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II. Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle bei Individualverträgen
Die zur Haftung in Bürgschafts- und Darlehensverträgen ergangene Rechtsprechung befasst sich mit der Sittenwidrigkeit von Haftungsverschärfungen oder
Haftungserweiterungen, z.B. in der Form der Übernahme einer verschuldensunabhängigen Haftung. Es handelt sich hierbei also um das Gegenteil der im Rahmen dieser Arbeit behandelten haftungsbegrenzenden oder –ausschließenden Abreden. Die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit im Rahmen von Bürgschafts- und
Darlehensverträgen kann daher zur Konkretisierung der Anforderungen des § 138
an dieser Stelle nicht herangezogen werden.
Auch die Rechtsprechung zu Haftungsbegrenzungen in Arbeitsverträgen lässt
sich nicht auf Forschungs- und Entwicklungsverträge übertragen. Denn im
Gegensatz zum sonstigen Vertragsrecht ist die Haftung des Arbeitnehmers im
Arbeitsrecht nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zu
lösen, welche individualvertragliche Abreden in aller Regel ersetzen.455
Diese Grundsätze finden aber im übrigen Vertragsrecht keine Anwendung, da
sie speziell zum Schutz des sich in einem gewissen Grad der Abhängigkeit befindenden Arbeitnehmers vor zu großer Risikoaufbürdung, die als Betriebsrisiko
vom Arbeitgeber getragen werden muss, entwickelt wurden. Da von diesen
Grundsätzen im Arbeitsrecht zu Ungunsten des Arbeitnehmers weder individualnoch kollektivvertraglich abgewichen werden kann,456 finden sich dementsprechend wenig individualvertragliche Haftungsabreden.457 Für die Fälle individualvertraglicher Haftungsfreizeichnung wird im Übrigen auf die allgemeinen Grenzen des § 138 verwiesen.458
Rechtsprechung zur Wirksamkeit von ausgehandelten, individualvertraglichen
Haftungsfreizeichnungsklauseln, die an § 138 oder § 242 gemessen werden, ist
auch im Übrigen nur begrenzt zu finden.459
455 Nach den Grundsätzen über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung haftet der Arbeitnehmer bei Vorsatz in vollem Umfang, im Übrigen nach Abwägung unter Billigkeits- und
Zumutbarkeitsgesichtspunkten bei grober Fahrlässigkeit in der Regel für den gesamten
Schaden sowie bei normaler Fahrlässigkeit anteilig, wobei für leichteste Fahrlässigkeit
eine Haftung des Arbeitnehmers entfällt, BAG NJW 2004, 2469, 2470; Staudinger/
Richardi § 611 Rn. 587.
456 BAG NJW 2004, 2469, 2470.
457 Denkbar wären hier auch noch Freizeichnungsabreden in kollektivrechtlichen Vereinbarungen wie z.B. durch Tarifvertrag. Dieser ist jedoch nach § 310 Absatz 4 Satz 1 der
Inhaltskontrolle entzogen.
458 Vgl. MünchArbR/Blomeyer § 96 Rn. 59.
459 Nicht Gegenstand der Prüfung und hiervon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen eine
Berufung auf eine wirksame Haftungsfreizeichnung nach § 242 BGB unzulässig ist. So
z.B. OLG Köln NJW-RR 2003, 596: Hier konnte sich der Bauträger auf eine Freizeichnung
von seiner Gewährleistungspflicht nach Treu und Glauben deshalb nicht berufen, weil er
kraft jahrelanger Übung zuvor als Ansprechpartner für Mängelrügen aufgetreten war und
teilweise die Mängel auch selbst beseitigt hatte. Auf die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit
der Freizeichnung kam es hier deshalb nicht an.
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Eine auf § 242 gestützte Inhaltskontrolle von Individualverträgen ließ der BGH
in einer Reihe von Urteilen in den Fällen zu, in denen eine Partei sich formelhafte
Klauseln zunutze gemacht hatte, die von dritter Seite vorformuliert wurden.460 Es
handelte sich hierbei um notarielle Verträge, in denen Musterklauseln des Notars
zur Anwendung kamen.
Allerdings betrifft die Rechtsprechung zur Bejahung der Inhaltskontrolle nur
formelhafte Freizeichnungsklauseln in notariellen Kaufverträgen über neu errichtete oder noch zu errichtende Immobilien.461 Ein Haftungsausschluss ist nach dem
BGH in solchen Fällen nur dann hinnehmbar, wenn er zuvor Gegenstand ausführlicher Belehrung über die dadurch bedingten einschneidenden Rechtsfolgen
gewesen ist.462
Diese Rechtsprechung zu formelhaften Freizeichnungsklauseln in notariellen
Vertragstexten lässt sich jedoch nicht auf andere Individualverträge übertragen,
da sie einen sehr eng umgrenzten und sehr speziellen Sachverhalt betrifft und
auch neuere Urteile, die diese Rechtsprechung auf andere Fälle ausweitet, nicht
ergangen sind. Gerade die Eingrenzung des BGH dieser Rechtsprechung nur auf
Fälle von notariell eingefügten Klauseln in Grundstücksverträge über neu errichtete Immobilien und die ablehnende Haltung des BGH zur Übertragung dieser
Rechtsprechung auf andere Fälle notariell eingefügter Klauseln463 lässt eine Verallgemeinerung und Übertragbarkeit auf andere Fälle nicht zu. Allgemeine
Grundsätze für die Wirksamkeit individualvertraglich vereinbarter Haftungsklauseln können daher aus diesen Urteilen nicht gezogen werden.
In einem anderen vom BGH entschiedenen Fall wurde die Freizeichnung von Gewährleistungspflichten in einem Vertrag über die Veräußerung von einem bebauten Grundstück an § 242 gemessen für wirksam befunden.464 Eine Unwirksamkeit
käme nur in Betracht, wenn im Einzelfall die gesetzlich zulässige Freizeichnung
460 BGH NJW 1984, 2094; 1982, 2243, 2244; 1979, 1406.
461 Diese Rechtsprechung wurde vom BGH nicht übernommen für Gewährleistungsausschlüsse in Verträgen über die nicht mit einer Herstellungspflicht verbundene Veräußerung
schon länger bebauter Grundstücke, BGH NJW 1986, 2824, bzw. beim Erwerb von Altbauten, BGH NJW 2006, 214, 215; ebenfalls einschränkend und die Verallgemeinerungsfähigkeit verneinend BGH NJW 1991, 843, 844, betreffend die Vereinbarung von Fälligkeitszinsen in einem Grundstückskaufvertrag; anders dagegen KG NJW-RR 1989, 1363,
das die BGH-Rechtsprechung auch auf eine durch einen Notar in einen Grundstückskaufvertrag aufgenommene Vertragsstrafenregelung überträgt.
462 BGH NJW 1982, 2243, 2244; BGH NJW-RR 1987, 1035, 1036.
463 So z.B. BGH NJW 2006, 214, 215, der in einem Individualvertrag über den Erwerb eines
Altbaus den Ausschluss der verschuldensunabhängigen Sachmängelgewährleistung für
Mängel der von der Modernisierung des erworbenen Objekts unberührt gebliebenen Altbausubstanz auch dann für wirksam hält, wenn dieser Ausschluss in einer formelhaften
Klausel enthalten ist und eine notarielle Belehrung über Umfang und Bedeutung des
Gewährleistungsausschlusses unterblieben ist.
464 BGH NJW 1986, 2824.
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unangemessen wäre und zu einem mit Treu und Glauben nicht mehr in Einklang
stehenden Ergebnis führen würde.465
Ein Verstoß gegen §§ 138, 242 wurde vom BGH dagegen bejaht bei einer Freizeichnungsklausel in einem Seefrachtvertrag, in dem die Haftung für die Seetüchtigkeit des übergebenen Schleppschiffes ausgeschlossen wurde.466 Die Nichtigkeit der Haftungsfreizeichnung wurde in dieser Entscheidung wegen Verstoßes
gegen § 138 und § 242 unter Heranziehung der Grundsätze des RG zu Freizeichnungsklauseln bejaht. Danach führe das Ausnutzen einer Monopolstellung oder
einer wirtschaftlichen Machtstellung, unter deren Druck sich der andere Vertragspartner zu einer unangemessenen oder unbilligen Haftungsbeschränkung bereitfinden muss, zur Bejahung der Sittenwidrigkeit einer solchen Freizeichnungsklausel.467
Die Übertragbarkeit dieser Entscheidung auf die Inhaltskontrolle von Haftungsfreizeichnungsklauseln in Individualverträgen ist allerdings nur bedingt gegeben,
da die Haftungsfreizeichnung in diesem Fall nicht individuell ausgehandelt
wurde, sondern in den dem Vertrag zugrunde liegenden Schleppbedingungen enthalten war. Die Prüfung der Wirksamkeit nach §§ 138, 242 fand hier in Ermangelung der zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretenen besonderen gesetzlichen AGB-Regelungen statt.
Bejaht wurde dagegen die Wirksamkeit eines individualvertraglichen Haftungsausschlusses in einem Urteil des OLG Köln, welches über die Wirksamkeit einer
Klausel in einem Gewerberaummietvertrag zu entscheiden hatte, nach der der
Vermieter dem Mieter gegenüber nicht für Einbruchdiebstahl, Feuer-, Wasserund Glasschäden etc. haftete.468 Der Senat hielt in dem entschiedenen Fall den
Haftungsausschluss für grobe und leichte Fahrlässigkeit gemessen an den §§ 138,
242 für wirksam, da es nicht unüblich sei, dass versicherbare Risiken durch den
Abschluss einer Versicherung durch den Mieter übernommen werden und stellte
zudem auf die Gleichwertigkeit der Positionen der Vertragsparteien ab.469
Auch in einem Urteil des OLG Saarbrücken wurde ein Haftungsverzicht im Rahmen einer Individualabrede als nicht gegen die §§ 138, 242 verstoßend und somit
als wirksam anerkannt. In diesem Fall hatte ein Patient, der selbst über besondere
Kenntnisse auf dem einschlägigen Fachgebiet verfügte, einem Arzt aus freien
465 BGH NJW 1986, 2824, 2825.
466 BGH NJW 1956, 1065.
467 BGH NJW 1956, 1065, 1066.
468 OLG Köln NJW-RR 2001, 1302.
469 OLG Köln NJW-RR 2001, 1302, 1303; in einem Urteil des OLG Düsseldorf VersR 1995,
55, wurde in einem ähnlichen Fall sogar ohne explizite Beschränkung der Haftung alleine
in der Verpflichtung des Mieters, das gewerbliche Mietobjekt gegen Feuerschaden, Einbruchdiebstahl und Wasserschaden zu versichern, ein konkludenter und wirksamer Haftungsausschluss zugunsten des Vermieters gesehen.
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Stücken einen Haftungsverzicht angetragen, um ihn zur Durchführung einer vom
Patienten gewünschten, nicht indizierten speziellen Behandlung zu veranlassen.470 Als sittenwidrig sei ein Haftungsausschluss einzuordnen, der unter Ausnutzung einer Notlage und der Machtstellung als Arzt zustande gekommen wäre.
Entscheidend dabei sei, ob der Haftungsverzicht dem Patienten abverlangt wurde
und dieser nur zugestimmt hätte.471 Der Haftungsausschluss sei aber in diesem
Falle nicht sittenwidrig, da der Arzt auf Vorschlag des Patienten einen Haftungsausschluss für einen Eingriff einginge, den er aus eigenem ärztlichem Wissen
nicht zu verantworten vermag. Selbst bei einem vom Arzt initiierten Haftungsverzicht sei Sittenwidrigkeit dann nicht anzunehmen, wenn es sich nicht um eine
indizierte, übliche Therapie handele, da der Patient in diesem Falle nicht überrascht oder überwältigt sei.472
Eine Haftungsfreizeichnung wird ferner dann als Missbrauch einer Macht- und
Monopolstellung angesehen, wenn diese dazu ausgenutzt wird, um dem Partner
unangemessene Bedingungen aufzuerlegen.473 Als sittenwidrig wurden von der
Rechtsprechung unter diesem Aspekt insbesondere sachlich nicht berechtigte
Freizeichnungsklauseln angesehen, die unter Ausnutzung der Monopolstellung
ohne sachlich gerechtfertigten Grund von der gesetzlichen Haftungsregelung
abwichen.474
III. Literatur zur Inhaltskontrolle bei Individualverträgen
Auf das Element des Überraschens und der Überwältigung stellt auch Deutsch bei
der Prüfung der Sittenwidrigkeit einer individualvertraglichen Haftungsbeschränkung ab.475 Treu und Glauben seien im Wesentlichen immer dann verletzt,
wenn die tragenden Grundsätze von Offenheit und freier Entscheidung, welche
die freiheitliche vertragliche Rechtsbildung ermöglichen, unbeachtet blieben. Ist
470 OLG Saarbrücken NJW 1999, 871, der Patient war Veterinärmediziner mit speziellen
Kenntnissen auf dem Gebiet der Gasbrandinfektion, die er sich nach eigenen Angaben
durch eine Stichverletzung im Finger zugezogen haben soll; trotz dringender Empfehlung
des behandelnden Arztes auf weitergehende Untersuchungen bestand der Patient auf sofortiger Amputation des Fingers, wobei er erklärte, dass er sämtliche Folgen der Amputation
tragen werde.
471 Die Sittenwidrigkeit in diesem Fall bejahend OLG Stuttgart NJW 1979, 2355.
472 OLG Saarbrücken NJW 1999, 871, 872 mit Verweis auf Deutsch, NJW 1983, 1351, 1353;
kritisch zu diesem Urteil Katzenmeier MedR 1998, 556, der hier statt der Annahme einer
wirksamen Haftungsausschlussvereinbarung eine Klageabweisung wegen überwiegenden
Mitverschuldens des Patienten nach § 254 favorisiert, da die Auffassung des OLG Saarbrücken, ein von einem über Expertenwissen verfügenden Patienten initiierter Haftungsverzicht sei wirksam, insoweit Bedenken begegne, da sie zum einen die Gefahr weiterer
Streitpunkte in Arzthaftungsprozessen mit sich bringe, zum anderen eine solche Freizeichnung auch regelmäßig dem ärztlichen Berufsethos widerspreche.
473 RGZ 62, 264, 266; BGHZ 19, 85, 94.
474 BGH NJW 1956, 1065; KG NJW 1977, 854.
475 Deutsch NJW 1983, 1351, 1352 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im wirtschaftlichen Wettbewerb um innovative Produkte und Verfahren haben Forschungs- und Entwicklungsverträge erhebliche Bedeutung. Diesem besonderen Vertragstyp widmet sich die Arbeit und liefert Antworten und Lösungen auf wichtige Fragen wie die nach der Rechtsnatur von FuE-Verträgen, nach Risiken und ihrer Abfederung sowie insbesondere auf die Frage nach der Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungen. Die Arbeit gibt praktische Empfehlungen für die Vertragsgestaltung sowie wertvolle Hinweise zu den Besonderheiten des FuE-Vertrags. Das Werk ist aus der Tätigkeit der Verfasserin als Syndikusanwältin einer großen Forschungseinrichtung entstanden und eine praktische Hilfe für alle mit FuE-Projekten befassten Mitarbeiter von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, Rechtsanwälte und Wirtschaftsjuristen.