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führung zur Familie primäres Ziel sein. Allerdings kann auch hier im Einzelfall die
Lösung eher in der Gewährung eines Aufenthaltsrechts zu suchen sein.129 Das Gewicht des Arguments des Kindeswohls kann dabei durchaus das staatliche Ermessen
bis zu einem Aufenthaltsrecht als einzige Lösung verdichten130, ohne welches eine
Realisierbarkeit des allgemeinen Schutzanspruchs ‚familienloser’ Kinder gemäß
Artikel 20 KRK nicht denkbar ist.131
E. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen zum Schutze der Rechte aller
Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen zum Schutze der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (UN-Wanderarbeitnehmerkonvention,
UNWAK) vom 18. Dezember 1990 stellt die erste umfassende universelle Kodifikation der Rechte von Arbeitsmigranten dar.132 Es ist am 1. Juli 2003, mehr als zwölf
Jahre nach Auflage, mit Hinterlegung der 20. Ratifizierungsurkunde in Kraft getreten.133 Unverändert hat keiner der 27 EU-Mitgliedstaaten die bislang jüngste Menschenrechtskonvention134 unterzeichnet oder ratifiziert.135
Die Autoren dieser erst spät zustande gekommenen136 Konvention gingen vor
dem Hintergrund der zahlenmäßigen Bedeutung des Phänomens der Wanderung
129 Empfehlung 9 der Richtlinien über allgemeine Grundsätze und Verfahren zur Behandlung
asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger.
130 Vgl. auch VG Frankfurt a. M., s. oben Fn. 124.
131 A. A. zum Aufenthaltsrecht für Flüchtlingskinder: Wolf, J., Ratifizierung unter Vorbehalten:
Einstieg oder Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der UN-Konvention über die
Rechte des Kindes, ZRP 1991, 374 ff.; Stöcker, H. A., Auslegung der Kinderkonvention,
RdJB 1991, 75, 81 f. erkennt auf keinerlei Verpflichtung.
132 Cholewinski, R., Migrant Workers in International Human Rights Law, 1997, S. 199.
133 UN GA Res. 45/158. Derzeit haben folgende (37) Staaten das Übereinkommen ratifiziert:
Ägypten, Albanien, Algerien, Argentinien, Aserbaidschan, Belize, Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Burkina Faso, Chile, Ecuador, El Salvador, Ghana, Guatemala, Guinea, Honduras,
Kap Verde, Kirgistan, Kolumbien, Lesotho, Libyen, Mali, Mauretanien, Mexiko, Marokko,
Nikaragua, Peru, Philippinen, Senegal, Seychellen, Sri Lanka, Syrien, Tadschikistan, Timor-
Leste, Türkei, Uganda, Uruguay, http://www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/13.htm,
übersetzt in: VN 1991, 176 ff. oder http://www.december18.net/web/general/stArtikelphp.
134 Zudem mit 93 Bestimmungen die umfangreichste Menschenrechtskonvention überhaupt, vgl.
Davy, U., Überregionales und regionales Völkerrecht, in: dies. (Hg.), Integration von Einwanderern, S. 43.
135 Die Bundesrepublik enthielt sich bereits in der Generalversammlung bei der Abstimmung
über die UNWAK und lehnte bislang eine Ratifizierung ab. Zu den Gründen ausführlich die
Studie von Spieß, K., Die Wanderarbeitnehmerkonvention der Vereinten Nationen. Ein Instrument zur Stärkung der Rechte von Migrantinnen und Migranten in Deutschland, DIMR,
Berlin 2007, S. 66 ff.
136 Davy, U., in: dies. (Hg.), Integration von Einwanderern, S. 42: 1972 Auftrag in einer Resolution, 1979 Einsatz einer Arbeitsgruppe, 1980-1990 Verhandlungen zum Übereinkommen.
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davon aus, dass die Rechte der Wanderarbeitnehmer – und zwar aller – noch nicht
überall und in ausreichendem Maße geschützt seien.137 Die explizite Nennung ‚aller’
macht die Reichweite dieses Textes deutlich: erfasst sind sowohl regulär als auch
irregulär beschäftigte Wanderarbeitnehmer. Als Wanderarbeitnehmer wird jede
Person definiert, die in einem Staat, dessen Angehöriger sie nicht ist, gegen Entgelt
tätig ist. Eingeschlossen sind nicht nur (ir-)reguläre Selbstständige und abhängig
Beschäftigte, sondern neben weiteren Spezialfällen auch Saisonarbeiter und Grenzgänger, Seeleute und Reisende.138 Das Übereinkommen bestimmt als anwendungsrelevantes Kriterium allein den Aufenthaltszweck der Erwerbstätigkeit und verbietet
jegliche weitere Unterscheidung, wie bspw. nach Herkunft und vor allem nach
Staatsangehörigkeit.139 Nicht erfasst sind u. a. Studenten und Auszubildende, Flüchtlinge und Staatenlose.140 Allerdings gestaltet sich die Reichweite des Rechtsschutzes
für regulär und irregulär Beschäftigte unterschiedlich. Das Übereinkommen versteht
die Anerkennung der ‚grundlegenden’ Menschenrechte für irregulär beschäftigte
Arbeitnehmer und gleichzeitige Gewährung zusätzlicher Rechte für regulär beschäftigte Arbeitnehmer als ein Mittel zur Bekämpfung irregulärer Arbeitswanderschaft.141
Das Übereinkommen erkennt an, dass Migration sowohl für die Betroffenen aufgrund der Unsicherheit ihrer Lage als auch für die aufnehmende Gemeinschaft besondere Härten mit sich bringen könne.142 Ausdrücklich findet dabei Berücksichtigung, dass die Trennung der Familien häufig zu schwerwiegenden Problemen führe.
Bei irregulärer Wanderung seien die menschlichen Probleme noch schwerwiegender. Schlussfolgerung ist, dass Wanderarbeitnehmer besonderer, d. h. über die bis
dato existierenden Menschenrechte hinausgehender, Schutzrechte bzw. Rechtsschutzes bedürfen. Das Übereinkommen konkretisiert daher zunächst die Menschenrechte, wie sie insbesondere in den Internationalen Pakten in allgemeiner Form niedergelegt sind143, formuliert dann explizit, welche zusätzlichen Rechte den regulären
Ausführlich zur Entstehungsgeschichte Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 140 ff., Scheer,
R., Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 19 ff.
137 Erwägungsgrund 11 der Präambel der UNWAK.
138 Art. 2 UNWAK. Nach Cholewinski, R. stellt die umfassendste Definition eines Wanderarbeitnehmers in relevanten internationalen Texten die Hauptleistung „major accomplishment“ des
Textes dar, ders., Migrant Workers, S. 149.
139 Art. 1 und Art. 88 UNWAK.
140 Art. 3 lit. d) und e) UNWAK.
141 Erwägungsgrund 15 der Präambel der UNWAK. Die Bundesrepublik trägt demgegenüber
vor, die Konvention schaffe Anreize für die illegale Migration. Vgl. Spieß, K., Die Wanderarbeitnehmerkonvention der Vereinten Nationen, S. 67.
142 Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 147. Erwägungsgründe 8-10 und 12 Präambel der
UNWAK.
143 In Teil II UNWAK verpflichtet das Übereinkommen, die Menschenrechte diskriminierungsfrei allen Arbeitsmigranten zu gewährleisten. Teil III UNWAK listet die Menschenrechte, die
den Migranten zustehen, im Einzelnen auf.
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Arbeitsmigranten und ihren Familien zustehen144 und enthält besondere Bestimmungen für illegale Arbeitsmigranten.145 In rechtstechnischer Hinsicht ist dabei für einen
solcherart umfassenden völkerrechtlichen Vertrag ungewöhnlich, dass die Staaten
dem Übereinkommen nur als Ganzes beitreten können. Ausschlüsse ganzer Vorschriften(-teile), wie bspw. im Fall der ESC, sowie Ausschlüsse bestimmter Gruppen von Wanderarbeitnehmern sind ausdrücklich untersagt.146
Auf der anderen Seite enthält das Übereinkommen keine Bestimmungen, welche
das grundlegende Recht der Staaten, bezüglich Einwanderung zu entscheiden, über
bereits bestehende menschenrechtliche Einschränkungen hinaus beschneiden.147
Dennoch sind die enthaltenen Bestimmungen als wertvolle Richtlinien für gemeinsame internationale Standards in diesem Bereich anzusehen.148 Bemerkenswert ist,
dass die Konvention den Blick nicht nur auf Zugangsfragen, sondern auf die für den
unter Umständen langfristigen Aufenthalt relevanten sozialen, wirtschaftlichen und
kulturellen Bedürfnisse der Wanderarbeitnehmer und ihrer Angehörigen sowie die
Auswirkungen dieser Wanderung auf die betroffenen Gemeinwesen richtet.149 Erstmals wird Integration (als i.R.d. Ausweisung zu prüfendes Kriterium) in einem internationalen Text erwähnt.150
Als Kontrollinstrument sieht die Konvention in Artikel 72 UNWAK einen Ausschuss vor, welcher seit März 2004 und aus zehn unabhängigen Experten besteht
(Committee on Migrant Worker (CMW) – Expertenkomitee). Sobald 41 Staaten die
Konvention ratifiziert haben, soll dieser Ausschuss auf 14 Mitglieder aufgestockt
werden. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, dem Ausschuss ein Jahr nach Inkrafttreten der Konvention einen Erstbericht, danach alle fünf Jahre Folgeberichte zur
Prüfung vorzulegen. Gemäß Artikel 76 UNWAK können die Mitgliedstaaten den
144 Teil IV UNWAK präzisiert verschiedene weitere Rechte für diejenigen Migranten, welche
sich regulär im Aufnahmeland aufhalten und postuliert den Anspruch auf Gleichbehandlung
wie die Staatsangehörigen z. B. bezüglich Zugang zu Bildungsinstitutionen, Wohnungsmarkt,
Sozialversicherung und Gesundheitseinrichtungen.
145 In Teil VI UNWAK finden sich unter anderem Bestimmungen zu denjenigen Arbeitsmigranten, welche sich ohne Aufenthaltsbewilligung illegal in einem Land befinden. Hier verlangt
das Übereinkommen zum Beispiel Maßnahmen, um illegale und heimliche Wanderungsbewegungen sowie Schwarzarbeit zu verhindern beziehungsweise aufzudecken. Werden Maßnahmen zur Legalisierung der Situation der Betroffenen in Betracht gezogen, sollen diese unter Berücksichtigung der Einwanderungsumstände, der Dauer des Aufenthaltes und der Erwerbstätigkeit sowie vor allem auch der Familiensituation getroffen werden. Im Weiteren
fordert das Übereinkommen von den Mitgliedstaaten Anstrengungen, um sicherzustellen,
dass die Arbeits- und Lebensbedingungen illegaler Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien
nicht schlechter sind als diejenigen der legal anwesenden ausländischen Bevölkerung, insbesondere im Hinblick auf die rechtlichen Vorgaben betreffend Sicherheit, Gesundheit und Anerkennung der menschlichen Würde. Dies sind die für einige Staaten eine Ratifikationsverweigerung begründenden problematischen Vorschriften.
146 Art. 88 UNWAK, Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 148 f.
147 Art. 79 UNWAK, Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 146.
148 So Zeichen, S., Wanderarbeitnehmer und ihr Recht auf Familienleben, S. 47.
149 Art. 64 Abs. 2 UNWAK. Scheer, R., Der Ehegatten- und Familiennachzug, S. 22 f.
150 Zeichen, S., Wanderarbeitnehmer und ihr Recht auf Familienleben, S. 52.
50
Ausschuss zur Entgegennahme und Prüfung von Staatenbeschwerden und gemäß
Artikel 77 UNWAK auch zur Entgegennahme und Prüfung von Individualbeschwerden ermächtigen.151
I. Recht auf Aufenthalt
Der Schutz der Familie findet, wie in den zuvor genannten Texten auch, grundlegende Anerkennung in Artikel 14 UNWAK.
„Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen dürfen keinen willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in ihr Privatleben, ihre Familie [...] ausgesetzt werden. Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen haben Anspruch auf gesetzlichen Schutz vor solchen Eingriffen oder Beeinträchtigungen.“
Diese allgemeine Schutzintention wird für die wanderungsbedingte Trennung der
Familien insofern konkretisiert, als die Vertragsstaaten gemäß Artikel 44 Abs. 1
„anerkennen …, dass die Familie die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft ist und Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat hat, und ergreifen geeignete Maßnahmen, um
den Schutz der Einheit der Familie der Wanderarbeitnehmer sicherzustellen.“
Der Schutz der Familie ist damit für Wanderarbeitnehmer gleichbedeutend mit
dem Schutz der Einheit der Familie. Damit ist Familiennachzug die Schlussfolgerung aus der eingangs erwähnten Erkenntnis, dass gerade die Trennung der Familien
häufig Probleme mit sich bringt.
1. Familienzusammenführung – Artikel 44 Abs. 2 UNWAK
Das Übereinkommen enthält gemäß Artikel 79 zunächst ebenso wenig wie die vorherigen menschenrechtlichen Instrumente ausdrücklich ein generelles Recht auf
Einreise.
„Keine Bestimmung dieser Konvention berührt das Recht jedes Vertragsstaates, die Kriterien
für die Zulassung von Wanderarbeitnehmern und ihren Familienangehörigen festzulegen. In
Bezug auf sonstige Fragen im Zusammenhang mit der Rechtsstellung und Behandlung von
Wanderarbeitnehmern und ihren Familienangehörigen sind die Staaten an die in dieser Konvention festgelegten Einschränkungen gebunden.“ (Hervorhebung der Verfasserin).
Damit sind die Mitgliedstaaten in diesem Bereich aber nicht frei. Im Kontext der
sonstigen Rechte regulär aufhältiger Wanderarbeitnehmer heißt es zur Familienzusammenführung in Artikel 44 Abs. 2:
151 Zeichen, S., Wanderarbeitnehmer und ihr Recht auf Familienleben, S. 54 f. Zu den ersten
Concluding Observations und vier jährlichen Berichten dieses jüngsten Ausschusses seit
2004, vgl. http://www2.ohchr.org/english/bodies/cmw/index.htm (10. Juli 2008).
51
„Die Vertragsstaaten ergreifen die Maßnahmen, die sie für geeignet halten und die in ihre Zuständigkeit fallen, um die Zusammenführung der Wanderarbeitnehmer mit ihren Ehegatten
oder den Personen, mit denen sie Beziehungen unterhalten, die nach den anzuwendenden
Rechtsvorschriften der Ehe vergleichbare Wirkungen haben sowie mit ihren minderjährigen
unterhaltsberechtigten ledigen Kindern zu erleichtern.“
Der Wortlaut der Regelung, auf die auch der erste Kommissionsvorschlag zur
Familiennachzugsrichtlinie Bezug nimmt152, macht zwar deutlich, dass kein Recht
im Sinne eines Anspruchs auf Familiennachzug gewährt werden soll.153 Den Mitgliedstaaten bleibt die Zuständigkeit zur Entscheidung im Grundsatz erhalten.154 Sie
enthält aber die klare Forderung, die Kriterien für die Familienzusammenführung
von regulären Wanderarbeitnehmern dergestalt festzulegen, dass sie die Zusammenführung erleichtern. Im Unterschied zu den allgemeinen menschenrechtlichen Texten liegt die Bedeutung dieser Bestimmung einer Spezialkonvention in der Verpflichtung der staatlichen Wanderungspolitik zur Erleichterung der Einheit der Familie. Klares Ziel ist das ‚Ob’ der Zusammenführung von Ehegatten und minderjährigen Kindern, offen hingegen die Gestaltung der Kriterien je nach nationalem
Recht. Dabei wird eine Progression verlangt, wofür auch der begrenzte Kreis der
‚Berechtigten’ spricht.155
Anderes gilt für den Nachzug weiterer Verwandter, denn für diese erfolgt eine
deutliche Abschwächung auf humanitäre Gründe und ein wohlwollendes ‚In-
Erwägung-ziehen’:
„Aus humanitären Gründen ziehen die Beschäftigungsstaaten wohlwollend in Erwägung, anderen Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern die gleiche Behandlung zu gewähren
wie in Absatz 2 vorgesehen.“ Artikel 44 Abs. 3 UNWAK.
Die Beschränkung auf humanitäre Gründe verleiht dieser Vorschrift eine Art Notfallcharakter. Dies macht aber umso mehr den ‚Regel-Charakter’ von Absatz 2 deutlich.
2. Enger Familienbegriff
Das Übereinkommen enthält dazu folgende Definition in Artikel 4 UNWAK:
„Im Sinne dieser Konvention bezeichnet der Ausdruck „Familienangehörige“ die Personen,
die mit Wanderarbeitnehmern verheiratet sind, oder mit ihnen Beziehungen unterhalten, die
152 Begründung zu KOM (1999) 638, Pkt. 3.2.
153 Caroni, M., Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, S. 82.
154 Vgl. demgegenüber die deutliche Kritik von Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 172 f.
155 Auch nach Scheer, R., Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 22, wird
durch Art. 44 die innerstaatliche Befugnis zur Festlegung der Kriterien der Einreise begrenzt,
vgl. auch Art. 79 UNWAK. Mit Blick auf die Verhandlungen sei die Verankerung des Prinzips nicht strittig gewesen, nur das Maß der Verpflichtung und der Kreis der Berechtigten. In
Verbindung mit dem in Absatz 1 betonten Schutz der Familieneinheit ist daher nach Scheer
von einer Gestattung (für die Kernfamilie) des Nachzugs im Normalfall auszugehen.
52
nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften der Ehe vergleichbare Wirkungen haben sowie
ihre unterhaltsberechtigten Kinder und sonstige unterhaltsberechtigte Personen, die nach den
anzuwendenden Rechtsvorschriften oder nach den anzuwendenden zweiseitigen oder mehrseitigen Übereinkünften zwischen den betreffenden Staaten als Familienangehörige anerkannt
sind.“
Damit sind zunächst Ehegatten und unterhaltsberechtigte Kinder ohne Altersgrenze erfasst. Der zuvor zitierte Artikel 44 Abs. 2 UNWAK begrenzt hingegen den
Nachzug auf minderjährige und ledige Kinder. Bei beiden Artikeln stießen die unterschiedlichen Familienkonzepte aufeinander.156
Schwieriger wird die Interpretation der Beziehungen, die nach den anzuwendenden, sprich nationalen Rechtsvorschriften der Ehe ‚vergleichbare Wirkungen’ haben.157 Das Übereinkommen zielt damit auf die rechtlichen Wirkungen der nationalen Bestimmungen ab. Daher wird man nach heutigem Stand der Gleichstellungsgesetze auch nicht eheliche und gleichgeschlechtliche Partnerschaften dazu zählen
müssen.158
Der Begriff der sonstigen, unterhaltsberechtigten, als Angehörige anerkannten
Personen ist sehr vage und inhaltsoffen. Er lässt Raum für unterschiedlichste nationale Sichtweisen und Konzepte. Er erlaubt westlichen Staaten die Begrenzung auf
die sogenannte Kernfamilie ebenso wie in Entwicklungsländern einen erweiterten
Familienbegriff.
II. Recht im Aufenthalt
Das Übereinkommen enthält eine ausführliche Regelung zu den Rechten im Aufenthalt, welche aufgrund der Platzierung in Teil IV nur für reguläre Wanderarbeitnehmer gelten. Für Familienangehörige sind dabei nur einige Bestimmungen relevant.
1. Aufenthaltssicherheit
Das Übereinkommen enthält keine Aussagen zum aufenthaltsrechtlichen Status oder
der Aufenthaltserteilung oder -verlängerung.159 Es richtet lediglich die Aufforderung
an Staaten mit doppeltem Erlaubnissystem, die Aufenthaltserlaubnis an die Arbeitserlaubnis anzupassen.160
156 Scheer, R., Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 24.
157 Cholewinski, R. zählt sogenannte common law marriages (-spouses) (Lebensabschnittsgefährten) dazu. Eine restriktive Interpretation schlösse unter Berufung auf die biologische Fähigkeit für Nachwuchs gleichgeschlechtliche Partnerschaften aus. Muslimische Staaten haben
Vorbehalte gegen diese Klausel eingelegt. Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 171.
158 S. dazu in Kapitel 4, S. 188, insb. Fn. 808.
159 Davy, U., in: dies. (Hg.), Integration von Einwanderern, S. 43.
160 Art. 49 Abs. 1 UNWAK.
53
Hingegen ist die Aufenthaltsbeendigung Gegenstand mehrerer Bestimmungen mit
dem Ziel, typische Aufenthaltsrisiken abzuschwächen. Für Familienangehörige ist
dabei besonders die Idee des Aufenthalts aus eigenem Recht (Bleiberecht) bedeutsam.161 Bemerkenswert ist, dass dafür gemäß Artikel 50 Abs. 1 UNWAK eine Abwägung u. a. mit dem Aspekt der Dauer des bisherigen Aufenthaltes i.S.e. Integration ausdrücklich zu berücksichtigen ist:
„Im Falle des Todes eines Wanderarbeitnehmers oder der Auflösung der Ehe zieht der Beschäftigungsstaat wohlwollend in Erwägung, Familienangehörigen dieses Wanderarbeitnehmers, die sich aufgrund der Familienzusammenführung in diesem Staat aufhalten, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen; der Beschäftigungsstaat berücksichtigt die Dauer ihres bisherigen
Aufenthalts in diesem Staat.“
Aber auch indirekt wird die Aufenthaltssicherheit der Familienmitglieder durch
Bestimmungen zur Risikominimierung für den Wanderarbeitnehmer selbst gefördert. So soll der Verlust der Arbeit nicht automatisch das Ende des Aufenthalts (für
die ganze Familie) bedeuten. Es muss dem Arbeitnehmer ausreichend Gelegenheit
gegeben werden, eine neue Beschäftigung zu finden, bzw. an Umschulungsprogrammen teilzunehmen.162 Das gilt auch für den Bezug von Leistungen bei Arbeitslosigkeit.163 Generell gilt: Durch die Ausweisung darf kein Entzug von Rechten
erfolgen.164
Auch bei der Ausweisung wird eine Güterabwägung mit der Integration des Betreffenden verlangt, so Artikel 56 Abs. 3 UNWAK:165
“Wird in Erwägung gezogen, einen Wanderarbeitnehmer oder einen seiner Familienangehörigen auszuweisen, sollten humanitäre Überlegungen und die Dauer des bisherigen Aufenthalts
des Betreffenden im Beschäftigungsstaat berücksichtigt werden.“
2. Zugang zu Arbeit und Bildung
Hinsichtlich des Rechtes auf (freien) Arbeitsmarktzugang ist das Übereinkommen
ambivalent. Zwar gilt zunächst für Wanderarbeitnehmer der Grundsatz der Inländer-
Gleichbehandlung.166 Der Beschäftigungsstaat darf jedoch den Zugang zu bestimm-
161 Scheer, R., Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 23.
162 Insoweit Art. 49 Abs. 2 UNWAK für freie Arbeitswahl, Art. 51 für nicht freie Arbeitswahl.
163 Art. 49 Abs. 3 UNWAK.
164 Art. 56 Abs. 2 UNWAK. Nach Davy könnte diese Bestimmung etwa dann bedeutsam sein,
wenn die nationale Rechtsordnung einen individuellen Anspruch auf Sozialhilfe gewährt,
Ausländerbehörden aber dessen ungeachtet ermächtigt sind, die Ausweisung zu verfügen,
wenn die Sozialhilfe in Anspruch genommen wird. In solchen Fällen dient die Ausweisung
insb. auch dazu, Rechte zu verkürzen, die in Anspruch genommen werden könnten, wenn
sich die Betroffenen weiter im Land aufhielten. Davy, U., in: dies. (Hg.), Integration von
Einwanderern, S. 43, dort Fn. 46.
165 Dieser Gedanke findet sich auch in der Familiennachzugsrichtlinie. S. dazu Kapitel 4, S. 8 f.
166 Art. 52 Abs. 1 UNWAK. Art. 25 UNWAK bestimmt gleiches für alle Wanderarbeitnehmer,
d. h. auch für irreguläre, hinsichtlich Arbeitsentgelt und -bedingungen.
54
ten nationalen Tätigkeiten im innerstaatlichen Interesse beschränken oder an die
Anerkennung beruflicher Qualifikationen koppeln.167 Ist die Arbeitserlaubnis befristet, kann der Mitgliedstaat den freien Arbeitsmarktzugang darüber hinaus von Wartefristen von bis zu zwei Jahren abhängig machen oder Vorrangprüfungen vornehmen. Letztere dürfen allerdings nach fünfjährigem Aufenthalt nicht mehr angewendet werden.168
Auf Familienangehörige wird das Recht auf freie Arbeitswahl ebenfalls nur dann
unter denselben Voraussetzungen wie für (jeden) Wanderarbeitnehmer erstreckt,
wenn sie ‚selbst’ eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzen.169 Bei befristeter
Erlaubnis sind die Mitgliedstaaten lediglich gehalten, ‚wohlwollend’ eine Vorranggewährung vor ‚neuen’ Wanderarbeitnehmern zu erwägen.170 Dies drückt eine deutliche Vorsicht gegenüber Beschränkungen staatlichen Handelns durch Verpflichtungen aus. Die Familiennachzugsrichtlinie verpflichtet demgegenüber die Mitgliedstaaten nach maximal zwölf Monaten zur Freigabe des Arbeitsmarktzugangs für
Familienangehörige.171
Für den Zugang zu Bildungseinrichtungen, beruflicher Aus- und Weiterbildung
und Gesundheits- und Sozialdiensten gilt hingegen gemäß Artikel 45 Abs. 1 UN-
WAK der Grundsatz der Gleichbehandlung für nachgezogene Familienmitglieder
uneingeschränkt.172
„Die Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern genießen im Beschäftigungsstaat die
gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Staates in Bezug auf den:
Zugang zu Bildungseinrichtungen und -angeboten, vorbehaltlich der Zulassungsbedingungen
und sonstigen Vorschriften der betreffenden Bildungseinrichtungen und -angebote;
Zugang zu Einrichtungen und Angeboten der Berufsberatung und der beruflichen Bildung, sofern die Voraussetzungen für die Teilnahme erfüllt sind; […].“
Diese Bestimmung ist besonders wichtig für Angehörige der zweiten und dritten
Generation, die Schwierigkeiten haben, auf der beruflichen Leiter aufzusteigen.173
Nicht enthalten sind allerdings der Zugang zu Stipendien und Ausbildungsbeihilfen.
Dies steht (bis auf IPwirtR und EWAK) in Einklang mit anderen internationalen
Texten.174 Einen anderen Ansatz verfolgt insofern das Freizügigkeitsregime, dort ist
dieser Bereich staatlichem Ermessen weitgehend entzogen.175
167 Art. 52 Abs. 2 UNWAK. Nach Davy wäre eine allgemeine Bewilligungspflicht unzulässig,
vgl. Davy, U., in: dies. (Hg.), Integration von Einwanderern, S. 44.
168 Art. 52 Abs. 3 UNWAK. Vgl. insoweit auch das Konzept der Daueraufenthaltsrichtlinie, s.
Kapitel 4, S. 163 f.
169 Art. 53 Abs. 1 UNWAK.
170 Art. 53 Abs. 2 UNWAK.
171 S. dazu Kapitel 4, S. 192.
172 Art. 30 UNWAK bestimmt den Schulzugang für Kinder irregulärer Wanderarbeitnehmer.
173 Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 173 f.
174 Ebenso für Familienangehörige die Familiennachzugs- und Daueraufenthaltsrichtlinie, s.
Kapitel 4, S. 163 f.
175 Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 175. Vgl. aber die Beschränkungsmöglichkeit nach der
Freizügigkeitsrichtlinie, Kapitel 3, S. 137 f.
55
Bemerkenswert ist die folgende Bestimmung des Artikel 45 Abs. 2-4 UNWAK,
mit der die Bedeutung der schulischen und sprachlichen Integration der Kinder von
Wanderarbeitnehmern betont wird:
„2. Die Beschäftigungsstaaten verfolgen, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten, eine Politik, die darauf abzielt, die Eingliederung der Kinder von Wanderarbeitnehmern in das örtliche Schulsystem, insbesondere durch Unterweisung in der örtlich gesprochenen Sprache, zu erleichtern.
3. Die Beschäftigungsstaaten bemühen sich, für die Kinder von Wanderarbeitnehmern die Unterweisung in ihrer Muttersprache und Kultur zu erleichtern, und die Herkunftsstaaten wirken
dabei, soweit dies angebracht ist, mit.
4. Die Beschäftigungsstaaten können besondere Unterrichtungsprogramme in der Muttersprache der Kinder von Wanderarbeitnehmern, falls erforderlich in Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten, vorsehen.“
Kinder haben demnach ein Recht auf Unterstützung in Form von besonderem
Sprachunterricht und ein Recht auf muttersprachlichen Unterricht.176
Zusammenfassend kommt für den Bereich des Familiennachzuges in Europa dieser Spezialkonvention, die im Verhältnis zum neuen Gemeinschaftsrecht zu Familiennachzug und Daueraufenthalt in zahlreichen Punkten deutliche Ähnlichkeiten
aufweist, ungeachtet der fehlenden Unterzeichnung der 27 EU-Mitgliedstaaten eine
besondere Bedeutung zu. Die Aussagekraft, die diesem Dokument erwächst, ergibt
sich daraus, dass Staaten aus allen fünf Kontinenten bei der Beratung vertreten waren, dass die Beteiligten eine gemeinsame Linie erarbeiteten, die hier maßgeblichen
Vorschriften – trotz Bedenken – im Wege des Konsenses angenommen wurden und
auch in Kraft getreten sind.177
F. Die Konvention Nr. 143 der Internationalen Arbeitsorganisation
Die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organization, im Weiteren ILO), ist, wenngleich älter als die Vereinten Nationen, dieser seit 1946 als
Sonderorganisation zugeordnet. Sie wurde angesichts der Erkenntnis, „dass der
Weltfriede auf Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden kann“ durch
Teil XIII des Friedensvertrages von Versailles im Jahre 1919 geschaffen.178 Rückblickend kommt ihr weite Anerkennung aufgrund ihrer Pionierrolle und als älteste
Organisation auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes zu.179
176 Davy, U., in: dies. (Hg.), Integration von Einwanderern, S. 45.
177 Scheer, R., Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 24.
178 Präambel der Verfassung der ILO, UNTS Bd. 15, S. 40 i.V.m. UNTS Bd. 191, S. 143. Derzeit gehören ihr 182 Mitglieder an, darunter auch die Bundesrepublik (http://www.ilo.org
/public/english/standards/relm/country.htm, Stand: 5. Juni 2008). Die offizielle Übersetzung
auf Deutsch ist zu finden unter: http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/ilo_ver
fassung.htm (10. Juli 2008).
179 Cholewinski, R., Migrant Workers, S. 90.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Untersuchung widmet sich einem der umstrittensten und in dieser Komplexität wenig behandelten Felder des modernen Migrationsrechts. Die Autorin begreift Familienzusammenführung als ein europäisches Migrationsphänomen, das einer rechts- und länderübergreifenden sowie interdisziplinären Perspektive bedarf. Die Darstellung besitzt mit ihrer Zusammenführung von Völkerrecht, Europarecht und deutschem Verfassungsrecht mit Elementen der Politikwissenschaft Seltenheitswert.
Im Zentrum stehen die aktuellen Entwicklungen in der EU. Die Entwicklung der Familienzusammenführungsrichtlinie wird vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Verpflichtungen und nationaler Veränderungen kritisch untersucht. Dabei werden die Verhandlungspositionen zur Richtlinie vor dem Hintergrund des französischen, niederländischen und deutschen Nachzugsrechts analysiert. Des Weiteren erforscht die Autorin die Auswirkung dieses Europäisierungsprozesses für Unionsbürger einerseits sowie für Drittstaatsangehörige andererseits einschließlich der Gruppe der Asylberechtigten und Flüchtlinge und hinterfragt das Zuwanderungsgesetz 2007 auf Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen und internationalen Verpflichtungen.