW 2002, 241 (247); Lorenz/
Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, Rn. 537.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der den Rückgriff des Letztverkäufers im Fall einer von ihm nicht verursachten Mangelhaftigkeit der Sache gewährleisten will, überlässt den Mitgliedstaaten einen weiten Umsetzungsspielraum. Dies reizt zu einer rechtsvergleichenden Untersuchung, da das Optionenspektrum für die Ausgestaltung des Rückgriffs sehr breit ist. Wie der deutsche und griechische Gesetzgeber die genannte Richtlinienvorschrift ins nationale Recht umsetzten, ist Gegenstand dieses Werkes. Die Verfasserin stellt die Rückgriffsregelungen des BGB und des griechischen ZGB (AK) nebeneinander und gelangt zu interessanten Ergebnissen bezüglich ihrer Richtlinienkonformität und rechtspolitischen Richtigkeit.