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an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen zu sein. Reifenrecycling gewinnt also an Bedeutung.
Weiterhin verbrauchen Prozesse, die durch das Recycling substituiert werden,
wesentlich mehr fossile Brennstoffe, als man durch eine energetische Nutzung des
Altreifens einsparen kann. Deshalb sollte in den nächsten Jahren mit weiteren Kapazitätssteigerungen zu rechnen sein. Denn fossile Rohstoffe unterliegen aktuell einer
starken Verteuerung. Durch das zu beobachtende Wachstum asiatischer Märkte wird
sich dieser Trend verfestigen. Damit wird das Reifenrecycling von selbst weiter an
Attraktivität gewinnen.
Schließlich scheint man eine stoffliche Verwertung von Reifen günstiger anbieten zu
können als eine Verbrennung in Zementwerken. Dann aber ist der Markt bereits selbst
in der Lage, das Recycling ausreichend zu beflügeln, sollte es eine entsprechende
Nachfrage an Granuliergut geben.
Ein förderndes Eingreifen des Gesetzgebers erübrigt sich demnach also. Es ist weder
möglich noch notwendig.
Überdies ist der Staat auch ohne eine Neu-Regelung in der Lage, das Altreifenrecycling zu fördern. Würde der Bund seiner gesetzlichen Pflicht aus § 37 Absatz 1 KrW-/
AbfG nämlich gerecht werden und den Bau gummihaltiger Flüsterasphalt-Straßen
fördern, könnte er dem ökologisch sin nvollen Reifenrecycling weiteren Anschub
geben und nebenher auch noch die Abrollgeräusche von Reifen senken.467
Zusammenfassend kann deshalb festgestellt werden, dass eine Steigerung der Recyclingquote von Reifen und mithin der Qualität ihrer Verwertung zwar wünschenswert
ist, es hierfür aktuell jedoch keiner weiteren gesetzlichen Regelungen bedarf.
3. Förderung eines abfallvermeidenden Produktdesigns und der Wiederverwendung
Ein weiteres, wesentliches Ziel der Produktverantwortung ist es, die durch sie Verpflichteten zu einem abfallvermeidenden und damit ressourcenschonenden Produktdesign anzuhalten. Der Markt selbst gibt den Herstellern, Verarbeitern und Vertreibern von Erzeugnissen nämlich oft nicht genug Impulse, auf Langlebigkeit und Wiederverwendungsfreundlichkeit ihrer Produkte zu setzen.468
Gleichzeitig müssen Regelungen der Produktverantwortung beachten, dass die Wiederverwendung eines Erzeugnisses nicht nur ein entsprechendes Produktdesign, sondern ebenso eine hierauf gerichtete Motivation des Letztbesitzers voraussetzt. Nur
wenn er das Erzeugnis auch tatsächlich einer Wiederverwendung zuführt, kann sich
deren abfallvermeidende Wirkung entfalten. Produktverantwortungsrechtliche Rege-
467 Vergleiche zu der Verwendung granulierter Altreifen im Straßenbau Brinkmann, Stoffliche Verwertung von Altreifen, S. 33ff. Er führt weitere Vorteile gummimodifizierten Bitumens in der Straßenoberfläche an: So verringern sich nicht nur die Abrollgeräusche von Reifen, daneben sind auch eine
geringere Spurrillen- und Rissbildung, eine verlängerte Haltbarkeit und bessere Wasserabweisung zu
verzeichnen.
468 Vergleiche zu den Ausführungen des Absatzes bereits oben D. I. 1. Allgemeine Zielsetzung, Grundgedanken und Wirkungsweise.
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lungen können die benötigte Motivation schaffen, beispielsweise durch ein obligato risches Pfandsystem.469 Hierbei wird dem Letztbesitzer eines Erzeugnisses ein finanzieller Anreiz gesetzt, dieses nicht als Abfall, sondern als wiederzuverwendendes Produkt zu behandeln. Ein Pfandsystem kann beispielsweise über § 24 Absatz 1 Nr. 2
KrW-/AbfG verordnet werden.
Motivierende Momente können aber auch in der Sache selbst bereits angelegt sein,
vorzugsweise in ihrem materiellen Wert. Dieser macht eine Wiederverwendung wirtschaftlich rentabel, weshalb es keiner weiteren, insbesondere gesetzlichen Motivation
bedarf. So ist es sicherlich lohnenswert, teure Schuhe neu besohlen zu lassen, statt sie
zu entsorgen und Ersatz zu beschaffen.
Bei Reifen bestehen im Wesentlichen drei Möglichkeiten, abfallvermeidende Effekte
zu erzielen. Zunächst kann die Kilometerlaufleistung des Reifens erhöht werden, so
dass ein Reifenwechsel und damit ein Altreifenanfall verzögert werden. Weiterhin
können Reifen bei entsprechender Eignung und nach Anwendung der Verfahren des
Nachschneidens und der Runderneuerung wiederverwendet werden, so dass sich die
aus dem Verkehr auszusondernde Zahl erheblich verringert.470
Auf die drei genannten Möglichkeiten soll im Folgenden näher eingegangen werden.
Dabei wird auf Grundlage der vorhandenen Daten untersucht, welcher konkrete Regelungsbedarf im Hinblick auf eine Abfallvermeidung besteht, mit welcher Zielsetzung
eine Produktverantwortung für Reifen insofern umgesetzt werden müsste und welche
technischen und statistischen Informationen hierfür noch erhoben werden müssen.
a. Steigerung der Laufleistung
Gelänge es, mit Hilfe abfallwirtschaftlicher Regelungen die Laufleistung von Reifen
zu steigern, wäre dies zweifellos eine der effizientesten Methoden, Altreifenabfälle zu
vermeiden. Gegenüber den Verfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung
hätte sie den besonderen Charme, energetische oder rohstoffliche Aufwendungen
nicht zu erfordern und dem Nutzer keine Demontage des Reifens abzuverlangen. Die
ressourcenschonenden Effekte einer gesteigerten Laufleistung ergäben sich quasi von
selbst, wohingegen Runderneuerung und Nachschneiden einen geeigneten Reifen und
die ungewisse Mithilfe des Letztnutzers erfordern.
Laufleistungssteigerungen sollten deswegen in möglichst umfangreichem Maße
angestrebt werden.471 Denn schon ein um 10 % reduzierter Verschleiß könnte die aus
dem Verkehr auszusondernde Zahl von Reifen erheblich verringern und zwar um rund
50.000 Tonnen pro Jahr.472
469 Vergleiche auch Konzak in: BeckOK KrW-/AbfG, Rn 11 zu § 24.
470 Vergleiche zu den Verfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung bereits oben B. III. 2.
Reparatur.
471 Die ökologischen Vorteile einer Steigerung der Nutzungsdauer und der Runderneuerungsfähigkeit
von Reifen ebenfalls betonend GAVS (Hrsg.), Altgummientsorgung in Deutschland, Statusbericht
2001, S. 10.
472 Ausgehend von einem Altreifenanfall in Deutschland von 601.000 Tonnen pro Jahr wären bei 10-prozentiger Verbesserung der Verschleißfestigkeit des Reifens nur rund 547.000 Tonnen Reifen notwendig, um dieselbe Laufleistung zu erzielen.
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Dass Steigerungen der Laufleistung ohne weiteres möglich sind, steht branchenweit
außer Frage. Überlegungen hierzu müssen vielmehr darauf gerichtet sein, um welchen
Preis sie bewirkt werden können. Gemeint sind nicht nur gesteigerte Produktionskosten und ein damit verbundener, erhöhter Verkaufspreis von Reifen. Auch die übrigen
Eigenschaften eines Pneus verändern sich vielfach negativ, wenn eine seiner Eigenschaften verbessert wird. So kann eine Steigerung der Laufleistung beispielsweise die
Haftung des Reifens, insbesondere seine Nässeeigenschaften verschlechtern.473 Deshalb müssen abfallwirtschaftliche Maßnahmen bei Reifen auch immer die durch ihn
zu erfüllenden, sicherheitsrelevanten Aufgaben im Blick haben. Denn eine gesteigerte
Laufleistung um den Preis erheblicher Sicherheitsrisiken zu fordern wäre zweifellos
eine unangemessene, staatliche Maßnahme und damit rechtswidrig.
Den Reifenherstellern muss daher genügend Spielraum gelassen werden, neue Anforderungen hinsichtlich der Laufleistung ihrer Produkte adäquat erfüllen zu können.
Dies gilt in zeitlicher Hinsicht ebenso wie für die angestrebte Intensität einer Laufleistungssteigerung. Dabei spielt es keine Rolle, ob Steigerungen unmittelbar ordnungsrechtlich beispielsweise durch Festlegen einer Mindestkilometerlaufleistung oder
mittelbar und influenzierend z. B. über Rücknahmesysteme bewirkt werden sollen.
In beiden Fällen kann ein angestrebter abfallwirtschaftlicher Fortschritt nämlich nur
dann als sinnvoll bezeichnet werden, wenn er in einer maßvollen Relation zu den in
Kauf zu nehmenden Qualitätseinbußen des Reifens steht.
Den Herstellern ist für den Fall einer gesetzlichen Regelung deshalb vor allem genügend Zeit für eine allgemeine Qualitätsverbesserung ihrer Produkte zu geben. Die
negativen Auswirkungen einer gesteigerten Laufleistung können so kompensiert werden. Der Gesetzgeber sollte mit Übergangszeiträumen arbeiten.474
473 Vergleiche hierzu insbesondere auch die Ausführungen im Anschluss unter E. II. 2. Wechselbeziehungen zwischen den Reifeneigenschaften.
474 Es darf allerdings gemutmaßt werden, dass auch heute schon Kapazitäten für eine Steigerung der
Laufleistung von Reifen der Gestalt vorhanden sind, dass sie ohne Abstriche bei der Fahrsicherheit
genutzt werden können. So steht der auf Seite 11f dieser Arbeit angeführte Pkw-Reifentest des ADAC
mit seinen Ergebnissen Pate für in diesen Tests zu beobachtende Begebenheiten:
Ein Teil der Reifen hebt sich mit seiner Laufleistung deutlich von den anderen im Markt angebotenen
Reifen ab. Dabei handelt es sich bei diesen verschleißarmen Reifen regelmäßig nicht um ansonsten
besonders gute oder schlechte Reifen. Sie sind vielmehr auf allen Testplatzierungen vorzufinden.
Gute Verschleißwerte des Reifens scheinen deshalb bei vielen Herstellern eher ein Zufalls- oder
Nebenprodukt der Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu sein als ein ernst zu nehmendes Qualitätskriterium.
Dieses Bild bestätigt sich beispielsweise auch bei dem Winterreifentest 2006/2007 (Dimension 185/
60 R 14 T), bei dem 5 von 19 getesteten Reifen noch nicht einmal 66 % der Fahrleistung der vier laufleistungsstärksten Reifen erreichen konnten. Noch gravierender verhält es sich bei den 2006er Sommerreifen der Dimension 185/60 R 14 H. Hier erreichten bei 18 getesteten Reifen die 6 erstplatzierten
in der Kategorie Verschleiß jeweils über 20 % mehr an Laufleistung als die 6 letztplatzierten.
Vorsichtig geschätzt stecken damit schon heute 5-10 Prozentpunkte an möglicher Laufleistungssteigerung in den Reifen. Würden sich beispielsweise im Schnitt 5 % mehr an Laufleistung erzielen lassen, könnten rund 25.000 Tonnen Altreifen jedes Jahr weniger in Deutschland anfallen.
Viele Pkw-Reifenhersteller scheinen an einer solchen Entwicklung aber kein besonderes Interesse zu
haben. Denn durch das heutige Reifendesign sparen sie Entwicklungs- und Produktionskosten und
können dem Markt billige Reifen anbieten, welche dieser in starkem Maße nachfragt. Alternativ werden dem Reifen andere Qualitäten gegeben, die dem Kunden wichtiger erscheinen als die Langlebigkeit des Produktes (so fließt auch bei dem bedeutenden und von qualitätsbewussten Kunden geschätzten ADAC-Reifentest der Verschleiß eines Reifens mit nur 20 % in die Endnote ein; weiterhin kann ein
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Zuvor aber hat er den bestehenden, abfallpolitischen Handlungsspielraum zu taxieren.
Dieser Vorgang erfordert zwei Arbeitsschritte:
Zunächst muss Klarheit geschaffen werden, in welchem konkreten Zusammenhang
Laufleistungssteigerungen und hiermit verbundene, negative Veränderungen sonstiger, vor allem sicherheits- und umweltrelevanter Eigenschaften des Reifens stehen.
Hierzu erforderliche Untersuchungen werden von den Herstellern fortwährend angestellt, finden sich aber in keinen Veröffentlichungen.475 Im Sinne des Kooperationsprinzips sollten die Hersteller von Reifen zur Mithilfe bei dieser Untersuchung eingeladen werden. Insbesondere ergibt sich hierdurch auch die Gelegenheit, zu erörtern,
inwieweit künftige Qualitätsverbesserungen bei Reifen dazu genutzt werden können,
Laufleistungssteigerungen ohne Einbußen bei sonstigen, vorwiegend umwelt- und
sicherheitsrelevanten Eigenschaften zu bewirken. Ferner können die heute schon
bestehenden, aber ungenutzten Kapazitäten einer Verschleißreduzierung so am besten
herausgearbeitet werden.
In einem zweiten Schritt ist dann eine politische Entscheidung zu treffen, in welchem
Maße Laufleistungssteigerungen von Reifen forciert werden sollen. Hierfür sind das
heute bereits vorhandene und das künftig realisierbare Potential für solche Verbesse rungen abzuschätzen. Die gleichzeitig in Kauf zu nehmenden Qualitätsbeeinträchtigungen von Reifen müssen dazu in Relation gesetzt werden. Letztlich hat der Gesetzgeber dann eine Aussage zu treffen, inwieweit Leistungssteigerungen der Vorzug vor
sonstigen, auch sicherheitsrelevanten Aspekten der Reifennutzung gegeben werden
soll.
Für ambitionierte Ziele hinsichtlich Verschleißfestigkeit wird neben Umweltschutzgesichtspunkten der Umstand sprechen, dass im Zuge allgemeiner Qualitätsverbesserungen von Reifen negative Effekte einer gesteigerten Laufleistung wieder ausgeglichen werden können.476 Solange Regelungen mit Auswirkungen auf die Verschleißfestigkeit des Reifens »den Bogen also nicht überspannen« und einen zeitlichen Vorlauf ihrer Gültigkeit haben, sollten sie keine negativen Auswirkungen auf die allgemeine Qualität von Reifen haben. Das bestehende Bild des Marktes dürfte vielmehr
erhalten bleiben: Qualitätsbewusste Hersteller werden die neuen Anforderungen voll-
474
Reifen auch noch mit der unterdurchschnittlichen Verschleißnote 3,0 als besonders(!) empfehlenswert
gelten; vergleiche hierzu Sommerreifentests 2007 in ADACmotorwelt, Ausgabe 03/2007).
Ein ähnliches Bild scheint sich bei Lkw-Reifen abzuzeichnen. Auch hier kann eine große Spreizung
hinsichtlich des Leistungsmerkmals Verschleiß beobachtet werden. Der Allgemeinheit zugängliche
Reifentests wie bei den Pkw-Reifen gibt es allerdings nicht.
475 Die durchschnittlichen Kilometerlaufleistungen von Reifen auf dem europäischen Markt soll Schätzungen zu Folge 35-45 Tkm für Pkw-Reifen, 60-70 Tkm für LLkw-Reifen und 180-200 Tkm für
Lkw-Reifen betragen (vergleiche hierzu Shulman, Tyre Recycling, S. 9). Für Deutschland zu ähnlichen Werten kommend, allerdings hinsichtlich Lkw-Reifen lediglich rund 94 Tkm angebend BRV
(Hrsg.), Reifenersatzgeschäft 2005/2006, S. 10. Hierbei wird es sich wohl um einen Druckfehler handeln. Gemeint sein dürften 194 Tkm.
476 Vergleiche zu den fortwährenden Qualitätsverbesserungen bei Reifen innerhalb der letzten 30 Jahre
beispielsweise BRV (Hrsg.), Zeit für den Reifenwechsel, S. 3 mit einer graphischen Darstellung der
Leistungsverbesserungen. So ergab sich 2000 bei Pkw-Reifen folgende maximale Performance
gegenüber dem Jahr 1975 (dessen Werte sind in Klammern gesetzt): Laufleistung von 50.000 km
(35.000 km), Gewicht bei 8 kg (11,6 kg), Rollwiderstandsbeiwert = 0,9 % (1,3 %), Höchstgeschwindigkeit 300 km/h (210 km/h), Mindestnassbremsweg 65 m (85 m), Mindesttrockenbremsweg 36 m
(55 m).
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umfänglich zu kompensieren wissen, andere einen niedrigen Preis ihrer Produkte auf
Kosten der Qualität beibehalten wollen. Denn auch heute schon sind die Hersteller
nicht daran gehindert, Reifen mit minderer Qualität kostengünstig auf den Markt zu
bringen. Sie machen hiervon auch Gebrauch, um Kunden für sich zu gewinnen.477
Insofern ist das Phänomen, kostengünstig zu produzieren und dafür Abstriche bei
bestimmten Reifeneigenschaften zu machen, also schon bekannt.
Auf der anderen Seite dürften sich mit einer durch den Gesetzgeber initiierten, das
Maß der stetigen Weiterentwicklung übersteigenden, außerordentlichen Leistungsverbesserung von Reifen auch deren Produktionskosten und somit die Verkaufspreise
mit ziemlicher Sicherheit erhöhen.478 Nicht ausgeschlossen, dass daraufhin der Qualitätsgesichtspunkt Verschleißfestigkeit für den Kunden eine solche Bedeutung
erlangte, dass er seine Kaufentscheidung gerade auch an der Abriebsfestigkeit des
Reifens ausrichtete. Die Hersteller wären dann bemüht, dem Kunden möglichst lauf leistungsstarke Pneus anzubieten.479 Der Markt könnte somit aus sich heraus Anreize
für ein abfallvermeidendes Produktdesign schaffen. Vor allem für den Fall, dass dem
Kunden visualisiert würde, welche Kilometerpreise durch die Wahl des einen oder
des anderen Reifens entstehen, könnte dieser Effekt eintreten. Denkbare wäre eine
solche Visualisierung über eine aussagekräftige Verschleißfestigkeitsangabe auf dem
Reifen selbst oder eine entsprechende Etikettierung beim Verkauf.
Der Gesetzgeber sollte also zu ermitteln suchen, in wie weit sein Eingreifen wirklich
erforderlich ist, um eine allgemeine Laufleistungssteigerung von Reifen zu bewirken.
Es ist durchaus denkbar, dass es ausreicht, einen einmaligen Anschub, beispielsweise
in Form einer Mindestkilometermarke zu geben, woraufhin der Markt aus sich heraus
zu beständig besseren Laufleistungsresultaten stimuliert wird. Immerhin wurde die
Qualität des Reifens in den letzten Jahrzehnten stets weiter verbessert.480 Der Anreiz
des Marktes hierzu müsste lediglich ein Stück mehr in Richtung Verschleißfestigkeit
gesteuert werden.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Möglichkeiten einer Laufleistungssteigerung von Reifen eingehend eruiert werden müssen. Bestehende Potentiale
sollten genutzt werden, wobei es einer politischen Entscheidung bedarf, in welchem
Maße dies geschehen soll.
Im Sinne des Kooperationsprinzips sind die Hersteller in diesen staatlichen Prozess
mit einzubeziehen.
Bedacht werden sollten die aus einer Steigerung der Verschleißfestigkeit entstehenden Umweltvorteile, die hiermit einhergehenden Qualitätseinbußen hinsichtlich son-
477 Dies sehr deutlich herausarbeitend Backfisch, Reifenbuch, S. 90ff.
478 Den bei Reifen sehr deutlichen Zusammenhang zwischen Preis und Qualität ebenfalls herausstellend
Backfisch, Reifenbuch, S. 25, 90ff mit weiteren Zitaten der Hersteller Continental und Michelin.
Backfisch führt diesen Zusammenhang darauf zurück , dass qualitativ hochwertige Reifen teurere
Materialien und eine kostenintensivere, aufwendige Produktion benötigen. Hinzu kämen noch gesteigerte Entwicklungs-, Konstruktions- und Versuchsaufwendungen.
479 Vergleiche hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen hohen Kosten und der Innovationsbereitschaft
der Hersteller auch Führ, Stoffbezogenes Umweltrecht, 685, 690 mit einem Zitat des Umweltbevollmächtigten der Daimler-Chrysler AG, Werner Pollmann.
480 Vergleiche wiederum BRV (Hrsg.) aaO.
128
stiger Reifeneigenschaften, der Gedanke, dem Markt womöglich bloß einen Anschub
geben zu müssen und schließlich die Möglichkeit für den Reifenkunden, die Lauf leistungsfähigkeit seines Pneus schon beim Kauf verlässlich einschätzen zu können.
b. Optimierung des Nachschneidens481
Weiterhin sollte das Verfahren des Nachschneidens künftig zu einem optimalen Einsatz gebracht werden.
Es darf aus ökologischer Sicht nämlich als unbefriedigend bezeichnet werden, dass
sich rund 30 % der in Deutschland eingesetzten Lkw-Reifen überhaupt nicht, weitere
50 % aus ökonomischen Gründen nicht für ein Nachschneiden eignen. Angesichts der
Möglichkeit, das Reifenleben hierdurch um durchschnittlich 25 % zu verlängern und
den Reifen über einen größeren Zeitraum hinweg in einer rollwiderstandsarmen und
damit kraftstoffsparenden Lebensphase zu halten, sind dies keine überzeugenden
Werte.
Würden beispielsweise 80 % der 3,26 Millionen pro Jahr in Deutschland im Ersatzgeschäft verkauften Lkw-Reifen482 nachgeschnitten werden, so würde sich der Bedarf
um rund 550.000 Reifen auf ca. 2,72 Millionen reduzieren. Bei einem durchschnittlichen Gewicht von sicherlich rund 40 kg fielen damit 22.000 Tonnen Altreifen weniger pro Jahr an. Auch die für die Produktion dieser Menge Reifen eingesetzte Energie
könnte eingespart werden. Gleichzeitig befänden sich ständig rund 1.100.000 Lkw-
Reifen und damit rund 40 % aller eingesetzten Pneus des Ersatzgeschäfts in einer verbrauchsgünstigen Lebensphase.
Aus abfallwirtschaftlichen und umweltpolitischen Gründen sollte deshalb auf eine
Steigerung der Nachschneidequote von Lkw-Reifen gedrängt werden.
Hierzu ist zunächst sicher zu stellen, dass sich möglichst alle Lkw-Reifen für ein
Nachschneiden eignen und das Nachschneiden für den Reifennutzer zudem auch wirtschaftlich rentabel ist. Er muss das Profil ausreichend vertiefen können.
Weiterhin muss Sorge dafür getragen werden, dass die Reifennutzer das Verfahren
des Nachschneidens auch wirklich nutzen. Da man aber schon aus Sicherheitsgründen
nicht vorschreiben kann, dass jeder Lkw-Reifen nachgeschnitten werden muss, eignen sich wirtschaftliche Anreize am Besten, den Reifennutzer zu einem abfallvermeidenden Verhalten, nämlich zum Nachschneiden zu motivieren. Zudem wäre eine ordnungsgeldbewehrte Pflicht zum Nachschneiden sicherlich weit weniger effektiv als
ein wirtschaftlicher Anreiz, bei dem jede Umgehung des Nachschneidens einen finanziellen Nachteil für den Reifennutzer mit sich bringt.
Am einfachsten kann ein wirtschaftlicher Anreiz über den Reifenpreis geschaffen
werden. Hohe Anschaffungskosten werden die Fuhrparkbesitzer dazu veranlassen,
möglichst hohe Kilometerleistungen mit ihren Reifen erzielen zu wollen. Das Nachschneiden ist hierbei unverzichtbar.
481 Vergleiche hinsichtlich der angeführten technischen und statistischen Angaben bereits oben B. III.
2. a. Nachschneiden.
482 Mengenangabe für das Ersatzgeschäft gemäß BRV (Hrsg.), Reifenersatzgeschäft 2005/2006, S. 11.
129
Eine Steigerung des Anschaffungspreises würde sich wie oben bereits dargelegt aller
Wahrscheinlichkeit nach aus einer Laufleistungssteigerung von Reifen ergeben. Eine
solche würde zudem die Rentabilität des Nachschneidens weiter erhöhen. Ferner ist
davon auszugehen, dass auch die für eine Optimierung des Nachschneidens vorzunehmenden, qualitätserhöhenden Modifikationen zu Geldinvestitionen der Reifenhersteller und damit zu Kaufpreissteigerungen führen würden. Deshalb sollte mit Blick auf
eine Optimierung des Nachschneidens darauf gedrängt werden, dass
– sich die Laufleistung von Lkw-Reifen künftig erhöht,
– sie generell nachschneidbar sind und
– sich das Nachschneiden wirtschaftlich rentiert, da ein ausreichend dicker Untergummi für eine ökonomisch sinnvolle Profilvertiefung vorhanden ist.
c. Stärkung der Runderneuerung483
Wie in Abschnitt B. III. 2. b. Runderneuerung bereits festgestellt, lassen sich schließlich auch durch die Runderneuerung von Reifen beträchtliche Mengen Altreifenabfälle vermeiden. Da im Schnitt rund 92 % eines Lkw-Reifens und 80 % eines Pkw-
Reifens wiederverwendet werden, kann eine Stärkung der Runderneuerung die aus
dem Verkehr auszusondernde Zahl von Reifen erheblich verringern.484 Weiterhin
erfordert eine Runderneuerung nur 30 % der Energie einer Neureifenherstellung.485
Schließlich ist auch der Rohölbedarf für die Fertigung eines runderneuerten Reifens
erheblich geringer als bei der Neureifenherstellung.486
Aus abfallwirtschaftlicher Sicht sollten runderneuerte Reifen deshalb verstärkt zum
Einsatz gelangen. Ähnlich dem Verfahren des Nachschneidens bedarf es hierzu zweierlei: Zum einen müssen sich Neureifen fü r eine Runderneuerung eignen, was vor
allem eine hinreichende Karkassqualität voraussetzt. Zum anderen müssen Reifennutzer bereit sein, runderneuerte Reifen auf ihre Fahrzeuge zu ziehen.487
Sowohl für Pkw-/LLkw- als auch für Lkw-Reifen sind diese Voraussetzungen jedoch
bislang nur teilweise erfüllt. Dabei stellt sich die Ausgangssituation für beide Reifen arten unterschiedlich dar. Während es für Pkw-/LLkw genügend Reifen gibt, die
runderneuert werden könnten, ein Markt hierfür jedoch nur sehr begrenzt vorhanden
ist, mangelt es bei Lkw-Reifen beständig an Karkassen von hinreichender Qualität.
Abnahmewillige Käufer gibt es dagegen genügend. Eine Stärkung der Runderneuerung benötigt deswegen eine für beide Reifenarten unterschiedliche Regelungsziel richtung fördernder Normen:
483 Vergleiche hierzu noch einmal oben B. III. 2. b. Runderneuerung.
484 Dies bereits hinsichtlich einer Steigerung der Nutzungsdauer und der Runderneuerungsfähigkeit von
Reifen festhaltend GAVS (Hrsg.), Altgummientsorgung in Deutschland, Statusbericht 2001, S. 10.
485 Vergleiche zu den ökologischen Vorzügen einer Runderneuerung von Reifen auch BLIC, Life cycle
assessment, S. 121ff mit einer genauen Beschreibung.
486 Zur Herstellung eines neuen Reifens benötigt man 26 Liter Rohöl be i Pkw und 160 Liter bei Lkw. Für
die Runderneuerung werden hingegen nur 13 bzw. 38 Liter benötigt (die Angaben wurden durch den
Hersteller Goodyear zur Verfügung gestellt und finden sich in Backfisch, Reifenbuch, S. 89).
487 Das zunehmende Mitwirkungserfordernis der Verbraucher herausarbeitend Führ, Stoffbezogenes
Umweltrecht, 685, 689, 691ff. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Fußnote 14 auf Seite
689.
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Hinsichtlich Pkw-/LLkw-Runderneuerungen gilt es, den Kunden zur Wahl dieser
Reifen zu motivieren. Dies wird am ehesten über monetäre Anreize zu bewerkstelligen sein. Die Reifenkunden müssen einen finanziellen Vorteil bei der Wahl runderneuerter Reifen verspüren. Deren Preis muss deutlich unter demjenigen vergleichbarer Neureifen liegen. Aus Sicht der Reifenkunden ist diese Prämisse bislang nämlich
noch nicht erfüllt.488
Für Lkw ist der Runderneuerungsmarkt dagegen anders gelagert. Kaufbereite Kunden gibt es genügend, da runderneuerte Lkw-Reifen oftmals die gleiche Qualität aufweisen wie Neureifen,489 dabei jedoch günstiger sind. Zudem richtet die Kundschaft
ihre Kaufentscheidung weit weniger nach Gefühl, sondern vielmehr nach objektiven
Kriterien aus. Deshalb besteht am Markt auch ein zunehmender Mangel an qualitativ
hochwertigen und optimal runderneuerbaren Karkassen der Premiumhersteller.
Denn nicht nur diese sind an einer Runderneuerung ihrer Pneus interessiert, auch
zahlreiche freie Runderneuerer schätzen die Wiederverwendung dieser Karkassen.490
Hinzu kommt, dass viele Nutzer ihre Reifen auch selbst einer Runderneuerung
zuführen.
Hinsichtlich Lkw-Runderneuerungen muss es deshalb künftig darum gehen, den
Markt mit einer gesteigerten Menge zur Runderneuerung hinreichender Karkassen zu
versorgen. Insbesondere die auch heute schon praktizierte, mehrfache Runderneuerung sollte dabei zu einem Standard werden. Dann aber müssen die Hersteller dazu
motiviert oder verpflichtet werden, die hierfür erforderlichen Karkassen zu produzieren.
d. Zwischenergebnis
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Reifen einzigartige Möglichkeiten bieten, ein abfallvermeidendes Produktdesign und eine ressourcenschonende Förderung
ihrer Wiederverwendung zu verwirklichen. Sie scheinen »geradezu dafür geschaffen«
zu sein, abfallrechtliche Produktverantwortung für sie zu übernehmen. Folgende Ziele
sind anzustreben:
Im Hinblick auf eine effiziente Vermeidung von Altreifenabfällen sollte der Gesetzgeber die Möglichkeiten einer Laufleistungssteigerung von Neureifen eingehend
eruieren und die bestehenden Potentiale ausschöpfen. Zu beachten ist dabei Folgendes:
– Es bedarf einer politischen Entscheidung, in welchem Maße eine Laufleistungssteigerung forciert werden soll.
488 Vergleiche hierzu bereits oben B. III. 2. b. Runderneuerung.
489 Die Premiumhersteller können ihre Reifen so runderneuern, dass sie 100 % aller Fahreigenschaften
von Neureifen haben.
490 Nicht zuletzt auch aus diesem Grund sind zwei der größten Reifenhersteller wohl dazu übergegangen,
ihre Lkw-Reifen an Flotten zu vermieten. So haben sie einen stetigen Rücklauf an Karkassen.
Weiterhin bietet einer dieser beiden Hersteller mit seiner »Karkassbank« dem Lkw-Reifennutzer ein
Einlagerungsmodell für seine abgefahrenen Neureifen an. Der Kunde gibt seine Karkasse in Verwahrung und erhält zu einem Zeitpunkt seiner Wahl einen runderneuerten Reifen zurück. So kann sich der
Hersteller ebenfalls einen beständigen Zufluss an Karkassen sichern.
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In Betracht zu ziehen sind dabei die aus einer Steigerung der Verschleißfestigkeit
entstehenden Umweltvorteile, insbesondere auch die fördernden Effekte für das
Verfahren des Nachschneidens; die hiermit einhergehenden Qualitätseinbußen
hinsichtlich sonstiger Reifeneigenschaften; schließlich der Gedanke, dass es ausreichen könnte, dem Markt einen einmaligen Anschub zu geben, so dass er künftig
aus sich heraus der Laufleistung eine gesteigerte Bedeutung zumisst.
– Dem Reifenkunden sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Laufleistungsfähigkeit seines Pneus schon beim Kauf verlässlich einschätzen zu können.
– Im Sinne des Kooperationsprinzips sind die Hersteller in diesen staatlichen Prozess mit einzubeziehen.
Weiterhin sollte auf eine Optimierung des Nachschneidens von Lkw-Reifen gedrängt
werden. Neben einer Steigerung der Laufleistung hat ein dafür erforderlicher Förde rungsprozess darauf zu achten, dass
– Lkw-Reifen generell nachschneidbar sind und
– sich das Nachschneiden für den Nutzer wirtschaftlich rentiert, da ein ausreichend
dicker Untergummi für eine ökonomisch sinnvolle Profilvertiefung vorhanden ist.
Schließlich ist eine Stärkung der Runderneuerung anzustreben. Sie benötigt eine für
Pkw-/LLkw-Reifen und Lkw-Reifen unterschiedliche Regelungszielrichtung fördernder Normen:
– Hinsichtlich Pkw-/LLkw-Runderneuerungen gilt es, den Kunden zur Wahl dieser
Reifen zu motivieren.
– Bei den Lkw-Runderneuerungen muss es darum gehen, den Markt mit einer gesteigerten Menge zur Runderneuerung hinreichender Karkassen zu versorgen. Insbesondere die auch heute schon praktizierte, mehrfache Runderneuerung sollte dabei zu einem Standard werden. Deshalb müssen die Hersteller dazu motiviert oder
verpflichtet werden, die hierfür erforderlichen Karkassen zu produzieren.
II. Beachtung von Vorsorgeprinzip und Lebenszykluskonzept
Vorsorgender Umweltschutz lässt sich nicht allein durch eine allgemeine Ressourcenschonung bewerkstelligen.491 Vielmehr kann die bewusste Aufwendung von Ressourcen sogar notwendig sein, um größere Umwelt- und Gesundheitsschäden zu vermeiden, als sie anlässlich der Ressourcengewinnung, -verarbeitung und -entsorgung ent-
491 Ausführlich hierzu Kloepfer, Umweltrecht, 3. Auflage, Rn 8ff zu § 4. Für ihn besteht das Vorsorgeprinzip im Wesentlichen aus den Komponenten Gefahren- und Ressourcenvorsorge. Daneben sieht er
einige Prinzipien als mit dem Vorsorgeprinzip »benachbart« (Rn 29ff).
Allgemeine Ressourcenschonung ist allerdings das vorrangige Ziel moderner Abfallpolitik. Sie kann
durch die Anwendung des Prinzips der abfallrechtliche Produktverantwortung bewirkt werden (siehe
hierzu bereits oben D. I. 1. Allgemeine Zielsetzung, Grundgedanken und Wirkungsweise).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wie kann abfallrechtliche Produktverantwortung dazu beitragen, das in Reifen verborgene Abfallvermeidungspotential auszuschöpfen? Welche Regelungen sind hierfür sinnvoll und rechtmäßig?
Das moderne Abfallrecht verfolgt das Ziel, den Stoffeinsatz bei der Produktherstellung durch ressourcensparendes Produktdesign möglichst zu minimieren und Stoffe durch lange Benutzungsdauer und mehrfache Verwendung über große Zeiträume im Umlauf zu halten. Die Entstehung von Abfall soll vermieden werden.
Bei Reifen lässt sich dies im Wesentlichen auf drei Arten erreichen. So kann zunächst die Kilometerlaufleistung erhöht werden, so dass ein Reifenwechsel und damit ein Altreifenanfall verzögert werden. Weiterhin können Reifen durch die Anwendung der Verfahren des Nachschneidens und der Runderneuerung „weitere Leben“ gegeben werden, so dass die aus dem Verkehr auszusondernde Zahl von Reifen erheblich verringert werden kann.
Das Buch zeigt auf, wie Reifenhersteller zur Anwendung dieser Verfahren und damit zur Wahrnehmung ihrer abfallrechtlichen Produktverantwortung gebracht werden können. Besonderes Gewicht wird dabei auf die Berücksichtigung von Vorsorgeprinzip und Lebenszykluskonzept gelegt.