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konzept einpasst.427 Der nur allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten
reiche jedenfalls nicht aus.428
III. Bewertung
Das Drei-Stufen-Modell setzt dem Widerruf von Unterstützungskassenzusagen und
ablösenden Betriebsvereinbarungen sehr enge Grenzen. Insbesondere Eingriffe in
den bereits erdienten Teilbetrag einer Versorgungsanwartschaft sind, abseits von
eindeutigen Fällen wie dem Abbau einer Überversorgung, kaum möglich. Nachdem
auch der Widerrufsgrund der wirtschaftlichen Notlage entfallen ist, kann der Arbeitgeber nach der BAG-Rechtsprechung in erdiente Anwartschaftsteile nur dann eingreifen, wenn sich die der Versorgungszusage zugrunde gelegte Rechtslage nach
Erteilung der Zusage wesentlich und unerwartet geändert hat und dies beim Arbeitgeber zu erheblichen Mehrbelastungen geführt hat.429 Dies sind enge Voraussetzungen, die das BAG etwa als gegeben angesehen hat, wenn der Versorgungsaufwand
beim Arbeitgeber infolge gesetzlicher Änderungen des Steuer- und Sozialversicherungsrechts bei einem Barwertvergleich, bezogen auf den Zeitpunkt der Einführung
des Versorgungswerks, um ca. 60 Prozent angestiegen ist.430 Eine untere Grenze, bei
deren Überschreitung eine erhebliche Mehrbelastung des Arbeitgebers vorliegen
soll, hat das BAG bisher nicht genannt, so dass eine genaue Einschätzung schwierig
ist. In der Literatur werden Schwellenwerte von 10431, 20432 bzw. 30 bis 40 Prozent433 vorgeschlagen, wobei der tatsächliche Schwellenwert bei Eingriffen in erdiente Anwartschaften angesichts der auch ansonsten restriktiven Rechtsprechung
eher bei 40 Prozent anzusiedeln sein dürfte434. Da das BAG zudem bestimmte
Rechtsänderungen, wie die Einführung der Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften (§ 1b BetrAVG) und der Anpassungsprüfungspflicht (§ 16 BetrAVG),
von vornherein ausnimmt, weil sie angeblich nur den – vom Arbeitgeber ohnehin zu
beachtenden – Grundsatz von Treu und Glauben konkretisieren,435 ist ein Eingriff in
427
BAG 17.8.1999, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79 (B II 4 c). Vgl. auch BAG 19.4.2005, AP
BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 9 (B II 2 b); BAG 18.2.2003, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 38 (I 2 d).
428
BAG 10.9.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (III 2 c); BAG 18.9.2001, AP BetrAVG
§ 1 Ablösung Nr. 34 (II 2 c bb [2] [c]).
429
BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26 (B II 3 a); BAG 22.4.1986, AP BetrAVG
§ 1 Unterstützungskassen Nr. 8 (III 2 c [3]); BAG 9.7.1985, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 6
(I 2 b [2]).
430
BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26 (B II 3 b und III 2 a).
431
Schumann, FS Förster, S. 165, 173 f., dessen Hinweis auf die Entscheidung BAG 9.7.1985,
AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 6 allerdings verfehlt ist (vgl. den 1. LS).
432
B/R/O/Rolfs, BetrAVG, Anh § 1 Rn. 509.
433
Höfer, BetrAVG, Rn. 488 ff.; Höfer/Lerner, Anm. BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26; Uebelhack, Altersversorgung, S. 113 f.
434
Vgl. Wiese, FS Zöllner, S. 983, 997.
435
BAG 22.4.1986, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 8 (III 2 c [1]).
124
erdiente Anwartschaften nur in extremen Ausnahmefällen gerechtfertigt. Ebenfalls
hoch angesetzt sind die Anforderungen an Eingriffe in die erdiente Dynamik, vorausgesetzt, man erkennt einen solchen Besitzstand an.
Das BAG hat die Anforderungen des Drei-Stufen-Modells zwar durch eine ergebnisbezogene Betrachtungsweise436 abzumildern versucht, nach der bei der Bestimmung des Besitzstands, in den eingegriffen wird, auch die vom Arbeitnehmer
unter Geltung der neuen Versorgungsordnung noch erdienbaren Versorgungsanwartschaften zu berücksichtigen sind. Insbesondere Eingriffe von verhältnismäßig
geringem Umfang werden daher meist nicht einer der beiden am stärksten geschützten Besitzstandsstufen zugeordnet, sondern unterliegen nur dem (vergleichsweise
geringen) Schutz der dritten Stufe. Das ist allerdings der falsche Weg.437 Systemgerechter ist es, die Eingriffstufe wie bisher am Ablösungsstichtag, d.h. ohne Berücksichtigung der Zuwächse nach der neuen Versorgungsordnung, zu bestimmen, im
Gegenzug aber die Anforderungen an den Eingriffsgrund selbst zu senken.
IV. Anwendbarkeit auf ablösende Versorgungstarifverträge?
Noch nicht endgültig geklärt ist die Frage, ob das Drei-Stufen-Modell – ungeachtet
der soeben geäußerten Bedenken – auch auf ablösende Versorgungstarifverträge
angewendet werden kann.
1. Meinungsstand
Das BAG hat sich nach anfänglichem Zögern gegen eine Übertragung des Drei-
Stufen-Modells ausgesprochen.438 Während es in seinen Entscheidungen vom
19.11.2002 und 25.5.2004 noch zurückhaltend bemerkte, das Drei-Stufen-Modell
könne wegen des hohen Stellenwerts der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) zumindest „nicht unbesehen“ auf ablösende Versorgungstarifverträge angewandt werden,
die Frage im Ergebnis aber stets offen lassen konnte,439 sprach es sich in seiner Ent-
436
Vgl. BAG 18.2.2003, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 38 (I 2 b); BAG 10.9.2002, AP
BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (III 3 b); BAG 11.12.2001, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 43 (I 2 a) sowie oben Kap. 2 C II 1 b, S. 102.
437
Zur Kritik an der ergebnisbezogenen Betrachtungsweise oben Kap. 2 C II 1 c, S. 102 f.
438
BAG 21.8.2007, AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 69 (B IV 2 a); BAG
27.2.2007, AP BetrAVG § 1 Nr. 44 (B II 3 a); BAG 27.6.2006, AP BetrAVG § 1 Ablösung
Nr. 49 (B II 2 a); BAG 28.7.2005, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 47 (B II 1 a); für die Anwendung des Drei-Stufen-Modells dagegen LG Karlsruhe 30.1.2004, EzBAT ATV § 33
Abs. 2 Nr. 1.
439
BAG 25.5.2004, AP BetrAVG § 1 Überversorgung Nr. 11 (B I 4 b bb [2]); BAG 19.11.2002,
AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 40 (B I 3); vgl. auch LAG Hamm 18.1.2006, ZTR 2006, 320,
322; OLG Karlsruhe 22.9.2005, ZTR 2005, 588 (B IV 5, insoweit nicht veröffentlicht).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die gesetzliche Rente ist längst nicht mehr sicher. Schutz gegen drohende Versorgungslücken bieten Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung. Neben betriebsbezogenen Versorgungssystemen gewinnen in der Praxis auch solche auf tariflicher Grundlage zunehmend an Bedeutung. Doch wie verhält sich ein solches System im Krisenfall? In welchem Umfang sind Eingriffe in Versorgungsrechte zur Rettung von Unternehmen möglich?
Diesen in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht wird, ob die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Drei-Stufen-Theorie auf ablösende Versorgungstarifverträge übertragbar ist und welche Bedeutung Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Vertrauensschutzgesichtspunkte haben. Auf der Grundlage staatlicher Schutzpflichten entwickelt der Autor ein eigenes Lösungsmodell.
Das Werk wurde mit dem Südwestmetall-Föderpreis 2008 ausgezeichnet.