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genüber sieht das Gemeinschaftsrecht seit 2005 für Drittstaatsangehörige ein Nachzugsrecht der Kernfamilie vor.52 Insofern könnte künftig durchaus von einer europäischen Staatenpraxis gesprochen werden.
Dennoch ist staatliches Handeln an den Maßstäben der AEMR zu messen.53 Die
damit über eine bloße Richtschnur hinausgehende politische und moralische Bedeutung bleibt bis in die Gegenwart – auch von der Rechtsprechung anerkannt – ungebrochen.54
B. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Erst am 16. Dezember 1966, d. h. nach fast zwanzigjähriger Verhandlungszeit, wurde der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) gemeinsam mit dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
verabschiedet.55 Danach brauchte es nochmals zehn Jahre für die nötigen 35 Ratifizierungen, bis der Pakt am 23. März 1976 in Kraft treten konnte.56 Dauerte die Entwicklung vergleichsweise lange, gehören den Pakten heute mehr als 160 Staaten an.
Teils wird in dieser Anerkennung die allmähliche Entwicklung zu völkerrechtlichem
Gewohnheitsrecht gesehen, wodurch die Pakte die AEMR in ihrer Funktion als
universellen Mindeststandard ablösten.57 Die Besonderheit beider Texte liegt neben
der rechtlichen Verbindlichkeit der Menschenrechtsstandards in der Einrichtung
eines Organs zur wirksamen Überwachung und Durchsetzbarkeit.58
52 Zur Familiennachzugsrichtlinie ausführlich Kapitel 4, S. 176 ff.
53 Zeichen, S., Wanderarbeitnehmer und ihr Recht auf Familienleben, S. 22. Nowak, CCPR-
Kommentar, XV, Rn. 2. (Bsp. Sowjetische Diplomatenfrauen).
54 Palm-Risse, M., Der völkerrechtliche Schutz von Ehe und Familie, S. 33. Aktuelleres Beispiel
ist ihre Heranziehung in der sogenannten Mauerschützen-Rechtsprechung in der Bundesrepublik, s. Schweitzer, M./Weber, A., Handbuch der Völkerrechtspraxis, Rn. 1325.
55 UN GA Res. 2200A (XXI). Abgedruckt in Sartorius II, Nr. 20. Die Bundesrepublik ist Vertragspartei des IPbpR. Zur Vereinbarkeit des deutschen Rechts s. in Kapitel 7, S. 379 f.
56 Derzeit zählt er 161 Vertragsparteien. Dazu zählen alle der 27 EU-Mitgliedstaaten,
http://www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/4.htm (Stand: 1. April 2008).
57 Nowak, M., in: Kälin/Malinverni/Nowak (Hg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 8.
58 Für den IPbpR erfolgt die Überwachung durch den sich jährlich im März/April für sechs
Wochen in Genf treffenden Ausschuss der Menschenrechte. Dieser prüft zum einen Staatenberichte und erstellt Allgemeine Bemerkungen, die als „autoritative Interpretationen der Bestimmungen des Pakts“ gelten. Zudem gibt es die fakultative Staatenbeschwerde, d. h. auf
Anregung eines Staates kann der Ausschuss die Verletzung der Konventionsbestimmungen
durch einen anderen Staat untersuchen. Dieses Verfahren des Art. 41 IPbpR ist für die Bundesrepublik erst am 28. März 1979 in Kraft getreten, nachdem die erforderliche Zahl von
zehn Unterwerfungserklärungen hinterlegt wurde (Bek. vom 20. Nov. 1979, BGBl. 1979 II,
S. 1218). Besonders wichtig ist nach dem Fakultativprotokoll zum Pakt die Individualbeschwerdemöglichkeit. Nach Stellungnahme des Staates gibt der Ausschuss das Ergebnis der
Prüfung in sogenannten Views bekannt, die zwar nicht völkerrechtlich bindend sind, jedoch in
den meisten Fällen befolgt werden. Vgl. Zeichen, S., Wanderarbeitnehmer und ihr Recht auf
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Der Pakt enthält ebenso wenig wie die AEMR ein Recht auf Einreise. Davon geht
auch der Menschenrechtsausschuss in seiner Allgemeinen Bemerkung AB 15 [27]
(1986) (Ausländer) aus, stellt jedoch weiterführend fest, dass sich in Fragen der
Einreise und des Aufenthalts für die staatliche Entscheidungsmacht dennoch Beschränkungen ergeben können – und zwar aufgrund des familiären Bezuges einer
ausländischen Person.59 So führt er in Ziff. 5-7 aus:
„5. Der Pakt gewährt Ausländern kein Recht, in das Hoheitsgebiet eines Staates einzureisen
oder sich darin aufzuhalten. Grundsätzlich ist es Sache des Staates, zu entscheiden, wen er zu
seinem Hoheitsgebiet zuläßt. In gewissen Situationen kann sich jedoch ein Ausländer auch bezüglich Einreise und Aufenthalt auf den Schutz des Paktes berufen: Dies trifft zum Beispiel zu,
wenn Fragen hinsichtlich (…) der Achtung des Familienlebens auftauchen. […]“
Nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses drückt sich die Souveränität des
Staates in der Befugnis aus, die Genehmigung der Einreise Bedingungen zu unterwerfen.
„6. Wurde jedoch die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates einmal bewilligt,
kommen die Ausländer in den Genuß der im Pakt garantierten Rechte.“
7. […] Es gibt keine Unterscheidung von Ausländern und Bürgern in der Verwirklichung dieser Rechte. Diese Rechte von Ausländern dürfen nur Einschränkungen unterworfen werden,
welche nach dem Pakt rechtmäßig auferlegt werden können.“
Zu diesen unterschiedslos zu gewährenden Rechten zählt auch das Recht auf
Schutz der Familie.
I. Recht auf Aufenthalt
Fraglich ist, ob sich aus den Bestimmungen des Paktes ein Recht auf Familiennachzug ableiten lässt. Der Pakt enthält einige, von den Vertragsstaaten bei ausländerrechtlichen Maßnahmen zu beachtende, familienrelevante Bestimmungen, die sehr
den Bestimmungen der AEMR ähneln. Dazu gehören der Schutz der Familie sowie
der Schutz vor Eingriffen in ihre Privatheit.
1. Schutz der Familie – Artikel 23 Abs. 1 IPbpR
Ausgangspunkt für ein Nachzugsrecht ist – in Anlehnung an die AEMR – die Anerkennung eines hohen Schutzes der Familie als solcher gemäß Artikel 23 Abs. 1.
Familienleben, S. 33. Das erste Fakultativprotokoll wurde zeitgleich mit dem Pakt am
16. Dez. 1966 verabschiedet und ist am 23. März 1976 in Kraft getreten, für die Bundesrepublik indes erst am 25. Aug. 1993. Derzeit zählt es 111 Vertragsparteien, davon fast alle – ausgenommen das Vereinigte Königreich – der 27 EU-Mitgliedstaaten (Stand: 5. März 2008).
Ausführlich dazu Nowak, M., CCPR-Commentary, S. 396-771.
59 AB 15 [27] (1986) Ziff. 5. Nichtamtliche Übersetzung, abgedruckt in: Kälin/Malinverni/Nowak (Hg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 343.
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„1. Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz
durch Gesellschaft und Staat.“
Die Bestimmung stellt nicht nur eine menschenrechtliche Absicherung der privatrechtlichen Institution Familie i.S.e. Institutsgarantie dar, sondern enthält – über
Artikel 12 EMRK hinausgehend – mit dem „Anspruch auf Schutz“ eine positive
Gewährleistungspflicht des Staates. Den Mitgliedstaaten obliegt also die Pflicht zur
Ergreifung positiver familienfreundlicher Maßnahmen. Darunter fällt auch die Regelung des Familiennachzugs. In der Konkretisierung dessen kommt dem nationalen
Gesetzgeber allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu.60 Zudem ist die Vorschrift angesichts ihrer programmatischen Aussage nicht justiziabel.61 Ihr können
daher keine generellen Ansprüche auf konkrete Maßnahmen wie Familiennachzug
entnommen werden.
2. Schutz der Privatsphäre – Artikel 17 Abs. 2 IPbpR
Konkreteres ergibt sich aus Artikel 17 IPbpR, welcher den Schutz der Privatheit der
Familienmitglieder zum Inhalt hat.62
„1. Niemand darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, […] ausgesetzt werden.
2. Jedermann hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe und Beeinträchtigungen.“
Gemäß Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 17 IPbpR gilt dieses Freiheitsrecht auch
für ausländische Personen. Die Bestimmung stellt dabei ein klassisches Abwehrrecht
gegen staatliche Eingriffe dar. Absatz 2 erlegt dabei den Mitgliedstaaten auch die
Verpflichtung auf, positive Maßnahmen zum Schutz der garantierten Rechte gegen
private Übergriffe zu ergreifen.63 Obgleich der negatorische Charakter im Vordergrund steht, wird auch eine Anerkennung staatlicher Gewährleistungspflicht abgeleitet, aber keine Pflicht des Vertragsstaates, positiv zu fördern.
Wie in der Allgemeinen Bemerkung 15 [27] ausdrücklich festgestellt, sind in das
Familienleben eingreifende Beeinträchtigungen möglich v. a. im Bereich der Einreise, des Aufenthalts sowie der Ausweisung von Ausländerinnen und Ausländern und
Trennung von Kindern und Eltern.64 Zuvor hatte der Menschenrechtsausschuss auch
in einem konkreten Fall, in dem es um die Benachteiligung maurizischer Frauen
aufgrund unsicheren Aufenthaltsrechts ihrer ausländischen Partner ging, festgestellt,
60 Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 23, Rn. 2 sowie Rn. 10 f.
61 Nowak, M., in: Kälin/Malinverni/Nowak (Hg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 222.
62 Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 17, Rn. 26.
63 AB 16 [32] (1988), Ziff. 9. Nichtamtliche Übersetzung, abgedruckt in Kälin/Malinverni/
Nowak (Hg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 377.
64 S. oben zu AB 15 [27] (1986), Ziff. 5; Nowak, M., in: Kälin/Malinverni/Nowak (Hg.), Die
Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 202.
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dass das gemeinsame Wohnen von Mann und Frau als das normale Verhalten einer
Familie zu betrachten sei. Daher kann „der Ausschluss einer Person aus einem Land,
in welchem nahe Angehörige wohnen, zu einem Eingriff im Sinne des Art. 17 führen.“65
Allerdings ist die Verweigerung des Nachzugs nur dann ein Verstoß gegen Artikel 17 IPbpR, wenn sie rechtswidrig oder willkürlich ist. Ein Eingriff ist als rechtswidrig zu qualifizieren, wenn er der nationalen Rechtsordnung widerspricht, d. h.
Eingriffe dürfen nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen, welches seinerseits mit den
Bestimmungen, Zwecken und Zielen des Paktes vereinbar sein muss.66 Formal zulässige Eingriffe sind als willkürlich einzustufen, wenn sie zu einem im Lichte des
Paktes illegitimen Zweck erfolgen, wenn sie nicht berechenbar sind und insbesondere hinsichtlich des zu erreichenden Zwecks unangemessen erscheinen.67 Als legitimer Zweck ist im Pakt mehrfach der Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anerkannt.68
Die damit weiten Schranken erhielten erst schärfere Konturen durch die Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses.69 Dabei wurde in der Regel bei gleichzeitiger Verletzung eines anderen Rechts des Paktes Willkür festgestellt. So wurde
z. B. im zuvor genannten Fall der Maurizischen Frauen die Nachzugsverweigerung
als willkürlich eingestuft aufgrund der diskriminierenden Behandlung im Verhältnis
von maurizischen Frauen zu Männern im Aufenthaltsrecht ihrer nachziehenden
Partner (Art. 2 Abs. 1, 3 und Art. 26 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 IPbpR).70
3. Rückkehrrecht – Artikel 12 Abs. 4 IPbpR
Nicht auf den ersten Blick offensichtlich ergibt sich aus dem Schutz der Einreise in
den Heimatstaat auch ein Schutz für Ausländer. Artikel 12 Abs. 4 IPbpR lautet:
„Niemandem darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land
einzureisen.“ Der IPbpR stellt bei diesem Rückkehrrecht – und damit weiter als die
65 M 35/1978 Aumeeruddy-Cziffra und 19 andere maurizische Frauen gegen Mauritius,
CCPR/C/OP/1 67, Deutsche Übersetzung in: EuGRZ 1981, 391 ff., Pkt. 9.2 (b) 2 (i) 2.
66 AB 16 [32] (1988), Ziff. 3. Der Vertragsstaat muss entsprechende Verbotsnormen erlassen
und darf nicht seinen Organen einen unangemessenen Ermessensspielraum einräumen, da er
sonst die positive Schutzpflicht gem. Abs. 2 verletzt.
67 In AB 16 [32] (1988), Ziff. 4 verlangt der Ausschuss, “daß ein … Eingriff … angesichts der
besonderen Umstände sinnvoll sein muß.“; Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 17, Rn. 11 f.
68 Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 17, Rn. 13. So in Art. 12 Abs. 3, 18 Abs. 3, 19 Abs. 3,
21, 22 Abs. 2 IPbpR.
69 Nach Zeichen erleichtert dies im Gegensatz zur taxativen Aufzählung der Rechtfertigungsgründe wie bei Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Rechtfertigung von Einschränkungen, dies., S. 31.
70 Vgl. EuGRZ 1981, 391 ff., Pkt. 10.1.; Vgl. Caroni, M., Privat- und Familienleben zwischen
Menschenrecht und Migration, 1999, S. 64 f. Nach Scheer, R., wurde die Frage der Willkür
offengelassen, da sich aus der Diskriminierung bereits die Paktwidrigkeit ergab, ders., Der
Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 14.
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EMRK71 – nicht auf die Staatsangehörigkeit ab. Das Einreiserecht in das ‚eigene
Land’ steht daher auch Ausländern, Flüchtlingen und Staatenlosen in das Land zu, in
dem sie ihren ständigen Wohnsitz oder Lebensmittelpunkt und damit eine starke
Nähebeziehung haben.72 Diese Vorschrift verlangt dafür einen rechtmäßigen Aufenthalt.73
4. Weiter Familienbegriff
Im IPbpR wird an keiner Stelle der Begriff der Familie definiert. Der Menschenrechtsausschuss betont vielmehr ausdrücklich die aus dem universellen Charakter
des Paktes resultierende Unmöglichkeit der Definition eines einheitlichen Familienbegriffs.74 Die als Mindeststandard erlassenen Normen sind daher entsprechend des
jeweiligen gesellschaftlichen, kulturellen, rechtlichen und religiösen Verständnisses
des Vertragsstaates zu interpretieren.75
„Bezüglich des Ausdrucks “Familie“ verlangen die Ziele des Paktes, dass dieser Begriff im
Hinblick auf Art. 17 im weiten Sinne ausgelegt wird, so daß er alle Personen umfaßt, welche
nach dem Verständnis der Gesellschaftsordnung im betreffenden Vertragsstaat eine Familie
bilden.“ AB 16 [32] (1988), Ziff. 5.
Der Begriff der Familie umfasst damit – typologisch gesprochen – die europäische Kernfamilie ebenso wie die afrikanische Großfamilie, schließt das muslimische
polygame sowie das westliche monogame Ehekonzept ein und erstreckt sich auf
adoptierte und außereheliche Kinder. Altersgrenzen über Volljährigkeitsgrenzen
hinaus sind unbekannt. Generelle Beschränkungen auf die Kernfamilie sind damit
unzulässig.76
Zusätzlich sowie alternativ zu Bluts- oder gesetzlichen Bindungen sind weitere
Kriterien für die Annahme von Familienleben nötig, wie häusliches Zusammenleben
oder intensive und reguläre Beziehungen. Nicht eheliche Gemeinschaften sind je
nach nationalem Recht dem Familienschutz unterstellt, sonst ist ihr Schutz als Pri-
71 Vgl. Art. 3 Abs. 1 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK. Auch hier beruht der Pakt sichtlich auf
Art. 13 Abs. 2 AEMR.
72 Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 12, Rn. 48; Wolfrum, R., Völkerrechtliche Rahmenbedingungen, in: Giegerich/Wolfrum (Hg.), Einwanderungsrecht – national und international,
S. 23; Caroni, M., Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, S. 67
und 73; Zeichen, S., Wanderarbeitnehmer und ihr Recht auf Familienleben, S. 25.
73 Nowak, M., in: Kälin/Malinverni/Nowak (Hg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 177.
74 AB 19 [39] (1990), Ziff. 2. Nichtamtliche Übersetzung, abgedruckt in Kälin/Malinverni/
Nowak (Hg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 386.
75 Palm-Risse, M., Der völkerrechtliche Schutz von Ehe und Familie, S. 225 f.; Nowak, M., in:
Kälin/Malinverni/Nowak (Hg.), Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, S. 221.
76 Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 17, Rn. 27. Scheer, R., Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 12 f.
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vatleben möglich. Voraussetzung in beiden Fällen sind vorhandene nahe und tatsächliche Beziehungen.77
II. Recht im Aufenthalt
Der Pakt enthält zwar keine Aussagen zu Aufenthaltsrechten oder den Zugang zu
Arbeit und Bildung von Ausländern. Der Menschenrechtsausschuss leitete aber vor
allem aus Artikel 17 und 12 Abs. 4 IPbpR Eckpunkte zu aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen und damit zur Aufenthaltssicherheit von Ausländerinnen und Ausländern ab.78 Aus Artikel 12 Abs. 4 IPbpR wird neben dem Rückkehrrecht auch ein
Ausweisungsverbot aus dem ‚eigenen Land’ abgeleitet. Dies ist besonders für ausländische Familienmitglieder der sogenannten zweiten Generation, Flüchtlinge und
Staatenlose, die ihren Lebensmittelpunkt im Aufenthaltsstaat haben, relevant.79
Dabei ist allerdings nach Rechtsprechung des Menschenrechtsausschusses staatliches Einbürgerungsrecht und das Verhalten des Fremden zu berücksichtigen. So ist
eine Berufung auf das ‚eigene’ Land nicht möglich, wenn auf die Einbürgerung
verzichtet wurde80 oder sie aufgrund von begangenen Straftaten ausgeschlossen ist.81
Gegen Artikel 17 Abs. 2 IPbpR stellen die Ausweisungen von Familienmitgliedern nur dann keinen Verstoß dar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhend einen im Sinne des Paktes legitimen Zweck haben und verhältnismäßig sind.
Anzumerken ist, dass Artikel 24 IPbpR (ohne Äquivalent in der EMRK) ein Diskriminierungsverbot speziell für Kinder enthält:
77 Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 23 Rn. 2, Rn. 8; Caroni, M., Privat- und Familienleben
zwischen Menschenrecht und Migration, S. 63; Ausführlich Palm-Risse, M., Der völkerrechtliche Schutz von Ehe und Familie, S. 219-227. Scheer, R., Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern, S. 15 f.
78 Daneben enthält der Pakt allerdings Verfahrensgarantien für Ausländer bei Ausweisungen
(Art. 13 IPbpR), Nowak, M., CCPR-Kommentar, Art. 13, Rn. 1 ff., insb. Rn. 8, zur Ausweisung ausländischer Familienangehöriger, ders., CCPR-Kommentar, Art. 17, Rn. 29 mit Verweis auf AB 15/27 (Ausländer), § 5.
79 Caroni, M., Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, S. 67
80 Anders bei unverhältnismäßig hohen Einbürgerungsvoraussetzungen, vgl. Caroni, M., Privatund Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, S. 67 f.; Zeichen, S., Wanderarbeitnehmer und ihr Recht auf Familienleben, S. 27.
81 Im Fall M 538/1993, Charles E. Stewart gegen Kanada, CCPR/C/56/D/538/1993 wurde
Stewart, einem seit seinem siebten Lebensjahr in Kanada wohnhaften britischen Staatsbürger
die Berufung auf sein ‚eigenes Land’ gegen die Ausweisung verweigert, ebenso aufgrund von
Straftaten dem im Alter von fünf Jahren nach Kanada eingewanderten Italiener Canepa, M
558/1993, Canepa gegen Kanada, CCPR/C/59/D/558/1993. Zur Kritik an der engen Auslegung des Begriffs ‚eigenes Land’ in den Sondervoten ausführlich bei Caroni, M., Privat- und
Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, S. 69 sowie der Bedeutung (sogar)
der restriktiven Auslegung angesichts der vergleichsweise sehr restriktiven Bestimmungen
der Schweiz für Angehörige der zweiten Generation, langfristig aufhältige Ausländer, Flüchtlinge und Staatenlose bei Verweigerung der Einbürgerung ohne gute Gründe, ebenda, S. 72 f.
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„Jedes Kind hat ohne Diskriminierung hinsichtlich […] der nationalen […] Herkunft […] das
Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat,
die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert.
Der Menschenrechtsausschuss führt dazu aus: „die Staaten sollen (…) angeben,
wie ihre Gesetzgebung und Praxis gewährleisten, dass die Schutzmaßnahmen darauf
hinzielen, jede Diskriminierung in allen Bereichen (…) und insbesondere jede Diskriminierung zwischen Kindern, welche Staatsbürger sind, und ausländischen Kindern (…) abzuschaffen.“82
Bemerkenswert und bezeichnend für das zunehmende Gewicht von inländischen
Kindern ist der Fall Winata gegen Australien. Auf diese Entscheidung verweist auch
GAin Kokott in ihren Schlussanträgen.83 Das grundsätzlich dem Vertragsstaat Australien zugestandene Ermessen, die (illegal) aufhältigen indonesischen Eltern auszuweisen, wurde insbesondere deshalb beschränkt, weil das Paar zwischenzeitlich
im Land ein Kind bekommen hatte. Die Ermessensreduzierung wurde damit begründet, dass der Zwang zur Entscheidung für die Beschwerdeführer, entweder den
13-jährigen Sohn allein zurückzulassen oder aber ihn mit ins Herkunftsland zu nehmen, einen Eingriff in Artikel 17 IPbpR darstelle. Dieser könne auch nicht gerechtfertigt werden, denn infolge der Integration des Sohnes in die australische Gesellschaft müssten zusätzliche Gründe für eine Ausweisung der Eltern vorliegen. Aus
diesem Grund qualifizierte der Ausschuss das Verhalten Australiens als Verletzung
der Artikel 17, 23 und Artikel 24 IPbpR.84
C. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Am 16. Dezember 1966 wurde neben dem IPbpR der Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte (IPwirtR) verabschiedet.85 Er konnte ebenfalls erst
nach fast zehn Jahren am 3. Januar 1976 mit Hinterlegung der 35. Ratifizierungsurkunde in Kraft treten.86 In der Aufteilung der Menschenrechte in zwei Pakte wird
der Streit über die Unterscheidung der Grundrechte erster und zweiter Generation87
sichtbar, der einen einheitlichen Text verhinderte. Danach gewähren die Rechte des
IPbpR dem Einzelnen ‚Freiheit vom Staat’, durch dessen Verpflichtung diskriminie-
82 AB 17 [35] (1989), Rn. 5. Abgedruckt in: Kälin/Malinverni/Nowak (Hg.), Die Schweiz und
die UNO-Menschenrechtspakte, S. 390.
83 Insb. Abätze 7.1. bis 7.3., Schlussanträge, Rn. 69, s. dazu auch S. 291.
84 Menschenrechtsausschuss, Communication No. 930/2000 vom 16. Aug. 2001, Winata v.
Australia, CCPR/C/72/D/930/2000, auf Deutsch zusammengefasst: http://www.humanrights.
ch; auf Englisch: http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/(Symbol)/488b0273fa4febfbc1256ab7002
e5395?Opendocument.
85 UN GA Res. 2200A (XXI). Abgedruckt in Sartorius II, Nr. 21.
86 Bek. vom 9. März 1976 (BGBl. 1976 II, S. 428). Derzeit zählt der Pakt 158 Vertragsparteien,
darunter alle der 27 EU-Mitgliedstaaten, http://www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/3.
htm (18. April 2008). Zur Bundesrepublik s. in Kapitel 7, S. 380.
87 Jellinek, G., System der subjektiven öffentlichen Rechte.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Untersuchung widmet sich einem der umstrittensten und in dieser Komplexität wenig behandelten Felder des modernen Migrationsrechts. Die Autorin begreift Familienzusammenführung als ein europäisches Migrationsphänomen, das einer rechts- und länderübergreifenden sowie interdisziplinären Perspektive bedarf. Die Darstellung besitzt mit ihrer Zusammenführung von Völkerrecht, Europarecht und deutschem Verfassungsrecht mit Elementen der Politikwissenschaft Seltenheitswert.
Im Zentrum stehen die aktuellen Entwicklungen in der EU. Die Entwicklung der Familienzusammenführungsrichtlinie wird vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Verpflichtungen und nationaler Veränderungen kritisch untersucht. Dabei werden die Verhandlungspositionen zur Richtlinie vor dem Hintergrund des französischen, niederländischen und deutschen Nachzugsrechts analysiert. Des Weiteren erforscht die Autorin die Auswirkung dieses Europäisierungsprozesses für Unionsbürger einerseits sowie für Drittstaatsangehörige andererseits einschließlich der Gruppe der Asylberechtigten und Flüchtlinge und hinterfragt das Zuwanderungsgesetz 2007 auf Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen und internationalen Verpflichtungen.