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Das Verbot aus § 202 Absatz 1 gilt für alle Schadensersatzansprüche aus Delikt
und Vertrag, erfasst jedoch keine Vereinbarungen, die nach Entstehung des Schadensersatzanspruches getroffen werden.431
C. Freizeichnung bei §§ 444, 639 BGB
Das Risiko, im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten für Mängel
des Vertragsgegenstandes einstehen zu müssen, ist hoch. Hier kommen sowohl
Sach- als auch Rechtsmängel in Betracht. Rechtsmängel sind bei Werken insbesondere in Form bestehender Immaterialgüterrechte Dritter vorstellbar, die z.B.
in Gestalt eines Urheberrechts, Patents oder anderen gewerblichen Schutzrechts
bestehen können, oder gleichermaßen auch bei Vorliegen öffentlicher Beschränkungen.432
Auch Sachmängel können vielgestaltig auftreten. So kann z.B. eine Legierung
oder ein Material, das nach der vertraglichen Vereinbarung für Außeneinsätze im
Weltraum entwickelt werden sollte, einen Sachmangel aufweisen, wenn eine
bestimmte Kälte- oder Hitzebeständigkeit nicht vorhanden ist. Auch der Roboter,
der zum computergesteuerten Einsatz in der minimal-invasiven Chirurgie eingesetzt werden soll, weist einen Sachmangel auf, wenn er nicht über die in der Leistungsbeschreibung beschriebenen Funktionen verfügt oder die dazugehörige
Software bestimmte Programmfunktionen vermissen läßt. Auch Rechtsmängel
sind hier denkbar, wenn dem Nachbau des Roboters Schutzrechte Dritter entgegenstehen und dem Auftraggeber dadurch die beabsichtigte serielle Produktion
nicht möglich ist.
Verständlich ist daher die Absicht insbesondere des Unternehmers, sein diesbezügliches Risiko durch Ausschluss oder Beschränkung der dem Besteller zustehenden Mängelrechte aus § 634 einzuschränken. Diesem Bedürfnis setzt § 639
Schranken, indem es dem Unternehmer verwehrt, sich auf eine solche Vereinbarung zu berufen, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie
für die Beschaffenheit des Werkes übernommen hat. § 639 setzt damit zum Schutz
des Bestellers der Privatautonomie gewisse Grenzen.433
Für Forschungs- und Entwicklungsverträge ist bei Vorliegen werkvertraglicher
Elemente insbesondere die Regelung des § 639, selten die nahezu gleich lautende
Regelung des § 444 relevant.434 Da Forschungs- und Entwicklungsverträge in den
seltensten Fällen kaufvertragliche Elemente enthalten, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Regelung des § 639.
431 Palandt/Heinrichs § 202 Rn. 8; mit Hinweis auf den insoweit klaren Wortlaut des § 202
Absatz 1 »im Voraus« siehe auch AnwKom/Mansel/Stürner § 202 Rn. 19.
432 MüKo/Busche § 633 Rn. 33.
433 MüKo/Busche § 639 Rn. 2.
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I. Anwendungsbereich
§ 639 stellt die Konkretisierung der die Gestaltungsfreiheit allgemein begrenzenden §§ 138, 242 für das Werkvertragsrecht dar.435 § 639 ist nicht abdingbar, kann
also vertraglich auch nicht ausgeschlossen werden.436
Der Anwendungsbereich des § 639 ist eröffnet, soweit eine vertragliche Vereinbarung der Parteien, sei es durch individuelle Abrede oder AGB, über eine
Beschränkung oder einen Ausschluss der gesetzlichen Mängelrechte des Bestellers vorliegt.437
Unberührt dagegen bleiben vertragliche Haftungsabreden, die sich auf solche
Mängelrechte beziehen, die dem Besteller über die gesetzlichen Rechte hinaus
eingeräumt worden sind.438 Ebenso werden solche Abreden nicht erfasst, die die
Anforderung an die Beschaffenheit des Werkes reduzieren, da hier bei Erfüllung
dieser reduzierten Anforderungen schon kein Mangel im Sinne der §§ 633 ff. vorliegt.439
II. Rechtsfolgen
Ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbeschränkung für Mängelrechte ist
unwirksam, soweit der Mangel arglistig verschwiegen wurde oder eine Beschaffenheitsgarantie übernommen wurde. Dabei fällt nicht nur die unselbständige,
sondern auch die selbständige Garantie unter § 639.440 Ist eine solche Garantie441
übernommen worden, wird damit eine verschuldensunabhängige Einstands-
434 Der ähnliche § 536 d, wonach sich der Vermieter auf eine vereinbarte Freizeichnung von
der Mängelhaftung bei Arglist nicht berufen kann, dürfte bei FuE-Verträgen in der Regel
nicht einschlägig sein; denkbar wäre ein (im Gesamtgefüge des Vertrages untergeordnetes)
mietrechtliches Element allenfalls dann, wenn Gerätschaften zur Durchführung des Projektes überlassen werden, wobei das Verbot der Berufung auf die Freizeichnung dann aber
auch nur im Zusammenhang mit Mängeln der überlassenen Gerätschaften Wirkung entfaltet. Die Besonderheiten des FuE-Vertrages werden davon aber nicht berührt, so dass an
dieser Stelle auf eine detailliertere Auseinandersetzung mit § 536 d verzichtet wird.
435 MüKo/Busche § 639 Rn. 2, § 639 tritt hier neben die allgemeinen Grenzen der §§ 138, 242.
436 Palandt/Sprau § 639 Rn. 1.
437 MüKo/Busche § 639 Rn. 3; Staudinger/Peters § 639 Rn. 2.
438 MüKo/Busche § 639 Rn. 3; Palandt/Sprau § 639 Rn. 5.
439 MüKo/Busche § 639 Rn. 7; Staudinger/Peters § 639 Rn. 3.
440 Palandt/Sprau § 639 Rn. 5; a.A. Staudinger/Peters § 639 Rn. 17.
441 Emmert NJW 2006, 1765, 1768 sieht seit In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes eine weitere Fallgruppe als entstanden an, nämlich die der verbindlichen
Vereinbarung über die Beschaffenheit der Kaufsache ohne Garantiecharakter, die nach seiner Ansicht nicht unter § 444 fällt und eine Berufung des Verkäufers auf einen Haftungsausschluss in diesem Fall als mit Treu und Glauben vereinbar hält; er verkennt dabei aber
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References
Zusammenfassung
Im wirtschaftlichen Wettbewerb um innovative Produkte und Verfahren haben Forschungs- und Entwicklungsverträge erhebliche Bedeutung. Diesem besonderen Vertragstyp widmet sich die Arbeit und liefert Antworten und Lösungen auf wichtige Fragen wie die nach der Rechtsnatur von FuE-Verträgen, nach Risiken und ihrer Abfederung sowie insbesondere auf die Frage nach der Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungen. Die Arbeit gibt praktische Empfehlungen für die Vertragsgestaltung sowie wertvolle Hinweise zu den Besonderheiten des FuE-Vertrags. Das Werk ist aus der Tätigkeit der Verfasserin als Syndikusanwältin einer großen Forschungseinrichtung entstanden und eine praktische Hilfe für alle mit FuE-Projekten befassten Mitarbeiter von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, Rechtsanwälte und Wirtschaftsjuristen.