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derte.275 Nur die erhebliche Abweichung der Sache von den vorausgesetzten qualitativen Merkmalen konnte einen Sachmangel begründen.276 Insoweit geht die
Regelung von Art. 3 Abs. 6 RL mit einer weiteren Verschärfung der Verkäuferhaftung einher, denn auch unerhebliche Abweichungen stellen nach den Richtlinienvorgaben Sachmängel dar, derentwegen sich der Verbraucher gegen seinen
Verkäufer wenden kann. Lediglich die Vertragsauflösung ist bei unerheblichen
Mängeln ausgeschlossen.277
hh. Ergebnis
Aus den oben unter aa.-gg. dargestellten Regelungen der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ergibt sich eindeutig, dass durch sie eine Verbesserung des Verbraucherschutzes angestrebt wird. Mit dieser Besserstellung des Verbrauchers geht aber
eine Belastung des Letztverkäufers einher, denn dieser wird als Vertragspartner
des Verbrauchers die Last seines Schutzes tragen. Der Verbraucher kann beispielsweise nunmehr auch wegen Werbeaussagen des Herstellers oder wegen
vom Letzteren stammender Montageanleitungen seinen Verkäufer in Anspruch
nehmen. Das kann sogar noch bis zu zwei Jahren nach Lieferung der Ware erfolgen. Verständlicherweise belasten diese neuen Regelungen den Verkäufer erheblich. Dies hat der Richtliniengeber selbst erkannt und deswegen einen Artikel der
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie als Kompensation für die eingeführte Verschärfung der Gewährleistungshaftung den verkaufenden Unternehmern gewidmet.
Das ist Art. 4, der den Titel „Rückgriffsrechte“ trägt und im folgenden Teil dieser
Untersuchung näher examiniert wird.
2. Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
a. Die Ziele
Wie schon kurz dargestellt, hätte der durch die Richtlinie eingeführte verstärkte
Verbraucherschutz ohne eine entsprechende Regressregelung sich vielfach einseitig zu Lasten des Letztverkäufers ausgewirkt.278 Art. 4 der RL kann demzu-
275 § 459 Abs. 1 S. 2 BGB a.F.: „Eine unerhebliche Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit kommt nicht in Betracht.“; Art. 534 AK a.F.: „Der Verkäufer haftet, wenn der verkaufte Gegenstand zu der Zeit, in der die Gefahr auf den Käufer übergeht, mit Fehlern
behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit der Sache aufheben oder wesentlich mindern.“
276 Vgl. Roussos, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht der Verkäuferhaftung, Rn. 574.
277 Vgl. Begründung zum Gesetz 3043/2002, Kodex NoB 50 (2002), 1608 (1610 f.)
278 s. auch v. Sachsen Gessaphe, RIW 2001, 721 (726); Kainer, AnwBl 2001, 380 (387); Westermann, NJW 2002, 241 (252).
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folge primär als Kompensation für die Ausweitung der Letztverkäuferhaftung erachtet werden. Er lautet:
„Rückgriffsrechte – Haftet der Letztverkäufer dem Verbraucher aufgrund einer
Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers,
eines früheren Verkäufers innerhalb derselben Vertragskette oder einer anderen
Zwischenperson, so kann der Letztverkäufer den oder die Haftenden innerhalb
der Vertragskette in Regress nehmen. Das innerstaatliche Recht bestimmt den
oder die Haftenden, den oder die der Letztverkäufer in Regress nehmen kann,
sowie das entsprechende Vorgehen und die Modalitäten.“
Eindeutig geht diese Vorschrift weit über den Verbraucherschutz und das Verhältnis zwischen Verbraucher und Verkäufer hinaus.279 Sie betrifft das Verhältnis
von Gewerbetreibenden untereinander (sogenannte „B2B-Geschäfte“). Gerade
das ist der Grund der geäußerten Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzungskompetenz im Bereich der Regressfrage. Die Einführung einer solchen
Vorschrift in die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist aber wegen der Belastung des
Letztverkäufers durch die Verstärkung der Verbraucherrechte280 fast „unumgänglich“ geworden. Als unmittelbarer Vertragspartner des Verbrauchers ist der Letztverkäufer von der strengeren – und unabdingbaren – Gewährleistungshaftung
zunächst betroffen. Durch die verbraucherschützenden Vorgaben der RL wären
die bereits bestehenden Regressfallen weitgehend verschärft worden. Sinn des
Art. 4 RL ist es, diese Verschärfung zu vermeiden und dem Letztverkäufer einen
Regress zu gewährleisten, wenn er im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs der
strengeren Gewährleistungshaftung unterliegt, der Mangel aber auf ein Handeln
oder Unterlassen eines Dritten zurückzuführen ist. Durch Art. 4 wird eine effiziente Verantwortlichkeitsallokation hinsichtlich der Last der Gewährleistungshaftung erzielt, indem die Verantwortung bis hin zum für den Mangel verantwortlichen Kettenglied weitergeleitet wird. Dafür spricht auch das Prinzip der Verantwortung; für die durch den Mangel verursachten Nachteile muss derjenige aufkommen, der für den Mangel verantwortlich ist. Nach allgemeiner Ansicht281
wird dieses Glied am häufigsten der Hersteller sein, denn er habe die größte Auswirkung auf die Mangelhaftigkeit bzw. -freiheit der Ware. In den meisten Fällen
(Transport- und Lagerungsschäden ausgeschlossen) ist er der richtige Adressat
der Gewährleistungshaftung. Durch Erhöhung seines Sorgfaltsniveaus kann er
die Mängel vermeiden. Und er wird das umso mehr tun, wenn er weiß, dass die
Kosten der Gewährleistung ihn treffen werden. Durch sorgfältige Überwachung
seiner Produktion kann er Gewährleistungsfällen vorbeugen. Das Gleiche gilt
jedoch auch für jedes andere Glied der Vertriebskette. Wenn jeder weiß, dass sein
279 Micklitz, EuZW 1997, 229 (233) spricht von einer „systemfremden“ Vorschrift in einer
Verbraucher-Richtlinie; so auch Papanikolaou, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht der
Verkäuferhaftung, Rn. 179; Pouliadis, KritE 2000/1, 47 (61).
280 Von einer „quasi spiegelbildlichen“ Erhöhung des Haftungsrisikos des Letztverkäufers
spricht Kölmel, Das Regressrecht bei internationalen Lieferketten, S. 227.
281 Vgl. auch Brüggemeier, JZ 2000, 529 (532); Jud, ZfRV 2001, 201 (202); Lehmann, JZ
2000, 280 (290); Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389 (1393).
80
– unachtsames – Handeln oder Unterlassen nicht ohne Folgen bleibt, wird er grö-
ßere Sorgfalt zeigen. Art. 4 RL ist also auch als Motivation zur Minimierung der
Haftungsverursachung in jeder Ebene des Warenvertriebs zu sehen. Dies gilt vor
allem für den Hersteller, in dessen Gefahrenbereich die Mängel typischerweise
entstehen und der darum nach ökonomischen Kriterien auch den „cheapest risk
avoider“ darstellt, denn er kann den Mangel mit dem geringsten Aufwand durch
sorgfältige Überwachung seiner Produktion vermeiden.282
Durch die Regelung von Art. 4 RL kann auch das Liquiditätsrisiko des Letztverkäufers gemindert werden283 und außerdem seine Bereitschaft erhöht werden,
seinen Gewährleistungspflichten gegenüber dem Verbraucher nachzukommen,
denn nach der Umsetzung dieser Vorschrift läuft er nicht mehr Gefahr, auf den
Kosten der Gewährleistung sitzen zu bleiben.284 Dies liegt jedenfalls dann vor,
wenn die Umsetzung „richtig“ geschieht und trägt zu einem – mittelbaren – Verbraucherschutz285 bei, wie auch das Bemühen des Herstellers, bessere Waren zu
produzieren, wenn er die Kosten der Vertragswidrigkeit nicht mehr auf andere
abwälzen kann.286 Diese verbraucherschützende Dimension der Regressregelung
kann auch eine Stütze für die gemeinschaftliche Kompetenz zur Regelung dieser
Frage bieten.287
Der Richtliniengeber erzielt aber durch die Regressvorschrift nicht direkt den
Verbraucherschutz, sondern vorrangig den Letztverkäuferschutz. Er hält den
Letztverkäufer für besonders schutzwürdig, denn er geht – ausdrücklich vor allem
in früheren Entwicklungsstadien der RL288 – vom Modell eines kleinen bzw. mittleren Einzelhändlers mit begrenzter Verhandlungsmacht am Ende der Absatzkette
aus, dessen schwache Lage durch die verbraucherschützenden Richtlinienvorschriften noch mehr erschwert würde.289 Dieser wirtschaftlich schwache Händler
ist einerseits der strengeren Gewährleistungshaftung gegenüber dem Verbraucher
ausgesetzt, und auf der anderen Seite kann ihm der „mächtigere“ Hersteller Haftungsbefreiungs- oder Haftungsbeschränkungsklauseln auferlegen, weil die den
Kaufvertrag zwischen Gewerbetreibenden betreffenden Regelungen bezüglich
der Zulässigkeit des Gewährleistungsausschlusses weniger streng sind. Der –
282 s. Höpker, Verkäuferregress, S. 11 m.w.N.
283 So Jud, ÖJZ 2000, 661 (662); dies., ZfRV 2001, 201 (203); Sester/Schultze-Melling, PHi
2003, 82.
284 So auch Bridge, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 4, Rn. 7; Tröger,
AcP 204 (2004), 115 (117).
285 Für den Zusammenhang der Regressfrage mit der Rechtslage des Verbrauchers s. auch
Ehmann/Rust, JZ 1999, 853 (862); Kölmel, Das Regressrecht bei internationalen Lieferketten, S. 228 und 232.
286 Über die sog. „Kosteninternalisierung“ von dem für die Vertragswidrigkeit Verantwortlichen s. Bridge, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 4, Rn. 7.
287 Schurr, ZfRV 1999, 222 (227).
288 Vgl. Begründung zum RL-Vorschlag von 1996, KOM (95) 520 endg., S. 26 und 29; Hondius, ZEuP, 1997, 130 (136).
289 s. Staudenmayer, in: Grundmann u.a. (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht,
S. 27 (42); Schmidt-Kessel, ÖJZ 2000, 668 (669).
81
auch als „bedrängtes Zwischenglied“ bezeichnete290 – Einzelhändler soll im Verhältnis zum Großhändler bzw. zum Hersteller nicht auf dem Haftungsrisiko sitzen
bleiben, wenn der Mangel nicht aus seiner Sphäre, sondern aus der eines seiner
Vorleute herrührt.291 Diese Betrachtungsweise der Rollen innerhalb der Lieferkette kann aber angesichts der Vielfalt der möglichen Gestaltungen sehr vereinfachend sein, denn Fälle, in denen der Letztverkäufer das starke und der Hersteller das schwache Glied ist, sind überhaupt nicht ausgeschlossen.292 Es ist bloß an
große Einzelhandelsketten und auf der anderen Seite an kleine oder mittlere Produzenten (z.B. Kleidungshersteller oder örtliche Lieferanten) zu denken.293 Es
muss nicht nur dem Beispiel des mächtigen Wagenherstellers und des von ihm
abhängigen Händlers Rechnung getragen werden.
b. Die Kompetenzfrage
Angesichts der Tatsache, dass schon Zweifel hinsichtlich der Kompetenz der Gemeinschaften zum Erlass der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie im Allgemeinen bestehen, überrascht es nicht, dass die Kompetenzgrundlage bezüglich des Rückgriffsrechts des Letztverkäufers für besonders fraglich erachtet wird.294 Der
Richtliniengeber nennt keinen speziellen Kompetenztitel für die Regelung der
Regressfrage. Es ist anzunehmen, dass die Regelungsbefugnis der Gemeinschaften auch in dieser Frage aus Art. 153 Abs. 1 und 3 EGV i.V.m. Art. 95
EGV295 abgeleitet wird. Um Verbraucherschutz geht es dabei aber nur sekundär,
und eine binnenmarktpolitische Rechtfertigung für Harmonisierungsmaßnahmen
zum Schutz von kleinen und mittleren Unternehmern besteht nicht.296 Trotz der
geäußerten Bedenken sind die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur Umsetzung der
Richtlinie nicht entbunden, denn sie haben die zweimonatige Frist nach Veröffentlichung der Richtlinie zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230
Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 EGV versäumt. Die Zweifel können jedoch auch im Rahmen
290 s. Janssen/Schimansky, IHR 2004, 95 (101).
291 Vgl. v. Sachsen Gessaphe, RIW 2001, 721 (725 f.)
292 s. Bridge, in: EU-Kaufrechtsrichtlinie-Kommentar, Art. 4, Rn. 7; Staudenmayer, in:
Grundmann, Medicus, Rolland (Hrsg.), Europäisches Kaufgewährleistungsrecht, S. 27 ff.
(42); Schmidt-Kessel, ÖJZ 2000, 668 (669); Kölmel, Das Regressrecht bei internationalen
Lieferketten, S. 226 f.
293 Vgl. Sölter, WuW 1968, 317 (318).
294 Medicus, ZIP 1996, 1925 (1928); Micklitz, EuZW 1997, 229 (233); Brüggemeier, JZ 2000,
529 (533); Roth, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 225 (233 f.); v. Sachsen Gessaphe, RIW 2001, 721 (724); s. auch Bundesrat-
Rechtsausschuss, ZIP-aktuell 1996, Nr. 259, der den Verkäuferrückgriff als „Fremdkörper“ in der RL betrachtete.
295 Diese Artikel werden in ihrer Präambel als Kompetenzgrundlage für den Erlass der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie insgesamt (Erwägungsgrund 1) genannt.
296 Roth, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform,
S. 225 (233); Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 72.
82
eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EGV vom EuGH bestätigt
werden, wenn ein nationales Gericht nach der Kompetenzwidrigkeit von Art. 4
RL fragt. Sollte der EuGH diese feststellen, hätte dies die Unwirksamkeit des Art.
4 RL zur Folge.297 Die Meinung, mit dem Inkraftreten der RL sei den Zweifeln
an der Regelungskompetenz die praktische Relevanz genommen298, trifft somit
nicht völlig zu.
Da Erwägungsgrund 1 der RL Artt. 153 Abs. 1 und 3 und 95 EGV als ihre Kompetenzgrundlage nennt, ist zunächst zu prüfen, ob diese auch als Kompetenztitel
für die Regressregelung von Art. 4 RL dienen können. Natürlich wäre es möglich,
auch andere Artikel heranzuziehen, auch wenn der Richtliniengeber sie als Kompetenzgrundlage nicht genannt hat, da ein falscher Kompetenztitel nach der
Rechtsprechung des EuGH lediglich einen formalen Defekt eines Rechtsaktes
darstellt, der nicht zu dessen Nichtigkeit führt, solange die gemeinschaftliche
Regelungsbefugnis auf eine andere Kompetenznorm gestützt werden kann, welche das gleiche Verfahren299 vorsieht.300 In diesem Fall kann aber außer Artt. 95
und 153 EGV keine andere Vorschrift in Betracht kommen, denn ein Artikel, der
die Gemeinschaft zum Erlass von mittelstandsschützenden Harmonisierungsmaßnahmen berechtigt, besteht – wie gesagt – nicht.
Erstens ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen von Art. 95 EGV erfüllt sind.
Diese Vorschrift erfasst Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes. Sie
ermächtigt die Gemeinschaft zum Erlass von Angleichungsmaßnahmen, welche
die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben
(Art. 95 Abs. 1 in fine EGV). Nach der Rechtsprechung des EuGH und vor allem
nach dem Urteil vom 5.10.2000 zur Tabakwerbe-RL301, das sich ausführlich mit
Art. 95 EGV befasst, gewährt dieser Artikel keine allgemeine Kompetenz zur
Regelung des Binnenmarktes, denn dies widerspräche Artt. 3 Abs. 1 c und 14
EGV und wäre auch unvereinbar mit dem in Art. 5 EGV niedergelegten Grundsatz der ausdrücklichen Einzelermächtigung.302 Ein auf der Grundlage von Art. 95
erlassener Rechtsakt muss zudem tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern.303 Nach dem EuGH ist es unerheblich, ob auch anderen Zielen maßgebliche
Bedeutung zukommt, solange die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind.304
In unserem Fall können also die Voraussetzungen von Art. 95 EGV geprüft wer-
297 Vgl. dazu Roth, JZ 2001, 475 (479); Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 80 (Fn. 107).
298 Ehmann/Rust, JZ 1999, 853 (854) bezüglich der Zweifel an der gemeinschaftlichen Regelungskompetenz, nicht nur zur Einführung des Rückgriffsrechts, sondern zum Erlass der
RL insgesamt.
299 z.B. Verfahren der Mitentscheidung (Art. 251 EGV) oder der Zusammenarbeit (Art. 252
EGV).
300 Vgl. dazu das Titandioxid-Urteil des EuGH, Rs. C-300/89, Slg. 1991, S. I-2867, Rn. 19-21.
301 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, S. I-08419=JZ 2001, 32=NJW 2000, 3701=EuZW 2000,
694.
302 Rn. 82 f. des Urteils.
303 Rn. 85 des Urteils.
304 Tabakwerberichtlinie-Urteil des EuGH, Rn. 88.
83
den, obwohl das primäre Ziel der Regressregelung in dem Schutz des Letztverkäufers und somit des Mittelstandes besteht.
Als Maßnahmen, die zum Funktionieren des Binnenmarktes beitragen, nimmt
der EuGH erstens solche an, die Wettbewerbsverzerrungen beseitigen können. Ob
aber die Regressregelung zum Abbau von Wettbewerbsverfälschungen beitragen
kann, ist zweifelhaft. Natürlich waren wegen der unterschiedlichen Regressmöglichkeiten in jedem Mitgliedstaat die Wettbewerbsbedingungen nicht gleich. Wo
z.B. die Gewährleistungskosten den für den Mangel verantwortlichen Hersteller
nicht immer erreichen konnten, verzichtete dieser wohl leichter auf eine größere
Sorgfalt bei der Produktion, und somit waren seine Herstellungskosten nicht so
hoch wie bei Herstellern, die die Gewährleistungskosten bei eventuell auftretenden Mängeln keinesfalls vermeiden konnten und deshalb bei der Produktion
achtsamer waren. Die unterschiedliche Allokation der Gewährleistungskosten
führt somit zu Wettbewerbsverzerrungen, die auch das Kriterium der „Spürbarkeit“ erfüllen, wie das die Rechtsprechung des EuGH herausgebildet hat305, denn
unterschiedliche Herstellungskosten werden als ausreichend „spürbare“ Wettbewerbsverzerrung angesehen.306
Aber auch wenn das Bestehen von spürbaren Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der unterschiedlichen Regressregelungen bejaht werden kann, ist fraglich,
ob Art. 4 RL zu deren Beseitigung geeignet307 ist. Der den Mitgliedstaaten überlassene weite Umsetzungsspielraum kann auch nach der Umsetzung der RL zu
einer Vielfalt von Rückgriffsmöglichkeiten von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat
und somit zu – neuen – ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen.308 Das
erkennt auch Schumacher, indem er von der „problematischen Unbestimmtheit“
von Art. 4 spricht, die neuerliche Wettbewerbsverzerrungen nach sich ziehen
könne.309 Im Ergebnis bejaht er aber die Regelungsbefugnis der Gemeinschaften
im Bereich der Regressfrage, die er auf Art. 95 EGV gestützt sieht, und betrachtet
die Bedenken gegen die gemeinschaftliche Kompetenz für Art. 4 RL als gegenstandslos.310 Die an einer anderen Stelle seiner Ausführungen vertretene Auffassung, dass bei Verständnis von Art. 4 RL als Forderung zur Verschaffung einer
effektiven Regressmöglichkeit keine Gefahr für die Entstehung neuer Wettbewerbsverzerrungen bestehe311, ist zweifelhaft. Es ist lediglich an das französische
Modell der action directe und an eine Regresslösung in der Form eines Stufenregresses – wie die deutsche und die griechische Regressregelung – zu denken.
Durch beide ist eine Allokation der Gewährleistungskosten beim Verursacher des
Mangels angestrebt – und auch möglich. Der Hersteller und der Letztverkäufer
werden jedoch nicht im gleichen Ausmaß von den Gewährleistungskosten betrof-
305 s. Titandioxid-Urteil, Rn. 23; Tabakwerberichtlinie-Urteil, Rn. 106.
306 Titandioxid-Urteil, Rn. 12; Tabakwerberichtlinie-Urteil, Rn. 109.
307 Vgl. Rn. 95 und 112 des Tabakwerberichtlinie-Urteils.
308 Vgl. Jud, ZfRV 2001, 201 (203); dies., ÖJZ 2000, 661 (668).
309 Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 72.
310 a.a.O., S. 79 ff.
311 Schumacher, a.a.O., S. 78.
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fen, so dass von einheitlichen312 Wettbewerbsbedingungen nicht gesprochen werden kann.313 In Frankreich kann der Letztverkäufer sogar völlig übersprungen
werden. Nach der Umsetzung von Art. 4 RL kann mit einer Reduzierung der aufgrund der unterschiedlichen Verteilung der Gewährleistungskosten in den
Absatzketten jedes Mitgliedstaates bestehenden Wettbewerbsverzerrungen
gerechnet werden. Fraglich ist jedoch, ob dies die von EuGH gesetzten Voraussetzungen erfüllt und die kompetenzrechtliche Stützung von Art. 4 RL auf Art.
95 EGV ermöglicht, denn Wettbewerbsverzerrungen können wegen des weitgehenden Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten weiterbestehen. Bezweifelt
werden kann sogar auch angesichts der sehr allgemeinen Formulierung des Erwägungsgrundes 3 der RL314, ob die RL insgesamt und nicht nur deren Art. 4 den
Kriterien von Art. 95 EGV genügt.315
Und von „Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr“, zu welcher auch die Kompetenzgrundlage von Art. 95 EGV nach dem EuGH herangezogen werden kann316, durch Art. 4 lässt sich kaum sprechen, denn auch vor der
Verabschiedung der Verbauchsgüterkaufrichtlinie waren die Fälle von grenzüberschreitenden Lieferverträgen durch das UN-Kaufrecht geregelt. Hemmnisse für
den Warenverkehr, die durch die Schaffung eines Rückgriffsrechts beseitigt werden könnten, bestanden also nicht.317
Die zweite mögliche Kompetenzgrundlage zum Erlass von Art. 4 RL könnte
Art. 153 Abs. 3 lit. b) EGV sein. Eine Maßnahme ist auf Art. 153 Abs. 3 lit. b)
zu stützen, wenn sie primär (d.h. ohne konkreten Binnenmarktbezug) zur Anhebung des Verbraucherschutzniveaus beiträgt. Dient sie jedoch der Verwirklichung
des Binnenmarktes, u.a. durch Harmonisierung der nationalen Bestimmungen
zugunsten der Verbraucher, dann findet Art. 95 EGV Anwendung.318 Auch Schumacher sieht Art. 4 RL auf Art. 153 Abs. 3 lit. b)319 EGV subsidiär gestützt, d.h.
für den Fall, dass trotz seiner Überlegungen Art. 95 EGV als Kompetenzgrundlage für die Regressregelung abgelehnt wird. Nach Art. 153 Abs. 3 lit b) EGV
312 Zur Frage, ob die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes und daher Art. 95
EGV eine Ermächtigung zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen umfasst, s.
Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 95 EGV, Rn. 6.
313 Vgl. dazu Höpker, Verkäuferregress, S. 38.
314 “Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Kauf von Verbrauchsgütern weisen
Unterschiede auf; dies hat zur Folge, dass die einzelstaatlichen Absatzmärkte für Verbrauchsgüter uneinheitlich sind und bei den Verkäufern Wettbewerbsverzerrungen eintreten können“.
315 Vgl. Höpker, a.a.O., S. 22.
316 s. Tabakwerberichtlinie-Urteil, Rn. 85 und 95.
317 So auch Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 81.
318 Zu dieser Differenzierung s. Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 95 EGV, Rn.
12; Wichard, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 153 EGV, Rn. 12 ff.
319 Bei Ablehnung des Kompetenztitels von Art. 95 EGV scheitert auch die Heranziehung von
Art. 153 Abs. 3 lit a), weil dieser keine Kompetenznorm darstellt. Durch diese Vorschrift
wird lediglich klargestellt, dass Maßnahmen nach Art. 95 EGV (die also als Hauptzweck
die Verwirklichung des Binnenmarktes haben) zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beitragen müssen.
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leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zur Erreichung der in Absatz 1 genannten
Ziele (d.h. Förderung der Interessen der Verbraucher und Gewährleistung eines
hohen Verbraucherschutzniveaus320) durch Maßnahmen zur Unterstützung,
Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten. Natürlich trägt Art.
4 RL zur Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus bei, weil die Bereitschaft des
Verkäufers, seine Gewährleistungspflichten zu erfüllen, durch das Regressrecht
steigt. Art. 4 RL stellt somit eine mittelbare verbraucherschützende Regelung dar.
Ob Art. 153 Abs. 3 lit. b) EGV den Kompetenztitel für die Regressregelung des
Art. 4 RL darstellen kann, ist jedoch zweifelhaft, weil sich dieser Artikel auf die
Politik der Mitgliedstaaten unterstützende, ergänzende oder überwachende Maßnahmen beschränkt. Damit wird dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung getragen
und der Primat der Mitgliedstaaten im Bereich des Verbraucherschutzes verdeutlicht. Geht es aber bei Art. 4 RL trotz seiner Unbestimmtheit und des weiten
Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten lediglich um eine Maßnahme dieser
Art? Der Meinung zufolge, dass nur Maßnahmen, die zur völligen Vereinheitlichung der nationalen Verbraucherpolitiken führen, von Art. 153 Abs. 3 lit. b) ausgeschlossen werden321, ist dies wohl zu bejahen, denn Art. 4 RL greift in den Verbraucherschutz lediglich punktuell und allenfalls mittelbar ein.
Auch wenn der Richtliniengeber eine bestimmte Kompetenzstütze von Art. 4
RL nicht genannt hat, lässt sich trotz der geäußerten Bedenken feststellen, dass
auch für das Bestehen eines Kompetenztitels überzeugend argumentiert werden
kann. Die Zweifel an der gemeinschaftlichen Regelungskompetenz in diesem
Gebiet waren wahrscheinlich auch dem Richtliniengeber bewusst und haben ihn
fast zu einer Selbstverleugnung gezwungen322, indem er die Regressregelung sehr
unbestimmt formulierte, durch sie die Vertragsfreiheit nicht berührte323 und den
Mitgliedstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum gab. Dies (wie auch der Verzicht auf die Einführung einer direkten Herstellerhaftung) fiel ihm aber zweifelsohne schwer, wie sich anhand von Erwägungsgrund 23 und Art. 12 der RL feststellen lässt, wo auf die Möglichkeit einer künftigen Harmonisierung in der Form
einer unmittelbaren Herstellerhaftung hingewiesen wird.
Tatsache ist, dass die Mitgliedstaaten trotz aller Zweifel an der kompetenzrechtlichen Rechtmäßigkeit von Art. 4 RL zu seiner Umsetzung verpflichtet
waren. Vielleicht wird die Kompetenzfrage durch ein Vorabentscheidungsverfahren wieder aktuell. Es lässt sich nicht im Voraus sagen, ob der – meist integrationsfreundliche – EuGH die Regelungsbefugnis der Gemeinschaften für Art. 4
annimmt. Das Urteil zur Tabakwerbe-Richtlinie, in dem diese wegen fehlender
Regelungskompetenz für nichtig erklärt wurde, stellt sicherlich keinen Regelfall
320 Es geht dabei um eine Konkretisierung der Gemeinschaftsaufgabe von Art. 3 Abs. 1 lit.
t) EGV.
321 So Wichard, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 153 EGV, Rn. 19.
322 Vgl. Brüggemeier, JZ 2000, 529 (533).
323 Für den Zusammenhang zwischen den kompetenzrechtlichen Überlegungen und der Anerkennung der Vertragsfreiheit hinsichtlich der Regressrechte statt vieler Höpker, Verkäuferregress, S. 21 ff.
86
dar. In der Literatur ist sogar die Meinung vertreten worden, dass die Tabakwerbe-Richtlinie ein krasser Fall der Kompetenzanmaßung sei.324 Da nunmehr
fast alle Staaten ihrer Umsetzungspflicht nachgekommen sind325 und die Frist zur
Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EGV verstrichen ist, soll die
Frage der Richtlinienkonformität der erfolgten Umsetzung von Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie viel „brennender“ für die Mitgliedstaaten sein als diejenige der wohl fehlenden Regelungskompetenz der Gemeinschaften im Regressbereich, denn die Kommission kann bei unzureichender Umsetzung eine Klage
nach Art. 226 EGV (Vertragsverletzungsverfahren) gegen die Mitgliedstaaten
erheben. Welche Umsetzung von Art. 4 RL jedoch „richtlinienkonform“ ist, kann
erst festgestellt werden, wenn klar steht, was genau Art. 4 RL erfordert. Wegen
der Unbestimmtheit und der Offenheit der Regressregelung von Art. 4 RL stellt
jedoch diese Klärung keine leichte Aufgabe dar. Aufschlussreich ist, dass Art. 4
RL sogar als Norm ohne eigenen Regelungsgehalt charakterisiert wurde.326 Ob es
tatsächlich so ist, wird unter c. geprüft, wo der Inhalt des Artikels erörtert wird.
c. Der Inhalt des Artikels
aa. Norm ohne Regelungsgehalt?
Die Mehrheit der Einschätzungen von Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
im Schrifttum können mit Sicherheit als kritisch bezeichnet werden. Sie wird für
eine Norm ohne Regelungsgehalt327 oder von sehr kleiner praktischer Bedeutung328, für eher harmlos329, für eine bloße Zielvorgabe330, für ein inhaltloses Postulat331, für unklar332, diffus333 und sibyllinisch334, aber zugleich auch für den
Sprengstoff335 der Richtlinie gehalten. Diese Kritik ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Art. 4 RL zur Ausführung des Regressrechts auf die nationalen
324 So v. Sachsen Gessaphe, RIW 2001, 721 (724).
325 Diejenigen, die dies versäumt haben, wurden schon vom EuGH verurteilt; s. die Urteile
vom 19.02.2004 EuGH, Rs. C-312/03 (Kommission gegen Belgien), Slg. 2004, I-1975 und
Rs. C-310/03 (Kommission gegen Luxemburg), Slg. 2004, I-1969; und vom 01.07.2004
(Kommission gegen Frankreich), EuGH Rs. C- 311/03, ABl. C. 217 vom 28.08.2004, S. 8.
326 Vgl. die Darstellung dieser Auffassung von Bridge, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 4, Rn. 27; sowie die Kritik von Brüggemeier, JZ 2000, 529 (532).
327 s. bereits Fn. 323.
328 Papanikolaou, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht der Verkäuferhaftung, Rn. 179.
329 Staudenmayer, NJW 1999, 2393 (2396).
330 MüKo-Lorenz, § 478, Rn. 2.
331 Schlechtriem, ZSR 1997, 335.
332 Micklitz, EuZW 1999, 485 (487); Schmidt-Kessel, ÖJZ 2000, 668 (670).
333 Micklitz, EuZW 1999, 485 (490).
334 Brüggemeier, JZ 2000, 529 (532).
335 Brüggemeier, JZ 2000, 529 (534); mit überzeugenden Argumenten kritisch dazu Büchel,
in: Zwischen Markt und Staat, S. 33 (50f.).
87
Rechte verweist und ihnen einen weitgehenden Umsetzungsspielraum überlässt
sowie dass die Vertragsfreiheit nach Erwägungsgrund 9 durch die Regressregelung unberührt bleibt. Aus diesen Gründen erscheint die Wirkung der Norm von
Art. 4 erheblich abgeschwächt.336
Es liegt zwar in der Natur der Richtlinie als Rechtsakt der Gemeinschaften,
dass sie für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist und ihnen die Wahl der Form und der Mittel der Umseztung überlässt
(Art. 249 Abs. 3 EGV). Wegen der Formulierung von Art. 4 ist aber schon die
Ermittlung der von ihm gesetzten Mindestanforderungen äußerst schwierig. Das
Ziel der Regressregelung, nämlich der Schutz des Letztverkäufers und der anderen Kettenglieder durch die sich aus dem Verantwortungsgrundsatz ergebende
Allokation der Gewährleistungskosten beim Mangelverursacher, kollidiert mit
der nach Erwägungsgrund 9 unberührt bleibenden Vertragsfreiheit337, was die
Konkretisierung der Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten zusätzlich
erschwert. Die tatbestandliche Offenheit von Art. 4 ist wohl einerseits für die Mitgliedstaaten günstig, weil sie ihnen größere Freiheit bei dessen Umsetzung
gewährt; auf der anderen Seite kann sie sich aber als „Falle“ erweisen, wenn der
EuGH den umstrittenen – aber sicherlich bestehenden – Regelungsbefehl von Art.
4 so auslegt, dass die nationalen Vorschriften seinen Anforderungen nicht genügen.
Art. 4 nennt aber ausdrücklich zumindest zwei Voraussetzungen des Rückgriffs. Der Letztverkäufer kann den oder die Haftenden innerhalb der Vertragskette in Regress nehmen, wenn er dem Verbraucher aufgrund einer Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers, eines früheren
Verkäufers oder einer anderen Zwischenperson haftet. Erstens muss also eine
Haftung des Letztverkäufers aufgrund einer Vertragswidrigkeit vorliegen und
zweitens muss ein Dritter für diese Vertragswidrigkeit verantwortlich sein. Art.
4 hat also einen Regelungsgehalt; er ist aber wenig klar338, denn nur zwei Voraussetzungen des Rückgriffsrechts werden explizit vorgesehen. Der Rest (Bestimmung der Anspruchsgegner, das Vorgehen und die Modalitäten) bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, und der Wortlaut von Art. 4 ist überhaupt nicht aufschlussreich hinsichtlich der Reichweite der Umsetzungsspielräume.
bb. Die Tatbestandsvoraussetzungen
Die zwei in Art. 4 ausdrücklich genannten Voraussetzungen des Regresses und
die mit ihnen zusammenhängenden Fragen werden an dieser Stelle geschildert,
bevor (unter d.) versucht wird, die unklare Tragweite des Umsetzungsspielraums
336 So auch Gomez, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Einleitung, Rn. 127, Fn.
1; Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, § 26, Rn. 764.
337 Von der Eröffnung eines Spannungsfelds aus diesem Grund spricht v. Sachsen Gessaphe,
in: FS Sonnenberger, S. 99 (111).
338 s. Magnus, in: FS Siehr, S. 429 (430); Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 71.
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der Mitgliedstaaten unter Heranziehung der vom EuGH entwickelten Auslegungsregeln und vor allem des Effektivitätsgrundsatzes zu konkretisieren.
i) Haftung des Letztverkäufers aufgrund einer Vertragswidrigkeit
Art. 4 setzt zunächst voraus, dass der Letztverkäufer gegenüber seinem Abnehmer, dem Verbraucher, aufgrund einer Vertragswidrigkeit haften muss, damit er
Regress nehmen kann. Im Rahmen dieser Tatbestandsvoraussetzung stellt sich
die Frage, ob es sich um eine tatsächlich erfolgte Gewährleistung des Letztverkäufers handeln muss oder ob die Inanspruchnahme des Letztverkäufers durch
den Verbraucher, bzw. vielmehr die objektive Gewährleistungshaftung schon vor
der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen des Letzteren (d.h. lediglich das Vorliegen eines Mangels, wegen dessen der Letztverkäufer gegenüber
dem Verbraucher abstrakt haftet), genügt. M.E. spricht das Ziel des Richtliniengebers, nämlich durch Art. 4 den Letztverkäufer zu entlasten, für die Auslegung,
dass eine konkrete, tatsächlich realisierte Einstandspflicht des Letztverkäufers erfordert wird.339 Sinn und Zweck von Art. 4 RL ist, zu vermeiden, dass der Letztverkäufer endgültig auf den Kosten der Gewährleistung wegen eines nicht von
ihm verursachten Mangels sitzen bleibt. Aber nur ein bereits entstandener Haftungsschaden soll zurückgewälzt werden können. Bei einer abstrakten Haftung
könnte der Letztverkäufer außerdem durch eine Art Befreiungsanspruch als Gewährleistungsschuldner völlig übersprungen werden, was praktisch die gleichen
Folgen wie eine direkte Herstellerhaftung hätte und viel weiter ginge als der
Zweck von Art. 4. Es ist nicht zu vergessen, dass sich der Richtliniengeber bewusst gegen die Einführung einer unmittelbaren Herstellerhaftung entschieden
hat.
Dem Letztverkäufer ist also nur im Fall einer tatsächlich erfolgten Gewährleistung ein Rückgriff zuzugestehen. Von diesem Verständis des „Haftenmüssens“
des Letztverkäufers sind offensichtlich sowohl der deutsche340 als auch der griechische Gesetzgeber bei der Umsetzung von Art. 4 RL ausgegangen, denn die
Befriedigung der Gewährleistungsrechte des Verbrauchers (oder des Letztabnehmers im Allgemeinen nach der überschießenden griechischen Umsetzung)
scheint in § 478 BGB und Art. 560 AK dem Regress des Letztverkäufers zeitlich
vorausgehen zu müssen und damit auch vorausgesetzt zu sein. Nach § 478 Abs.
1 BGB genießt der Letztverkäufer die Regressprivilegien, wenn er die Sache
zurücknehmen musste oder der Verbraucher den Preis gemindert hat, und nach
Abs. 2 kann er Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er zu tragen hatte. Desweiteren beginnt nach Art. 560 AK die besondere – für den Rückgriff bestimmte
– Verjährung zu dem Zeitpunkt, an dem der Käufer Befriedigung erlangt hat.
339 So auch Höpker, Verkäuferregress, S. 30 f.; Magnus, in: FS Siehr, S. 429 (438), der aber
diese Auslegung vom Wortlaut des Art. 4 ableitet.
340 Dazu auch Höpker, a.a.O., S. 31, Fn. 222.
89
ii) Verantwortlichkeit eines Dritten
Die zweite in Art. 4 niedergelegte Regressvoraussetzung ist die Verursachung der
Vertragswidrigkeit, aufgrund deren der Letztverkäufer gegenüber dem Verbraucher haftet, durch ein Handeln oder Unterlassen eines Dritten (des Herstellers,
eines früheren Verkäufers oder einer anderen Zwischenperson). Dies erscheint als
Selbstverständlichkeit, weil die Möglichkeit, Regress zu nehmen, auch wenn man
die Vertragswidrigkeit selbst verursacht hat, nicht sinnvoll wäre und gegen jedes
Gerechtigkeitsprinzip verstieße. Im Rahmen dieser auf den ersten Blick „unstreitigen“341 Voraussetzung tritt jedoch eine Reihe von Problemen auf. Fraglich ist
zunächst, wann von einer Verursachung der Vertragswidrigkeit durch einen Dritten gesprochen werden kann, und außerdem, wer eine „andere Zwischenperson“
sein kann. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob jeder Haftungsadressat
(m.a.W. Regressschuldner) auch Haftungsverursacher gewesen sein muss.
?. Durch einen Dritten verursachte Vertragswidrigkeit
Der Richtliniengeber verwendet den Begriff „Vertragswidrigkeit“, derentwegen
der Letztverkäufer gegenüber dem Verbraucher haftet, aber welche auf ein Handeln oder Unterlassen des Herstellers, eines früheren Verkäufers innerhalb der
Kette oder einer anderen Zwischenperson zurückzuführen ist. Dies entspricht
auch der Formulierung von Art. 2 RL, wo die Rede ebenfalls von „Vertragsmä-
ßigkeit“ und „Vertragswidrigkeit“ und nicht von „Mängeln“ ist. Die sich hier ergebende Frage ist also, wie eine Vertragswidrigkeit, die im Rechtsverhältnis von
zwei Personen besteht, von einem Dritten herbeigeführt werden kann. Nach Art.
2 Abs. 1 RL bestimmt sich die Vertragsmäßigkeit bzw. -widrigkeit grundsätzlich
nach dem Vertrag zwischen Verkäufer und Verbraucher. Die Vertragswidrigkeit
liegt somit in einem Abweichen vom vertraglich Vereinbarten, und es könnte somit gesagt werden, dass sie immer durch den Verkäufer verursacht wird, der eine
Sache verkauft, die den nach dem Vertrag gesetzten Kriterien nicht entspricht,
auch wenn er dies nicht weiß, denn die Gewährleistungshaftung setzt kein Verschulden des Verkäufers voraus. Diese Betrachtungsweise ist aber sicherlich zu
formal.342 Wenn das Wort „Vertragswidrigkeit“ durch das Wort „Mangel“ ersetzt
wird, dann wird klarer, dass als Verursachung der Vertragswidrigkeit das konkrete
Setzen der ursprünglichen, kausalen Bedingung gemeint ist, die zur Vertragswidrigkeit führt.343 Z.B. stellt die Produktion einer mangelhaften Ware vom Hersteller eine Verursachung der Vertragswidrigkeit i.S. von Art. 4 RL dar, die schon im
Vertrag zwischen Hersteller und Verkäufer besteht, aber auch zur Lieferung einer
341 So Höpker, Verkäuferregress, S. 30.
342 Vgl. dazu Welser/Jud, in: Verhandlungen des 14. ÖJT, S. 156 f.; Jud, ÖJZ 2000, 661 (662
f.); Höpker, a.a.O., S. 26 f.
343 Vgl. die Differenzierung zwischen „eigenschaftsbezogener“ und „verpflichtungsbezogener“ Verursachung bei Schmidt-Kessel, ÖJZ 2000, 668 (671).
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nicht vertragsgemäßen Sache im nachfolgenden Kaufverhältnis (zwischen Verkäufer und Verbraucher) führt, ebenso die Beschädigung der Ware von einem
Zwischenhändler bei Lagerung oder Transport. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. d RL kann
der Hersteller eine Vertragswidrigkeit verursachen, indem er in seinen öffentlichen Aussagen ein Qualitätsmaß oder Eigenschaften der Sache verspricht, die
aber fehlen. In diesem Fall liegt ein Mangel vor, für den der Letztverkäufer haftet
und den der Hersteller verursacht hat.344 Ein anderer Fall ist derjenige der vom
Hersteller stammenden fehlerhaften Montageanleitungen (IKEA-Klausel von
Art. 2 Abs. 5 S. 2 RL).
Durch diese Voraussetzung wird also verlangt, dass ein Dritter und nicht der
Letztverkäufer die Vertragswidrigkeit kausal verursacht hat. Ob man auch eine
„Verantwortlichkeit“ des Letztverkäufers annimmt, die darin liegt, dass er die –
unwissentlich – mangelhafte Sache weiterverkauft hat und damit den Ursprung
zur Weiterleitung der Vertragswidrigkeit gesetzt hat, ist lediglich eine formale
Frage, die gelöst werden kann, wenn man in Art. 4 „mitverursacht“ statt „verursacht“ liest.345 Ein ganz anderes Problem ist, wie der Fall behandelt werden soll,
in dem der Letztverkäufer in Kenntnis der Vertragswidrigkeit die Sache weiterverkauft, um in den Genuss der Regressrechte zu kommen. Dies wird im Rahmen
der Erörterung der nationalen Regresslösungen Deutschlands und Griechenlands
näher untersucht.346 Hier ist festzustellen, dass Art. 4 die Verursachung der Vertragswidrigkeit durch einen Vormann des Letztverkäufers verlangt und ein
Regress nicht in Betracht kommt, wenn die Vertragswidrigkeit ausschließlich
vom Letztverkäufer herbeigeführt wurde, z.B. wenn die Sache einer vom Verkäufer selbst gelieferten Beschreibung nicht entspricht.
. Die „anderen Zwischenpersonen“
Eine weitere wichtige Frage im Rahmen dieser Tatbestandsvoraussetzung des Regresses nach Art. 4 RL ist, wer „eine andere Zwischenperson“ sein kann. Eine Definition des Herstellers und des Verkäufers findet man in Art. 1 Abs. 2 lit. c und
d RL. Art. 4 RL stellt außerdem klar, dass der frühere Verkäufer ein Glied derselben Vertragskette sein muss, ohne diese aber näher zu definieren. Damit ist jeder
Händler erfasst, der das Verbrauchsgut in Richtung auf den Letztverkäufer geliefert hat. Klärungsbedürftig ist jedoch, welche Personen Art. 4 mit „anderen Zwischenpersonen“ meint. Als Beispiele werden im Schrifttum Transporteure, Spediteure, Lagerhalter oder Handelsvertreter genannt347, die mit der Ware in Berührung kommen, aber nicht notwendigerweise zur Vertragskette gehören. Dies
scheint aber unvereinbar damit zu sein, dass nach Art. 4 der Letztverkäufer den
344 Dazu ausführlich oben unter II.1.c.aa.
345 s. Welser/Jud, in: Verhandlungen des 14. ÖJT, S. 157; sowie Höpker, Verkäuferregress,
S. 27.
346 s. unter IV.2.i.
347 Jud, ÖJZ 2000, 661 (662); Schmidt-Kessel, ÖJZ 2000, 668 (670).
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oder die Haftenden innerhalb der Vertragskette in Regress nehmen kann.348 Wenn
also eine außerhalb der Vertragskette stehende Zwischenperson die Vertragswidrigkeit verursacht hat, bedeutet dies, dass sie kein Regressschuldner sein kann,
obwohl sie Haftungsverursacher ist? Dies lässt sich auf den ersten Blick mit dem
Verantwortungsgrundsatz nicht vereinbaren, der verlangt, dass jeder die Folgen
seines Handelns oder Unterlassens zu tragen hat, indem er für sie haftet. Oft lässt
sich aber das Verhalten solcher Verursacher bestimmten Gliedern der Kette zurechnen.349 Dann steht der Haftende in der Vertragskette, und der Regress „stolpert“ nicht. Und der Verursacher kann von seinem Vertragspartner nach den
Grundsätzen ihres Vertrages in Anspruch genommen werden. Auf diese Weise ist
auch das schon angedeutete Problem der von einem Vertreter des Herstellers
stammenden unzutreffenden Werbeaussagen zu lösen.
Weiter wurde die Frage aufgeworfen, ob auch ein Verbraucher eine Zwischenperson darstellen und daher einem Regress ausgesetzt sein kann.350 Es ist an einen
Verbraucher zu denken, der z.B. sein Auto an einen Händler verkauft, der dieses
wiederum an einen Verbraucher weiterveräußert und haftbar wird. Die Entstehungsgeschichte sowie das Ziel von Art. 4 RL spricht dafür, dass ein Rückgriff
gegenüber Verbrauchern nicht bezweckt war. Art. 4 wurde eingeführt, weil es als
unbillig empfunden wurde, dass der Letztverkäufer, der keinerlei Einfluss auf die
Produktion hat, die gesamte Last für Mängel tragen soll, die Dritte verursachen.
Der Richtliniengeber ist offenbar davon ausgegangen, dass eine Sache vom Hersteller über eine Kette von Händlern bis zum Verbraucher kommt, was auch dem
typischen Verständnis einer „Vertragskette“ entspricht – an deren Ende der Verbraucher steht. An den Fall, dass ein Verbraucher als Zwischenveräußerer eingeschaltet wird, war nicht gedacht.351 Zum gleichen Ergebnis kommt man auch,
wenn man bedenkt, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie als verbraucherschützender Rechtsakt konzipiert ist und es sich mit ihrem Ziel, das Verbraucherschutzniveau zu erhöhen, nicht vereinbaren ließe, wenn durch sie neue Belastungen für die Verbraucher entstünden. Trotz des weitgehenden Spielraums der Mitgliedstaaten bei der Regelung des Regresses, der auch die Bestimmung des oder
der Haftenden gemäß Art. 4 Abs. 2 RL umfasst, ist also eine Inanspruchnahme
von Verbrauchern im Wege des Regresses auszuschließen, denn das Regressrecht
von Art. 4 RL wurde mit Rücksicht auf die Probleme und Bedürfnisse der aus
Gewerbetreibenden bestehenden und hin zum Verbraucher führenden Vertragskette geschaffen.352 Nichts steht jedoch der Anwendung der allgemeinen Gewähr-
348 Vgl. Bridge, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechtrichtlinie, Art. 4, Rn. 4, nach dem die
Richtlinie durch die Worte „innerhalb derselben Vertragskette“ den Worten „oder eine
andere Zwischenperson“ jede Bedeutung nehme. Eine Zwischenperson in der Vertragskette könne nur selbst wieder ein Verkäufer sein.
349 s. Schmidt-Kessel, ÖJZ 2000, 668 (672); Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 97 ff.
350 Fischer-Czermak, in: FS Krejci, Bd. II, S. 1176 (1178).
351 So auch Fischer-Czermak, a.a.O., S. 1176 (1179).
352 So im Ergebnis auch Fischer-Czermak, in: FS Krejci, Bd. II, S. 1176 (1179); Schumacher,
Der Lieferantenregress, S. 99.
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leistungshaftung auf den Verbraucher im Wege, wenn er als Veräußerer einer
Sache handelt.
. Haftungsverursacher und -adressate
Den Mitgliedstaaten überlassen – im Rahmen der Bestimmung der Regresshaftenden – erscheint auf den ersten Blick auch die Frage, ob nur diejenigen, welche
die Vertragswidrigkeit kausal verursacht haben, als Regressschuldner in Betracht
kommen sollen. Dies würde aber im Falle des Stufenregresses, wo die Haftung
innerhalb der bestehenden Vertragsbeziehungen stufenweise über jedes Kettenglied zurückgewälzt wird, und vor allem bei Vertragsketten, die aus mehr als drei
Gliedern (nämlich Verbraucher, Händler, Hersteller) bestehen, bedeuten, dass der
tatsächlich Verantwortliche nicht erreicht werden könnte, sofern er nicht der unmittelbare Vertragspartner des Letztverkäufers wäre. Anders sieht es natürlich
dort aus, wo das Modell einer direkten Haftung des Herstellers oder im Allgemeinen des Verantwortlichen gilt. Dort kann die Verantwortung für die Vertragswidrigkeit als Voraussetzung der Inanspruchnahme im Rahmen des Regresses problemlos eingeführt werden, denn das schuldige Glied kann direkt in Anspruch genommen werden, und es stellt keine Gefahr des Steckenbleibens des Regresses
dar, dass die Zwischenglieder für den Mangel nicht verantwortlich sind und deswegen als Regressschuldner nicht in Betracht kommen können. Aus Art. 4 RL ergibt sich nicht, dass der Letztverkäufer unmittelbar das für die Vertragswidrigkeit
verantwortliche Glied belangen können muss. Die Einführung einer direkten Haftung ist nicht gefordert353, aber auch nicht verboten.354 Hinsichtlich des Verantwortungsprinzips will aber Art. 4 vermeiden, dass die Haftung bei einem für den
Mangel nicht verantwortlichen Glied stecken bleibt. Und dies muss sichergestellt
sein, auch wenn sich der nationale Gesetzgeber gegen eine unmittelbare Haftung
des verantwortlichen Gliedes und für einen Stufenregress – also über die bestehenden Vertragsverhältnisse – entscheidet. Beim Stufenregress kann aber der
Letztverkäufer (sowie jedes andere Kettenglied) nur seinen unmittelbaren Vertragspartner in Regress nehmen. Dieser wird aber wohl – und vor allem bei längeren Ketten – nicht der Mangelverursacher sein. Es ist also davon auszugehen,
dass Art. 4 keine Kausalität des Verhaltens gerade des unmittelbaren Vertragspartners des Letztverkäufers für die Vertragswidrigkeit der Sache verlangt. Vorausgesetzt wird nur, dass irgendein Dritter (Hersteller, Vorverkäufer, andere Zwischenperson) die Vertragswidrigkeit verursacht hat.355 Beim gegenteiligen Verständnis von Art. 4 RL356 würde der Regress im Falle einer Stufenregresslösung
überhaupt nicht stattfinden können, wenn der Vertragspartner des Letztverkäufers
nicht der Verantwortliche war. Und die Meinung von Magnus, dem Letztverkäu-
353 a.A. Kontogianni, KritE 2000/2, 145 (183 ff.).
354 Ebenso Dutta, ZHR 171 (2007), 79 (82).
355 Im Ergebnis ebenso Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, § 26, Rn. 762.
356 So Magnus, in: FS Siehr, S. 429 (438 f.).
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fer verblieben stets seine „normalen“ Kaufgewährleistungsansprüche und deswegen sei dieses Ergebnis nicht zu beanstanden357, übersieht die Gründe, welche die
Einführung einer besonderen Regressregelung notwendig machten, nämlich die
sog. Regressfallen, die eine Inanspruchnahme des Lieferanten vom Letztverkäufer verhinderten.
Es ist also zwischen Haftungsverursachern und Haftungsadressaten zu unterscheiden.358 Erstere müssen endgültig haften; bei ihnen endet die in eine Regresskette verwandelte Absatzkette. Letztere brauchen nicht für den Mangel verantwortlich zu sein; sie sind eine Art „Brücke“, die die Haftung zum Verantwortlichen weiterleitet. Ihre Inanspruchnahme, die sie auch zum Regress berechtigt,
wird dadurch gerechtfertigt, dass auch im Verhältnis zu ihrem Abnehmer eine
Vertragswidrigkeit bestand, m.a.W. dass sie die Vertragswidrigkeit im Verhältnis
zu ihrem Vertragspartner „mitverursacht“ haben, indem sie ihm die mangelhafte
Ware (auch wenn in Unkenntnis der Mangelhaftigkeit) verkauften.
d. Der Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten
Außer den von der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen, oben geschilderten Regressvoraussetzungen scheinen die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung der Rückgriffsrechte frei zu sein. Nach Art. 4 Abs. 2 RL bestimmt das innerstaatliche
Recht den oder die Haftenden, den oder die der Letztverkäufer in Regress nehmen
kann, sowie das entsprechende Vorgehen und die Modalitäten. Welche Mindestanforderungen Art. 4 Abs. 1 RL setzt, die die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung der Rückgriffsrechte beachten müssen, ist wegen des Wortlauts von Art. 4
Abs. 1 RL nicht eindeutig. Dort heißt es, der Letztverkäufer könne aufgrund einer
Vertragswidrigkeit infolge eines Handelns oder Unterlassens des Herstellers,
eines früheren Verkäufers oder einer anderen Zwischenperson den oder die Haftenden innerhalb der Vertragskette in Regress nehmen. Gerade diese nicht zwingende Formulierung hatte zu der Meinung geführt, Art. 4 bedürfe keiner speziellen Umsetzung, denn er verlange nur eine „irgendwie geartete Rückgriffsmöglichkeit“, die schon nach den bisherigen Gewährleistungsrechten bestehe. Diese
Ansicht wird aber abgeschwächt, wenn man Erwägungsgrund 9 berücksichtigt,
nach dem der Verkäufer nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts den Hersteller, einen früheren Verkäufer oder eine andere Zwischenperson in Regress nehmen können muss. Und diese strengere Fassung ist auch in der Formulierung von
Art. 4 RL in anderen Sprachen zu finden. „The final seller shall be entitled (=soll
berechtigt sein) to pursue remedies...“, heißt es auf englisch oder „le vendeur final
a le droit (=hat das Recht) de se retourner contre...“ auf französisch; „? 20)"
??2" /????? (=ist berechtigt) ?? 12!??0 ?2 2?? ??0?*??? 2??
??0?*???…“ auf griechisch. Aus diesen Versionen ergibt sich viel klarer ein
357 Wie oben.
358 s. auch Höpker, Verkäuferregress, S. 30.
94
Recht des Letztverkäufers, Regress nehmen zu können. Da aber der EuGH dem
Wortlaut wegen der grundsätzlichen Gleichrangigkeit der verschiedenen Textfassungen keine entscheidende Bedeutung beimisst359, bleibt die Reichweite von
Art. 4 RL auch nach der Berücksichtigung seiner Formulierung in anderen Sprachen unklar. Fest steht lediglich, dass die von dem nationalen Recht zu bestimmenden Regressschuldner in der Vertragskette stehen müssen und dass das Vorgehen, nämlich die Rechtsbehelfe, die Klagen, („les actions“, „relevant actions“,
„1?02" ??"“) und die Modalitäten (d.h. die Voraussetzungen der gerichtlichen oder außergerichtlichen Regressnahme, m.a.W. der Geltendmachung der
Regressrechte, wie z.B. die Frist) dem Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten
überlassen sind.
Dieser auf den ersten Blick weitgefasste Spielraum der Mitgliedstaaten ist aber
weniger groß, als er erscheint360, denn er findet seine Grenze in dem zur ständigen
Rechtsprechung des EuGH gehörenden effet-utile-Prinzip361, welches verlangt,
dass die von einer Gemeinschaftsnorm gesetzten Ziele durch die jeweils angewandten Maßnahmen mit Gewissheit verwirklicht werden.
aa. Der effet-utile-Grundsatz in der Rechtsprechung des EuGH
Die Heranziehung des effet-utile-Grundsatzes kann dazu beitragen, die Tragweite
des Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten zu konkretisieren und herauszufinden, wozu Art. 4 RL sie verpflichtet. Dieser Grundsatz ist vom EuGH weiterentwickelt und in verschiedenen – und unterschiedlichen – Fällen herangezogen
worden.362 Nach dem EuGH-Verständnis des Grundsatzes sei diejenige Auslegung einer Norm zu wählen, durch welche die Ziele des Gemeinschaftsrechts
möglichst effektiv verwirklicht und die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft sichergestellt wird.363 Der effet utile (als „nützliche Wirkung“ oder „praktische
Wirksamkeit“ ins Deutsche übersetzt364) wird also vom EuGH im Gegensatz zu
359 Vgl. EuGH, Rs. 219/95, Slg. 1997, I-4411 ff.; Rn. 12 ff. (Ferriere Nord/Kommission);
Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 EGV, Rn. 12.
360 So auch Roth, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 225 (249).
361 Dieses Prinzip ist jedoch keine Erfindung des EuGH; es geht um eine sehr alte Auslegungsregel, die besagt, dass man Gesetze, internationale Verträge aber auch Rechtsgeschäfte im Zweifel so auslegt, dass sie ihre Wirksamkeit entfalten. Näher dazu Honsell,
in: FS Krejci, Bd. II, S. 1929 (1930 ff.).
362 EuGH Rs. 9/70 (Leberpfennig), Slg. 1970, 825, Rn. 5; Rs. 41/74 (Van Duyn), Slg. 1974,
1337, Rn. 12; Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497; Rs. 246/80 (Broekmeulen), Slg. 1981,
2311, Rn. 16; verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357, Rn. 32; Rs.
C-180/95 (Draehmpaehl), Slg. 1997, I-2195; Rs. C-144/99 (Kommission gegen Niederlande), Slg. 2001, I-3541.
363 Honsell, in: FS für Krejci, Bd. II, S. 1929 (1933); Oppermann, Europarecht, § 6, Rn. 70.
364 Zur Verwendung synonymer Begriffe in der Rechtsprechung des EuGH s. Streinz, in: FS
Everling, Bd. II, S. 1491 (1495 f.).
95
seiner ursprünglichen Funktion nicht nur in Zweifelsfällen oder für die Bekämpfung einer Auslegung herangezogen, die die Norm gegenstandslos macht.365 Viele
feste Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, wie sein Vorrang vor dem nationalen
Recht366 oder die unmittelbare Wirkung von Richtlinien367 sowie die Staatshaftung bei nicht fristgerechter oder fehlerhafter Umsetzung von Richtlinien368, sind
– u.a. oder ausschließlich – mit dem effet utile begründet worden.369 Für die Umsetzung von Richtlinien gebietet der effet-utile-Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten innerhalb der ihnen nach Art. 249 Abs. 3 EGV belassenen Entscheidungsfreiheit die Formen und Mittel wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen
Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen
verfolgten Zwecks am besten eignen.370 Das effet-utile-Argument ist insofern mit
der teleologischen Auslegung verwandt.371
Da die Richtlinie gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV hinsichtlich des zu erreichenden
Zieles verbindlich ist, muss zuerst dieses ermittelt werden, und dann haben die
Mitgliedstaaten bei der Wahl der Form und der Mittel diejenigen zu ergreifen, die
für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie am besten
geeignet sind. Durch den effet-utile-Grundsatz strebt der EuGH die Erreichung
der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts im konkreten Fall und nicht
„eine größtmögliche Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse“372 an.
bb. Seine Bedeutung für die Ausgestaltung des Regresses
Im Fall von Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, dessen Regelungsbefehl
umstritten ist, kann der „effet-utile-Grundsatz“ zur Bestimmung der Reichweite
des Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten beitragen; m.a.W. der (weitgehende) Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten findet seine Grenze im „effetutile-Grundsatz“.373
365 Honsell, in: FS Krejci, Bd. II, S. 1929 (1930).
366 EuGH, Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629, Rn. 19/29, 21/23.
367 EuGH, Rs. 8/81 (Becker/Finanzamt Münster), Slg. 1982, 53, Rn. 23 ff.
368 EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich), Slg. 1991, I-5357, Rn. 33 ff.
369 Der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien liegt z.B. die Überlegung zugrunde, die praktische Wirksamkeit (effet utile) einer RL würde erheblich beeinträchtigt, wenn es jeder
Mitgliedstaat in der Hand hätte, den Eintritt der von der RL beabsichtigten Rechtswirkungen dadurch hinauszuzögern oder ganz zu vereiteln, dass er die RL in innerstaatliches
Recht unzureichend oder überhaupt nicht umsetzt; s. Streinz, Europarecht, Rn. 444.
370 EuGH, Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, 497, Rn. 69/73.
371 s. Streinz, Europarecht, Rn. 570 und 798; Honsell, in: FS Krejci, Bd. II, S. 1929 (1933).
372 So die Ausführungen des BVerfG in der Maastricht-Entscheidung (BverfGE 89, 155, 210).
Vgl. dazu Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 220 EGV, Rn. 29 m.w.N.
373 So auch Schmidt-Kessel, ÖJZ 2000, 668 (671), der von „viel engeren“ Umsetzungsspielräumen spricht; Roth, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 225 (249).
96
Nach einem Verständnis von Art. 4 genüge eine „irgendwie geartete Rückgriffsmöglichkeit“, und daher sei ein besonderer Umsetzungsakt für diesen Artikel nicht erforderlich.374 Diese Meinung ist jedoch nicht stichhaltig, denn eine
„irgendwie geartete Rückgriffsmöglichkeit“ bestand in allen Mitgliedstaaten
schon vor dem Erlass der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. In allen nationalen
Rechten waren Gewährleistungsrechte für den Fall einer Mangelhaftigkeit der
Kaufsache vorgesehen, die auch der Letztverkäufer gegen seinen Lieferanten geltend machen konnte. Wenn man also eine „irgendwie geartete Rückgriffsmöglichkeit“ für ausreichend hält, macht man Art. 4 RL zu einer nichtssagenden,
lediglich feststellenden Norm, was sich nach allgemeinen Auslegungsregeln und
nicht nur nach der effet-utile-Maxime verbietet. In diesem Fall wäre Art. 4 RL tatsächlich ein „inhaltloses Postulat“.375 Sicherlich wollte der Richtliniengeber aber
durch die Einführung von Art. 4 mehr als „irgendeine Rückgriffsmöglichkeit“
erreichen. Er hat beabsichtigt, den Letztverkäufer über die schon bestehenden
Gewährleistungsansprüche hinaus zu schützen, weil bereits klar war, dass diese
sehr oft zum Scheitern des Regresses führen. Und wegen der größeren Belastung
des Letztverkäufers durch die von der RL eingeführten verstärkten Verbraucherrechte war die Sicherstellung des Regresses jetzt dringlicher denn je.
Einer anderen Ansicht zufolge sei nach Art. 4 RL lediglich eine Anpassung der
Gewährleistungsfrist auch im Fall des Handelskaufs geboten.376 Durch diesen
Gleichlauf der Verjährung im Verbrauchsgüterkauf und Handelskauf sei nach den
Vertretern dieser Auffassung den Anforderungen von Art. 4 Genüge getan. Diese
Anpassung der Frist reicht jedoch nicht aus, denn der Regress würde wegen des
unterschiedlichen Verjährungsbeginns auch bei der kürzesten Zwischenlagerung
scheitern. Der Zweck von Art. 4 ist, dass der Letztverkäufer nicht endgültig haftet, wenn er selbst für die Vertragswidrigkeit nicht verantwortlich ist. Nach dem
effet-utile-Prinzip ist eine Norm so zu interpretieren, dass sie ihre volle Wirksamkeit entfaltet. Bei einem Gleichlauf der Verjährungsfrist entfaltet jedoch Art. 4
seine volle Wirksamkeit nicht, denn der Regress kann wegen eventueller (und oft
unvermeidlicher) Zwischenlagerungen scheitern, und das heißt, dass der Letztverkäufer die Last für einen von ihm nicht verursachten Mangel endgültig tragen
muss.377 Auch diese Ansicht ist also im Hinblick auf den effet utile von Art. 4 RL
abzulehnen.
Der effet utile gebietet die Schaffung eines effektiven Rückgriffsrechts. Das
Ziel von Art. 4 RL, nämlich zu vermeiden, dass der Letztverkäufer endgültig die
Verantwortung für Mängel übernehmen muss, die auf das Verhalten Dritter
zurückzuführen sind378, wird nur dann erreicht, wenn die Entlastung des Letztver-
374 Staudenmayer, NJW 1999, 2393 (2396); Ehmann/Rust, JZ 1999, 853 (862); Tonner, BB
1999, 1769 (1772 f.); Schmidt-Räntsch, ZIP 1998, 849 (850); Rieger, VuR 1999, 287 (291).
375 Schlechtriem, ZSR 1999, 335 (356) .
376 Schmidt-Räntsch, ZIP 2000, 1639 (im Gegensatz zu seiner früheren Ansicht in: ZIP 1998,
849 (850)); Reich, NJW 1999, 2397 (2400 f.); Medicus, ZIP 1996, 1925 (1928); Magnus,
in: FS Siehr, S. 429 (440); Pouliadis, KritE 2000/1, 47 (61 f.).
377 So auch Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 (1423).
378 Vgl. die Begründung des Kommissionsvorschlags, ZIP 1996, 1845 (1851).
97
käufers in jedem Fall von fremdverursachter Vertragswidrigkeit gewährleistet
wird. So wird Art. 4 RL überwiegend verstanden379; nach der herrschenden Meinung seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, dem Letztverkäufer eine effektive
Rückgriffsmöglichkeit sicherzustellen. Der Regressweg muss dem Letztverkäufer so lange offen stehen, wie er selbst von einer Inanspruchnahme durch seinen
Abnehmer, den Verbraucher, bedroht ist.380 Aus Gerechtigkeitsgründen kann dem
Letztverkäufer jedoch kein unendlicher Schutz eingeräumt werden.381 Auch der
Gedanke, die Regressregelung diene mittelbar auch dem Verbraucherschutz,
spricht für das Erfordernis eines effektiven Letztverkäuferrückgriffs.
Trotz des weitreichenden Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten nach Art.
4 Abs. 2 RL sind also diese bei der Gestaltung des Regressrechts nicht völlig frei,
denn sie müssen dem Ziel von Art. 4 genügen und ein effektives Regressrecht
schaffen. Der Ausschluss des Rückgriffs, wenn den Lieferanten kein Verschulden
trifft, lässt sich – wenigstens im stufenweisen Regresssystem (im Gegensatz zur
Durchgriffslösung) – mit dem Gebot der Effektivität des Regresses nicht vereinbaren.382 Der Letztverkäufer könnte beim verschuldensabhängigen Regressrecht
die Gewährleistungskosten nicht überwälzen, wenn sein Vertragspartner die
Mangelhaftigkeit nicht zu vertreten hätte. Eine andere Frage ist aber, ob die Geltendmachung bestimmter Ansprüche vom Verschulden abhängig sein darf. Dies
hängt mit den Grundsätzen der innerstaatlichen Rechten zusammen, welche die
RL nicht beeinträchtigen wollte. Das Verschuldenserfordernis darf jedoch den
Regressweg nicht völlig sperren.383
Nach dem effet-utile-Grundsatz müssen also die nationalen Gesetzgeber alle
Maßnahmen zur vollständigen Wirksamkeit von Art. 4 RL ergreifen. Da Art. 4 die
Sicherstellung des Verkäuferregresses bezweckt, sind die sog. Regressfallen
weitgehend zu verhindern. Art. 4 bedurfte keines besonderen Umsetzungsaktes
379 Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 (1423); dies., ZIP 2000, 1812 (1815); dies., ZIP 2001, 1389
(1393 ff.); Gsell, JZ 2001, 65 (73); Jud, ZfRV 2001, 201 (203); dies., ÖJZ 2000, 661 (662);
dies., ÖJZ 1997, 441 (448); Höpker, Verkäuferregress, S. 23 ff.; Lehmann, JZ 2000, 280
(290); Micklitz, EuZW 1999, 485 (490); Roth, in: Grundmann u.a. (Hrsg.), Europäisches
Kaufgewährleistungsrecht, S. 113 (120); ders., in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 225 (250); Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 77 ff.; Dutta, ZHR 171 (2007), 79 (81); Kölmel, Das Regressrecht bei internationalen Lieferketten, S. 231 f.
380 So auch Papanikolaou, in: Papanikolaou u.a., Das neue Recht der Verkäuferhaftung, Rn.
180, der jedoch nicht von Effektivität des Regresses, sondern von der Notwendigkeit, das
Regressrecht „aktiv zu halten“, spricht. Lediglich die Verjährung der Letztverkäuferrechte
vor seiner Inanspruchnahme durch den Verbraucher solle nach Ansicht von Papanikolaou
durch eine geeignete Regelung vermieden werden.
381 Vgl. Nguyen, Der Rückgriff des Unternehmers, S. 35.
382 Bridge, in: Grundmann/Bianca, EU-Kaufrechtsrichtlinie, Art. 4, Rn. 29; Lehmann, JZ
2000, 280 (290); Roth, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und
Schuldrechtsreform S. 225 (253 f.); Ehmann/Rust, JZ 1999, 853 (863).
383 Zu dieser Problematik kommen wir wieder im Rahmen der Auseinandersetzung mit der
Frage nach dem Umfang des Regresses und der Weiterleitung der Handelsspanne zurück;
s. unten unter VI. und vor allem VI.1.c.bb.
98
nur in den Mitgliedstaaten, in denen ein effektiver Regress schon vor dem Erlass
der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie abgesichert war. Deutschland und Griechenland gehören aber nicht zu diesen Staaten.384 Wegen der bestehenden Regressfallen konnte der Regress nach ihren nationalen Rechten nicht als „effektiv“
bezeichnet werden. Deswegen waren die nationalen Gesetzgeber verpflichtet,
durch geeignete Regelungen die Effektivität des Regresses zu gewährleisten.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Regress in keinem Fall vereitelt werden
darf. Gewisse Schranken des Regresses sind selbst der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie immanent.385 Ein erstes Beispiel ist die in Erwägungsgrund 9 ausdrücklich
vorgesehene Abdingbarkeit der Regressrechte. Dort wird klargestellt, dass der
Verkäuferregress die Vertragsfreiheit nicht berührt. Die Richtlinie verbietet also
die vertragliche Gestaltung oder sogar den Ausschluss der Regressrechte nicht.
Außerdem gebietet Art. 4 die Gewährleistung des Regresses lediglich für die
Überwälzung der Kosten, die beim Letztverkäufer wegen der Geltendmachung
eines der in der Richtlinie vorgesehenen Gewährleistungsrechte durch den Verbraucher entstanden sind.386
cc. Einzelfragen
Die Annahme, dass Art. 4 RL die Gewährleistung eines effektiven Regresses erfordert und dass die nationalen Gesetzgeber in diese Richtung tätig werden müssen, beantwortet jedoch nicht alle Fragen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Regresses. Zu klären bleiben noch folgende Probleme:
i) Durchgriffslösung versus Stufenlösung
Das im Grünbuch vorgesehene Modell der unmittelbaren Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher hat – wie gesagt – in die Richtlinie keinen Eingang gefunden. Die Mitgliedstaaten sind demnach nicht verpflichtet, eine direkte Herstellerhaftung gegenüber dem Verbraucher einzuführen. Art. 4 RL gebietet auch
keinen Direktdurchgriff gegen das verantwortliche Kettenglied zu Gunsten des
Letztverkäufers. Art. 4 Abs. 2 RL überlässt die Wahl des Regressschuldners den
Mitgliedstaaten. Damit lässt sich eine Pflicht zur Einführung einer Direkthaftung
zu Gunsten des Letztverkäufers nicht vereinbaren. Worauf Kontogianni387, die in
384 Nach Schulze Steinen, IHR 2003, 212 (220, 223) stellt Finnland einen solchen Staat dar;
da seien weitere Maßnahmen zur Umsetzung von Art. 4 nicht notwendig. Derselben Meinung war offenbar auch der englische Gesetzgeber, da in den „Regulations“ vom Jahre
2002 keine eigenständige Regressregelung enthalten ist; dazu Sobich, RIW 2003, 740
(745).
385 Vgl. Höffe, Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und Schadensersatz, S. 79 f.
386 s. Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 79.
387 Kontogianni, KritE 2000/2, 145 (185).
99
Art. 4 RL eine Abweichung vom Relativitätsgrundsatz zu Gunsten des Letztverkäufers sieht und ein Recht des Letzteren zur unmittelbaren Inanspruchnahme des
Verantwortlichen annimmt, ihre Meinung stützt, ist nicht klar. Ein solches Verständnis von Art. 4 ist wegen seines klaren Wortlauts – wenigstens – in diesem
Punkt nicht haltbar. Außerdem spricht die in Erwägungsgrund 9 niedergelegte
Nichtberührung der Vertragsfreiheit durch den Regress gegen die Pflicht zur
Schaffung eines Direktanspruchs. Denn nur beim Regress innerhalb der bestehenden Vertragsbeziehungen können die Parteien ihre Vertragsgfreiheit nutzen, indem sie den Rückgriff gestalten, z.B. bestimmte Regressvoraussetzungen oder
Rechtsfolgen vereinbaren.388 Für einen richtlinienkonformen Letztverkäuferregress reicht also ein mittelbarer Rückgriff über die einzelnen Glieder der Absatzkette (sog. Stufenlösung) aus. Art. 4 RL verhindert aber eine unmittelbare Haftung des Herstellers nicht.389 Und gerade dies kann zur Entstehung neuer Wettbewerbsverzerrungen führen, denn auch nach der Umsetzung von Art. 4 können in
den Mitgliedstaaten gänzlich unterschiedliche Regressmodelle gelten.390
ii) Reicht die Sicherstellung lediglich eines Letztverkäuferregresses aus?
Art. 4 RL sieht nur einen Regress des Letztverkäufers vor. Aus seinem Wortlaut
lässt sich nicht ableiten, dass die Mitgliedstaaten die Regressmöglichkeit aller
Glieder der Absatzkette sicherstellen müssen. Eine Umsetzung von Art. 4 RL, die
nur dem Letztverkäufer den Weg des Regresses öffnet, würde aber das Problem
nur um eine Handelsstufe verschieben391, denn der Regress würde wieder bei
einem „Unschuldigen“ stecken bleiben, wenn nicht der Vormann des Letztverkäufers die Vertragswidrigkeit verursacht hat. Und dieses Ergebnis lässt sich mit
dem Verantwortungsgrundsatz nicht vereinbaren, denn am Ende würde nicht der
Mangelsverursacher für die Vertragswidrigkeit haften. Art. 4 RL stellt natürlich
klar, dass der Letztverkäufer nicht endgültig haften soll; aus seinem Wortlaut ergibt sich jedoch nicht, dass der tatsächlich Verantwortliche letztlich haften muss.
388 vgl. dazu Dauner-Lieb, in: Abels/Lieb (Hrsg.), AGB und Vertragsgestaltung, S. 89 (97).
389 So auch Magnus, in: FS Siehr, 429 (439).
390 Der italienische Gesetzgeber z.B. hat zur Umsetzung von Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie den Weg einer Durchgriffslösung beschritten. Obwohl das Prinzip der Relativität
der Schuldverhältnisse auch in Italien verankert ist, kann nunmehr der Letztverkäufer nach
Art. 1519 quinquies Codice Civile nach Inanspruchnahme durch den Verbraucher unmittelbar das für die Vertragswidrigkeit verantwortliche Glied der Lieferkette zur Verantwortung ziehen. Eingehend dazu Wind, Der Lieferanten- und Herstellerregress, S. 184 ff.
391 Magnus, in: FS Siehr, 429 (432); Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 221; denselben
Gedanken findet man bei Dellios, Verbraucherschutz und System des Privatrechts, Bd. II,
S. 236 f. – wenn auch nicht in Bezug auf die Umsetzung von Art. 4, sondern auf die Notwendigkeit der Ausdehnung der AGB-Kontrolle auf alle Rechtsverhältnisse der Absatzkette im griechischen Recht.
en Wortlauts – we igstens – in di sem
ii) Reicht die Sicherstellung lediglich eines Letztverkäuferregresses aus?
Art. 4 RL sieht nur einen Regress des Letztverkäufers vor. Aus seinem Wortlaut
lässt sich nicht ableiten, dass die Mitgliedstaaten die Regressmöglichkeit aller
Glieder der Absatzk tte sicherstellen müssen. Eine Umsetzung von Art. 4 RL, die
nur dem Letztverkäuf r den Weg des Regresses öffn t, wü de aber das Problem
nur um eine H ndelsstufe verschieben391, denn der R gress würde wieder bei
einem „Unschuldigen“ st cken bleiben, w nn nicht der Vorm nn des Letztv rkäufers die Vertragswidrigkeit verursacht hat. Un dies s Ergebnis lässt sich mit
dem Vera twortun sgrundsatz nicht vereinbare , denn am Ende würde nich der
Mangelsv rursacher für die Vertragswidrigkeit haften. Art. 4 RL tellt natürlich
klar, dass der Letztverkäufer nicht endgültig haften soll; aus seinem Wortlaut ergibt sich j doch nicht, dass der tatsächlich Verantwortliche letztlich haften muss.
S. 236 f. – wenn auch nicht in Bezug auf die Umsetzung von Art. 4, sondern auf die Not-
100
Dies folgt aber aus den Begründungen zu den Richtlinienentwürfen.392 Nach dem
Verantwortungsprinzip soll derjenige endgültig haften, der die Vertragswidrigkeit
verursacht hat. Obwohl es sich also aus dem Wortlaut von Art. 4 RL nicht ableiten
lässt, soll eine „vernünftige“393 Umsetzung der Regressregelung allen Gliedern
der Absatzkette die Möglichkeit der Regressnahme gewähren, solange sie für einen Mangel haften394, den sie nicht verursacht haben. Eine Regressmöglichkeit
nur des Letztverkäufers würde sein Problem lösen, aber genau dasselbe bei seinem Vormann herbeiführen, wenn eine in der Absatzkette vorangehende Person
für den Mangel verantwortlich ist. Trotz des dafür nicht aussagekräftigen Wortlauts von Art. 4 RL steht das wirtschaftspolitische Ziel einer sinnvollen Allokation der Gewährleistungskosten bei dem für den Mangel Verantwortlichen hinter
dieser Vorschrift und spricht für eine Ausdehnung des Regresses auf die gesamte
Absatzkette.
iii) Die Reichweite der Abdingbarkeit
Die Abdingbarkeit der Regressregelung hat – wie schon erwähnt – für großen
Streit unter den Gemeinschaftsorganen gesorgt. Art. 4 RL erwähnt den Verzichtsvorbehalt nicht, dieser ist aber in Erwägungsgrund 9 ausdrücklich vorgesehen.
Darüber hinaus wird dort klargestellt, dass die Richtlinie den Grundsatz der Vertragsfreiheit in den Beziehungen zwischen dem Verkäufer, dem Hersteller, einem
früheren Verkäufer oder einer anderen Zwischenperson nicht berührt. Dies bedeutet, dass die Vertragspartner die Regressrechte vertraglich gestalten und sogar
ausschließen können. Diese Möglichkeit entspricht auch den Erfordernissen der
Flexibilität und der prinzipiellen Selbstverantwortlichkeit in den Rechtsverhältnissen zwischen Gewerbetreibenden. Nach Erwägungsgrund 9 und auch wegen
des in Art. 4 Abs. 2 RL vorgesehenen Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten
zur Bestimmung des Vorgehens und der Modalitäten des Regresses sowie nach
einem Umkehrschluss aus Art. 7 Abs. 1 RL könnte von einer allgemeinen Zulässigkeit der Regressabdingbarkeit nach der RL ausgegangen werden, d.h. davon,
dass die Richtlinie die Abbedingung des Regresses sowohl durch Individualvereinbarungen als auch in AGB erlaubt.395 Diese sich aus dem Wortlaut ergebende
Möglichkeit der gänzlichen Abdingbarkeit der Regressrechte verstößt aber gegen
den effet utile von Art. 4 RL. Durch sie wird die auf Ausschlussklauseln zurückzuführende Regressfalle nicht beseitigt, sondern besteht weiter. Schon in der Be-
392 Vgl. KOM (95) 520 endg., S. 15; v. Sachsen Gessaphe, RIW 2001, 721 (733) spricht von
dem „von Art. 4 Verbrauchsgüter-Richtlinie anvisierten Rücklauf bis zu dem für den Sachmangel verantwortlichen Glied der Kette“.
393 So Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 84 f.
394 In dem oben – unter bb. ii) ?. – angenommenen Sinne.
395 Vgl. aber v. Sachsen Gesspahe, RIW 2001, 727 (728); dens., in: FS Sonnenberger, S. 99
(112), der für formularmäßige Beschränkungen die Idee des seitengleichen Regresses vertritt.
101
gründung des Richtlinienvorschlags396 wurden Haftungsausschlussklauseln als
Gründe unerwünschter Regressfallen erachtet. Der Umsetzungsgesetzgeber muss
also im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums bestimmen, welche
Ausschlussklauseln unzulässig sein sollen, denn eine generelle Abdingbarkeit
des Regresses wirkt gegen die Effektivität der Regressnahme.
Natürlich muss die Dispositionsfreiheit zwischen – den im Vergleich zu den
Verbrauchern erfahreneren – Gewerbetreibenden weitgehender sein; es ist aber
nicht zu vergessen, dass die Regressregelung von Art. 4 vom Modell eines schutzbedürftigen Letztverkäufers ausgeht. Und gerade dem Zweck, ihn effektiv vor
einer endgültigen Haftung für von ihm nicht verursachte Mängel zu schützen,
wird durch die Möglichkeit einer völligen Abbedingung des Regresses nicht
Genüge getan. Deswegen muss angenommen werden, dass sich aus dem effet
utile von Art. 4 RL noch eine Grenze des Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten ergibt; die nationalen Gesetzgeber müssen nämlich auch Fälle bestimmen,
in denen ein Auschluss des Regresses unzulässig ist. Und dies hängt mehr vom
Inhalt der Vertragsklauseln ab als von ihrer Form als formularvertragliche oder
individuelle Vereinbarungen.397 Krasse Fälle des Regressausschlusses, in denen
die Auferlegung der Klausel durch den mächtigeren Vertragspartner offensichtlich ist und dem Letztverkäufer kein Ausweg bleibt, sind daher auf jeden Fall für
unzulässig zu erklären. Durch welche Rechtsinstrumente dies geschehen wird
(z.B. mittels der AGB-Kontrolle, durch Heranziehung der allgemeinen Sittenwidrigkeitsklausel oder durch Einführung einer speziellen, die Nichtigkeit vorsehenden Norm), ist eine Frage, welche die nationalen Gesetzgeber zu beantworten
haben.
iv) Der Umfang des Rückgriffs
Eine weitere Frage hinsichtlich der Ausgestaltung des Regresses ist sein Umfang.
Aus Art. 4 RL ergibt sich nicht, ob der Letztverkäufer Regress in vollem Umfang
nehmen können soll, d.h. ob er den gesamten wirtschaftlichen Nachteil aus der
Gewährleistung überwälzen können soll. Viele Autoren (u.a. unter Heranziehung
des effet utile von Art. 4 RL398 oder des durch ihn erzielten mittelbaren Verbraucherschutzes399) nehmen die Notwendigkeit eines Regresses in vollem Umfang
396 Veröffentlicht in: ZIP 1996, 1845 (1851).
397 So auch Höpker, Verkäuferregress, S. 23.
398 So Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410 (1422); dies., ZIP 2000, 1812 (1815); dies., ZIP 2001, 1389
(1396); Gsell, JZ 2001, 65 (73); Schumacher, Der Lieferantenregress, S. 77 ff.; auch Höpker, Verkäuferregress, S. 40 f. zieht das Effektivitätsprinzip heran, hält aber im Ergebnis
die Weiterleitung der Hauptlast aus einer fremdverursachten Gewährleistungshaftung für
ausreichend. Welche ist jedoch die „Hauptlast“?
399 Roth, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform,
S. 225 (254, Fn. 90).
102
an.400 Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Sache in den meisten Fällen innerhalb der Vertragskette zu unterschiedlichen Preisen verkauft wird, weil jeder
Händler einen Geschäftsgewinn erzielt.401 Wenn die Notwendigkeit zur Überwälzung des gesamten Nachteils angenommen würde, hieße dies, dass der Letztverkäufer auch seinen verlorenen Gewinn, die sogenannte Handelsspanne, zurückwälzen könnte, was das Risiko für die Glieder der Kette unkalkulierbar machen
würde, denn die Höhe ihrer Haftung wäre vom erzielten Kaufpreis im Vertrag ihres Abnehmers mit einem weiteren Käufer abhängig.402 Eine so weitgehende
Rechtsunsicherheit zu Lasten der oberen Glieder der Vertriebskette ist eher zu
vermeiden. Auf der anderen Seite sehen die Befürworter eines den gesamten Aufwand umfassenden Regresses gerade im Verlust der Handelsspanne eine drohende Haftungsfalle.403
Weder Satz 1 noch Satz 2 von Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bieten
Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage nach dem Regressumfang. S. 1 besagt
nicht, worauf der Letztverkäufer soll einen früheren Verkäufer oder eine andere
Zwischenperson in Regress nehmen können. Außerdem sind nach S. 2 die Modalitäten des Regresses den Mitgliedstaaten überlassen. Das „Wie“ der Regressnahme ist nämlich eine Frage der nationalen Rechte (s. auch Erwägungsgrund 9).
Im deutschen und griechischen Recht scheitert z.B. die Weiterleitung der
Gewinnverluste meist am fehlenden Verschulden, denn die verlorene Handelsspanne kann grundsätzlich durch einen Schadensersatzanspruch verlangt werden.404 Der Schadensersatzanspruch wird jedoch von der RL nicht erfasst. Die in
ihr enthaltenen Rechtsbehelfe sind aber ungeeignet, die Überwälzung der entgangenen Handelsspanne sicherzustellen. Eine Pflicht zur Einführung eines besonderen, verschuldensunabhängigen Rechtsbehelfs kann auch nicht angenommen
werden. Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie stellt klar, dass die durch sie
angestrebte Angleichung die Bestimmungen und die Grundsätze des innerstaatlichen Rechts über die vertragliche und außervertragliche Haftung nicht beeinträchtigen soll.
Vor allem in diesem Punkt ist also auf eine Entscheidung des EuGH zu warten,
von dessen Antwort die Richtlinienkonformität der meisten nationalen Regresslösungen abhängt.
400 Lehmann, JZ 2000, 280 (290); Gsell, JZ 2001, 65 (73); Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389 (1396);
Roth, in: Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform,
S. 225 (250 und 253 f.); Nguyen, Der Rückgriff des Unternehmers, S. 37 ff.; Schumacher,
Der Lieferantenregress, S. 77 ff.
401 s. auch Lehmann, JZ 2000, 280 (290) („Jedes Glied der Absatzkette versucht seinen eigenen Profit zu maximieren“).
402 Vgl. die Argumente von Jud, ÖJZ 2000, 661 (668); dies., ZfRV 2001, 201 (211 f.).
403 Ernst/Gsell, ZIP 2001, 1389 (1396).
404 Nach der Kaufrechtsreform wurde in das deutsche Recht ein besonderer Anspruch (der
Aufwendungsersatzanspruch von § 478 Abs. 2 BGB) eingeführt, der – mittelbar – auch
zur Erhaltung der Handelsspanne beiträgt. Dazu ausführlich unter VI.1.a. sowie VI.1.c.
103
e. Schlussbemerkung
Wie angenommen wurde, verlangt Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie die
Gewährleistung eines effektiven Regresses – dem Wortlaut zufolge lediglich des
Letztverkäufers, aber nach richtiger (und herrschender) Auslegung der Regelung
jedes einzelnen Gliedes der Absatzkette. Ob Deutschland und Griechenland
durch die dort erfolgte Umsetzung von Art. 4 dieser Pflicht nachgekommen sind,
wird im zweiten Teil dieser Abhandlung untersucht. Vor der vergleichenden Darstellung der zwei nationalen Regresslösungen wird aber kurz auf die wichtigsten
Punkte der Implementierung der sonstigen Vorschriften der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in das deutsche und griechische Kaufrecht eingegangen (Kapitel III).
Dadurch wird ein besseres Verständnis der bezüglich der Regressfrage eingeschlagenen Wege ermöglicht.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Art. 4 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der den Rückgriff des Letztverkäufers im Fall einer von ihm nicht verursachten Mangelhaftigkeit der Sache gewährleisten will, überlässt den Mitgliedstaaten einen weiten Umsetzungsspielraum. Dies reizt zu einer rechtsvergleichenden Untersuchung, da das Optionenspektrum für die Ausgestaltung des Rückgriffs sehr breit ist. Wie der deutsche und griechische Gesetzgeber die genannte Richtlinienvorschrift ins nationale Recht umsetzten, ist Gegenstand dieses Werkes. Die Verfasserin stellt die Rückgriffsregelungen des BGB und des griechischen ZGB (AK) nebeneinander und gelangt zu interessanten Ergebnissen bezüglich ihrer Richtlinienkonformität und rechtspolitischen Richtigkeit.