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Einleitung
A. Einführung in die Thematik
Die Renten sind – soviel steht mittlerweile fest – nicht sicher. Deutschland befindet
sich schon seit geraumer Zeit im demographischen Wandel. Während die Lebenserwartung stetig ansteigt, nimmt die Anzahl der Geburten stetig ab. Infolge dieser
Veränderung in der Bevölkerungsstruktur und eines allgemeinen Rückgangs der
versicherungspflichtigen Beschäftigung gerät die gesetzliche Rentenversicherung
zunehmend in eine Schieflage. Immer mehr Rentenempfängern stehen immer weniger Beitragszahler gegenüber, weswegen an Leistungskürzungen in der gesetzlichen
Rentenversicherung kaum ein Weg vorbei führt. Arbeitnehmer werden sich damit
künftig immer öfter die Frage stellen müssen, welche Leistungen sie im Alter aus
alternativen Systemen beanspruchen können.
Die Altersversorgung beruht – in Deutschland wie im europäischen Ausland –
zumeist auf drei Säulen: der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen
Altersversorgung und der privaten Eigenvorsorge. Die Leistungen der drei Säulen
unterscheiden sich dabei erheblich. Der Hauptteil des Alterseinkommens entfällt
nach wie vor auf die gesetzliche Rente. Im Durchschnitt betrug diese im Jahr 2003
in den alten Bundesländern 733 € im Monat und in den neuen Bundesländern 844 €.1
Am Gesamtleistungsvolumen aller Alterssicherungssysteme (ohne private Eigenvorsorge) hatte die gesetzliche Rentenversicherung damit 2003 einen Anteil von 79
Prozent.2 Betriebliche Altersversorgungssysteme spielen im Vergleich dazu eine
noch untergeordnete Rolle. Ihr Anteil am Gesamtleistungsvolumen belief sich 2003
(inkl. der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes) auf ca. 9 Prozent.3 Immerhin
verfügten im gleichen Jahr aber rund 10,3 Millionen Beschäftigte in der Privatwirtschaft und ca. 5 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst über eine solche
zusätzliche Altersversorgung.4 Allerdings ist wegen der dargestellten Schwächen der
gesetzlichen Rentenversicherung zu erwarten, dass sowohl die Anzahl der Beschäf-
1
Quelle: Bundesregierung, Alterssicherungsbericht 2005 (Kurzfassung), S. 10, abrufbar unter
www.bundesregierung.de (letzter Abruf 15.10.2008).
2
Quelle: Bundesregierung, Alterssicherungsbericht 2005 (Kurzfassung), S. 9.
3
Quelle: Bundesregierung, Alterssicherungsbericht 2005 (Kurzfassung), S. 9. An 100 Prozent
fehlende Angaben: Beamtenversorgung (11 Prozent); Alterssicherung der Landwirte und berufsständische Versorgungswerke (1 Prozent). Die private Eigenvorsorge wurde insoweit
nicht berücksichtigt.
4
Quelle: Infratest Sozialforschung, Situation und Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst 2001 – 2003, Untersuchung im Auftrag des
Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung, S. 7, abrufbar unter www.diavorsorge.de (letzter Abruf 15.10.2008).
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tigten, die eine betriebliche Altersversorgung haben, als auch der Anteil der betrieblichen Altersversorgung am Gesamtleistungsvolumen in Zukunft steigen werden.5
B. Bedeutung tariflicher Versorgungssysteme in der betrieblichen Altersversorgung
I. Abgrenzung von Versorgungs- und Entgeltumwandlungstarifverträgen
Tarifverträge, die den begünstigten Arbeitnehmern einen unmittelbaren Anspruch
auf eine (zumindest überwiegend) arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung einräumen (sog. Versorgungstarifverträge6), sind, gemessen an ihrer Anzahl,
von eher untergeordneter Bedeutung. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen,
dass sich die Gewerkschaften in der Vergangenheit im Rahmen von Tarifverhandlungen eher auf Lohnsteigerungen als auf eine zusätzliche Altersversorgung konzentriert haben, zumal auf betrieblicher Ebene häufig schon Altersversorgungssysteme (auf individualvertraglicher Grundlage oder auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung) bestanden.7 Ein wesentlicher Faktor war zudem, dass (jedenfalls
Branchen-)Tarifverträge den betrieblichen Eigenheiten bei der Ausgestaltung der
betrieblichen Altersversorgung viel weniger Rechnung tragen konnten als individualvertragliche Versorgungsregelungen oder Versorgungsbetriebsvereinbarungen.8
In jüngerer Zeit haben neben den „klassischen“ Versorgungstarifverträgen sog.
Entgeltumwandlungstarifverträge große Bedeutung erlangt.9 Auslöser hierfür war im
Jahr 2001 die Verabschiedung des Altersvermögensgesetzes10, mit dem der Gesetzgeber Arbeitnehmern erstmals einen Anspruch auf Entgeltumwandlung einräumte.11
Diese können nunmehr verlangen, dass ein Teil ihrer künftigen Entgeltansprüche für
eine betriebliche Altersversorgung verwendet und in eine wertgleiche Versorgungsanwartschaft umgewandelt wird (§§ 1 Abs. 2 Nr. 3 und 1a BetrAVG). Soweit die
Entgeltansprüche auf einem Tarifvertrag beruhen, ist die Entgeltumwandlung aller-
5
Auf die private Eigenvorsorge, die in Zukunft ebenfalls immer wichtiger werden wird, soll
hier und im Folgenden nicht näher eingegangen werden.
6
In der Privatwirtschaft oft auch als „Kassentarifverträge“ bezeichnet (wegen ihrer Durchführung über Pensionskassen, dazu unten Kap. 1 C II und IV, S. 58 ff., 60 ff.).
7
Dazu etwa Stiefermann, GedS Blomeyer, S. 445, 447 f.
8
Doetsch, GedS Blomeyer, S. 49, 50 m.w.N.
9
Bis zum Jahresende 2004 wurden in nahezu 400 Tarifbereichen Tarifverträge zur Altersversorgung abgeschlossen, darunter der weit überwiegende Teil zur Entgeltumwandlung, Quelle:
„Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen im Jahr 2004“, Publikation des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Arbeit, S. 57.
10
Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG) vom 20.6.2001, BGBl. I
(2001), S. 1310 ff.
11
Zuvor stand es dem Arbeitgeber gänzlich frei, ob er dem Arbeitnehmer Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zusagt; außerhalb der Entgeltumwandlung gilt dieser Grundsatz
nach wie vor, dazu unten Kap. 1 A I, S. 29.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die gesetzliche Rente ist längst nicht mehr sicher. Schutz gegen drohende Versorgungslücken bieten Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung. Neben betriebsbezogenen Versorgungssystemen gewinnen in der Praxis auch solche auf tariflicher Grundlage zunehmend an Bedeutung. Doch wie verhält sich ein solches System im Krisenfall? In welchem Umfang sind Eingriffe in Versorgungsrechte zur Rettung von Unternehmen möglich?
Diesen in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Fragen widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht wird, ob die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Drei-Stufen-Theorie auf ablösende Versorgungstarifverträge übertragbar ist und welche Bedeutung Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Vertrauensschutzgesichtspunkte haben. Auf der Grundlage staatlicher Schutzpflichten entwickelt der Autor ein eigenes Lösungsmodell.
Das Werk wurde mit dem Südwestmetall-Föderpreis 2008 ausgezeichnet.