118
Das Drei-Stufen-Modell ist nur für den Schutz von Versorgungsanwartschaften
entwickelt worden. Auf Eingriffe in bereits laufende Betriebsrenten ist es nicht übertragbar.400 Soweit in Versorgungsansprüche eingegriffen wird, ist daher stattdessen
auf die dem Modell zugrundeliegenden Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des
Vertrauensschutzes abzustellen.401
II. Darstellung des Modells
1. Erste Stufe: Schutz des erdienten Teilbetrags
Eingriffe in den erdienten und analog § 2 Abs. 1 BetrAVG berechneten Teilbetrag
einer Versorgungsanwartschaft sind nach Ansicht des BAG nur in engen Grenzen
zulässig. Der Arbeitnehmer habe seine Leistung durch die dem Arbeitgeber gezeigte
Betriebstreue bereits erbracht. Diese würde entwertet, wenn Versorgungsanwartschaften nachträglich entzogen oder gekürzt werden könnten und dem Arbeitnehmer
so die bereits erdiente Gegenleistung im Versorgungsfall ganz oder teilweise versagt
werden könnte.402 Der Schutz bereits erdienter Versorgungsanwartschaften beruht
damit vor allem auf dem Entgeltcharakter der betrieblichen Altersversorgung und,
hiermit in Zusammenhang stehend, auf dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG,
daneben aber auch auf dem Vertrauensschutzgedanken. Der Arbeitnehmer soll
grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass er die zugesagten und erdienten Leistungen im Versorgungsfall auch erhält. Dieses Vertrauen ist regelmäßig schutzwürdig.
Da alle Gesichtspunkte für unverfallbare und für noch verfallbare Versorgungsanwartschaften gleichermaßen gelten, verdienen alle Versorgungsanwartschaften
grundsätzlich gleichen Schutz, unabhängig davon, ob die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen des § 1b BetrAVG im Einzelfall bereits erfüllt sind.403 Erdiente Anwartschaften können demnach grundsätzlich nicht mehr entzogen werden.
Einen Eingriff in erdiente Anwartschaftsteile lässt das BAG nur in Fällen zu, in
denen zwingende Gründe den Eingriff rechtfertigen. Unter welchen Voraussetzungen ein Eingriff aus zwingendem Grund erfolgt, lässt sich zwar nicht allgemeingül-
400
BAG 13.12.2005, AP BetrAVG § 2 Nr. 49 (III 2 a); BAG 26.7.2000, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 31 (I 2 c aa); Höfer, BetrAVG, Rn. 571; Rolfs, Anm. BAG 28.7.2005, AP BetrAVG
§ 1 Ablösung Nr. 47 (unter 2 a).
401
BAG 13.12.2005, AP BetrAVG § 2 Nr. 49 (III 2 a); BAG 26.7.2000, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 31 (I 2 c aa); BAG 9.11.1999, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 30 (B I 3); BAG
26.8.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 27 (B III 2 b); BAG 16.7.1996, AP BetrAVG § 1
Ablösung Nr. 21 (II 2 b, c und d).
402
Vgl. nur BAG 17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4 (B II 3 c [3]).
403
BAG 17.8.1999, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79 (B II 4 a); BAG 26.4.1988, AP BetrAVG § 1
Geschäftsgrundlage Nr. 3 (IV). Zustimmend B/R/O/Rolfs, BetrAVG, Anh. § 1 Rn. 620;
ErfK/Steinmeyer, Vorbem. BetrAVG, Rn. 24a; F/R/C/S, BetrAVG, § 1 Rn. 250; kritisch dagegen Höfer, BetrAVG, Rn. 575 und – unter Berufung auf Höfer – Griebeling/Griebeling,
BetrAV, Rn. 844.
119
tig definieren. Das BAG hat jedoch in seiner bisherigen Rechtsprechung Fallgruppen gebildet, in denen ein Eingriff in den erdienten Anwartschaftsteil ausnahmsweise zulässig ist. Als zwingend sind danach insbesondere solche Gründe einzuordnen,
welche die Geschäftsgrundlage der Versorgungszusage entfallen lassen.404
Ein zwingender Grund liege insbesondere vor, wenn die bestehende Versorgungsregelung zu einer absoluten oder auch nur relativen Überversorgung des Arbeitnehmers führt.405 Eine absolute Überversorgung trete ein, wenn ein Arbeitnehmer nach
seinem Ausscheiden aus gesetzlicher Rentenversicherung und betrieblicher Altersversorgung eine Versorgungsrente erhält, die über seinem ehemaligen Nettoarbeitseinkommen oder dem eines vergleichbaren, noch aktiven Arbeitnehmers liegt.406
Von einer relativen Überversorgung spricht man dagegen, wenn die Versorgungsregelung ein bestimmtes, unterhalb der Nettovollversorgung liegendes Versorgungsniveau anstrebt, dieses aber verfehlt, weil sich externe Faktoren ändern.407 Zu derartigen Überversorgungen kommt es in erster Linie bei Gesamtversorgungszusagen,
die, wie es früher üblich war, auf das Bruttomonatsgehalt bezogen sind. Verspricht
der Arbeitgeber beispielsweise eine Gesamtversorgung i.H.v. 75 Prozent des zuletzt
bezogenen Bruttogehalts, bezweckt er damit regelmäßig, dem Arbeitnehmer einen
Lebensstandard zu sichern, der dem vergleichbarer aktiver Arbeitnehmer entspricht
oder geringfügig darunter liegt. Die Anbindung an den Lebensstandard der noch
aktiven Arbeitnehmer funktioniert allerdings nur, wenn die Belastung der Aktiveneinkommen mit Steuern und Sozialabgaben gleichbleibt. Erhöht der Staat hingegen
Steuern und Sozialabgaben, entsteht eine Schieflage: Während das Nettoeinkommen
aktiver Arbeitnehmer sinkt, bleibt die Gesamtversorgungsrente, weil auf das Bruttoeinkommen bezogen, unverändert. Es kommt zu einer planwidrigen Überversorgung
der verrenteten Arbeitnehmer, die eine Kürzung ihrer Versorgungsrente rechtfertigt,
etwa durch Einführung einer nettolohnbezogenen Gesamtversorgungsobergrenze.408
Im öffentlichen Dienst bildet nach Auffassung des BAG auch eine plangemäße
Überversorgung einen zwingenden Grund.409 Öffentliche Stellen seien haushaltsrechtlich zu sparsamen und wirtschaftlichem Handeln verpflichtet. Sie dürften die
Zusatzversorgung daher auf das im öffentlichen Dienst übliche Niveau zurückführen.
404
BAG 18.2.2003, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 38 (I 1 b); BAG 11.12.2001, AP BetrAVG
§ 1 Ablösung Nr. 36 (II 1).
405
St. Rspr., BAG 11.12.2001, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 36 (II 1); BAG 28.7.1998, AP
BetrAVG § 1 Überversorgung Nr. 4 (B I 2 a); BAG 26.8.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung
Nr. 27 (B III 2 a).
406
Kemper/Kisters-Kölkes/Kemper, BetrAVG, § 1 Rn. 259; zum Begriff der Überversorgung
ausführlich Dieterich, FS Hilger/Stumpf, S. 77, 78 ff.; Uebelhack, Altersversorgung, S. 197 ff.
407
B/R/O/Rolfs, BetrAVG, Anh § 1 Rn. 502; Höfer, BetrAVG, Rn. 450; Schipp, BetrAV 2008,
249, 250 f. = RdA 2007, 340, 340 f.
408
Zur Begrenzung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst durch Einführung einer nettolohnbezogenen Gesamtversorgungsobergrenze vgl. bereits oben Kap. 2 C I 2 a, S. 98 f.
409
BAG 19.11.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 40 (B I 3 c aa); BAG 20.2.2001, EzA
BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 24 (I 2 a aa und bb); BAG 3.9.1991, AP BetrAVG § 1 Überversorgung Nr. 3 (C II 2 c).
120
Als zwingenden Grund hat das BAG auch eine ganz außergewöhnliche, bei Errichtung des Versorgungswerks nicht absehbare Mehrbelastung des Arbeitgebers
angesehen, etwa durch eine grundlegende Änderung der Rechtslage, insbesondere
des Arbeits- und Steuerrechts.410
Nach der früheren Rechtsprechung konnte auch eine konkursgleiche wirtschaftliche Notlage des Unternehmens Eingriffe in den bereits erdienten Teilbetrag rechtfertigen.411 Dies wurde mit § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, Abs. 2 BetrAVG a.F. begründet,
der Versorgungsempfängern einen Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung einräumte, wenn Versorgungsleistungen wegen einer wirtschaftlichen Notlage
des Arbeitgebers gekürzt oder eingestellt wurden und ein Gericht den Abbau der
Versorgungsleistungen für zulässig erklärt hatte. Der Arbeitnehmer erlitt damit
durch die Kürzung seiner Versorgungsleistungen keinen Nachteil. Mit Wirkung vom
1.1.1999 hat der Gesetzgeber den Sicherungsgrund der wirtschaftlichen Notlage
allerdings entfallen lassen.412 Dementsprechend ist, da dem Arbeitnehmer nunmehr
ein Nachteil entstehen würde, auch der Widerrufsgrund der konkursgleichen wirtschaftlichen Notlage des Arbeitgebers nicht mehr anzuerkennen.413
Liegt einer der genannten Gründe vor, rechtfertigt dies von sich aus noch nicht
jeden Eingriff in den erdienten Teilbetrag der Versorgungsanwartschaft. Immer
muss der Arbeitgeber auch das Lebensalter der betroffenen Arbeitnehmer angemessen berücksichtigen. Für den einzelnen Arbeitnehmer wiegt eine Kürzung von Versorgungsrechten umso schwerer, je näher der Versorgungsfall heranrückt und je
umfangreicher die Kürzungen ausfallen. Deshalb müssen Besitzstandsregelungen
grundsätzlich Übergangsregelungen zum Schutz rentennaher Jahrgänge enthalten.414
2. Zweite Stufe: Schutz der „erdienten Dynamik“
Eingriffe in die erdiente Anwartschaftsdynamik einer Versorgungsanwartschaft sind
nach Ansicht des BAG gerechtfertigt, wenn zumindest triftige Gründe vorliegen.
410
BAG 11.12.2001, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 36 (II 1); BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1
Ablösung Nr. 26 (B II 3 a); BAG 22.4.1986, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 8 (III
2 c 3).
411
Ehemals st. Rspr., BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26 (B II 3 a); BAG
26.8.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 27 (B III 2 a); BAG 16.3.1993, AP BetrAVG § 7
Widerruf Nr. 18 (B I); BAG 23.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 6 (III 1).
412
Art. 91 EGInsO, BGBl. I (1994), S. 2911, 2947.
413
BAG 17.6.2003, AP BetrAVG § 7 Widerruf Nr. 24 (II 3); zurückhaltend dagegen noch BAG
11.12.2001, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 36 (II 1); BAG 24.4.2001, AP BetrAVG § 7 Widerruf Nr. 23 (I). Gegen einen Widerruf aufgrund wirtschaftlicher Notlage des Arbeitgebers
auch Bepler, BetrAV 2000, 19, 24 f.; B/R/O/Rolfs, BetrAVG, Anh § 1 Rn. 523 f.;
ErfK/Steinmeyer, Vorbem. BetrAVG Rn. 31; ders., RdA 2005, 345, 350; F/R/C/S, BetrAVG,
§ 1 Rn. 254; Kemper/Kisters-Kölkes/Kemper, BetrAVG, § 1 Rn. 256 f.; differenzierend
Höfer, BetrAVG, Rn. 453: Widerruf nach wie vor zulässig, allerdings nur wirksam hinsichtlich solcher Versorgungsrechte, die nicht dem gesetzlichen Insolvenzschutz unterfallen.
414
BAG GS 16.9.1986, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 17 (C II 5).
121
Der geringere Schutz der Anwartschaftsdynamik, die, obwohl nach dem BAG ebenfalls zu den erdienten Anwartschaftsteilen zählend, bereits aus weniger gewichtigen
als zwingenden Gründen widerrufen werden kann, beruhe ganz wesentlich auf einer
Wertung des Betriebsrentengesetzes. Der Gesetzgeber habe in § 2 Abs. 5 i.V.m. § 7
Abs. 2 Satz 3 BetrAVG festgelegt, dass der erdienten Dynamik ein geringerer
Schutz zukomme, als dem erdienten Besitzstand.415 Als hinreichend („triftig“) seien
daher bereits Gründe anzusehen, die geeignet sind, einen Verzicht des Arbeitgebers
auf die durch § 16 BetrAVG gebotene Anpassung der Betriebsrenten an die Inflationsentwicklung zu rechtfertigen. Dabei gehe es um die Heranziehung der Wertungen des § 16 BetrAVG, nicht um deren schematische Übertragung; § 16 BetrAVG
diene als „Orientierungsmaßstab“.416 Danach seien Eingriffe in die erdiente Anwartschaftsdynamik zulässig, wenn ein unveränderter Fortbestand des Versorgungswerks
langfristig zu einer Substanzgefährdung des Unternehmens führen würde417 oder das
dringende betriebliche Bedürfnis bestehe, ungerechte und lückenhafte Versorgungsregelungen umzustrukturieren, vorausgesetzt, der Gesamtaufwand für das Versorgungswerk werde beibehalten und die Leistungskürzungen würden durch Leistungsverbesserungen kompensiert.418
Die vom BAG zur Konkretisierung des triftigen Grundes gezogene Parallele zu
§ 16 BetrAVG ist in der Literatur auf Kritik gestoßen.419 Eine Gleichsetzung der
Gründe, die Eingriffe in die erdiente Anwartschaftsdynamik rechtfertigen, mit denen, welche die vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgeschriebene Rentenanpassung
nach Rentenbeginn ausnahmsweise entfallen lassen, verbiete sich schon angesichts
der unterschiedlichen Regelungsbereiche. Es erscheine fern liegend, dass sich die
rechtfertigenden Gründe hinsichtlich ihrer rechtfertigenden Voraussetzungen zufällig decken sollten.420 Die Kritik ist sicherlich beachtlich; richtigerweise ist die
Rechtsprechung des BAG aber bereits deshalb abzulehnen, weil ein Besitzstand der
„erdienten“ Anwartschaftsdynamik nicht existiert. Der Arbeitnehmer kann die künf-
415
BAG 10.9.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (II 2 b); BAG 17.4.1985, AP BetrAVG
§ 1 Unterstützungskassen Nr. 4 (B II 3 c [3]).
416
BAG 10.9.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (III 3 d aa); BAG 11.12.2001, AP
BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 36 (II 3 b aa); BAG 11.12.2001, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 43 (I 3 b aa); BAG 18.4.1989, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 23
(B 2); BAG 17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4 (B II 3 c [3]).
417
BAG 10.9.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (III 3 d aa); BAG 11.12.2001, AP
BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 36 (II 3 b aa); BAG 21.8.2001, AP BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 8 (B III 2 b aa); BAG 7.7.1992, AP BetrAVG § 1 Besitzstand Nr. 11 (II 2 a); BAG
17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4 (B II 3 c [3]).
418
BAG 10.9.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (III 3 d aa); BAG 7.7.1992, AP BetrAVG
§ 1 Besitzstand Nr. 11 (II 2 a); BAG 11.9.1990, AP BetrAVG § 1 Besitzstand Nr. 8 (II 3 a).
419
B/O/Blomeyer, BetrAVG, 3. Aufl. 2004 (Vorauflage), Anh § 1 Rn. 520; Blomeyer, gem. Anm.
BAG 17.4.1985, 23.4.1985, SAE 1986, 98, 100; ders., RdA 1986, 69, 80 f.; Loritz, Anm.
BAG 17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4; ders. ZfA 1989, 1, 29 f.;
zustimmend dagegen Dieterich, NZA 1986, 41, 45; Hanau/Preis, RdA 1988, 65, 80;
MünchArbR/Förster/Rühmann, Bd. 1, § 106 Rn. 13; Wiedemann, FS Stimpel, S. 955, 975.
420
Loritz, Anm. BAG 17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4.
122
tige Dynamik einer endgehaltsbezogenen Versorgungszusage nicht erdienen, da ein
Zusammenhang zwischen in der Vergangenheit geleisteter Betriebstreue und künftiger Gehaltsentwicklung nicht besteht.421 Das BAG hat an der zweiten Anwartschaftsstufe allerdings trotz aller bisher geäußerter Bedenken festgehalten. Es ist
auch nicht zu erwarten, dass sich diese Rechtsprechung in näherer Zukunft ändert.
3. Dritte Stufe: Schutz des noch nicht erdienten Teilbetrags
Eingriffe in den noch nicht erdienten Teilbetrag lässt das BAG unter sehr viel geringeren Anforderungen zu. Zwar sei der Arbeitgeber grundsätzlich an die einmal erteilte Versorgungszusage gebunden, doch wiege das Vertrauen des Arbeitnehmers
insoweit weniger schwer, da er seine Leistung noch nicht erbracht habe. Für eine
Kürzung künftig zu erdienender Anwartschaftsteile genügten daher bereits sachlichproportionale Gründe. Darunter versteht das BAG in ständiger Rechtsprechung
willkürfreie, nachvollziehbare und anerkennenswerte Gründe. Diese könnten auf
einer wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung des Unternehmens oder einer Fehlentwicklung des betrieblichen Versorgungswerks beruhen.422 Sachlich begründet sei
ein Eingriff deshalb, wenn durch die Änderung eine bestehende Ungleichbehandlung im Unternehmen beseitigt werde423 bzw. wenn sie dazu diene, die Altersversorgung im Unternehmen zu harmonisieren,424 etwa indem Betriebe in das Versorgungswerk einbezogen werden, deren Belegschaft bisher keine oder nur eine
schlechtere Altersversorgung erwarten konnte425. Zulässig sei ein Eingriff auch,
wenn mit ihm bezweckt werde, seit Einführung der Altersversorgung im Betrieb
erheblich gestiegene Aufwendungen auf den ursprünglichen Dotierungsrahmen
zurückzuführen426 oder Kosteneinsparungen notwendig seien, weil sich die Ertragslage des Unternehmens nicht nur vorübergehend verschlechtert habe. Im letztgenannten Fall verlangt das BAG aber einschränkend, dass sich der Eingriff nachvollziehbar in ein auf Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ausgerichtetes Gesamt-
421
Hierzu bereits oben Kap. 2 A II 2, S. 71 f.
422
Grundlegend BAG 17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4 (B II 3 c [3]);
nachfolgend BAG 17.8.1999, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79 (B II 4 c); BAG 11.5.1999, AP
BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 6 (III 2 c bb); BAG 16.7.1996, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 21 (II 2 b).
423
BAG 26.8.1997, AP BetrAVG § 1 Besitzstand Nr. 14 (III 3 a).
424
BAG 29.7.2003, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 45 (B I 2 b bb); BAG 8.12.1981, AP
BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 1 (B III 3 a); BAG 8.12.1981, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 1 (III 3 a).
425
BAG 8.12.1981, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 1 (B III 3 a).
426
BAG 17.3.1987, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 9 (II 3 c [3] und II 4).
123
konzept einpasst.427 Der nur allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten
reiche jedenfalls nicht aus.428
III. Bewertung
Das Drei-Stufen-Modell setzt dem Widerruf von Unterstützungskassenzusagen und
ablösenden Betriebsvereinbarungen sehr enge Grenzen. Insbesondere Eingriffe in
den bereits erdienten Teilbetrag einer Versorgungsanwartschaft sind, abseits von
eindeutigen Fällen wie dem Abbau einer Überversorgung, kaum möglich. Nachdem
auch der Widerrufsgrund der wirtschaftlichen Notlage entfallen ist, kann der Arbeitgeber nach der BAG-Rechtsprechung in erdiente Anwartschaftsteile nur dann eingreifen, wenn sich die der Versorgungszusage zugrunde gelegte Rechtslage nach
Erteilung der Zusage wesentlich und unerwartet geändert hat und dies beim Arbeitgeber zu erheblichen Mehrbelastungen geführt hat.429 Dies sind enge Voraussetzungen, die das BAG etwa als gegeben angesehen hat, wenn der Versorgungsaufwand
beim Arbeitgeber infolge gesetzlicher Änderungen des Steuer- und Sozialversicherungsrechts bei einem Barwertvergleich, bezogen auf den Zeitpunkt der Einführung
des Versorgungswerks, um ca. 60 Prozent angestiegen ist.430 Eine untere Grenze, bei
deren Überschreitung eine erhebliche Mehrbelastung des Arbeitgebers vorliegen
soll, hat das BAG bisher nicht genannt, so dass eine genaue Einschätzung schwierig
ist. In der Literatur werden Schwellenwerte von 10431, 20432 bzw. 30 bis 40 Prozent433 vorgeschlagen, wobei der tatsächliche Schwellenwert bei Eingriffen in erdiente Anwartschaften angesichts der auch ansonsten restriktiven Rechtsprechung
eher bei 40 Prozent anzusiedeln sein dürfte434. Da das BAG zudem bestimmte
Rechtsänderungen, wie die Einführung der Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften (§ 1b BetrAVG) und der Anpassungsprüfungspflicht (§ 16 BetrAVG),
von vornherein ausnimmt, weil sie angeblich nur den – vom Arbeitgeber ohnehin zu
beachtenden – Grundsatz von Treu und Glauben konkretisieren,435 ist ein Eingriff in
427
BAG 17.8.1999, AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79 (B II 4 c). Vgl. auch BAG 19.4.2005, AP
BetrAVG § 1 Betriebsvereinbarung Nr. 9 (B II 2 b); BAG 18.2.2003, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 38 (I 2 d).
428
BAG 10.9.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (III 2 c); BAG 18.9.2001, AP BetrAVG
§ 1 Ablösung Nr. 34 (II 2 c bb [2] [c]).
429
BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26 (B II 3 a); BAG 22.4.1986, AP BetrAVG
§ 1 Unterstützungskassen Nr. 8 (III 2 c [3]); BAG 9.7.1985, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 6
(I 2 b [2]).
430
BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26 (B II 3 b und III 2 a).
431
Schumann, FS Förster, S. 165, 173 f., dessen Hinweis auf die Entscheidung BAG 9.7.1985,
AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 6 allerdings verfehlt ist (vgl. den 1. LS).
432
B/R/O/Rolfs, BetrAVG, Anh § 1 Rn. 509.
433
Höfer, BetrAVG, Rn. 488 ff.; Höfer/Lerner, Anm. BAG 23.9.1997, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 26; Uebelhack, Altersversorgung, S. 113 f.
434
Vgl. Wiese, FS Zöllner, S. 983, 997.
435
BAG 22.4.1986, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 8 (III 2 c [1]).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die gesetzliche Rente ist längst nicht mehr sicher. Schutz gegen drohende Versorgungslücken bieten Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung. Neben betriebsbezogenen Versorgungssystemen gewinnen in der Praxis auch solche auf tariflicher Grundlage zunehmend an Bedeutung. Doch wie verhält sich ein solches System im Krisenfall? In welchem Umfang sind Eingriffe in Versorgungsrechte zur Rettung von Unternehmen möglich?
Diesen in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht wird, ob die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Drei-Stufen-Theorie auf ablösende Versorgungstarifverträge übertragbar ist und welche Bedeutung Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Vertrauensschutzgesichtspunkte haben. Auf der Grundlage staatlicher Schutzpflichten entwickelt der Autor ein eigenes Lösungsmodell.
Das Werk wurde mit dem Südwestmetall-Föderpreis 2008 ausgezeichnet.