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würde fortan zur Verfügung stehen und Mehrfachrunderneuerungen könnten der
Regelfall werden.
Weiterhin erforderten solche Verbesserungen Investitionen in Entwicklung und Industrialisierung658 von Reifen. Auch die Qualität des verwendeten Materials müsste
ansteigen. Das aber hätte eine Steigerung der Produktionskosten und damit auch der
Neureifenpreise zur Folge. Die Marktchancen der günstigeren, runderneuerten Reifen
würden sich zusätzlich erhöhen. Auch insofern könnte die Einführung einer Mindest kilometerlaufleistung von Reifen einen positiven Effekt auf die Lkw-Runderneuerung
haben.659
Zu den angestellten Überlegungen ist allerdings zu sagen, dass es bislang noch keine
Untersuchungen hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Laufleistungssteigerungen und Stärkung der Runderneuerung im Lkw-Reifensektor gibt. Aufgabe des
Gesetzgebers wäre es deshalb, den beschriebenen Zusammenhängen nachzugehen.
Erst danach ließe sich beurteilen, ob und inwieweit eine Steigerung der Laufleistung
von Lkw-Reifen ausreichen würde, um den gewünsch ten Effekt zu erzielen.
Zur Stärkung der Runderneuerung im Lkw-Reifensektor kommen demnach zwei Herangehensweisen in Betracht. Zum einen könnten den Herstellern konkrete Vorgaben
gemacht werden, welche qualitativen Eigenschaften ihre Karkassen nach einem
ersten Leben noch zu erfüllen haben. Entsprechende Testverfahren wären zu etablieren und mit zu regeln. Das Bestehen der Tests müsste Voraussetzung für den Vertrieb
eines Lkw-Reifens in Deutschland sein.
Zum anderen könnte auf den fördernden Effekt von Mindestkilometerlaufleistungen
gesetzt werden.
3. Ergebnis
Als Ergebnis der angestellten Betrachtungen kann festgehalten werden, dass Rücknahmepflichten als abfallwirtschaftliches Instrument einer Konkretisierung der Pro-
658 Der Begriff »Industrialisierung« bezeichnet den Umsetzungsprozess von Reifenentwicklung und Prototypenbau hin zur Massenfertigung. Da in der Produktion von Reifen aus Sicherheitsgründen keine
großen Toleranzen akzeptiert werden können, ist die Industrialisierung eines neuen Typs Reifen
regelmäßig ein aufwendiger Schritt.
659 Allerdings gilt es zu beachten, dass Steigerungen der Kilometerlaufleistung von Reifen jedenfalls teilweise über Veränderungen des Profils erzielt werden müssen. Manche Hersteller könnten daher ver sucht sein, die Gummimischungen ihrer Profile zu Lasten bestimmter Sicherheitseigenschaften, vor
allem der Haftung der Reifen, auf die geforderte Langlauffähigkeit abzustimmen.* Eine Verbesserung
der Karkasse bliebe insofern aus.
Hiergegen wiederum ließe sich einwenden, dass ein Reifen eine bestimmte Mindestkilometerlaufleistung nur erzielen kann, wenn seine Karkasse die Gewähr dafür bietet, diese Wegstrecke auch mitgehen zu können. Vor allem aus Sicherheitsgründen wäre eine vorzeitige Ermüdung der Karkasse fatal.
Die Hersteller sind daher darauf angewiesen, ihren Karkassen eine gewisse Qualität zu verleihen, um
Reifenausfälle zu vermeiden. Deshalb ist zur Steigerung der Laufleistung eines Lkw-Reifens auch
regelmäßig dessen Karkassqualität anzuheben.
* Es ist darauf hinzuweisen, dass das Reifenprofil nicht nur über den Abrieb, sondern auch über die Haftung und über sonstige sicherheitsrelevante Eigenschaften des Reifens bestimmt. Verringerungen des
Abriebs sind demnach erreichbar über eine allgemeine, technische Weiterentwicklung des Reifens
und seines Profils oder aber auch simpler über eine Verlagerung der Qualitäten des Profils, beispielsweise von der Haftung hin zur Abriebsfestigkeit.
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duktverantwortung für Reifen ausscheiden. Sie tragen nicht zum Gelingen einer
modernen, auf Ressourcenschonung ausgerichteten Abfallpolitik bei und müssen
somit als ineffektiv bezeichnet werden. So erfahren insbesondere Abfallvermeidung
und Wiederverwendung von Reifen durch Rücknahmepflichten keine fördernde Wir kung, da nicht zu erwarten ist, dass es im Zuge ihrer Geltung zu Laufleistungssteigerungen, einer Optimierung des Nachschneidens sowie einer Stärkung der Runderneuerung kommen kann.
Wesentlich erfolgsversprechender hingegen können die drei genannten Zielsetzungen
mittels direkt wirkender ordnungsrechtlicher Maßnahmen umgesetzt werden.
So sollten den Reifenherstellern im Hinblick auf eine Steigerung der Laufleistung von
Neureifen klare Vorgaben gemacht werden, welche konkreten Mindestleistungen
künftig von ihren Reifen erwartet werden. Damit die Hersteller diese Anforderungen
schon bei der Entwicklung und Konstruktion ihrer Reifen einkalkulieren können,
wäre die Definition eines einheitlichen Laufleistungstests notwendig. Diesen müsste
jeder Reifentyp als Voraussetzung für seinen Vertrieb in Deutschland bestehen. Idealer Weise sollte der Test bereits Gegenstand einer die Laufleistung regelnden Norm
sein.
Daneben sollte sich die mit dem Reifen mögliche Maximalkilometerzahl eines Durchschnittsfahrers als unverschlüsselte Kenngröße auf der Seitenwand eines jeden in
Deutschland vertriebenen Pneus oder auf einem entsprechenden Verkaufsetikett
befinden.
Während eine Steigerung der Laufleistung zugleich auch der Optimierung des Nachschneidens von Lkw-Reifen dient, könnte die Anwendung dieses Verfahrens daneben
wie folgt gefördert werden:
Das Gesetz könnte als eine Vertriebsvoraussetzung künftig vorgeben, wie viel nachschneidefähiger Gummi sich unterhalb des Originalprofilgrundes befinden muss und
um wie viel sich der Profilgrund mindestens vertiefen lassen muss, ohne dass es zu
Gefahren für den Straßenverkehr kommen kann. Eventuell könnte auch die Bestim mung genügen, um wie viele Prozentpunkte des Originalprofils sich ein Reifen mindestens vertiefen lassen muss, ohne dass es zu Gefahren für den Straßenverkehr kommen kann. Der Gesetzgeber sollte sich den Einsatz solcher Regelungsinstrumente
allerdings sehr genau überlegen. Ihnen mangelt es an Flexibilität, da sie künftigen
Produktentwicklungen im Wege stehen und damit nicht zuletzt auch ökologische Verbesserungen des Reifens verhindern.
Was schließlich die Stärkung der Runderneuerung anbetrifft, so kann für den Pkw-/
LLkw-Reifensektor vorläufig nur auf eine Steigerung der Laufleistung und einen hiermit verbundenen Preisanstieg von Neureifen gesetzt werden. So können runderneuerte Reifen für den Kunden attraktiver werden. Direkte Verpflichtungen, zeitweilig
runderneuerte Reifen zu verwenden oder aber abgefahrene Reifen runderneuern zu
lassen und danach wiederzuverwenden, scheiden hingegen aus.
Fördernde Effekte einer Mindestkilometerlaufleistung können ferner auch im Lkw-
Reifensektor zu einer Stärkung der Runderneuerung führen. Daneben ließen sich den
Herstellern konkrete Vorgaben machen, welche qualitativen Eigenschaften ihre Karkassen nach einem ersten Leben noch zu erfüllen haben. Entsprechende Testverfahren
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wären zu etablieren und mit zu regeln. Das Bestehen der Tests müsste Voraussetzung
für den Vertrieb eines Lkw-Reifens in Deutschland sein.
Der Gesetzgeber sollte hinsichtlich solcher Bestimmungen allerdings beachten, dass
es sich letztlich um regelungstechnisch unflexible Konstruktionsvorgaben handelt.
Die Existenz einer Karkasse im heutigen Sinne wird verbindlich vorgeschrieben.
Konstruktionsvorgaben aber sind geeignet, die Weiterentwicklung eines Produktes
auch im Hinblick auf seine ökologischen Verträglichkeit zu behindern.
Soweit die hier vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden, kann die Entstehung
von Altreifenabfällen vermindert und die Wiederverwendung von Reifen gefördert
werden. Ein wesentliches Ziel abfallrechtlicher Produktverantwortung, nämlich zu
einer ressourcenschonenden Abfallpolitik beizutragen, ließe sich damit verwirklichen.
Zugleich würde der Zusammenhang zwischen Abfallerzeugung und Abfallentsorgung weiter gestärkt und somit die zweite Zielsetzung abfallrechtlicher Produktverantwortung realisiert werden. Während die Reifennutzer als eigentliche Abfallerzeuger nämlich weiterhin für die ordnungsgemäße Entsorgung ihrer Pneus zu sorgen und
zu bezahlen hätten, stünden fortan auch diejenigen in der Pflicht, die den meisten Einfluss auf die Produktgestaltung und somit ein ressourcenschonendes Produktdesign
haben, die Hersteller.
II. Rechtliche Möglichkeiten der Umsetzung
Kapitel E. der Arbeit hat die mit einer Konkretisierung der abfallrechtlichen Produktverantwortung für Reifen zu verfolgenden Zielsetzungen herausgearbeitet. Zu deren
Umsetzung wurde in Teil I. dieses Kapitels nach geeigneten Regelungsinstrumenten
gesucht. Vorschläge für direkt wirkende ordnungsrechtliche Maßnahmen konnten als
Ergebnis dieser Untersuchung präsentiert werden.
Zum Abschluss der Arbeit sind die als geeignet befundenen Instrumente nunmehr auf
ihre rechtliche Umsetzbarkeit hin zu überprüfen. Dabei soll zunächst festgestellt wer den, ob 1. Freiwillige Maßnahmen der Produktverantwortlichen, beispielsweise in
Form von Selbstverpflichtungen, hierfür rechtlich geboten oder zumindest rechtspolitisch sinnvoll sind.
Im Anschluss werden 2. Verordnende Maßnahmen gemäß den Vorgaben des KrW-/
AbfG auf ihre hinreichende Eignung zur Umsetzung der erarbeiteten Instrumente hin
überprüft.
Schließlich ist 3. noch zu eruieren, ob der Erlass eines Gesetzes im formellen Sinne
daneben notwendig erscheint. Das gefundene Ergebnis kann sodann in 4. aufgeführt
werden.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wie kann abfallrechtliche Produktverantwortung dazu beitragen, das in Reifen verborgene Abfallvermeidungspotential auszuschöpfen? Welche Regelungen sind hierfür sinnvoll und rechtmäßig?
Das moderne Abfallrecht verfolgt das Ziel, den Stoffeinsatz bei der Produktherstellung durch ressourcensparendes Produktdesign möglichst zu minimieren und Stoffe durch lange Benutzungsdauer und mehrfache Verwendung über große Zeiträume im Umlauf zu halten. Die Entstehung von Abfall soll vermieden werden.
Bei Reifen lässt sich dies im Wesentlichen auf drei Arten erreichen. So kann zunächst die Kilometerlaufleistung erhöht werden, so dass ein Reifenwechsel und damit ein Altreifenanfall verzögert werden. Weiterhin können Reifen durch die Anwendung der Verfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung „weitere Leben“ gegeben werden, so dass die aus dem Verkehr auszusondernde Zahl von Reifen erheblich verringert werden kann.
Das Buch zeigt auf, wie Reifenhersteller zur Anwendung dieser Verfahren und damit zur Wahrnehmung ihrer abfallrechtlichen Produktverantwortung gebracht werden können. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Berücksichtigung von Vorsorgeprinzip und Lebenszykluskonzept gelegt.