73
nicht erdienten Teilbetrag der Versorgungsanwartschaft. Neben den zwei genannten
Stufen steht als weitere, „dritte“ Stufe der Versorgungsanspruch bereits verrenteter
Arbeitnehmer.
III. Berechnung des erdienten Besitzstands
1. Versorgungsanspruch
Ist der Versorgungsfall bereits eingetreten und werden dem Versorgungsberechtigten deshalb bereits monatliche Versorgungsrenten gezahlt, ist der erdiente Besitzstand leicht zu berechnen. Erdient sind die bereits ausgezahlten und die künftig bis
zum Ableben noch auszuzahlenden monatlichen Versorgungsbezüge. Deren Barwert
lässt sich anhand versicherungsmathematischer Grundsätze, unter Berücksichtigung
der biometrischen Wahrscheinlichkeiten wie der statistischen (Rest-)Lebenserwartung, berechnen. Grundlage für die Ermittlung der biometrischen Wahrscheinlichkeiten sind die Richttafeln 2005 G von Prof. Dr. Klaus Heubeck.231
2. Erdienter Teilbetrag der Versorgungsanwartschaft
Schwieriger ist die Berechnung des erdienten Besitzstands, wenn der Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist. Mehrere Berechnungswege kommen hierfür in Betracht: in der Privatwirtschaft kann die Berechnung analog § 2 Abs. 1 BetrAVG oder
entsprechend einer tariflichen Regelung erfolgen, im öffentlichen Dienst ist zusätzlich auch eine Berechnung analog § 18 Abs. 2 BetrAVG denkbar. Wie entscheidend
der Berechnungsmaßstab für die Feststellung eines Eingriffs ist, zeigt die Entscheidung des BGH vom 14.11.2007 zum Systemwechsel in der Zusatzversorgung des
öffentlichen Dienstes. Anders als das OLG Karlsruhe in der Vorinstanz232 hielt der
BGH die Berechnung der Versorgungsanwartschaften analog § 18 Abs. 2 BetrAVG
im Grundsatz für zulässig und lehnte daher einen Eingriff in den geschützten Besitzstand ab.233.
231
Vgl. dazu das Schreiben des Bundesfinanzministeriums v. 16.12.2005, BStBl. I (2005),
S. 1054.
232
OLG Karlsruhe, 24.11.2005, Az. 12 U 102/04, n.v. (B IV 6 c bb [2], B IV 9) mit ablehnender
Anm. Ackermann, BetrAV 2006, 247, 249 und 22.9.2005, ZTR 2005, 588, 589, 590; a.A.
auch LAG Hamm 18.1.2006, ZTR 2006, 320, 321 ff.; dazu eingehend unten C II 2 c,
S. 104 ff.
233
BGH 14.11.2007, BetrAV 2008, 203, 208; zustimmend Hügelschäffer, BetrAV 2008, 254;
Konrad, ZTR 2008, 296; Wein, BetrAV 2008, 451; ebenso schon LAG Hamm 18.1.2006,
ZTR 2006, 320, 321 ff. Eingehend dazu unten C II 2 c, S. 104 ff.
74
a) Zeitratierliche Berechnung (§ 2 Abs. 1 BetrAVG)
In der Privatwirtschaft erfolgt die Wertberechnung der bis zum Ablösungsstichtag
erdienten Versorgungsanwartschaften nach ständiger Rechtsprechung des BAG
sowie ganz überwiegender Ansicht in der Literatur unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage in Analogie zu § 2 Abs. 1 BetrAVG.234
§ 2 Abs. 1 BetrAVG betrifft bei wortgetreuer Anwendung nur die Anwartschaftsberechnung bei Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls endet. Auf nachträgliche Kürzungen ist die Vorschrift nur analog anwendbar. Nach herrschender Ansicht soll neben der gesetzlichen Regelungslücke
auch die erforderliche Vergleichbarkeit gegeben sein.235 Dem ist zuzustimmen. In
beiden Fallkonstellationen ist die Betriebstreue, d.h. die Leistung, noch nicht vollständig erbracht und es geht jeweils um die Frage, welchen Wert die Anwartschaft
besitzen muss, damit sie in einem angemessenen Verhältnis zu der vom Arbeitnehmer bislang erbrachten Betriebstreue steht. Auf welchen Gründen die bloß teilweise
Erbringung der Betriebstreue beruht, ist demgegenüber nebensächlich.
Nach § 2 Abs. 1 BetrAVG bestimmt sich die Höhe der Versorgungsanwartschaft
eines vor Eintritt des Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen
Arbeitnehmers mindestens nach dem Verhältnis der bis zum Ablösungsstichtag
erreichten Betriebszugehörigkeit (m) zu der Betriebszugehörigkeit, die er, gerechnet
ab seinem Eintritt in den Betrieb, bis zu der nach der Versorgungsordnung maßgebenden Altersgrenze erreichen kann (n). Das bedeutet zunächst, dass die Versorgungsordnung eine günstigere Berechnungsregel enthalten kann. Ist eine solche
Regel nicht vereinbart, gilt das Verfahren nach § 2 Abs. 1 BetrAVG. Für den Wert
des Zählers (m) ist dabei die gesamte Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen,
einschließlich der Ausbildungszeiten und der Zeit, in der die Betriebszugehörigkeit
noch nicht von einer Versorgungszusage begleitet war236. Im Verhältnis (m/n) wird
die dem Arbeitnehmer für den Eintritt des Versorgungsfalls zugesagte Versorgungsrente gekürzt; dabei bleibt eine nach dem Ablösungsstichtag eintretende Verände-
234
BAG 11.12.2001, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 36 (II 1); BAG 26.8.1997, AP BetrAVG § 1
Ablösung Nr. 27 (B III 2 a); BAG 17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4 (B
II 3 c [1]) – individualvertragliche Versorgungszusage; BAG 18.2.2003, NZA 2004, 98, 100;
BAG 8.12.1981, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 1 (B III 1 a) – Betriebsvereinbarung; BAG
19.11.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 40 (C); OLG Karlsruhe 22.9.2005, ZTR 2005,
588, 589 – Versorgungstarifvertrag; B/R/O/Rolfs, BetrAVG, Anh § 1 Rn. 621; ErfK/-
Steinmeyer, Vorbem. BetrAVG Rn. 15; ders., RdA 2005, 345, 349; F/R/C/S, BetrAVG, § 1
Rn. 250; Höfer, BetrAVG, Rn. 573; a.A. Rengier, RdA 2006, 213, 215 ff. = BetrAV 2007, 20,
22 ff.; vgl. schon dens., NZA 2004, 817, 821.
235
BAG 8.12.1981, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 1 (B III 1 a) – ohne Begründung;
ErfK/Steinmeyer, Vorbem. BetrAVG Rn. 15; ablehnend Rengier, RdA 2006, 213, 215 ff. =
BetrAV 2007, 20, 22 ff., der bei Direktzusagen und Unterstützungskassenzusagen auf den
handelsrechtlichen Teilwert nach § 253 Abs. 1 HGB abstellt.
236
BAG 19.11.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 40 (B I 3 b aa [1]); BAG 20.11.2001, AP
BetrAVG § 3 Nr. 12 (II 2 e).
75
rung der Bemessungsgrundlagen (vor allem des Endgehalts) nach § 2 Abs. 5
BetrAVG grundsätzlich unberücksichtigt. Es gilt also eine Veränderungssperre.
Soll die Versorgungsrente nach der bisherigen Versorgungsordnung beispielsweise 20 Prozent des zuletzt erzielten Bruttomonatsgehalts betragen, berechnet sich die
Versorgungsrente, wenn der Arbeitnehmer zum Ablösungsstichtag 30 von 40 möglichen Dienstjahren zurückgelegt hat und sein Bruttomonatsgehalt 3.000 € beträgt,
folgendermaßen: Die erreichte Betriebszugehörigkeit (m = 30 Jahre) ist ins Verhältnis zur möglichen Betriebszugehörigkeit (n = 40 Jahre) zu setzen und mit dem zugesagten Prozentsatz vom Bruttomonatsgehalt (20 Prozent von 3.000 €) zu multiplizieren. Der zum Ablösungsstichtag erdiente Anwartschaftsteilbetrag liegt also bei ¾ x
20% x 3.000 € = 450 €. Spätere Gehaltserhöhungen bleiben wegen § 2 Abs. 5
BetrAVG außer Betracht, genießen jedoch nach (freilich unzutreffender) Ansicht
des BAG als erdiente Dynamik besonderen Schutz; zur Berechnung der erdienten
Dynamik unten 3, S. 80.
Charakteristisch für die zeitratierliche Berechnung nach dem m/ntel-Verfahren
(häufig auch als Quotierungsprinzip bezeichnet) ist, dass jedem Jahr der Betriebszugehörigkeit, unabhängig davon, wie die Versorgungsordnung selbst die Berechnung
regelt, der gleiche Wert beigemessen wird. Der Verlauf dynamischer Versorgungszusagen wird dadurch zum Stichtag linear gestreckt. Im Berechnungsbeispiel wird
so jedem der zurückgelegten Dienstjahre, unabhängig von der tatsächlichen Einkommensentwicklung des Arbeitnehmers, ein Wert von 450 € ./. 30 = 15 € beigemessen.
b) § 18 Abs. 2 BetrAVG als Sonderregel für den öffentlichen Dienst?
Im öffentlichen Dienst soll sich der erdiente Teilbetrag nach Ansicht des BGH und
Teilen des Schrifttums dagegen nicht analog § 2 Abs. 1 BetrAVG, sondern analog
§ 18 Abs. 2 BetrAVG berechnen.237 Nach § 18 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG entscheidet
nicht das Verhältnis von tatsächlicher zur möglichen Beschäftigungsdauer über die
Höhe des zum Ablösungsstichtag bereits erdienten Teilbetrags, sondern die Anzahl
der Versicherungsjahre. Pro Versicherungsjahr beträgt danach die Versorgungsrente
2,25 Prozent, höchstens aber 100 Prozent der Leistung, die dem Arbeitnehmer bei
dem höchstmöglichen Versorgungssatz zugestanden hätte (sog. Voll-Leistung).
Dieser Berechnungsmaßstab führt, wie vor allem die Systemumstellung im öffentlichen Dienst gezeigt hat, in vielen Fällen zu einem geringeren Anwartschaftswert als
die Berechnung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG.238
237
BGH 14.11.2007, BetrAV 2008, 203, 208; Ackermann, BetrAV 2006, 247, 249; Konrad, ZTR
2006, 356, 358 f.; OLG Karlsruhe 24.11.2005, Az. 12 U 102/04, n.v. (B IV 6 c bb [2], B IV 9)
und 22.9.2005, ZTR 2005, 588, 589 m. zust. Anm. Kühn/Ebinger, VersR 2005, 1713, 1716;
Kemper/Kisters-Kölkes/Pühler, BetrAVG, § 18 Rn. 93.
238
Dazu im Einzelnen unten C II 2 c, S. 104 ff.
76
Die Anwendung des § 18 Abs. 2 BetrAVG wird damit begründet, dass dieser die
gegenüber § 2 Abs. 1 BetrAVG speziellere Regelung enthalte und ihr deswegen
vorgehe. Der Gesetzgeber habe sich, wie auch die Gesetzesbegründung zeige, im
Bereich des öffentlichen Dienstes bewusst für eine von § 2 Abs. 1 BetrAVG abweichende Regelung entschieden. Diese trage den spezifischen Besonderheiten des –
bis zur Systemumstellung 2002 – im öffentlichen Dienst bestehenden Gesamtversorgungssystems Rechnung.239
Diese Argumentation überzeugt nicht. Sie verkennt die Entstehungsgeschichte
des § 18 Abs. 2 BetrAVG. Der Gesetzgeber hat die Regelung in § 18 Abs. 2
BetrAVG zum 1.1.2001 durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur
Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 21.12.2000240 grundlegend
neu gefasst. Zuvor betrug die Versorgungsanwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden für jedes volle Jahr der Pflichtversicherung grundsätzlich 0,4 Prozent des Arbeitsentgelts. Das bedeutete eine erhebliche Schlechterstellung im Vergleich zur
Privatwirtschaft. Schied ein Arbeitnehmer beispielsweise nach 25 Jahren aus dem
öffentlichen Dienst aus, betrug seine Versorgungsanwartschaft nach § 18 Abs. 2
BetrAVG a.F. lediglich zehn Prozent des zuletzt bezogenen Gehalts und damit deutlich weniger, als ein Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft nach dem m/ntel-
Verfahren erhalten hätte. Das BVerfG erklärte daher § 18 Abs. 2 BetrAVG a.F. mit
Beschluss vom 15.7.1998 wegen Verstoßes gegen Art. 3 und Art. 12 GG für verfassungswidrig und gab dem Gesetzgeber auf, bis 31.12.2000 eine verfassungsmäßige
Neuregelung zu treffen.241 Insbesondere anhand der Ausführungen zu Art. 3 GG
wird deutlich, dass eine verfassungsgemäße Neuregelung nach Ansicht des BVerfG
eine weitgehende Angleichung an § 2 Abs. 1 BetrAVG voraussetzt. Bei einer zeitratierlichen Berechnung, wie sie § 2 BetrAVG nach dessen Abs. 5 Satz 2 auch für
Gesamtversorgungssysteme vorsehe, träten Ungereimtheiten (wie nach § 18 Abs. 2
BetrAVG a.F.) nicht auf. Von daher sei nicht einsichtig, „weshalb diese Regelung
nicht mindestens ebensogut zu dem im öffentlichen Dienst üblichen Versorgungssystem paßt, wie die Sonderregelung des § 18 BetrAVG (a.F.)“242. Ein sachlicher
Grund, der zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst differenzierende
Regelungen rechtfertigt, ist daher in den „Besonderheiten“ der im öffentlichen
Dienst ehemals bestehenden Gesamtversorgung nicht zu sehen.
Mit der Neuregelung des § 18 BetrAVG beabsichtigte der Gesetzgeber, wie sich
auch aus der Gesetzesbegründung ergibt, die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes denen der Privatwirtschaft – den Vorgaben des BVerfG entsprechend – grundsätzlich gleichzustellen.243 Von einer völligen Gleichstellung hat er jedoch ausdrücklich abgesehen, da er der Ansicht war, das bestehende Gesamtversorgungssystem
239
BGH 14.11.2007, BetrAV 2008, 203, 208; Ackermann, BetrAV 2006, 247, 249; Konrad, ZTR
2006, 356, 358 f.
240
BGBl. I (2000), S. 1914.
241
BVerfG 15.7.1998, AP BetrAVG § 18 Nr. 26.
242
Unter C II 3 d.
243
BT-Drs. 14/4363, S. 8.
77
lasse die „Ermittlung der fiktiv bei Erreichen des 65. Lebensjahres zustehenden
individuellen Versorgung“, wie sie im Rahmen des § 2 BetrAVG erfolgt, „insbesondere unter Berücksichtigung mehrerer Beschäftigungen im öffentlichen Dienst in
einer für die praktische Umsetzung vertretbaren Weise nicht zu“. Hintergrund dessen sei, dass für die Berechnung der Leistungen aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes durchweg nicht nur auf die Beschäftigungszeit bei einem einzelnen Arbeitgeber, sondern auf sämtliche Beschäftigungszeiten innerhalb des öffentlichen Dienstes abgestellt werde, ein zweimal vorzeitig aus dem öffentlichen Dienst
ausgeschiedener Arbeitnehmer – bei Berechnung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG – also
für ein und denselben Zeitraum zwei Leistungen erhielte. Eine Anrechnungsregelung aber sehe § 2 BetrAVG nicht vor.244
Die Gesetzesbegründung zeigt damit, dass der Gesetzgeber die Arbeitnehmer des
öffentlichen Dienstens denen der privaten Wirtschaft zwar grundsätzlich gleichstellen wollte, dies aber wegen der Besonderheiten des Gesamtversorgungssystems
nicht „in einer für die praktischen Umsetzung vertretbaren Weise“ für möglich erachtete. Das steht der Anwendung des § 2 Abs. 1 BetrAVG im öffentlichen Dienst
nicht entgegen. Zunächst ist festzuhalten, dass auch der Gesetzgeber grundsätzlich
vom Gleichbehandlungserfordernis ausgeht, einen Rückgriff auf § 2 Abs. 1
BetrAVG also nicht von vornherein für ausgeschlossen hält. Mit Schwierigkeiten
bei der Berechnung der Versorgungsanwartschaften können unterschiedliche Berechnungsregelungen für den öffentlichen Dienst entgegen der Ansicht des Gesetzgebers nicht gerechtfertigt werden. Berechnungsschwierigkeiten bilden keinen sachlichen Grund, der eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer im Vergleich zur Privatwirtschaft rechtfertigen könnte. Dem Umstand, dass sich die Voll-Leistung im
Gesamtversorgungssystem nach der gesamten Zeit der Pflichtversicherung (und
damit in aller Regel nach der gesamten Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst)
richtete, kann auch im Rahmen des § 2 BetrAVG Rechnung getragen werden, indem
als Bezugsgröße für den erdienten Zeitanteil nicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit bei einem Arbeitgeber abgestellt wird, sondern auf die gesamte Zeit der
Pflichtversicherung.245 Zur Vermeidung von Doppelansprüchen bei mehrfacher
Beschäftigung im öffentlichen Dienst sind auf den so errechneten Teilbetrag unverfallbare Versorgungsanwartschaften anzurechnen, die zuvor bei anderen Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes erworben wurden. Sind nach der Versorgungszusage
zudem Vordienstzeiten zu berücksichtigen, d.h. Beschäftigungszeiten, die der betreffende Arbeitnehmer außerhalb des öffentlichen Dienstes geleistet hat, sind diese
sowohl bei der Ermittlung des voraussichtlichen Anspruchs bei Erreichen der Altersgrenze als auch bei dem Zeitwertfaktor selbst zu berücksichtigen.246
Eine derart modifizierte Anwendung des § 2 Abs. 1 BetrAVG ist gegenüber der
Berechnung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG vorzugswürdig, da sie der Forderung des
244
BT-Drs. 14/4363, S. 8.
245
OLG Karlsruhe 22.9.2005, ZTR 2005, 588, 589.
246
BAG 8.5.1984, AP BetrAVG § 7 Nr. 20 (II 3 b); OLG Karlsruhe 22.9.2005, ZTR 2005, 588,
589.
78
BVerfG nach Gleichbehandlung besser Rechnung trägt. An ihrer Geeignetheit bestehen keine vernünftigen Zweifel. Mit § 2 BetrAVG hat der Gesetzgeber – so das
BVerfG – selbst eine praktikable Lösung für die Berechnung unverfallbarer Rentenanwartschaften geschaffen, die die Höhe der jeweils erdienten Zusatzversorgung
angemessen berücksichtigt und für alle Versorgungssysteme einschließlich der Gesamtversorgungszusagen gleichermaßen geeignet ist.247
Im Übrigen ist ohnehin fraglich, ob § 18 Abs. 2 BetrAVG in seiner derzeitigen
Fassung verfassungsgemäß ist.248 So wird beispielsweise ein Arbeitnehmer, der, wie
viele Hochschulabsolventen, erst mit 30 Jahren in den öffentlichen Dienst eintritt,
bei der Berechnung nach § 18 Abs. 2 BetrAVG gegenüber einem in der Privatwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer erheblich benachteiligt. Wird das Versorgungssystem nach 25 Jahren geändert, beträgt seine Versorgungsanwartschaft nach § 18
Abs. 2 BetrAVG 25 x 2,25 Prozent = 56,25 Prozent der Voll-Leistung. Sein in der
Privatwirtschaft tätiger Kollege hätte dagegen bereits 25 ./. 35 = 71,43 Prozent der
Voll-Leistung erdient. Für eine derartige Schlechterstellung der Arbeitnehmer des
öffentlichen Dienstes besteht kein sachlicher Grund;249 diese Frage bedarf hier aber
keiner abschließenden Entscheidung.
Im Ergebnis berechnet sich der zum Ablösungsstichtag erdiente Besitzstand damit
sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst grundsätzlich analog
§ 2 Abs. 1 BetrAVG. Das gilt, wie bereits der Wortlaut des § 2 Abs. 1 BetrAVG
(„mindestens“) verdeutlicht, allerdings nicht, wenn im Tarifvertrag von vornherein
eine abweichende Berechnung vorgesehen ist.
c) Ausnahme: Berechnungsmaßstab tariflich bestimmt
Dass in der Versorgungsordnung für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens eine von
§ 2 Abs. 1 BetrAVG abweichende, dem Arbeitnehmer günstigere Berechnungsregelung vorgesehen sein kann, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1
BetrAVG. Gleiches muss auch für den Ablösungsfall gelten. Enthält die Versorgungsordnung folglich für den Fall einer späteren Änderung der Versorgungsordnung eigene Berechnungsregelungen, gelten diese, sofern sie günstiger sind, anstelle
von § 2 Abs. 1 BetrAVG.250 Ist die Versorgungsregelung in einem Tarifvertrag enthalten, kann sie – darüber hinausgehend – auch eine dem Arbeitnehmer ungünstige-
247
BVerfG 15.7.1998, AP BetrAVG § 18 Nr. 26 (C I 3 a).
248
Das BVerfG hat dies jüngst offen gelassen, Beschluss vom 9.5.2007, BetrAV 2007, 576. Für
eine Verfassungswidrigkeit des § 18 Abs. 2 BetrAVG sprechen sich etwa Kemper/Kisters-
Kölkes/Pühler, BetrAVG, § 18 Rn. 93 aus; vgl. auch die Bedenken bei OLG Karlsruhe
22.9.2005, ZTR 2005, 588, 589. Dagegen hält Wein, BetrAV 2006, 331, 333 ff. die vom Gesetzgeber getroffene Neuregelung für verfassungsgemäß.
249
So im Ergebnis auch BGH 14.11.2007, BetrAV 2008, 203 (Rn. 133 ff. – insoweit nicht veröffentlicht).
250
BAG 8.12.1981, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 1 (B III 1 a); OLG Karlsruhe 22.9.2005,
ZTR 2005, 588 (B IV 6 c bb [3], insoweit nicht veröffentlicht).
79
re Berechnungsmethode vorsehen. Das ergibt sich aus § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG,
der § 2 Abs. 1 BetrAVG für tarifdispositiv erklärt.251 In diesem Fall gilt die ungünstigere Berechungsmethode nach § 17 Abs. 3 Satz 2 BetrAVG für Arbeitnehmer,
deren Arbeitsvertrag auf die tarifliche Regelung Bezug nimmt.
Die Tarifvertragsparteien können demnach beispielsweise auch vereinbaren, dass
die Versorgungsanwartschaften im Ablösungsfall nach § 18 Abs. 2 BetrAVG berechnet werden.252 Eine solche Regelung entfaltet jedoch richtigerweise nur Wirkung ex nunc. Vereinbaren die Tarifvertragsparteien erst später, dass sich die bereits
erworbenen Anwartschaftsteile nach § 18 Abs. 2 BetrAVG berechnen, liegt darin
ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in den nach § 2 Abs. 1 BetrAVG berechneten
erdienten Teilbetrag.253
Fraglich ist aber, ob tariflich auch dann ein von § 2 Abs. 1 BetrAVG abweichender Berechnungsmaßstab bestimmt ist, wenn die Tarifvertragsparteien – ohne ausdrücklich auf den Ablösungsfall Bezug zu nehmen – bestimmte Zeitabschnitte unterschiedlich bewerten. Relativ unproblematisch ist dies nur, soweit die tarifliche
Regelung sich auf die Berechnung der bei vorzeitigem Ausscheiden unverfallbaren
Versorgungsanwartschaft bezieht. In diesem Fall ist, wie bei § 2 Abs. 1 BetrAVG,
ein Analogieschluss möglich. Beispiel für eine solche Regelung ist § 5 V Nr. 2 des
Versorgungstarifvertrags der Steine- und Erdenindustrie Bayerns254. Danach beträgt
der bei vorzeitigem Ausscheiden des Arbeitnehmers unverfallbare Teil der Beihilfe
nach 10 Jahren Wartezeit 15 Prozent, nach 15 Jahren 25 Prozent, nach 20 Jahren 40
Prozent, nach 25 Jahren 55 Prozent, nach 30 Jahren 70 Prozent und nach 35 Jahren
80 Prozent der zugesagten Leistungen. Anders als nach § 2 Abs. 1 BetrAVG wird
also nicht jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit mit demselben Faktor gewichtet. Die
Gewichtung variiert vielmehr zwischen durchschnittlich 1,5 Prozent pro Jahr in den
ersten zehn Jahren und 3 Prozent pro Jahr zwischen dem 15. und dem 20. Jahr der
Betriebszugehörigkeit. Der Wert des erdienten Besitzstands steigt zudem nicht (wie
nach § 2 Abs. 1 BetrAVG) mit jedem Jahr an, sondern sprunghaft, mit Erreichen
einer der festgelegten Jahresstufen.
Ist die Versorgungsregelung dagegen weder ausdrücklich auf den Ablösungsfall
noch auf ein vorzeitiges Ausscheiden bezogen, enthält sie nach zutreffender Auffassung keinen von § 2 Abs. 1 BetrAVG abweichenden Berechnungsmaßstab.255 Mit
der Frage der Wertberechnung von Teilleistungen haben sich die (Tarif-)Vertragsparteien in diesem Fall nicht befasst. Deswegen sind derartige Regelungen, soweit
251
Insoweit zutreffend BGH 14.11.2007, BetrAV 2008, 203, 208.
252
Eine derartige Vereinbarung haben die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes in § 33
Abs. 1 Satz 1 ATV/ATV-K getroffen.
253
OLG Karlsruhe 22.9.2005, ZTR 2005, 588, 590.
254
Tarifvertrag über eine überbetriebliche Alters- und Invalidenbeihilfe in der Steine- und Erden-
Industrie sowie im Betonsteinhandwerk in Bayern der Ziegel-Industrie in Bayern v. 29.4.1970
i.d.F. v. 5.6.2001.
255
BAG 15.2.2005, AP BetrAVG § 2 Nr. 48 (II); BAG 19.11.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung
Nr. 40 (C); ErfK/Steinmeyer, Vorbem. BetrAVG Rn. 16 ff.; ders., Altersversorgung,
S. 101 ff.; a.A. wohl Rengier, NZA 2004, 817, 821.
80
keine abweichenden Anhaltspunkte vorliegen, nur als Maßstab für die Berechnung
des mit Eintritt des Versorgungsfalls entstehenden Vollrechts anzusehen. Sieht die
Versorgungsregelung eine bedarfsabhängige, in den ersten Jahren der Betriebszugehörigkeit stark ansteigende Wertberechnung vor (beispielsweise 4 Prozent statt der
durchschnittlichen 2,5 Prozent pro Jahr), kann dem Arbeitgeber bzw. den Tarifvertragsparteien also nicht einfach unterstellt werden, sie wollten die (höheren) Leistungen auch bei einer bloßen Teilleistung erbringen.
Abweichend von § 2 Abs. 1 BetrAVG ist der am Ablösungsstichtag erdiente
Teilbetrag folglich nur dann zu berechnen, wenn die (tarifliche) Versorgungsregelung dies ausdrücklich vorsieht oder sie zumindest auf den Fall des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis bezogen ist. Anderenfalls erfolgt die Berechnung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG.
3. „Erdiente“ Dynamik
Folgt man dem BAG und erkennt – entgegen der hier vertretenen Ansicht – die
„erdiente“ Dynamik als zweite von drei Besitzstandsstufen an,256 stellt sich die Frage, nach welchem Maßstab die zum Ablösungsstichtag erdiente Dynamik zu berechnen ist. Das BAG wendet auch diesbezüglich § 2 Abs. 1 BetrAVG analog an.
§ 2 Abs. 5 BetrAVG sei auf die Anwartschaftsberechnung bei fortbestehendem
Arbeitsverhältnis nicht übertragbar, weswegen die darin enthaltene Änderungssperre
nicht greife.257 Soll die Versorgungsrente nach der am Ablösungsstichtag geltenden
Versorgungsordnung 20 Prozent des zuletzt erzielten Bruttomonatsgehalts betragen
und hat der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt 30 von 40 möglichen Dienstjahren
zurückgelegt, beträgt die erdiente Dynamik, wenn das Bruttomonatsgehalt bis zum
Eintritt des Versorgungsfalls von 3.000 € auf 5.000 € steigt, nach § 2 Abs. 1
BetrAVG ¾ x 20% x (5.000 € - 3.000 €) = 300 €.
Nach zutreffender Ansicht ist die künftige Dynamik der Versorgungszusage zum
Ablösungsstichtag jedoch nicht erdient und daher zu den noch nicht erdienten Anwartschaftsteilen zu zählen.
IV. Schutz durch höherrangiges Recht
Das Betriebsrentengesetz enthält selbst keine Regelungen, die den Entzug bereits
zugesagter Versorgungsleistungen beschränken und so den Besitzstand des Arbeitnehmers schützen. Auch das TVG regelt den Besitzstandsschutz nicht. Zur Ermittlung der Rechtsprinzipien, die tariflich zugesagte Versorgungsrechte gegen ver-
256
Zum Streitstand oben II 1 und 2, S. 71 f.
257
BAG 10.9.2002, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 37 (II 1); BAG 11.12.2001, AP BetrAVG § 1
Ablösung Nr. 36 (II 1); BAG 18.4.1989, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 23 (B 1
b); BAG 17.4.1985, AP BetrAVG § 1 Unterstützungskassen Nr. 4 (B II 3 c 2).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die gesetzliche Rente ist längst nicht mehr sicher. Schutz gegen drohende Versorgungslücken bieten Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung. Neben betriebsbezogenen Versorgungssystemen gewinnen in der Praxis auch solche auf tariflicher Grundlage zunehmend an Bedeutung. Doch wie verhält sich ein solches System im Krisenfall? In welchem Umfang sind Eingriffe in Versorgungsrechte zur Rettung von Unternehmen möglich?
Diesen in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht wird, ob die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Drei-Stufen-Theorie auf ablösende Versorgungstarifverträge übertragbar ist und welche Bedeutung Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Vertrauensschutzgesichtspunkte haben. Auf der Grundlage staatlicher Schutzpflichten entwickelt der Autor ein eigenes Lösungsmodell.
Das Werk wurde mit dem Südwestmetall-Föderpreis 2008 ausgezeichnet.