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Vertragsparität zu bejahen, worunter insbesondere solche äußeren oder parteibezogenen Umstände fielen, die zumeist schon bei Vertragsschluss eine freie Willensbildung und damit die Richtigkeitschance der privatautonomen Regelung beeinträchtigen und die unter Rückgriff auf die Grundsätze von Treu und Glauben
zu korrigieren seien.482 Dabei sei eine ungleiche Verhandlungsmacht für sich genommen nicht ausreichend, sondern es müsse sich um einen Fall handeln, der typischerweise von existentieller Abhängigkeit geprägt sei.483 Eine solche existentielle Abhängigkeit sei dann zu bejahen, wenn es sich um eine langfristige Vertragsbeziehung handele, auf die eine Seite deshalb besonders angewiesen sei,
weil sie die Grundlage des Unternehmens darstellt und alternative Geschäftsbeziehungen nicht erreichbar sind.484 Die Angewiesenheit auf den Vertragsschluss
müsse die wirtschaftliche oder persönliche Existenz entscheidend berühren.485
IV. Zwischenergebnis
Den zitierten Urteilen und Literaturmeinungen ist gemeinsam, dass alle im
Grundsatz eine in verschiedenen Formen sich ausdrückende gestörte Vertragsparität voraussetzen, um bei einer individualvertraglichen Freizeichnung einen Verstoß gegen § 242 oder § 138 zu bejahen. Eine solchermaßen gestörte Vertragsparität liegt im Wesentlichen vor bei Ausnutzen einer Monopolstellung, einer Notlage oder einer wirtschaftlichen Machtstellung, mithin Situationen, in denen der
Vertragspartner keine andere Möglichkeit hat, als die vorgegebene Haftungsfreizeichnung zu akzeptieren, weil er existentiell auf den Vertragsschluss angewiesen
ist und das aufgebürdete Haftungsrisiko auch nicht durch andere Umstände, wie
z.B. den Abschluss einer Versicherung, abfedern kann. Außerdem muss die Lage
dazu ausgenutzt worden sein, um an sich unübliche Klauseln durchzusetzen, die
sachlich nicht gerechtfertigt erscheinen. Hinzukommende Elemente wie Überraschen oder Überwältigen tragen zu einer Ungleichgewichtslage bei, die zum Verstoß gegen Treu und Glauben führen kann.
Es handelt sich jedoch in den genannten Fällen stets um eine individuelle Prüfung
der zugrunde liegenden Umstände. Im Ergebnis lässt sich ein verallgemeinerungsfähiges Kriterium für Freizeichnungsklauseln in Individualvereinbarungen
482 MüKo/Roth § 242 Rn. 430.
483 Wellenhofer-Klein ZIP 1997, 774, 780; Zöllner AcP 196 (1996), 1, 33; im Ergebnis gegen
die Eignung des Merkmals der Existenzabhängigkeit Coester-Waltjen AcP 190 (1990), 1,
23.
484 Wellenhofer-Klein ZIP 1997, 774, 780.
485 Zöllner AcP 196 (1996), 1, 33.
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nicht finden, sondern es ist stets auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.486
Hierbei ist auch der konkrete Vertragszweck und die auf die tatsächlichen Interessen der beteiligten Vertragsparteien bezogene Vertragsgerechtigkeit zu berücksichtigen.487
V. Inhaltskontrolle von Freizeichnungsklauseln in Forschungs- und
Entwicklungsverträgen
Haftungsfreizeichnungsklauseln in Forschungs- und Entwicklungsverträgen sind
nur dann unwirksam, wenn und soweit ein Fall der gestörten Vertragsparität wie
durch Ausnutzung einer Monopolstellung, einer Notlage oder einer wirtschaftlichen Machtstellung vorliegt und der Vertragspartner auf den Vertragsschluss angewiesen ist.
Das Vorliegen einer Notlage, die ein Arzt-Patienten-Verhältnis prägen kann,
kommt bei Forschungs- und Entwicklungsverträgen in dieser Form nicht vor.
Ebenso wird eine wirtschaftliche Machtstellung selten vorliegen, da man davon
ausgehen kann, dass die Parteien eines Forschungs- und Entwicklungsvertrages
in der Regel Unternehmen sein werden. Aber selbst bei Beteiligung einer Einzelperson, z.B. bei der Beauftragung eines Wissenschaftlers mit der Erstellung eines
Gutachtens, reicht die wirtschaftliche Übermacht des Vertragspartners an sich
nicht aus, um die Unwirksamkeit einer Haftungsbegrenzungsklausel anzunehmen, denn der Vertrag muss zudem unter Ausnutzung der Machtstellung zustande
gekommen sein und der Vertragspartner sich derart in einer Zwangslage befunden
haben, dass er keine andere Wahl hatte, als die Haftungsfreizeichnung zu akzeptieren. Da in der Regel aber auch derjenige seine Haftung zu begrenzen sucht, der
die Leistung erbringt, wird bei der Beauftragung einer Einzelperson die Haftungsfreizeichnungsklausel in der Regel von dieser eingebracht werden, so dass
die wirtschaftlich stärkere Stellung des beauftragenden Unternehmens hier nicht
von Relevanz ist.
Im Einzelfall ist die Unwirksamkeit einer Haftungsfreizeichnung im Rahmen von
Forschungs- und Entwicklungsverträgen bei Vorliegen und Ausnutzen einer Mo-
486 Siehe auch Roth, BB 1987, 977, 984, der eine Inhaltskontrolle nach § 242 BGB als Randkorrektur individueller Missbrauchsfälle versteht und auf Einzelfälle unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Sachverhalts beschränkt; ähnlich auch Lieb,
AcP 183 (1983), 327, 363, der eine Typisierung und Verallgemeinerungsfähigkeit von
Ungleichgewichtslagen für nicht möglich erachtet, sondern auf die jeweilige Vertragsabschlusssituation und die Besonderheiten des jeweiligen Vertragstyps abstellt; anders aber
derselbe noch in AcP 178 (1978), 196, 203, hier sich aussprechend gegen eine Einzelfallbetrachtung und für eine Generalisierung und Typisierung von Fällen gestörter Vertragsparität.
487 Wolf in Wolf/Horn/Lindacher § 1 Rn. 58.
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References
Zusammenfassung
Im wirtschaftlichen Wettbewerb um innovative Produkte und Verfahren haben Forschungs- und Entwicklungsverträge erhebliche Bedeutung. Diesem besonderen Vertragstyp widmet sich die Arbeit und liefert Antworten und Lösungen auf wichtige Fragen wie die nach der Rechtsnatur von FuE-Verträgen, nach Risiken und ihrer Abfederung sowie insbesondere auf die Frage nach der Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungen. Die Arbeit gibt praktische Empfehlungen für die Vertragsgestaltung sowie wertvolle Hinweise zu den Besonderheiten des FuE-Vertrags. Das Werk ist aus der Tätigkeit der Verfasserin als Syndikusanwältin einer großen Forschungseinrichtung entstanden und eine praktische Hilfe für alle mit FuE-Projekten befassten Mitarbeiter von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, Rechtsanwälte und Wirtschaftsjuristen.